Interviews

Interview mit Eva Jaisli

«Kopien spornen uns an, weil Kopien auch Komplimente sind»

Eva Jaisli, CEO und Mitinhaberin der PB Swiss Tools AG, über Diversifikation in Krisen­zeiten, den Stellenwert von Digitalisierung in der Werkzeugindustrie und den Umgang mit ökologischen Themen.
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Frau Jaisli, Sie leiten die PB Swiss Tools AG seit mehr als 20 Jahren. Mit welchen Herausforderungen hatten Sie in dieser Zeit besonders zu kämpfen und wie sind Sie damit umgegangen? 

Unsere Markt- und Angebotserweiterung führten zu Wachstum, obwohl 2009 ein schwieriges Jahr war. Infolge der Finanzkrise 2008 gab es Auftragsrückgänge. Trotzdem konnten wir eine hohe Loyalität unserer Kunden feststellen. Wir haben diese Zeit für eine Vorwärtsstrategie eingesetzt und eine Diversifikation mit Eintritt in die Medizintechnik vorbereitet. Basierend auf einer Marktanalyse haben wir das neue Geschäftsfeld für medizinische Schraub-Instrumente ermittelt. Wir begannen Beigabe-Instrumente für Implantat-Hersteller zu entwickeln, die Kundenvorteile beim Lösen von Implantat-Schrauben garantieren. 

Wie haben Sie dieses Geschäftsfeld aufgebaut?

Das Entwickeln der medizinischen Instrumente erfolgte mit Expertinnen und Experten der Orthopädie und Traumatologie. Basierend auf ihren Erfahrungen und Anforderungen entwickelten wir Prototypen, die mit unserer Fertigungskompetenz zur Marktreife geführt wurden. Parallel erwarben wir Wissen über regulatorische Erfordernisse und lernten die Prozesse nach den Bedürfnissen der neuen Kundschaft auszurichten. Die Zertifizierung nach ISO 13485 war eine logische Konsequenz. Der strategische Entscheid, die über Jahrzehnte gewachsene Kernkompetenz in einem neuen Geschäftsfeld einzusetzen, hat sich bewährt.

Haben Sie auch andere neue Produkte entwickelt?

In den letzten zehn Jahren haben wir Innovationen für alle unsere Produktgruppen zur Marktreife geführt und sie erfolgreich in bestehenden und neuen Märkten verkauft. Beispielsweise  bieten wir neue Drehmomentschraubenzieher mit flexibel einstellbarem Drehmoment an. Über die Drehkappe am Griffende kann die hochpräzise Auslösemechanik sehr genau und einfach eingestellt werden. Die Drehmomentschraubenzieher dienen insbesondere zum Verschrauben heikler Materialien wie Aluminium, Carbon oder Plexiglas. Im Weiteren ergänzten wir das Sortiment mit Werkzeugen für Elektro- und Montagetechniker. Im Kontext der Digitalisierung sind neue Schraubwerkzeuge für Montage und Unterhalt gefragt. Immer leichter, kleiner und vielfältiger einsetzbar müssen Werkzeuge und Instrumente her­gestellt werden, um den Bedürfnissen der Mobilität und Konformität zu entsprechen. Das Design unserer Produkte orientiert sich an den Kundenpräferenzen, die sich nach Anwendung und Markt unterscheiden. Farbcodierung und Design sind Gestaltungselemente, die Kundenvorteile erweitern und die Attraktivität fördern. Darum werden unsere Angebote oft nicht nur in Industrie und Handwerk eingesetzt. Sie bereiten als Geschenke viel Freude und leisten als Werkzeug für zuhause und im Atelier unverzichtbare Dienste.

Gibt es bei Ihnen auch Produkte, die digital einsetzbar sind?

