Interviews

Interview mit Pierre Savoy

«Man sollte nicht blind der Transformation folgen»

Pierre Savoy, CEO der Spie Schweiz AG, über die Erfolgsfaktoren in der digitalen Transformation, die Vision städtischen Zusammenlebens sowie das Krisenmanagement und die Lerneffekte in Corona-Zeiten.

Herr Savoy, das Leistungsangebot Ihrer Geschäfts­bereiche erstreckt sich von ICT Services über Gebäudeautomation und Multimedia bis hin zu Elektromobilität, das mutet zunächst wie das klassische Profil eines Mischkonzerns an. Wie behalten Sie da noch den Überblick, anders gefragt: Welche Strukturen sind dafür notwendig? 
Jede unserer Business Units beziehungsweise jedes Segment ist in sich strukturiert, jeweils mit einem hohen Mass an Eigenverantwortung. Wichtig ist hier das Zusammenspiel der verschiedenen Units untereinander mit regelmässigem Austausch.

Ist es denn in einer Welt, die nach Agilität und Spe­zialisierung schreit, noch zeitgemäss, so breit auf­gestellt zu sein?
Ja, bei Spie Schweiz ist das durchaus so gewollt – dahinter steckt der «One Spie»-Gedanke: Der Kunde profitiert von verschieden­sten Services und Lösungen, welche jedoch alle aus einer Hand kommen. Wir vereinfachen so die Komplexität für den Kunden. 

Es ist also auf absehbare Zeit nicht geplant, den Angebotsmix zu bereinigen und/oder einzelne Bereiche abzustossen? 
Dieser Mix ist wie gesagt Teil unserer Strategie. Wir recherchieren jedoch laufend nach weiteren Opportunitäten auf dem Schweizer Markt und Anpassungen sind nie ausgeschlossen. Und unter uns gesagt, es gibt noch viele Bereiche, die wir nicht abdecken.

Die Geschäftsbereiche haben ja durchaus Schnittmengen. Welche eignen sich besonders, um Synergien zu schaffen, und wie forcieren Sie diese? 
Alle unsere Bereiche können und sollen Synergien schaffen. Beispielsweise trifft im Smart-Building-Bereich die ICT-Welt auf das Facility Management sowie auf Elektro- oder Multitechnik und damit generieren wir einen Mehrwert für den Kunden.

Ihr Leistungsportfolio ist insgesamt sehr zukunftsorientiert besetzt. Welche Themen sind besonders wachstumsstark? 
Nach wie vor sind im ICT-Sektor die Cloud Services ein grosses und ausbaufähiges Thema, im Segment von MTS (Multi-Technical Services) sind die Bereiche Smart City und Smart Building sowie E-Mobility sehr zukunftsorientiert. 

Herr Savoy, Spie Schweiz ist ein Teil der Spie-Gruppe. Sie steht für Société Parisienne pour l´Industrie Electrique und ist ein um 1900 gegründetes französisches Unternehmen. Seither ist der Konzern durch viele Hände gegangen und bezeichnet sich als europäischer Marktführer für technische Dienstleistungen in den Bereichen Energie und Kommunikation. Die Gruppe hat mehr als 47 000 Mitarbeiter an 600 Standorten. Spie Schweiz hat 600 Mitarbeiter an neun Standorten. Welche Rolle spielt die kleine Tochter in der Grossfamilie? 
Im Spie-Konzern haben sich die einzelnen Länder auf unterschiedliche Bereiche spezialisiert: Zum Beispiel ist Spie Deutschland stark in der Gebäudetechnologie und in der Energie- und Sicherheitstechnik vertreten. Spie Polen ist stark im Facility Management vertreten, Spie UK entwickelt technische Lösungen für die Gebäudeumgebung. Die Niederlande fokussieren sich auf Betrieb und Wartung von Energienetzen und -anlagen. Wir als Spie Schweiz fügen uns anhand unseres Know-hows in den Bereichen ICT und Multitechnik sehr gut in den Mutterkonzern ein und bringen die damit verbundenen innovativen Themen in die Gruppe ein.

Wie autark ist Spie Schweiz? In welchen Bereichen können Sie selbst entscheiden, wann und wo agiert der Mutterkonzern transnational?
Grundsätzlich arbeiten wir sehr selbstständig, was die strategische Planung der Geschäftsentwicklung in der Schweiz angeht. Natürlich wird dies mit den Zielen der Gruppe abgeglichen. Die Gruppe unterstützt die Länder in gewissen Bereichen, wie zum Beispiel in Akquisitionen oder der Schaffung von interkontinentalen geschäftlichen Synergien. 

