Interviews

Im Gespräch mit Dr. Urs Matter

«Die Dichte an Technologiepartnern in der Schweiz ist einmalig»

Dr. Urs Matter, CEO der Nanosurf AG, über innovative Lösungen in der Nanotechnologie, die Vorteile des Hightech-Standortes Schweiz und die nächsten Schritte auf dem Weg zum Weltmarktführer.

Herr Dr. Matter, vor bald zehn Jahren landete die amerikanische Raumsonde «Phoenix» nach einer 680 Millionen Kilometer langen Reise auf dem Mars und lieferte erstmals Bilder von der Oberfläche des Planeten in der nördlichen Polarregion. Dabei war ein von Nanosurf entwickeltes Spezial-Mikroskop. Wie kommt ein KMU zu einem solchen Nasa-Auftrag?

Die Anfrage zur Mitwirkung am Projekt kam im Jahr 1999, der Raketen-Start erfolgte 2007. Die ganze Entwicklung dauerte also ein paar Jahre. Die Nasa suchte ein Rasterkraftmikroskop, das sehr kompakt und robust gebaut ist und mit Niederspannung funktioniert. Diese Lösung bot damals einzig Nanosurf an. Man kontaktierte uns über IBM Rüschlikon. Die Geschichte ist auch heute noch von grossem Wert.

Sie zeigt, dass Nanosurf fähig ist, mit einem grossen Partner ein äusserst anspruchsvolles Projekt zu realisieren. Es zeigt auch, dass wir höchsten Qualitätsansprüchen gerecht werden. Das Gerät musste ja in mehreren Millionen Kilometer Distanz absolut zuverlässig funktionieren. Auf dem Mars wurden die Grössenverteilungen von Partikeln gemessen und die Oberfläche dieser Partikel analysiert. Aufgrund der Analysen konnte unter anderem gesagt werden, dass Wasser auf dem Mars nicht länger als 100 000 Jahre eine Rolle bei der Oberflächenstrukturierung gespielt hat.

Was ist Ihre unternehmerische Mission?

Wir wollen mit innovativen Lösungen vor allem in anwendungsspezifischen Nischen der Nanotechnologie weiterwachsen. Von den drei Marktsegmenten, in denen wir aktiv sind, wachsen deren zwei, die kompakten Rasterkraftmikroskope AFM und die Standard-Rasterkraftmikroskope AFM, relativ langsam. Das dritte, die applikationsspezifischen Anwendungen mit AFM-Technologie, wächst dafür sehr schnell. In diesem Bereich sehen wir das grosse Wachstum, indem wir die vorhandene Technologie von Rasterkraftmikroskopen für neue anwendungsspezifische Lösungen nutzen. Dies ist in der Schweiz mit ihren hervorragenden Universitäten ideal.

Was bedeutet das in der praktischen Umsetzung?

Wir haben zusammen mit dem Biozentrum eine Rasterkraftmikroskop-basierte Krebsdiagnostik entwickelt. Dies wurde 2014 in ein Spin-off ausgelagert und wird heute unter dem Namen Nuomedis weitergeführt. Derzeit arbeiten wir an neuen Technologien. So hat etwa die ETH Zürich mit Rasterkraftmikroskopie-Technologie eine Waage entwickelt, die das Gewicht von Einzelzellen in physiologischer Flüssigkeit auf ein Picogramm (10 –12 Gramm) genau bestimmen kann.

Dies ist 10 bis 100 Mal besser als die besten Gewichtsbestimmungen heute. Es wird den Forschern erlauben, die wichtige Aufnahme und Abgabe von Flüssigkeit durch die Zelle genau zu verfolgen und dabei grundlegende Prozesse in der Zelle besser zu verstehen. Nanosurf hat die Technologie lizenziert und entwickelt aktuell, zusammen mit dem ETH-Forscherteam, eine Zellwaage, die ab nächstem Jahr verkauft werden kann.

Und wie beschreiben Sie Ihren USP, das Nanosurf-Alleinstellungsmerkmal?

Alle unsere Produkte sind modular aufgebaut, haben ein kompaktes, qualitativ sehr hochstehendes Erscheinungsbild und bieten jedem Kunden eine optimale und massgeschneiderte Lösung für seine Anforderungen. In den einzelnen Bereichen verfügen wir über Patente, welche die Einzigartigkeit der Lösung schützen.