Wir bieten Drehmomentschraubenzieher mit NFC-Schnittstelle an. Damit ist eine Verbindung zum Übertragen kleiner Infor­mationsmengen möglich. So lassen sich Daten zum Schraub­prozess und dem Eigentümer speichern. Dafür gibt es eine in­dividuell ausbaubare App. Das ist für die Dokumentation wichtig. Wenn ein Fehler passiert und/oder ein Schaden entsteht, muss man nachweisen können, dass man professionell nach Norm und Anforderungen gearbeitet hat.

Wie entwickeln Sie Ihr Sortiment weiter?

Wir arbeiten für die Entwicklung geeigneter Instrumente mit Universitäten und Fachhochschulen zusammen. Wir analysieren den Bedarf und die Bedürfnisse und recherchieren am Arbeitsort der Endanwender. So entstehen neue Ideen. 

Gibt es eigentlich Bestrebungen, die Schraubentechnik international zu vereinheitlichen?

Es gibt internationale, europäische und nationale Normen. Im internationalen Geschäft gilt es, alle Anforderungen zu berücksichtigen. Das ist anspruchsvoll.  Es gibt sowohl das Streben nach Vereinheitlichung wie auch die Differenzierung mit Vielfalt. 

In welchen Ländern verkaufen Sie Ihre Produkte?

Wir verkaufen in mehr als 85 verschiedenen Ländern unsere Produkte. Der Heimmarkt Schweiz ist sehr wichtig, weil wir die Nähe zum Kunden im Fachhandel und der Industrie einfacher pflegen können und darum Erkenntnisse direkt in Neuentwicklungen einfliessen lassen können. 72 Prozent unseres Umsatzes generieren wir im Export.

Wie gestalten Sie Ihr Vertriebssystem?

Wir organisieren unseren Vertrieb in Zusammenarbeit mit Industrie-Fachhändlern und Grossisten, die auf ein Land und mehrere Verkaufskanäle fokussiert sind. Wir unterstützen den Fachhandel gezielt mit Marketing- und verkaufsfördernden Massnahmen. 

Und wo produzieren Sie?

Unsere Produkte werden alle im Emmental hergestellt. 100 Prozent swiss made bringt es auf den Punkt: Wir entwickeln und fertigen alle Instrumente und Werkzeuge in der Schweiz. Darum verfügen wir über unvergleichbar hohe Fertigungskompetenz, die wir täglich mit Verbesserungen erweitern. Mit dem nach eigener Rezeptur hergestellten Stahl schaffen wir hervorragende Voraussetzungen für einzigartige Qualitätsprodukte. Die eigens für PB Swiss Tools produzierte Sonderlegierung zeichnet sich durch hohe Härtewerte und einmalige Zähigkeits- und Feder­eigenschaften aus, die exklusive Anwendervorteile schaffen. Für die Griffe setzen wir ebenfalls hochwertiges Material ein. Celluloseacetobutyrat ist ein abgewandelter Naturstoff, der aus Holz hergestellt wird und darum abbaubar, sehr schlagfest und beständig ist. Wir haben verschiedene Griffe zur Auswahl. Viele Kunden haben ihren Lieblingsgriff, den sie über Jahre präferieren. Darum sind unsere Werkzeuge nicht selten lebenslange Begleiter, die in der Berufslehre erstmals zum Einsatz kommen und bis zur Pensionierung erfolgreiches Arbeiten fördern. 

Wie organisieren Sie das Umweltmanagement?

Wir waren einer der ersten Hersteller, der in den 1980er-Jahren nach ISO 14001 zertifiziert wurde. Wir investieren in Lösungen, die umweltrelevante Faktoren wie Wasser, Energie und Che­mikalien minimieren. Beispiele sind geschlossene Kreisläufe im Gebrauch von Nutzwasser und die inhouse installierte Chargenentgiftung – Voraussetzungen für umweltschonende Produktionsweisen. Bleiben wir noch kurz beim Thema Umwelt. Vielen Jugendlichen der grünen Bewegung ist offenbar gar nicht bewusst, dass es ohne funktionierende KMU weder saubere Luft noch sauberes Wasser gäbe.