Apropos Unabhängigkeit: Durch den internationalen Verbund und Warenverkehr hat Spie natürlich auch ausländische Rechtsprechungen und Rahmenverträge zu berücksichtigen. Was bedeutet das konkret in Bezug auf die Bilateralität mit der EU, sehen Sie da Irri­tationen durch das gescheiterte Rahmenabkommen? 
Wir sind lokale Dienstleister, deshalb sehe ich derzeit keine grös­seren Beeinträchtigungen. Aufgrund unserer Zugehörigkeit zum Konzern in Frankreich ist es für uns kein Neuland, diverse juristische Vorgaben im Ausland zu berücksichtigen, wie zum Beispiel GDPR, oder manchmal auch einen umfangreicheren administrativen Aufwand zu bewältigen. Was sich jedoch auch bei uns bemerkbar macht, sind die derzeitigen Lieferengpässe im Elektro- und ICT-Bereich. 

Wie stehen Sie zu der zentralistisch orientierten Europäischen Gemeinschaft, und was wird sich künftig dadurch noch für Schweizer Unternehmen verändern?
Ich persönlich bedaure, dass man in Bezug auf das Rahmenabkommen keinen gemeinsamen Nenner finden konnte, und ich kann nicht beschönigen, dass sich hierzu einige Abläufe verkomplizieren werden. Allerdings sind wir in der Schweiz weiterhin ein Teil von Europa und der Dialog bleibt ganz sicher bestehen. 

Kommen wir zurück zu Spie Schweiz und nehmen einen Abstecher zum Thema Elektromobilität, das Ihrem Geschäftsbereich Smart City untergeordnet ist. Gehört Elektromobilität wirklich die Zukunft, oder ist sie doch eher ein dem Zeitgeist nachgeeiltes Greenwashing? Denn unter Einbezug der grauen Energie ist der batteriebetriebene Antrieb nicht umweltfreundlicher als etwa Dieselfahrzeuge mit Abgasnorm Euro-6d-Temp. 
Da gebe ich Ihnen recht. Spie arbeitet bereits gemeinsam mit Kunden an Möglichkeiten, welche sich auf die Produktion und Lagerung von Wasserstoff konzentrieren. Grundsätzlich müssen wir aber in allen Bereichen, die Spie Schweiz abdeckt, wach sein, Trends beobachten und den Mut haben, bei möglichen Veränderungen dabei sein zu wollen. Wir haben früh die Geschäftsflotte bereits als Hybridgas/Benzin eingeführt, und ich denke, in Zukunft wird Elektromobilität nicht die einzige Lösung sein. 

Im Jahr 2020 waren in der Schweiz rund 4,66 Millionen Personenkraftwagen für den Strassenverkehr zugelassen. Stellen wir uns doch einmal vor, dies wären alles Elektrofahrzeuge, und stellen wir uns dazu noch die Zeit des Sommerferien-Reiseverkehrs vor. Wie kann bei einem solchen Szenario eine funktionierende Infrastruktur aussehen?
Es gibt für diese Fragen diverse Arbeitsgruppen beim Bund, die fortwährend an möglichen Strategien in dem Bereich für die Schweiz arbeiten. Der Verband Swiss E-Mobility ist als Bindeglied zwischen Wirtschaft und Politik laufend im Austausch mit allen Parteien. Grundsätzlich steht das E-Auto zwar weiterhin im Fokus, es wird aber auch Alternativen geben. Der Markt konzentriert sich auch auf Lösungen basierend auf Wasserstoff oder Second-Life-Batterien. Ein gutes Beispiel für die Second-Life-Lösung ist die Raststätte Glarnerland, welche Spie 2019 konzipiert und realisiert hat. Diverse Softwarelösungen können ebenfalls helfen, die Struktur zu behalten. Hier kommt die Digita­lisierung und deren Wichtigkeit zum Ausdruck. Und die Entwicklung der Technologie ist da noch gar nicht berücksichtigt, wie zum Beispiel induktives Laden während des Fahrens, vor der Ampel, usw. 

