Interviews

Adrian Steiner

«Der Produktionsstandort Schweiz stimmt»

Adrian Steiner, CEO des Kaffeemaschinen-Herstellers Thermoplan AG, über die ungewöhnliche Erfolgsgeschichte des Familienunternehmens, die Zusammenarbeit von «Klein mit Gross» in einer internationalen Marktnische und über Eckwerte beim Innovieren und Investieren.
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CEO Steiner und die Gründerfamilie Steiner – Sie sind Namensvetter, aber nicht verwandt. Und beide sind Sie im Kaffeemaschinengeschäft gross geworden …

In Schwyz aufgewachsen, stiess ich im Februar 1998 als 21. Mitarbeiter zu Thermoplan. Das sehr persönliche Anstellungsgespräch mit den Firmengründern Esther und Domenic Steiner beeindruckte mich. Kurz zuvor war Thermoplan ins Kaffeemaschinengeschäft eingestiegen. Mit diesem Produkt bin ich verbunden. Als Elektrotechniker zeichnete ich verantwortlich für den technischen Kundendienst. Schon bald war ich in das Starbucks-Projekt in­volviert, zuerst mit technischem Fokus, nachher mit dem Fokus auf Kundenbetreuung. Rund zwei Jahre weilte ich deshalb bei Starbucks in den USA. Zurück in Weggis leitete der Firmengründer im Jahr 2006 seine Nachfolgeregelung mit mir ein. 2009 wurde mir die operative Führung des Unternehmens übertragen. Ich konnte mich zugleich beteiligen und habe Einsitz im Verwaltungsrat.

Wie kam der Firmengründer dazu, ins Kaffeemaschinengeschäft einzusteigen?

Als Visionär erkannte Domenic Steiner rechtzeitig wegleitende Trends. Sein Werdegang ist in der Tat nicht alltäglich. Nach der Verkehrsschule ging er zur Bahn, wurde mit 37 Jahren Sous­chef im Bahnhof Arth-Goldau. 1974 verliess er die Bahn und wagte den Sprung in die Selbstständigkeit. Während zehn Jahren machte er im DL-Sektor Grossküchenplanungen. Danach wurde er Maschinenbauer. Also vom Beamten zum Dienstleister zum Maschinenbauer in so kurzer Zeit. Anfang 1990 erkannte er, dass sich seine Technologie der Schlagrahmherstellung auch für die Herstellung von Milchschaum eignet. Das war die zündende Idee. 1995 fiel der Entscheid zur Kaffeemaschinen-Herstellung. Die Thermoplan-Erfolgsgeschichte setzte ein.

Wie ist die Rollenverteilung im Familienunternehmen gestaltet?

Verwaltungsratspräsident Domenic Steiner gibt viel Handlungs- und Gestaltungsspielraum, schenkt Vertrauen. Das hat mich geprägt. Als ich 30 Jahre alt war, übertrug er mir die Verantwortung für sein Unternehmen. Entscheidend ist, dass man gemeinsam gestalten kann. Die Zusammenarbeit ist denn auch eine sehr enge – geschäftlich wie persönlich. Dem Absprechen von wichtigen Entscheiden ist das sehr dienlich.  

Sie erwähnten bereits Ihren zweijährigen Aufenthalt bei Starbucks in den USA. Welchen Nutzen haben Sie aus dieser Zeit gezogen?

Bei Starbucks kam ich Anfang 2000 in eine Welt mit 20 000 Mitarbeitenden – inzwischen sind es 300 000 Mitarbeitende und über 25 000 Coffeeshops. Ich spürte, wie ein Grosskonzern funktioniert, wie die Entscheidungsprozesse laufen. Und es entstanden persönliche Beziehungen, von denen ich heute profitieren darf. Ich möchte diese Erfahrungen nicht missen. Meine Empfehlung an die junge Generation: Wer die Chance «Ausland» hat, sollte sie packen.

Bleiben wir beim Thema Ausland. Vor allem China spielt als Absatzmarkt und Standort eine grosse Rolle. Welche Herausforderungen stellen sich dort?

Auf alle Fälle spielen diese in ganz anderen Dimensionen und in ganz anderer Manier. Ein kürzliches Telefongespräch mit dem dortigen chinesischen Leiter mag das veranschaulichen. Er berichtete, das lokale Government habe entschieden, dass die Niederlassung mit 250 Mitarbeitenden nach zehnjähriger Präsenz am Standort in der Nähe von Shanghai gezügelt werden müsste. Die Gebäude würden zugunsten eines Technoparks abgerissen. Wir könnten aber einen Kilometer entfernt neue Gebäude beziehen. Er habe sechs Monate Zeit dafür, der Umzug sei mitfinanziert, Einsprachen gebe es nicht.