Wie reagieren Sie auf Forderungen, die den Mittelstand belasten?

Als Unternehmerinnen und Hersteller sind wir gefordert, die Öffentlichkeit und insbesondere auch junge Menschen über die Produktion und die weltweite Vermarktung unserer Schweizer Produkte zu informieren. Wir müssen darüber berichten, wie wir für Gesellschaft und Umwelt Mehrwerte generieren, was wir in den letzten Jahrzehnten im Umweltbereich erreicht und investiert haben. Wir haben viele Geschichten zu erzählen, zum Beispiel dass wir Ressourcen generell einsparen, den Gebrauch von Chemikalien reduzieren und gezielt die Gesundheit unserer Mitarbeitenden fördern. Darauf sind wir stolz. Es gilt nicht nur in der Schweiz Lösungen und Verbesserungen zu etablieren, sondern in Kooperation mit umliegenden Ländern und globalen Organisationen. Jeder Franken, der für Umweltschutz im Ausland investiert wird, hat eine viermal grössere Wirkung. Die «grüne Jugend» erinnert daran, dass relevante Themen vernachlässigt wurden. 

Wie gross ist die Konkurrenz zu Ihren exklusiven Produkten? 

Wir haben interessante und investitionsfähige Marktbegleiter, die Produkte von guter Qualität anbieten. Das fördert die Dynamik unserer Branche. Wir sind mit unseren Markenprodukten weltweit unterwegs und sorgen dafür, dass unsere  Qualität unverwechselbar bleibt. 

Wie schützen Sie Ihre Produkte?

Wir haben grundsätzlich keine Patente. Das Geld investieren wir lieber in neue Entwicklungen. Den wettbewerbsstarken Anbietern müssen wir einen, besser zwei Schritte voraus sein. Weil sich die Produktion und Logistik aufgrund der Globalisierung und Digitalisierung sehr rasch verändern, sind Neuentwicklungen gefragt. Wir lassen Muster und Design schützen. Kopiert wird PB Swiss Tools seit Jahrzehnten. Das spornt uns an, weil Kopien auch Komplimente sind. Trotzdem kommt es vor, dass wir juristisch intervenieren. 

Sie legen den Fokus auf wertorientierte Zusammenarbeit, warum und wie das?

Sinnstiftende Arbeit fördert die Motivation und Gesundheit. Mit vereinbarten Regeln im Umgang miteinander schaffen wir ein Klima, das die Zusammenarbeit fördert und erleichtert. Verlässlichkeit ist ein wichtiges Stichwort. Nicht nur als Voraussetzung für Topqualität, sondern auch als Garantie für Offenheit und Kooperation. Flache Hierarchien und flexibles Zusammenwirken fördern unsere Leistungsbereitschaft. Das kommt allen Anspruchsgruppen entgegen. Unser Angebot an Produkten und Dienstleistungen kann mit einer motivierenden Firmenkultur besser und wirkungsvoller mit den Kundenbedürfnissen in Übereinstimmung gebracht werden. Identifikation entsteht durch Mitwirkung. Aus diesem Grund ist die Beteiligung in  Arbeits- und Entscheidprozessen nicht nur motivierend, sondern auch wertschöpfend. 

Wie gehen Sie und Ihre Mitarbeitenden mit der Digitalisierung um?

Sie ist für die technologische Ausgestaltung von Entwicklung und Produktion von hoher Bedeutung. Marketing und Fertigung können wirksamer und wirtschaftlicher betrieben werden. In unserer Produktionsumgebung sind Fertigungsanlagen und Logistiksysteme weitgehend aufeinander abgestimmt und sie organisieren sich selber. Das Aneignen von neuem Wissen und Erfahrungen ist für alle Beteiligten unabdingbar. Unser Enga­gement für Aus-, Fort- und Weiterbildung ist entsprechend hoch, und das seit Jahrzehnten.