Zurück zur Smart City: Wie sieht Ihre Vision des städtischen Zusammenlebens aus, und was kann Spie dazu beitragen?
Wenn Sie einen Stadtbewohner fragen, was eine Smart City sein sollte, erhalten Sie interessanterweise vollkommen andere Antworten als von den in diesem Bereich engagierten Gremien und Unternehmen. Aus meiner Sicht sollte das Ziel sein, dass eine Smart City den dort lebenden Menschen das Stadtleben erleichtert, es sicherer und das Leben lebenswert macht.

Smart City, aber auch Ihre anderen Sparten sind ohne Digitalisierung nicht vorstellbar. Dabei ist es nicht nur die Elektromobilität, sondern auch die ICT-Technologie, die Gebäudeautomation oder Multimedia, die für einen rasant wachsenden Energiebedarf ­sorgen. Schon jetzt ist absehbar, dass etwa Stromenergie für Konsumenten wie für Unternehmen deutlich teurer wird. Gleichzeitig steht fest, dass alter­native Energien den Bedarf weder kurz- noch mittelfristig werden decken können. Wo also kann, Ihrer Meinung nach, bezahlbare Energie herkommen, ohne sich in zu starke Abhängigkeit von ausländischen An­bietern zu ­begeben?
Ich denke, es wird in einer Mischrechnung enden. Nach heutigem Stand der Technologie ist natürlich ein Mehrverbrauch die Folge. Ich gehe jedoch davon aus, dass neue Technologien massiv Strom sparen werden und deshalb die Kurve nicht so steil ansteigen wird, wie momentan prognostiziert wird. Gute Beispiele sind hier die Entwicklungen in der Strassenbeleuchtung zu LED oder smarte Technologien in Gebäuden. Es wird Technologien geben, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können. 

Kommen wir zum Thema Nachhaltigkeit. Das betrifft gemeinhin ja nicht nur die Ökologie, sondern auch Ökonomie und Soziales. Wie definieren Sie den Begriff aus Unternehmenssicht und dann speziell für Spie?
Wir definieren nicht nur, wir arbeiten aktiv an den Themen. Spie engagiert sich stark in den CSR-Themen und hat hierfür ein eigenes Team aufgestellt. In jedem Land gibt es zusätzlich mindestens eine dafür verantwortliche Person. Die vier Eckpfeiler decken die Bereiche Soziales, Wirtschaft, Gemeinschaft und Umwelt ab. Dies widerspiegelt sich auch in unseren Lösungen, welche wir zusammen mit dem Kunden und unseren Mitarbeitenden für eine lebenswerte Zukunft erarbeiten. «Spie, sharing a vision for the future» ist nicht ohne Grund unser Motto. 

Bereits seit mehr als zehn Jahren lassen Sie die Nachhaltigkeitsleistung von Spie bewerten. Wie läuft eine solche Bewertung ab, was wird konkret wie bewertet, und welchen Benefit haben Sie davon?
Die Bewertung zielt auf die Best Practices der Länder, die messbaren kurzfristigen und mittelfristigen Ziele und den Einbezug der Mitarbeitenden, die entsprechende Verantwortung auch zu übernehmen. Die Spie-Gruppe hat sich selbst das Ziel einer 25-Prozent-Reduktion des CO₂-Ausstosses bis 2025 gesetzt. Und bereits im Jahre 2003 hat sich Spie zu der Umwelt-Charta der UNO verpflichtet.

«Die digitale Transformation steht im Zentrum der Aktivitäten von Spie Schweiz» ist eine Ihrer zentralen Aussagen. Was bedeutet das genau, aus strategischer wie auch operativer Sicht? 
Das ist einfach: Wir müssen uns fortlaufend an der Digitalisierung und deren Verlauf orientieren, denn eins ist klar: Sie ist nicht aufzuhalten und schnell in der Weiterentwicklung. 

Transformation meint Veränderung. Wie gelingt es Ihnen, Veränderungsprozesse so zu steuern, dass alle Stakeholder diese Reise mit gleicher Überzeugung und erfolgsorientiert antreten? 
Veränderungen sind ja nicht nur negativ behaftet, sondern auch sehr spannend. Viele Branchen sind schnelllebig geworden, das ist Fakt. Man springt also gemeinsam auf den Zug des Trans­formationsprozesses auf, allein dies schafft eine gemeinsame Motivation zum Erfolg. 

