Interviews

Interview mit Roland Glauser

«Leistungen mit echtem Mehrwert sind gefragt wie nie»

Roland Glauser, CEO der Schweizerischen Vereinigung für Qualitäts- und Mana­gement-Systeme (SQS), über Qualität als Schlüssel für nachhaltigen Erfolg, den Stellenwert von Swissness im internationalen Wettbewerb und den Mehrwert von Zertifizierungen.
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Herr Glauser, was heisst für Sie «Qualität»?

Qualität ist für mich vorab etwas, das fasziniert. Aus meiner beruflichen Sicht ist Qualität aber weit mehr: Sie ist der Schlüssel zum nachhaltigen Erfolg, insbesondere in wirtschaftlich schwierigen Zeiten mit stark umkämpften Märkten. Erstrebenswert ist eine ganzheitliche Qualität. Diese bezieht sich eben nicht nur auf das Produkt, sondern auch auf sämtliche Dienst- und Serviceleistungen eines Unternehmens. Qualität muss das gesamte Unternehmen mit all seinen Prozessen durchdringen. Dazu gehören auch Aspekte wie Risiko, Umwelt, Sicherheit, Human Resources, Transparenz und soziale Verantwortung.

Worin besteht denn der Mehrwert der «Schweizer Qualität»?

Qualität scheint uns Schweizern irgendwie mit den Genen mitgegeben worden zu sein. Das Qualitätsbewusstsein ist in unserer Kultur tief verankert. «Schweizer Präzision» ist weltweit ein Begriff. Er spiegelt sich in sehr guten, innovativen Produkten und Dienstleistungen. In erster Linie hat «Swissness» ganz stark mit Verlässlichkeit, Hochwertigkeit, ausgeprägter Technologieorientierung, hoher Innovationskraft und Flexibilität zu tun. Dahinter steckt eine Reihe typisch schweizerischer Werte und Errungenschaften, zum Beispiel unser Bildungssystem, der Föderalismus und das verantwortliche Handeln, die stabilen wirtschaftlichen und politischen Strukturen.

Welchen Stellenwert hat Swissness im internatio­nalen Wettbewerb?

Die Geschichte der Schweizer Industrie belegt, dass sie sich im internationalen Wettbewerb seit jeher in besonderer Art und Weise um die Differenzierung von Mitbewerbern bemühen musste. Wir sind in diesem Sinne sozusagen ganz gut trainiert. Swissness war und bleibt das Argument, um in diesem Wettkampf zu bestehen. Ich bin überzeugt, dass die Schweiz als Wirtschaftsstandort Zukunft hat, wenn sie weiterhin Innovationen und Qualitätsprodukte auf höchstem Niveau hervorbringt, welche die Auszeichnung Swissness wirklich verdienen. Leistungen, die einen echten Mehrwert bieten – in ökonomischer, ökologischer und sozialer Hinsicht – sind gefragt wie nie. Aus meiner Warte ist das für unser Land klar die Erfolgsvoraussetzung Nummer 1 im internationalen Wettbewerb.

Qualität wird in Zertifizierungen überprüft. Sind zertifizierte Organisationen erfolgreicher?

Ja, das ist so. Zertifizierte Organisationen haben klare Strukturen und Prozesse für das Erreichen ihrer Zielsetzungen, agieren ausgeprägt kundenorientiert und engagieren sich vorbildlich für Verbesserungen. Diese systematischen Anstrengungen wirken positiv auf die Unternehmensqualität, auch auf die so wichtigen personellen Ressourcen. Studien belegen dies. Ein Zertifikat ist somit ein eigentlicher Vertrauensnachweis. So kommt es nicht von ungefähr, dass die Forderungen nach zertifizierten Unternehmen im nationalen und internationalen Wettbewerb seit den achtziger Jahren stetig zugenommen haben. In Zukunft werden zunehmend Zertifizierungen nach speziellen Normen verlangt. Wer über eine Basis-Zertifizierung nach ISO 9001 verfügt, hat für die Erfüllung dieser zusätzlichen Anforderungen die bessere Ausgangslage.

Operieren zertifizierte Organisationen auch wirklich nachhaltiger?

Da besteht noch Potenzial, und es ist auch abhängig davon, welche Normen angewendet werden. Zweck einer Zertifizierung ist aber, Organisationen auf diesem Weg zur Nachhaltigkeit gezielt zu unterstützen. Wer nach ISO 9001 zertifiziert ist, hat grundsätzlich ein Werkzeug zur Hand, um geplante Leistungen zielkonform zu erbringen, nicht nur einmalig, sondern auf Dauer. Und er ist gefordert, mit den Ressourcen sorgsam umzugehen. Getragen und gelebt wird ein zertifiziertes Management-System durch befähigte Mitarbeitende. Besonders gefördert wird die Nachhaltigkeitsleistung eines Unternehmens, wenn ein Managementsystem auf spezielle Nachhaltigkeits-Dimensionen ausgerichtet wird und eine ausgeprägte Qualitätskultur vorhanden ist. Typische Normen dafür sind ISO 14001 (Umweltmanagement), OHSAS (Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz) und IQNet SR 10 (soziale Verantwortung) – allesamt Belege für gezielte und nachweisbare Nachhaltigkeitsleistungen. In der heutigen Praxis werden diese Zertifikate häufig in Kombination mit ISO 9001 erworben.

