Interviews

Interview mit Hans-Olaf Henkel

«Die EU muss attraktiver für die Schweiz werden»

Hans-Olaf Henkel, ehemaliger IBM Europa-Chef, langjähriger Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) und Kandidat der eurokritischen Partei Alternative für Deutschland (AfD) über die Europolitik der EU, die Intoleranz gegenüber Eurokritikern und mögliche Voraussetzungen für einen EU-Beitritt der Schweiz.
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Am 9. Februar hat der Schweizer Souverän der Initiative «Gegen Masseneinwanderung» zugestimmt. Mit welchen Konsequenzen wird die Schweizer Wirtschaft rechnen müssen?

Hätte es eine solche Abstimmung in Deutschland gegeben, hätte ich dagegen gestimmt, schon deshalb, weil die Schweizer ihre Zuwanderung nach dem Kriterium der Herkunft und nicht nur nach der Qualifikation regeln wollen, so wie es die Alternative für Deutschland (AfD) in ihrem Europaprogramm vorschlägt. Eine den Schweizer Arbeitgebern gesetzlich auferlegte Pflicht, einheimische Arbeitssuchende ausländischen vorzuziehen, hält die Alternative für Deutschland auch aus praktischen Gründen für undurchführbar. Allerdings erkennt die AfD an, dass sich bisher in Deutschland nur zirka neun Prozent Ausländer befinden, in der Schweiz hingegen schon 23 Prozent! Schon deshalb, und vor allem weil dort der Souverän direkt und demokratisch so beschlossen hat, sollten sich die EU-Bürokraten und vor allem deutsche Politiker mit Kritik an diesem Votum zurückhalten und gemeinsam mit den Schweizern eine Lösung finden. Diese könnte zum Beispiel darin liegen, dass die Schweiz die Zuwanderung auf einem hohen Niveau kontingentiert und diese nicht von der Herkunft, sondern von der Qualifikation der Zuwanderer abhängig macht. Die derzeitig vor allem von deutschen Vertretern der Altparteien vorgebrachten Belehrungen, Beschimpfungen und unverhüllten Drohungen sind sofort zu beenden. Auch jetzt von der EU beschlossene Aussetzung der Gespräche zur gemeinsamen Energiepolitik und die damit verbundenen Andeutungen weiterer ökonomischer Konsequenzen sind sofort zu unterlassen. Hier sei angemerkt, dass im Gegensatz zu den in diesem Zusammenhang aufgestellten Behauptungen, die Schweiz den Ländern der Europäischen Union mehr Waren abkauft als umgekehrt.

Wie denken Sie unter diesen Vorzeichen über einen künftigen EU-Beitritt der Schweiz?

Ich beneide die Schweiz. Sie hat es wirklich geschafft, einerseits die Vorteile des EU-Binnenmarktes in Anspruch zu nehmen, andererseits ihre Unabhängigkeit von der EU zu bewahren und den Euro nicht einzuführen. Wenn ich Schweizer wäre, würde ich grundsätzlich nichts dagegen haben, in die EU einzutreten, aber nur wenn diese sich mehr oder weniger auf den Binnenmarkt konzentriert. Auf keinen Fall würde ich den Euro übernehmen. Andererseits wäre es schön, wenn die Schweiz in der EU wäre, dann hätten wir wenigstens ausser Grossbritannien noch ein zweites Land, in dem Politiker in Brüssel ihren gesunden Menschenverstand nicht an der Garderobe abgeben.

Hätten wir denn als kleines Land überhaupt einen Einfluss darauf?

Ein kleines Land wie Luxemburg hat schon drei Mal einen Kommissar gestellt. Wenn jemand aus einem kleinen Land kommt, heisst das noch lange nicht, dass diese Person in der EU keinen Einfluss hat. Deutschland ist ein grosses Land und weigert sich, seiner Grösse entsprechend Einfluss auszuüben.

Zum Thema Globalisierung: Was halten Sie davon, dass Chinesen und Russen viele Unternehmen in Europa aufkaufen?

Dagegen habe ich gar nichts. Bisher war ja Deutschland eines der Länder, das sich überall in der Welt finanziell engagiert hat. Es ist kein gutes Zeichen, wenn die Ausländer in Deutschland nicht mehr investieren wollen. Bei der Abhängigkeit der Schweiz vom Tourismus würde ich empfehlen, dass man sich auf Touristen aus Asien und Russland einstellt. Die Bevölkerung in Europa schrumpft ja insgesamt, die in anderen Kontinenten explodiert.

