Interviews

Interview mit Stefano Santinelli

«Ich glaube an den Standort Schweiz – auch bei der KI»

Stefano Santinelli, CEO von Localsearch – Swisscom Directories AG, über Schweizer KMU in der digitalen Welt, die Notwendigkeit physischer Kundennähe und die wachsende Bedeutung künstlicher Intelligenz.
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Herr Santinelli, seit nunmehr vier Jahren leiten Sie die Geschäfte der Swisscom Directories AG, deren Produkte und Dienstleistungen unter dem Brand «Localsearch» vermarktet werden. Was hat Sie an dieser Aufgabe besonders gereizt?

Mich hat die Herausforderung gereizt, Localsearch, das Unternehmen, welches für das gedruckte Telefonbuch bekannt war, in die digitale Zukunft zu führen. Auch fand ich die Aufgabe reizvoll, für unsere KMU-Kunden neue Produkte zu entwickeln, dank derer sie in der digitalen Welt erfolgreich sein können. Bevor ich 2016 die Geschäftsleitung übernahm, war ich schon zwei Jahre im Verwaltungsrat. Ich kannte die Firma also bereits und wusste, welches Potenzial in ihr schlummert. Wir haben schnell erkannt, dass die KMU-Welt noch stark der Digitalisierung hinterherhinkt, nicht zuletzt auch, weil ihr standardisierte, einfache und günstige digitale Lösungen fehlten. Das wollten wir ändern und haben ab 2016 deshalb angefangen, unser Produktportfolio entsprechend um- und auszubauen und konsequent auf die digitalen Bedürfnisse unserer KMU-Kunden zu trimmen. Zugute kam uns dabei die Anbindung an die Swisscom, deren Tochter wir sind. Wir profitieren von Synergien mit dem Konzern und können auf bestehende Kompetenzen zurückgreifen. Dabei geniessen wir dennoch eine hohe Selbstständigkeit.

Warum haben Sie die Suchmaschine search.ch übernommen?

Bevor wir mit search.ch zusammengegangen sind, traten wir noch als Swisscom Directories AG auf und hatten local.ch als Verzeichnisplattform in unserem Produktportfolio. Der andere grosse Schweizer Player im Verzeichnisbereich war search.ch, die der Tamedia gehörte. Zwischen local.ch und search.ch bestanden viele Gemeinsamkeiten und es war klar, dass  beide nur eine echte Schweizer Alternative zu den grossen interna­tionalen Plattformen zum Vorteil des Kunden sein können, wenn sie bestehende Synergien nutzen. Mit Tamedia haben wir uns deshalb auf eine Fusion von search.ch mit Swisscom Directories AG geeinigt. Seither treten wir als «Localsearch» am Markt auf, auch wenn unser Rechtsname immer noch Swisscom Directories AG ist. Anfang 2019 hat sich Tamedia dann aus Swiss­com Directories AG zurückgezogen und ihre Anteile an die Swisscom zurückgegeben. Heute sind wir eine 100-Prozent-Tochter von Swisscom.

Wie aktualisieren Sie die Adressen auf local.ch und search.ch? Müssen die Kunden selbst die Initiative ergreifen?

Bei den Unternehmensadressen sorgen wir selbst dafür, dass diese immer aktuell sind. Die Daten ziehen wir aus verschiedenen Quellen, wie Internetdienstleistern, Verzeichnissen usw. Bei Privatkonsumenten erhalten wir die Aktualisierung vom entsprechenden Telekomanbieter, bei dem der Kunde seinen Anschluss hat. Manchmal melden sich die betreffenden Per­sonen aber auch direkt bei uns.

Wie sorgen Sie dafür, dass das Datenschutzrecht eingehalten wird?

Der Datenschutz ist für uns natürlich sehr wichtig. Wir haben einen Datenschutzbeauftragten, der sich ausschliesslich um dieses Thema kümmert und sicherstellt, dass alle unsere Produkte und Dienstleistungen dem Datenschutzgesetz entsprechen. Unsere B2B-Kunden, aber auch die Nutzer unserer B2C-Produkte wie local.ch oder search.ch müssen nachvoll­ziehen können, welche Daten wir speichern und zu welchem Zweck wir sie verwenden.

Wie würden Sie das Geschäftsmodell von Localsearch beschreiben?

Die physische Nähe zu den Kunden ist eine wichtige Säule unseres Geschäftsmodells. Unsere Kundenberater gehen noch zu den Kunden, treffen sie im Büro oder Geschäft und beraten sie vor Ort. Und wir haben kostenlose Hotlines in allen drei Landessprachen. Das unterscheidet unser Modell von jenem anderer Anbieter. Und wenn wir beispielsweise für unsere KMU-Kunden Websites bauen, dann gestalten wir diese so, dass sie ihren individuellen Bedürfnissen entsprechen und nicht wie ein austauschbares Massenprodukt daherkommen. Das können Sie nur leisten, wenn Sie ganz nah an Ihren Kunden dran sind und diese kennen.

Wie unterscheiden sich denn die Schweizer KMU von jenen in anderen Ländern?