Die digitale Transformation, sollte sie nicht durch Blackouts unterbrochen werden, ist eine dauerhafte Entwicklung ohne zu definierendes Ziel. Wie, glauben Sie, wird sich diese Transformation zum Beispiel in fünf Jahren darstellen? 
In fünf Jahren sind wir auch reicher an Erfahrungen. Man sollte nicht blind der Transformation folgen, sondern auch im Blick behalten, was den Menschen im alltäglichen Berufs-, aber auch Privatleben dienlich ist und sie bereichert – somit werden mehr Freiheiten und das kreative Potenzial des Einzelnen gefördert. 

Was würden Sie KMU empfehlen, die technologisch wie auch kenntnisbezogen noch am Anfang der ­digitalen Transformation respektive digitaler Geschäftsprozesse stehen? 
Als kleineres Unternehmen sollte man versuchen, sich schrittweise in diverse Technologien einzufügen. KMU haben aus unseren Erfahrungswerten heraus gute Chancen auf dem Markt. Ich würde dazu raten, sich einen Serviceprovider zu suchen, welcher die Erfahrung mit Grosskunden herunterbrechen kann. 

Welches sind Ihrer Meinung nach die fünf entscheidenden (kritischen) Erfolgsfaktoren der digitalen Transformation? 
Wichtig ist immer eine gute Unterstützung im Bereich der Wahl und des Betriebs neuer Technologien, eine zweckorientierte Strukturierung, unternehmerische Zusammenhänge müssen transparent erfasst werden, klare Strategien geschaffen werden, Kunden- und Mitarbeiterbedürfnisse sollten verstanden werden. Schlussendlich ist auch die Willingness von entscheidender Bedeutung.

Die digitale Transformation ist auch eine Frage des kreativen und innovativen Potenzials. Wie funktioniert Innovation bei Spie, auch organisatorisch? Gibt es beispielsweise Thinktanks oder Ähnliches?
Spie hat für die strategischen Themen wie ICT oder Smarte Energien länderübergreifende Committees, welche sich austauschen und ständig neue Lösungen suchen. Zusätzliche interne Kampagnen laufen über Mitarbeiterbefragungen zu verschiedenen Innovationsthemen. 

Zum Schluss noch eine Frage zur Corona-­Pandemie: Mit welchen Auswirkungen haben Sie ­umgehen müssen, und welche Lösungen haben Sie entwickelt?
Wie viele andere haben wir, wo immer möglich, auf Homeoffice umgestellt. Dies war relativ schnell und problemlos umsetzbar, da wir zuvor bereits das Konzept des Mobile Working angewandt haben. Als erstes Land der Gruppe haben wir eine Homeoffice-Policy eingeführt. Das Ziel war es, den Mitarbeitenden das Weiterarbeiten so einfach wie möglich zu gestalten und sie mit Rahmenbedingungen zu unterstützen. Herausfordernd war die Situation auf den Baustellen, welche in gewissen Regionen durch die Kantone geschlossen wurden. Das Krisenteam hat täglich, und danach wöchentlich, die Situation und die Massnahmen des Bundes an unsere Begebenheiten angepasst und entsprechend den Mitarbeitenden kommuniziert. Unser Portfolio haben wir mit einer «Back to Office»-Lösung erweitert, welche mit IoT-­Sensoren die Büroumgebung analysieren kann und zeitnah die Mitarbeiter über die Situation, wie zum Beispiel Personen­anzahlen und Luftqualität in den Räumlichkeiten, informiert.

Hatten Sie bereits zuvor ein Krisenmanagement? 
In unserem Geschäft und unserer Verantwortung ist es undenkbar, ohne ein Krisenteam zu agieren. Regelmässige Simulationen, auch auf Gruppenebene, optimieren die Krisenprozesse. In der Schweiz setzt sich das Team aus den verschiedenen Bu­siness Units und Teams zusammen. Dieses Team hat in Zeiten von Lockdown und der Pandemie ganz unglaublich gute Arbeit geleistet. 

Welche Lerneffekte hat die schwierige Zeit hervor­gebracht?
Für mich war es unglaublich positiv, zu sehen, wie schnell wir uns auf neue Begebenheiten umstellen konnten und welches Vertrauen wir in unsere Mitarbeiter setzen dürfen. Vor allem aber, wie wichtig es uns in Zeiten von Digitalisierung und ­Mobile Working am Ende war, uns doch wieder persönlich im Büro zu treffen und zu kommunizieren.

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