Die Schweizer klagen über Export-Probleme wegen des hohen Frankenkurses. Gäbe es nicht in der EU ähnliche Probleme, wenn man den Nord- und Süd-Euro einführen würde?

Ich halte die Kontrolle des Franken-Wechselkurses durch die Nationalbank für ein gutes Beispiel. So könnte man das auch mit einem Nord-Euro machen, wenn Deutschland, Holland, Österreich und Finnland gemeinsam den Euro verlassen und eine eigene, stärkere Eurowährung begründen. Die Schweiz hat gezeigt, dass man einen Währungskurs durch Eingriffe der Nationalbank einigermassen kontrollieren kann. Der Erfolg spricht für die Schweiz, denn das Wachstum in der Schweiz – 1,9 Prozent im Jahr 2013 – war in den letzten Jahren höher als in Deutschland, das bei 0,4 Prozent lag, und das trotz des starken Frankens. Dazu ist auch die Arbeitslosigkeit in der Schweiz mit 3,2 Prozent wesentlich niedriger.

Sie haben schon vor Jahren den Euro kritisiert und es gab darauf recht heftige Gegenreaktionen. Worauf führen Sie das zurück?

Man kann alles Mögliche kritisieren in Deutschland, nur nicht den Euro. Man muss es sich gefallen lassen, dass Frau Merkel den Euro mit Europa gleichsetzt und das ist eine völlig falsche und intolerante Aussage. Von unseren europabesoffenen und euroromantischen Politikern wird jede Kritik des Euro und ihrem zentralistischen Europakonzept für politisch inkorrekt erklärt. Dies ist der beste Beweis für staatliche Intoleranz.

Vor gut einem Jahrzehnt waren Sie noch ein Euro-Befürworter, wann wurden Sie zum Euro-Gegner?

Als einstmals enthusiastischer Befürworter des Euro hat mich seine Entwicklung in den letzten Jahren erschüttert. Die Politiker haben sämtliche Versprechen gebrochen. Hätte man diese gehalten, wäre ich heute noch für den Euro. Die Eurorettung führt in Europa zu einer gewaltigen Zentralisierung und Harmonisierung – und vor allem zu einer Vergemeinschaftung der Schulden in Europa.

Was hätte man anders machen sollen?

Man hätte umgekehrt vorgehen müssen. Statt Zentralisierung müsste man das Prinzip der Subsidiarität wieder hochhalten. Statt Harmonisierung hätte man sich für Wettbewerb einsetzen müssen und statt für Vergemeinschaftung der Schulden bräuchte man wieder die Eigenverantwortung der Länder, der Banken und der Unternehmen. Wenn man in einem Staat die Banken retten will, soll man das machen. Aber es ist falsch, dass deutsche Staatsbürger dazu herangezogen werden, um französische, griechische oder spanische Banken zu retten.

Hat man eine Chance, zentralistische Tendenzen in der EU zu bekämpfen?

Man kann sie zum Beispiel in Wahlen bekämpfen. In allen Ländern Europas gibt es Parteien in den Parlamenten, die gegen ein zentralistisches Europa sind und den Euro kritisieren. Nur im deutschen Parlament gibt es keine solche Partei. Deswegen wird es Zeit, dass sich auch in Deutschland eine Partei etabliert, die sich gegen ein zentralistisches Europa wendet und die alternative Ideen anbietet. Deswegen unterstütze ich die Alternative für Deutschland. Es wäre schön, wenn die EU eine Gestalt annehmen würde, die auch für Länder wie die Schweiz oder Norwegen attraktiv wäre.

Wie könnte man das erreichen?

Dazu muss man dicke Bretter bohren. Zunächst ist es notwendig, die Bevölkerung aufzuklären über die schädigenden Wirkungen des Zentralismus und insbesondere des Euro. Aufklärung ist notwendig. Dabei beteilige ich mich seit Jahren mit Reden, Büchern und öffentlichen Auftritten. Weiter muss man eine Vision von Europa entwickeln, die attraktiver ist als die Brüsseler EU. Ein Europa der Vaterländer, wie es einmal von Charles de Gaulle konzipiert wurde, ist heute noch sehr attraktiv und keineswegs etwa verstaubt und heute moderner denn je.