Die Schweizer KMU sind sehr qualitätsbewusst, anspruchsvoll und sie schätzen den Service vor Ort. In den USA oder England macht man Geschäfte vielfach übers Internet oder am Telefon. Die Schweizer hingegen legen Wert auf eine persönliche Beziehung, deswegen beraten unsere Vertreter die Kunden direkt – und in allen Landesteilen.

Bieten Sie auch Dienstleistungen für öffentliche Organisationen an?

Wir möchten überall dort sein, wo es um die lokale Suche geht. Deshalb haben wir auch ein neues Angebot für Schweizer Gemeinden entwickelt. Es heisst «Localcities» und baut eine Brücke zwischen Bevölkerung und Gemeinde. Auf der Plattform findet man alle wichtigen Informationen von jeder der mehr als 2200 Schweizer Gemeinden. Dazu gehören Abfallkalender, Veranstaltungshinweise, lokale Dienstleistungen, Behördenkontakte und das grösste Vereinsverzeichnis der Schweiz.  

Was empfehlen Sie den KMU, um digital auf dem neuesten Stand zu sein?

Die KMU müssen sich aktiv mit dem digitalen Marketing aus­einandersetzen, das ist das A und O. Ich bin immer wieder erstaunt, wie viele Betriebe noch nicht mal eine eigene Website haben. Mit einer starken Stammkundschaft mag das knapp gehen, aber wer auf neue Kunden angewiesen ist, der hat bei einem immer stärker werdenden Wettbewerb so keine Chance. Eine solide Webpräsenz gehört heute einfach dazu, denn Konsumenten oder Auftraggeber suchen nun mal erst im Internet nach einem Produkt, einer Dienstleistung oder einem Anbieter. Das ist aber nur der erste Schritt in die digitale Welt. Weitere wichtige Stichworte, die KMU auf dem Radar haben müssen, sind Social Media, Google Reviews, Online-Booking usw.

Mit welchen Produkten unterstützt Localsearch die KMU und zu welchen Preisen?

Unser Produktportfolio deckt eine ganze Bandbreite digitaler Bedürfnisse ab, die KMU haben. Das beginnt bei der Firmenwebsite (ab 590 Franken/Jahr), geht über das Präsenzmanagement (ab 60 Franken/Jahr) und Onlinekampagnen (ab 250 Franken/Monat) bis hin zu Termin-Buchungsprodukten für Restaurants (ab 33 Franken/Monat) oder andere Betriebe (ab 79 Franken/Monat), E-Commerce-Lösungen (ab 19 Franken/Monat) und Kassensystemen (ab 79 Franken/Monat). In der Vergangenheit waren hohe Preise oft ein Grund dafür, dass viele Schweizer Kleinunternehmer vor digitalen Lösungen zurückschreckten. Mit unseren erschwinglichen Standardprodukten haben wir das geändert und machen die digitale Welt auch den ganz kleinen KMU zugänglich. Wir möchten dazu beitragen, dass jedes Schweizer Unternehmen bei Google, search.ch, local.ch und auf anderen wichtigen Plattformen von den Konsumenten gefunden wird und es alle verfügbaren Möglich­keiten des di­gitalen Marketings für sich nutzen kann. 

Wie viele KMU sind auf Ihren Plattformen aktiv?

Wir zählen mehr als hunderttausend Schweizer Unternehmen zu unseren Kunden. 

Welche Gründe gibt es für diesen Erfolg?

Unser Erfolg bei den KMU ist die Einfachheit unserer Produkte in Kombination mit einem erschwinglichen Preis. Und unsere lokale Verwurzelung. Die Kunden können auf unsere Standardlösungen zurückgreifen und müssen keine komplizierten Systeme implementieren und erlernen, was Zeit und Ressourcen spart. Wir bedienen unsere Kunden viersprachig und bei uns sprechen sie mit Menschen, nicht mit Maschinen. Am Ende erhält der Kunde eine leicht verständliche Rechnung für sein Produkt. Anderswo läuft alles über E-Mail, dann muss man einige Tage warten und womöglich kann nur per Kreditkarte bezahlt werden. 

Was halten Sie vom Influencergeschäft?

Ich finde den Influencer-Trend faszinierend. Einerseits zeigt er deutlich, wie schnell sich neue Werbeformen entwickeln. Anderseits bekommen die junge Leute dadurch eine ganz neue Möglichkeit, ihre Kreativität auszuleben, etwas Eigenes aufzubauen und manchmal sogar erste Geschäftserfahrung zu sammeln und Geld zu verdienen. Das fördert den unternehmerischen Geist einer ganzen Generation. Aber auch für Schweizer KMU können Influencer eine riesige Chance sein, denn wer mit ihnen zusammenarbeitet, kann im Idealfall viele potenzielle Kunden erreichen. Influencer buchen kann man bei uns noch nicht, es könnte aber gut sein, dass wir dies in Zukunft anbieten. 

Wie organisieren Sie Ihre eigene Werbung für localsearch.ch?