Und wie steht es mit der Innovationskraft?

In einem gut geführten Managementsystem hat dieser Aspekt zentrales Gewicht. Zertifizierte Organisationen sind hier bevorteilt, denn sie sind mit Anforderungen konfrontiert, welche die Innovationskraft begünstigen, beispielsweise im Qualitätsmanagement, in der Kundenorientierung und im Entwicklungsprozess. Oder im Umweltmanagement beim Einsatz neuer Technologien zur Verbesserung der Umweltleistung.

Wird in zertifizierten Unternehmen anders geführt?

Wir zertifizieren ja nicht bloss Produkte und Prozesse, sondern in erster Linie das gesamte Management-System von Organisationen. Jede ISO-Managementsystem-Norm stellt Forderungen an die Führung, und zwar in strategischer und operativer Hinsicht, inklusive der Mitarbeiterentwicklung. Zertifizierte Organisationen müssen diese genau spezifizierten Forderungen bezüglich des Führungsprozesses erfüllen, also Unternehmenspolitik, Planung, Kommunikation, Controlling, Risikomanagement und andere mehr. Der Führungsstil dagegen lässt sich naturgemäss nicht normieren. Das ist aber auch kein Hindernis zum Erzielen guter Ergebnisse.

Wie ist die Einstellung von Mitarbeitenden in zerti­fizierten Unternehmen?

In unseren Erst-Audits stellen wir hin und wieder gewisse Berührungsängste fest. Man befürchtet vorerst, Systeme könnten einengen. Dem ist aber nicht so. Ein gut konzipiertes Managementsystem lässt den Mitarbeitenden viele Freiräume, auch gestalterische. Entscheidend ist, dass das Managementsystem massgeschneidert wird, angepasst an Komplexität, Art und Grös­se der Organisation und an das Tätigkeitsfeld. Insbesondere bei Re-Audits dominiert ein konstruktives und positives Gesprächsklima. Auditierte und Auditor sitzen sozusagen im gleichen Boot, steuern das gleiche Ziel an; nur ihre Aufgaben sind anders. Ein zentraler Aspekt im Zertifizierungsprozess ist die kontinuierliche Verbesserung. Die SQS weist bei ihrer Mehrwert-orientierten Auditpraxis stets auf Chancen zur Verein­fachung hin. Und das wird von den Geschäftsleitungen auch erwartet und begrüsst.

Erfolgreiche Praktiker sagen, Qualität sei «Arbeit an der Verlässlichkeit». Wie ist das zu verstehen?

Wer sich profimässig mit Qualität von A bis Z auseinandersetzt, danach sucht, wo Prozesse verbessert, wo Effizienz und Effektivität gesteigert werden können, der arbeitet in der Tat immer auch an der Verlässlichkeit. Verlässlichkeit ist ein zentraler Anker des Vertrauens. Und dieses Vertrauen muss täglich neu erarbeitet werden, im nationalen und internationalen Geschäft genauso wie bei einem Bauvorhaben oder bei einer Serviceleistung. Es geht ja letztlich darum, das Kundenversprechen zuverlässig einlösen zu können.

Was passiert eigentlich mit dem Zertifikat, wenn Produkte zurückgerufen werden müssen?

Aus der Unternehmenssicht ist ein Produkterückruf zuallererst eine Risikomassnahme. Dabei ist wichtig, dass diese Notfallvorsorge, wenn sie eintreffen sollte, klar geregelt ist, und dass rasch und wirksam gehandelt werden kann. Insofern prüfen wir die Wirksamkeit dieses Prozesses. Dies ist für die Erhaltung des Zertifikats zwingend. Selbstverständlich müssen die Gründe, Ursachen und Korrekturmassnahmen, die zu einem Produkterückruf geführt haben, in die Beurteilung mit einbezogen werden.

Wie lernfähig sind zertifizierte Unternehmen Ihrer Erfahrung nach?