Sie kandidieren für einen Sitz im Europäischen Parlament für die Alternative für Deutschland. Hat diese eine Chance bei den Wahlen?

Schon immer habe ich mich für Politik interessiert, war aber jahrzehntelang im Berufsleben absorbiert. Bisher gab es keine Partei, mit der ich mich ganz identifizieren konnte. Die AfD ist die einzige Partei in Deutschland, für die die Europolitik im Zentrum steht. Die Wahlen für das Europaparlament sind mit Sicherheit erfolgreich, nicht nur weil die Hürde nur bei drei und nicht bei fünf Prozent liegt. In diesem Jahr finden noch drei weitere Wahlen für die Landtage in Sachsen, Brandenburg und Thüringen statt und dort hat die AfD schon bei der Bundestagswahl über fünf Prozent erreicht.

Wie schätzen Sie die Entwicklung der Wirtschaft für Deutschland und ganz Europa in den nächsten Jahren ein?

Im letzten Jahr hatte Deutschland ein Wachstum von 0,4 Prozent. Die Deutschen meinen, das sei ganz toll. Die Weltwirtschaft wuchs zirka drei Prozent. In diesem Jahr werden 1,5 bis 1,7 Prozent für Deutschland prognostiziert, aber die Weltwirtschaft wächst wieder über drei Prozent. Deutschland verliert systematisch an Boden und niemand merkt es, weil es im Verhältnis zu anderen Euroländern gut dasteht. Wir sind der Einäugige unter den Blinden und werden von den anderen beneidet. Andererseits sollten die Deutschen an ihren Unternehmen ein Beispiel nehmen und sich auch als Gesellschaft global orientieren. So betrachtet, hinkt Deutschland im Wachstum dem Rest der Welt hinterher.

Wohlstand war immer mit Wachstum verbunden. Kann es ein endloses quantitatives Wachstum geben angesichts der beschränkten Ressourcen?

Ich halte gar nichts von den esoterischen Thesen, dass man Wohlstand schaffen könne ohne Wachstum. Das ist wie in der Natur bei jedem Lebewesen, wenn man aufhört zu wachsen, beginnt der langsame Zerfallprozess. Ein Beispiel ist meine Branche, die Informationstechnik. Man kann Software unendlich oft kopieren. So schafft man viel Wachstum ohne hohen Ressourcenverbrauch.

Welche Branchen haben besondere Erfolgschancen in Deutschland und der Schweiz?

Da fallen mir die klassischen Antworten ein. In beiden Ländern werden sich der Maschinenbau, die Automobil-, bzw. in der Schweiz die Zulieferindustrie, sowie die pharmazeutische und die chemische Industrie auszeichnen. In der Schweiz und in Deutschland besteht ein sehr starker familienorientierter Mittelstand, der in der Lage ist, komplexe Zusammenhänge zu integrieren. Relativ kleine Unternehmen können global agieren.

Müsste man nicht dafür sorgen, dass der Mittelstand nicht mehr von oben und unten bedrängt wird?

Wenn man die Schweiz und Deutschland ruinieren will, muss man den Mittelstand piesacken. Leider gibt es in beiden Ländern Tendenzen dazu. Das wird zum Beispiel in Deutschland durch die Energiewende gemacht und in der Schweiz durch absurde Volksbegehren wie die 1 zu 12-Initiative oder die Initiative für das Grundeinkommen.

Herr Henkel, eine letzte Frage: Wie würden Sie ein Vermögen investieren?

Ich gebe grundsätzlich keine Investitionsempfehlungen. Ich bin aber gern bereit, zu sagen, wie ich selber investiere. Ich habe in zwei Immobilienprojekte in Hamburg und in München investiert und mir eine Immobilie in der Schweiz zugelegt. Ich habe einen grossen Teil meines Barvermögens bei einer Schweizer Kantonalbank angelegt, auch wenn es dafür keine Zinsen gibt, weil mir für die Zukunft die Schweizer Banken einfach sicherer erscheinen als die Banken im Euroraum. Einen Teil meines Geldes habe ich in Norwegen angelegt. Weiter investiere ich in deutsche Aktien, aber nur in solche, die eine relativ geringe Abhängigkeit vom Euro aufweisen. «