Wofür setzen Kunden diese Lösungen ein?

Das Feld der Anwendungen ist sehr breit. Hier zwei Beispiele: Bei Kugelschreibern wird die Schreibqualität durch die Oberflächenbeschaffenheit der Kugel definiert. Ist die Kugel nämlich zu gut poliert, fliesst zu wenig Tinte, ist sie schlecht poliert, so «schmiert’s». Die Bestimmung der optimalen Rauigkeit in den erforderlichen Dimensionen von zwei bis acht Nanometern ist nur mit Rasterkraftmikroskopen messbar.

Ein zweites Beispiel: die Charakterisierung von Hartmetall-Beschichtungen von Fräsern und Bohrern. Nach dem Aufdampfen werden die Oberflächen unter anderem mit Rasterkraftmikroskopen charakterisiert, und das gibt Aufschluss darüber, ob der Aufdampfprozess wie gewünscht funktioniert hat.

Wie schätzen Sie die Marktentwicklung ein?

Rasterkraftmikroskope wurden 1986 erfunden. Das Standard-Rasterkraftmikroskop, auch AFM oder Atomic Force Microscope, ist bereits in vielen Labors im Einsatz. Die unternehmerische und technologische Herausforderung besteht deshalb in der Kombination von Standard-AFM mit neuen Anwendungen. Da war Nanosurf sehr aktiv, um führende Lösungen in neuen Bereichen zu schaffen. Im Aufwärtstrend befinden sich neue Technologie-Anwendungen wie die Kombination mit Mikro-Fluidik oder die Kombination für diagnostische Zwecke.

Das stützt unsere Strategie, trotz Schweizer Hochlohnniveau auf dem Weltmarkt bestehen zu können. Wachstum ist dabei für uns zentral. Für Standardprodukte herrscht Verdrängungswettbewerb. Da werden nur jene Firmen überleben, die es verstehen, die richtigen Kombinationen anzubieten, und auch die entsprechende Unternehmensgrösse haben, um sich Produktentwicklung leisten zu können. Relative Grösse und Produkte mit Wachstumspotenzial sind deshalb entscheidend für den Erfolg.

Und welche Position hat Nanosurf?

Weltweit gibt es rund 30 Firmen, welche AFM-Technologie anbieten. Knapp die Hälfte davon hat auch wirklich gute Produkte. Bei den Kompaktgeräten sind wir weltweit die Nummer eins, bei den Standardgeräten Nummer sieben und bei den applikationsspezifischen Anwendungen Nummer fünf.

Wo sehen Sie Ihr Unternehmen in fünf Jahren?

Wir wollen vor allem im applikationsspezifischen Sektor mit neuen, innovativen Lösungen wachsen. Unser Ziel ist, in diesem Bereich Weltmarktführer zu werden. Wir meinen, dieses Ziel in fünf bis sieben Jahren erreichen zu können. Wir werden dann umsatzmässig doppelt bis dreimal so gross sein wie heute.
 
Welche Voraussetzungen müssen auf dem Weg zu diesem Ziel erfüllt sein?

Wir werden viel in die Entwicklung und ins Marketing investieren. Entwicklungsmässig will Nanosurf weltweit weiter innovative und patentierte Lösungen anbieten, und zwar in interessanten Märkten wie in der Zellbiologie oder im Materialwissenschaftsbereich. Die Lösungen dazu hat Nanosurf zum grossen Teil bereits. Jetzt sind wir daran, Produkte zu entwickeln, Details zu verbessern und Dinge wie die Zellwaage zu industrialisieren.

Nanosurf produziert ausschliesslich am Standort Liestal. Was spricht für diese Lösung?

Nanosurf hat keine grosse Produktionstiefe und konzentriert sich vor allem auf die Endmontage. Wir arbeiten mit einem gros-sen, weltweiten Netz von Lieferanten. Die Montagezeit ist im Verhältnis zu den Verkaufspreisen nicht entscheidend. Was zählt, ist die Nähe des Produktions- zum Entwicklungsteam. Dadurch kann man Entwicklungen schnell in neue Produkte umsetzen. So gesehen sind die Vorteile dieser Produktionsform grösser als die Kostennachteile.

Sie bauen auf Hightech in der Schweiz?