Das hängt mit der Motivation zusammen. Die Motive für eine Zertifizierung präsentieren sich oft recht unterschiedlich. Müssen die einen Unternehmen im Markt eine Zertifizierung unbedingt nachweisen können, so machen es andere aus eigenem Antrieb. Ich denke, je grösser die Eigenmotivation für eine Zertifizierung ist, umso lernfähiger ist ein Unternehmen, da es ja möglichst viel Nutzen aus dieser Investition ziehen will. Allgemein stellen wir bei unseren Kunden ein grosses Interesse an Verbesserungen fest. Das fordert und motiviert uns, die eigenen Auditoren regelmässig und umfassend weiterzubilden, damit sie für Zertifizierungskunden exzellente Sparringpartner sind. Bei den Audits legen wir grosses Gewicht auf erzielte Verbesserungen, und wir prüfen stets den Stand des Fortschritts im Sinne einer «Learning Organisation».

Hunderte Normen, Labels, Richtlinien gibt es weltweit. Wer blickt da noch durch?

Das ist in der Tat für viele Unternehmen eine Schwierigkeit. Die Zunahme normativer Dokumente und Labels ist eine Folge der globalisierten Wirtschaft, der damit verbundenen Spezialisierung und des gestiegenen Bedürfnisses in Wirtschaft und Gesellschaft nach Sicherheit und Vertrauen. Normen und Richt­linien schaffen ein gemeinsames, grenzüberschreitendes Verständnis über zu erfüllende Anforderungen. Deshalb sind sie für Anwender so nützlich. Bei Labels besteht allerdings die Gefahr, dass die Qualitätsbotschaft durch zu viele gleichartige Labels verwässert wird. Gute Labels zeichnen sich dadurch aus, dass sowohl der definierte Anforderungskatalog wie auch das angewandte Zertifizierungsverfahren zweifelsfrei, glaubwürdig und überzeugend sind. Solche Labels geben allen Beteiligten die nötige Sicherheit. Die SQS trägt dem in ihrer Arbeit entsprechend Rechnung.

Und die Zertifizierungsbranche boomt …

Ja, das stimmt. Die Nachfrage ist ungebrochen. In unserer komplexen Welt mit gesteigerten Sicherheits-, Qualitäts- und Nachhaltigkeitsbedürfnissen ist es naheliegend, dass Zertifikate und Konformitätsnachweise in allen Wirtschaftsbereichen im Aufwind sind.

Welche Themenfelder werden aktuell besonders nachgefragt?

Neben dem grossen Sektor Qualität (nach ISO 9001) sind es insbesondere die Bereiche Nachhaltigkeit, Umweltmanagement inklusive Energiemanagement, Produktesicherheit, Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz, Risikomanagement, Sicherheit der Zulieferkette, Informationssicherheit und Datenschutz sowie soziale Verantwortung. Das Themenspektrum präsentiert sich also ausgesprochen breit.

Gibt es ausgeprägt zertifizierungsorientierte Branchen?

Ja, im Vordergrund stehen hier die gesamte Baubranche, die Industrie mit der Zulieferindustrie, die Chemie- und Pharmabranche, die Lebensmittelbranche, die Medizinaltechnik-Branche, der Tourismus, das Gesundheits- und Sozialwesen sowie der Bildungssektor.

Wann sind Zertifizierungen eigentlich ein «Must», wann ein «Nice to have»?

Ein Managementsystem bringt einer Organisation in jedem Fall wesentliche Vorteile, auch wenn eine Zertifizierung nicht vorgeschrieben ist. Deshalb ergreifen viele Organisationen selber die Initiative zur Zertifizierung, weil sie erkennen, dass ein Abseitsstehen negative Folgen für die weitere Entwicklung haben könnte. Beispiele für Zertifizierungen aus eigenem Antrieb sind etwa öffentliche Verwaltungen oder Hotels. In vielen Fällen, etwa in der Medtech-Branche und in der Maschinenindustrie, kommt eine Organisation aber gar nicht darum herum, im Markt und/oder gegenüber Behörden ein Zertifikat nachzuweisen. Zertifizierungen sind hier also ein «Muss», um sich im Markt überhaupt bewegen zu können.

Die SQS ist die grösste und älteste Organisation ihrer Art in der Schweiz. Wie werden sich Qualitätsniveau und Qualitätsbewusstsein von Schweizer Unternehmen Ihrer Einschätzung nach entwickeln?

Wie gesagt: Swissness und Schweizer Qualität sind für die meisten Schweizer Unternehmen heute das ultimative Argument im harten Wettbewerb. In unserer Auditierungspraxis stellen wir fest, dass die Sensibilisierung für die Qualität und das Qualitätsbewusstsein entsprechend weiter zugenommen hat. Diese Entwicklung wird sich in den nächsten Jahren noch akzentuieren. Gemeinsam mit den von uns betreuten Unternehmen sind wir überzeugt: Schweizer Qualität setzt sich langfristig durch, auch wenn die Märkte eng werden. Denn: Qualität ist der Tatbeweis für geschenktes Vertrauen. «

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