Fürwahr, Chinesen packen solche grossen Herausforderungen mit Langmut an, manchmal wird die Aufgabe jedoch unterschätzt. Der Aufbau der Niederlassung entsprach einer Lernkurve. 2001 setzte der Verkauf ein. Die ersten Jahre waren von grosser Personalfluktuation geprägt. Die Dynamik des chinesischen Marktes beeindruckt mich. Seit 2007 bin ich regelmässig drei- bis viermal im Jahr in unserer Niederlassung für technischen Kundendienst, Verkauf und Aftersales. Produziert wird dort nicht. Die chinesische Führung ist zuverlässig.

Sie führen das Unternehmen seit 2009. Inwiefern hat sich Ihre Verantwortung als CEO im Laufe der Zeit gewandelt?

Ich war 28 Jahre alt, als mich Domenic Steiner fragte: «Gehen wir den Weg zusammen?» Mein Vertrauen in seine Person war gross. Ich dachte, er weiss schon, was er mit mir plant. Was alles auf mich zukommen würde, erahnte ich damals noch nicht. So wuchs bei mir mit den Jahren auch die Verantwortung und gleichzeitig das Verantwortungsbewusstsein. Das hängt nicht zuletzt mit dem rasanten Wachstum von Thermoplan zusammen. Meine Verantwortung geht ja über das rein Geschäftliche hinaus mit dem Betrieb, mit der Zulieferkette und mit den Kunden. Es geht auch um rund 290 Mitarbeitende und deren Familien.

Wie würden Sie Ihren Führungsstil umschreiben?

Ein Hinweis vorab: Terminmässig werde ich geführt – wirkungsvoll durch meine Assistentin. Zur Frage: Ich selber führe kooperativ, aber so, dass auf Veränderungen schnell reagiert werden kann. Voraussetzung dafür ist eine fitte und transparente Organisation. Transparenz ermöglicht den Blick auf das Ganze und fördert das Verstehen von Zusammenhängen. Sicher, man befindet sich stets auf einer Gratwanderung zwischen Chancen und Risiken. Notwendig ist deshalb viel Kommunikation, direkter Bezug zur Produktion, zum Markt und zur Zulieferkette.

Weil wir mit grossen Key Accounts zusammenarbeiten, ist gros­se Flexibilität im Handeln unabdingbar. Unser Vorteil: Das Familienunternehmen hat die erforderliche Nähe zur Basis, und wir können schnell entscheiden. Für die Mitarbeitenden, egal in welcher Funktion und auf welcher Stufe, bin ich «greifbar». Man spürt meine Präsenz. Daraus ergeben sich immer wertvolle und vertrauensbildende Gespräche – gegenseitig. Unsere Bürolandschaft begünstigt das. Sie ist offen gestaltet, hell und übersichtlich.  

Worauf achten Sie bei der Mitarbeiterentwicklung?

In der Innerschweiz finden wir sehr gute Mitarbeitende sowohl vom Anforderungsprofil her als auch bezüglich Loyalität. In der Produktion achten wir auf Berufsleute, welche aufgrund ihrer Ausbildung fähig sind, Zusammenhänge zu erkennen. Das beginnt schon bei den Lernenden. Für junge Ingenieure ist unsere ausgebaute Forschung und Entwicklung attraktiv. Sie profitieren vom Coaching, sammeln Erfahrungen und wechseln nach einiger Zeit, um weitere Erkenntnisse zu holen.  Es ist ein gesundes Kommen und Gehen. Thermoplan profitiert von einem Netzwerk von Betrieben, mit denen wir freundschaftlich verbunden sind. Der Kontakt zu Unis und Hochschulen – Luzern, ETHZ, Rapperswil – funktioniert.

Und wie steuern Sie das Managementsystem?

Wir überwachen und steuern unser Unternehmen mittels eines Management-Cockpits, welches heute eine Vielzahl von Informationen aus einem ganzen Netzwerk verdichtet präsentiert. Unser System, stufengerecht aufgebaut, ist über die Jahre entstanden. Waren anfänglich eher vergangenheitsorientierte Finanzkennzahlen im Zentrum, so sind es jetzt auch Kenndaten zu Effizienz, Performance, KVP, Rückverfolgbarkeit und so weiter. Grundlage ist ein ERP-System mit Stammdaten. Wir führen konsequent mit Kennzahlen. Neu daran ist lediglich die Art des Zugriffs. Bei 97 Prozent Exportanteil ist es unabdingbar, dass die Daten auf dem Handy zur Verfügung stehen.

Thermoplan ist mehrfach SQS-zertifiziert. Mit welcher Notwendigkeit?