Welche Ausbildungen bieten Sie an?

Bei uns kann man die Lehren für Polymechanik, Produktionsmechanik, Automatik, Konstruktion, Logistik und das KV ab­solvieren. Wir haben zehn Prozent Lehrlinge im Betrieb. Viele bleiben nach der Lehre, andere ziehen weiter und kommen später als Mitarbeitende zurück. Auslandaufenthalte und Weiterbildungen in Fachhochschulen und Höheren Fachhochschulen sind beliebt. Wir unterstützen unsere Mitarbeitenden beim
Umsetzen ihrer Pläne und Lebensentwürfe. 

Wir hätten deutlich mehr Fachkräfte, wenn wir die erfahrenen Leute in der Wirtschaft behalten würden. Bieten Sie Möglichkeiten dazu an?

Wir reden mit unseren Mitarbeitenden frühzeitig über die Gestaltung der Pensionierung und die Themen wie Renten und Arbeiten im Pensionierungsalter. Teilzeitarbeit fördern wir und suchen entsprechende Lösungen für nach der Pensionierung. Überhaupt bieten wir flexible Arbeitszeitgestaltungsmöglichkeiten auf der Basis von Jahresstundenzahlen an. Unter unseren Angestellten gibt es Leute, die Mitverantwortung für Landwirtschaftsbetriebe tragen, andere Tätigkeiten in Politik, Freizeit und Gesellschaft ausüben und darum die Arbeitszeit entsprechend einteilen wollen. Natürlich kann man sich auch freistellen lassen für die Betreuung von Kindern und Angehörigen. Es zählt die gegenseitige Loyalität von Arbeitgeber und Mit­arbeitenden.

Haben Sie schon angefangen, die Unternehmensnachfolge zu planen beziehungsweise die Übergabe an die fünfte Generation?

Unser Sohn arbeitet seit einiger Zeit im Unternehmen, als CTO Junior. Er hat die Verantwortung für die technische Führung. Zusammen mit unseren Mitarbeitenden sind wir daran, die Nachfolgelösung zu etablieren. Wir orientieren uns an der Strategie und den Kompetenzen, die für die erfolgreiche Umsetzung von Bedeutung sind. 

Sie sind eine Unternehmerin in einer typischen Männerbranche. Im neuen Schweizer Parlament sind mehr Frauen vertreten als früher. Erwarten Sie von der Politik neue Entwicklungen für Frauen in der Wirtschaft?

Es gibt erfreulicherweise immer mehr Frauen, die sich für Führungsaufgaben in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft interessieren und sie erfolgreich ausüben. International ist die MEM-Branche immer noch stark von Männern geprägt. Darum ist der Einbezug von Mädchen und jungen Frauen in die Berufswelt unserer Branche von hoher Bedeutung. Wir wecken das Interesse der Mädchen mit Tüfteli-Workshops. Sie arbeiten mit ausgebildeten Frauen an Werkstücken und erhalten damit Einblick in die Berufswelt der Industrie. 

Frau Jaisli, eine letzte Frage: Wie sollte sich die Schweiz zur EU stellen?

Europa ist unser wichtigster Absatzmarkt. Mit den bilateralen Verträgen verfügen wir über gleich lange Spiesse wie unsere Marktbegleiter im EU-Binnenmarkt. Damit wird die Wett­bewerbsfähigkeit der Schweizer Exportindustrie gefördert. Das Institutionelle Rahmenabkommen muss darum zwingend mit den EU-Verantwortlichen diskutiert werden. Ich bin dankbar, wenn der Bundesrat den Plan dafür zeitnah vorlegt. Gleichzeitig sind Freihandelsabkommen ausserhalb von Europa für die Förderung der Exporttätigkeit von hoher Bedeutung und für unseren Wohlstand eine Voraussetzung.

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