Ja, das macht Sinn, denn auf kleinstem Raum finden wir Universitäten, Entwicklungspartner, Lieferanten und Kunden. Eine derartige Dichte an Bereitstellung und Nutzung von Technologie-Kompetenz gibt es nur an wenigen Orten der Welt. Von dieser Stärke der Schweiz profitiert auch Nanosurf: Alle unsere neuen Lösungen haben wir stets kooperativ entwickelt – mit der Uni Basel, mit der ETH Zürich und mit der EPFL Lausanne und anderen.

Sie sind zertifiziert nach ISO 9001 – ein «Must» oder ein «Nice-to-have»?

Der Anstoss dazu kam aus einem Kundenprojekt. Wir haben die Zertifizierung in der Folge binnen eines Jahres realisiert. Zwar verfügten wir schon vor 2011 über gut dokumentierte Prozesse, aber die Zertifizierung zwang uns, diese Prozesslandschaft zu systematisieren, zu vereinheitlichen und transparent abzubilden. Wir haben damit mehr gewonnen als erwartet.

Das Qualitäts- und Prozessverständnis ist heute bei jedem Einzelnen intus. Ein Handbuch hält die Guidelines fest. Das hilft insbesondere auch bei der Einarbeitung neuer Mitarbeitender. Heute verlangen oder begrüssen rund zehn Prozent unserer Kunden die Zertifizierung ausdrücklich. Bei Verkäufen im Hightech-Sektor ist es grundsätzlich so: Im Forschungssektor ist das Zertifikat ein «Nice-to-have», im Industriesektor dagegen eher ein «Must».

Sind Auditoren in der Lage, in Ihrem hochkomplexen Forschungsgebiet Input zu geben?

Ja, weil sie über breite Prozesserfahrung verfügen und viel Praxiserfahrung mitbringen. Sie liefern uns pragmatische, gut umsetzbare Ansätze. Wir beschäftigen uns nicht nur mit Hochkomplexem. Auch unser Unternehmen muss konstant gute Qualität liefern oder muss die Kundenzufriedenheit messen. Und wir müssen in der Lage sein, die Feedbacks wieder in die Entwicklung, den Service usw. einfliessen zu lassen.  

Sie tätigen beträchtliche Investitionen in Innovation und Marketing. Welche Wirkung streben Sie damit an?

Wir investieren rund 25 Prozent des Umsatzes in die Entwicklung. Der andere grosse Kostenblock ist Marketing und Vertrieb mit rund 25 Prozent. Hier arbeiten mehrheitlich promovierte Wissenschaftler, die unsere Kunden – meist Forschungsprofessoren – beraten, wie sie ihre Messprobleme lösen können. Das ist sehr aufwendig. Es ist schwierig, diese Spezialisten zu rekrutieren, denn es sind Fachleute der obersten Liga, die zusätzlich auch das Handwerk des Verkäufers beherrschen müssen.

Über welche Verkaufskanäle wird exportiert?

Rund 45 Prozent verkauft Nanosurf direkt über das Head Office und über die drei Töchter in Deutschland, den USA und China. 55 Prozent laufen über Vertriebspartner und OEM-Partner, also über Distributoren, die in den entsprechenden Ländern präsent sind. Mit rund 30 Distributionspartnern ist Nanosurf vertriebsmässig gut aufgestellt.

Woher holen Sie Ihre Fachspezialisten?

Nanosurf ist für Bewerber eine attraktive Adresse. Das Image ist gut verankert. Studenten der Nanotechnologie, aber auch sehr viele weitere Leute vom Fach kennen uns. Und wir erzielen aktuell mit Innovationen wie der Zellwaage in den Massenmedien eine hohe Publizität. Das zieht Fachspezialisten an. Bei Nanosurf arbeiten derzeit 35 Personen aus 11 Nationen, rund 40 Prozent davon sind Schweizer.

Speziell bei Nanosurf ist, dass wir weltweit rekrutieren. Wenn wir einen guten Spezialisten an der Angel haben, ist es wichtig, dass wir ihm schnell einen Vertrag anbieten können. Solche Spezialisten erhalten in kurzer Zeit verschiedene Angebote. Wir hoffen nicht, dass in Zukunft administrative Hürden diesen Prozess verlangsamen. Das wäre sehr schwierig für uns.