Wir sind eine Digitalagentur, daher ist auch unsere Werbung zu fast 100 Prozent digital. Mit «Localsearch» und unseren Untermarken sind wir mit Adwords bei Google präsent, ganz stark auch mit Kampagnen in den sozialen Medien und überall dort, wo wir unsere Kunden digital erreichen können. Wir nutzen aber auch SEO, Search Engine Optimization, und klassische Displaywerbung.

Wie setzen Sie sich gegenüber der starken interna­tionalen Konkurrenz durch?

Unsere Kunden müssen wir jeden Tag von uns, unserem Service und unseren Produkten überzeugen. Das versuchen wir mit innovativen Lösungen, kompetitiven Preisen, einem persönlichen Service und guter Schweizer Beratungsqualität. Gleichzeitig sind wir aber auch gefordert, unsere Webangebote wie local.ch oder search.ch für die Schweizer Nutzer relevant zu halten. Um das zu erreichen, haben wir beispielsweise auf local.ch mehr als 30 000 Geschäften ermöglicht, bei ihnen online zu buchen, und so die grösste Buchungsplattform der Schweiz geschaffen. 

Sie haben mal gesagt, langfristige Planung sei tot. Ist aber nicht langfristiges Denken im Geschäftsleben sehr wichtig?

Planen und Denken ist nicht das Gleiche. Wir denken lang­fristig und planen flexibel. Dabei sind wir immer sehr agil, wenn es darum geht, unsere Kunden erfolgreich zu machen. Sehen Sie, wir sind davon überzeugt, dass Schweizer Firmen in der digitalen Welt wettbewerbsfähig sein müssen. Diese Wett­be­werbs­fähigkeit haben wir uns zum langfristigen Ziel gesetzt. Die Planung, wie wir dieses Ziel erreichen, ist dann aber etwas ganz anderes. Da gibt es plötzlich neue Produkte oder neue Techno­logien, auf die man zurückgreifen kann und die man nicht vorhergesehen hat. Ein Beispiel: Wer heute digital erfolgreich sein will, der muss im Internet werben. In fünf Jahren sind aber vielleicht Sprachassistenten wie Alexa viel wichtiger als die klas­sische Werbung im Internet und plötzlich liegt der Planungsfokus darauf, dort präsent zu sein. 

Welche Trends werden in der Zukunft besonders wichtig sein? 

Es ist beeindruckend, welche Fortschritte die künstliche Intelligenz gemacht hat. Wie es ausschaut, wird es in Zukunft normal sein, dass Maschinen mit Menschen reden. Sogar Geschäfte wird man so abschliessen können. In einigen Jahren muss man vielleicht nicht mal mehr ins Internet gehen, um eine Pizza zu bestellen. Man gibt dann eine Bestellung direkt über seinen Sprachassistenten auf. Das stellt den Pizzeriawirt vor eine ganz neue Herausforderung. Denn jetzt muss er sicherstellen, dass der Sprachassistent seine Pizzeria kennt und diese die technische Voraussetzung für eine Bestellung des Sprachassistenten mitbringt.  

Dann dürfte Datenschutz oder Privatsphäre kaum mehr gewährleistet sein, oder?

Das wäre dann der Preis, den man bezahlen muss für die Bequemlichkeit, einfach nur noch sprechen zu müssen. Wir sollten aber nicht vergessen, dass  auch schon das bisherige Internet registriert, was man bestellt und wo. Aber ich gebe Ihnen recht: Die Diskussion um die Privatsphäre muss breit geführt werden. Unsere Hauptaufgabe sehen wir allerdings darin, unseren Kunden den Anschluss an die digitale Welt zu ermöglichen.

Sind solche Systeme in der Schweiz denn schon gefragt?

Wenn es läuft wie in Amerika, werden die Sprachassistenten auch in der Schweiz in den nächsten Jahren immer wichtiger. Im Moment ist das bei uns noch kein grosses Thema. Aber man muss nur beobachten, wie die Millennials das Mobiltelefon nutzen, vieles läuft über die Sprache. Dann erkennt man schon, dass anspruchsvolle Voice-Anwendungen nicht mehr weit weg sind. 

Bisher ist es nicht sehr angenehm, sich am Telefon mit Robotern zu unterhalten. Man muss oft dreimal sagen, was man wünscht, und lange warten, bis man mit einem richtigen Menschen verbunden wird. Wird sich das verbessern?

Das ist bei allen Entwicklungen so, dass sie am Anfang nicht perfekt funktionieren. Das wird sich sehr schnell verbessern und die Assistenten werden uns möglicherweise schon bald besser verstehen als Menschen. 

Die Schweiz ist ja ein führendes Land in Sachen künstlicher Intelligenz. Werden wir dabei an vorderer Stelle bleiben?

Das werden wir sehen, ich hoffe es. Das hat mit vielen Faktoren zu tun, Standort, Mobilität und Wettbewerbsfähigkeit, trotzdem sind wir nur ein kleiner Player. Ich glaube aber an den Standort Schweiz – auch bei der künstlichen Intelligenz.

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