Zertifikate und Normen stehen auf meiner Führungsagenda, denn man muss intern erklären können, weshalb wir diesen Forderungen strikt nachkommen müssen. Ohne Normen könnten wir nicht wirtschaften. Am Anfang unseres Weges standen vor 20 Jahren die ISO-Normen, zuvorderst ISO 9001. Wir machten uns damals Gedanken über die Gestaltung der Prozesse. Danach bauten wir aus mit ISO 14001, also Umweltmanagement, und OHSAS 18001 betreffend Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz. Das sind wichtige Grundlagen, um im Unternehmen ein vertieftes Bewusstsein für Qualität zu schaffen.

In unserem Falle werden wir an weiterführenden branchenspezifischen Standards aus dem Lebensmittelsektor gemessen, an UL – Underwriters Laboratories, NSF International, CCC – China Compulsory Certificate und CQC – China Quality Certification. Nestlé zum Beispiel, ein sehr anspruchsvoller Kunde, fordert diese ein. Es macht fast keinen Unterschied, ob man ein Joghurt produziert oder eine Kaffeemaschine; die Normanforderungen sind sehr ähnlich.

Starbucks sieht in der Thermoplan-Kaffeemaschine «den Goldstandard». Welche Qualitätspolitik setzt das voraus?

Der Weg zur Qualität ist ein Prozess. Wir haben uns nach Bereichen organisiert mit klaren Verantwortlichkeiten – Qualität und Verkauf, das heisst Kundenzufriedenheit, Beschwerdemanagement, Service, Kommunikation zum und vom Kunden. Qualität und interner Dienst  beinhaltet Führungssystem, Management-Review, Dokumentenlenkung und Rückverfolgbarkeit Materialfluss. Qualität und Entwicklung stehen für Konstruktionsrichtlinien, Methodenkompetenz, Innovationsprozess, FMEA, Zertifizierungen von Produkten und so weiter. Qualität im Sektor «Operations» umfasst Lieferantenbewertung, Abweichungsmanagement, Prüfplanung und -mittel, Qualitätssicherung.

Also: Damit unterschiedliche Denkweisen einfliessen, ist nicht nur eine Person für Qualität zuständig. Die Verantwortlichen bilden den monatlich tagenden Lenkungsausschuss unter meiner Leitung. Das Team vertritt einen gesamtheitlichen Anspruch im Qualitätsdenken. Einen Goldstandard auf Produkteebene zu besitzen, ist das eine, einen ganzheitlichen Qualitätsstandard über das eigene Qualitätssystem zu legen, das andere. Gemessen werden wir letztlich an der Zuverlässigkeit und Smartness der Maschinen mit minimalen Ausfallzeiten.

Stichwort Industrie 4.0: Wo steht Thermoplan da?

Der Kunde will friktionsfrei Kaffee ausschenken. Seit Jahren kommunizieren unsere Maschinen über eine Cloud zum Endkunden und zu uns in die Fabrik – weltweit. Bei 97 Prozent Exportanteil und installierten Maschinen in 72 Ländern ist das erforderlich. Allein bei Starbucks stehen etwa 50 000 Maschinen im Einsatz. Um Zuverlässigkeit zu gewährleisten, brauchen wir die Informationen der Maschinen, etwa zu dem Verschleiss, dem Servicebedarf und so weiter und die intelligente Vernetzung. Zuverlässigkeit ist ein spezifischer Vorteil. Der Endkunde von Starbucks will seinen Kaffee ohne Schlangenstehen schnell und in der gewünschten Ausführung und Qualität haben. Bestellvorgang und Bezahlung erfolgen mehr und mehr ebenfalls smart.

Smartness hat eigentlich zwei Aspekte. Erstens: Starbucks kann dem Konsumenten spezielle Angebote machen, zum Beispiel Coffee of the Day. Die Kaffeemaschine funktioniert wie eine Zentrale für den Datenaustausch. Mit den uns dienlichen Daten können wir immer bessere Maschinen entwickeln. Zweitens: Das Bestellwesen wird vernetzt und beschleunigt. Eine Maschine besteht aus 1200 Komponenten. Eröffnet Starbucks einen neuen Coffeeshop, so gehen die Bestellinformationen via ERP-System direkt zu unseren Zulieferern.

Immer wichtiger werden die damit verknüpften logistischen Prozesse, zum Beispiel «just in time», Rückverfolgbarkeit und anderes mehr. Zusammenfassend: Mit Fokus auf Maschinen und Kunden ist Thermoplan mit Industrie 4.0 sehr weit fortgeschritten. Bei den internen Prozessen arbeiten wir derzeit an unserer Zukunftsvision «Automatisierter Materialfluss mit verknüpfter Logistik». Darin steckt viel Potenzial. Wir realisieren das step-by-step.

Was bedeutet diese Smartness für Ihre Mitarbeitenden konkret?

Alle Arbeitsplätze verfügen über Tablets oder Barcode-Scanner. Uns kommt entgegen, dass die Thermoplan-Crew ein Durchschnittsalter von nur 38 Jahren aufweist. Die junge Generation nutzt diese moderne Infrastruktur quasi hindernisfrei. Ausbildungs- und Förderprogramme ebnen den Weg für den effizienten Einsatz im Geschäftsalltag.

20 Prozent Ihrer Mitarbeiter sind im Bereich der Forschung und Entwicklung beschäftigt. Wie innoviert Thermoplan?

Das Forschen und Entwickeln ist tief in unserer DNA verankert. Voraussetzung für eine gefüllte «Inno-Pipeline» ist eine Kultur, welche Raum für Ideen bietet. Denn Innovation hat viel mit Neugier und Inspiration zu tun. Ideen ergeben sich auch häufig aus Kundengesprächen. Chancenreiche Ideen durchlaufen bei uns schliesslich einen formalisierten Innovationsprozess, damit marktfähige Produktlösungen entstehen. Dieses Umsetzen von Ideen ist sozusagen der «schweisstreibende» Teil des Innovierens. Hier zählt das Detail. Heute erwarten die Kunden alle fünf Jahre eine neue Produktelinie mit der neusten Technologie. In der Tat: Die «Entwicklungsfenster» werden immer kleiner. Wir sind gut darauf eingestellt.

Vor diesem Hintergrund: Was macht Thermoplan für Starbucks denn so attraktiv?

Es sind die innovativen Technologien. Sie bilden den Anker in unserer langjährigen Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Coffeeshop-Unternehmen. Seit 1999 ist daraus eine vertrauensvolle Partnerschaft entstanden. Machten wir im Jahre 2005 über 70 Prozent des Umsatzes mit Starbucks, so beträgt der Anteil derzeit noch 34 Prozent, obwohl das Mandat weiter stark zulegt. Der Grund dafür: Wir haben gezielt diversifiziert. Dadurch veränderte sich die Auftragsstruktur, und es gelang, das Risiko kalkulierbar zu machen.

Wie sieht Ihr Finanzierungsrahmen aus?

Zum Investieren gehört das Finanzieren. Unser Firmengründer hat deshalb eine sehr konservative Finanzpolitik geprägt, die noch heute Bestand hat. Thermoplan ist voll eigenfinanziert und unabhängig. Das Familienunternehmen hat viele Jahre auf dieses Ziel hingearbeitet. Das soll auch in Zukunft so bleiben. Selbst bei komplexen Investitionsprojekten können wir so unsere eigenen Entscheide fällen und Risiken eingehen. Weitsichtige Investitionspolitik wird im Hause grossgeschrieben. Denn um den Vorsprung halten oder ausbauen zu können, braucht es sorgfältig überlegte Innovationen.

Sie haben in Weggis stark in Gebäude und Infrastruktur investiert. Welche Standortpolitik steht dahinter?

Wir investieren, weil wir überzeugt sind, dass wir in der Kaffeebranche weiterwachsen werden. Der Produktionsstandort Schweiz stimmt. Dafür spricht insbesondere auch das hiesige Ausbildungsniveau der Mitarbeitenden, die verlässlich sind und qualitativ hochstehende Produkte möglich machen. Kommt hinzu: Wir waren bisher immer fähig, die Folgen von einschneidenden Veränderungen im internationalen Umfeld erfolgreich zu parieren, indem wir uns fit trimmten bezüglich Effektivität und Effizienz.

Wie gehen Sie mit möglichen Risiken um?

Stand heute ist das Marktumfeld intakt. Und unser Motor läuft rund. Aber gewiss: Geopolitische Verwerfungen können Rahmenbedingungen brüsk ändern, und der Preiswettbewerb lässt sich nicht einfach wegwischen. Man tut also gut daran, auf Unwägbarkeiten gefasst zu sein. Für alle Fälle hätten wir einen Plan B für gewisse Aufgabenbereiche in der Schublade. Einen Plan B überhaupt zu haben, liegt in der unternehmerischen Verantwortung, meine ich.

Herr Steiner, zum Schluss noch ein Blick in die Zukunft: Wo sehen Sie Thermoplan in fünf Jahren?

Wir bleiben in der Kaffeeindustrie verwurzelt. Unser Interesse richtet sich aber auch auf andere Technologien mit Tee, Schokolade und anderem mehr. Meiner Einschätzung nach erlaubt die Marktsituation mittelfristig weiteres Wachstum, und zwar aus eigenen Mitteln in unternehmerischer Unabhängigkeit. Dafür setzen wir uns ein.

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