Interviews

Interview

Der Markt für kompetente ­Küchenprofis ist ausgetrocknet

Daniel Jost, Geschäftsleiter und Inhaber der Schweizer Küchenmöbelherstellerin Veriset AG, über seine Erfahrungen bei der Firmenübernahme, neue Küchentrends und digitalisierte Produktion.
PDF Kaufen

Sie haben letztes Jahr die Firmenleitung über­nommen. Wie verlief der Generationenwechsel?
Vor sieben Jahren haben wir als Familie die Entscheidung zur Firmenübernahme durch meine Schwester und mich mit un­seren Eltern zusammen getroffen. Mein Vater erklärte, er sei nun in dem Alter, in dem er die Nachfolge planen müsse. Für diesen Prozess waren viele Gespräche notwendig. Meine Schwester und ich arbeiteten damals beide wieder frisch im Betrieb und waren bereit, die Nachfolge gemeinsam zu übernehmen. Für meine Schwester war die Familienplanung bereits im Mittelpunkt und wir konnten eine gute Lösung finden mit mir in der Gesamtleitung und ihr als Leiterin der strategischen Kunden­betreuung. Besonders wichtig in dem Prozess war, dass wir einen neutralen Coach engagierten, der uns als Familie begleitete. 

Welche Funktionen hatte dieser Berater?
Sein Hintergrund war die Transaktionsanalyse. Mit ihm hatten mein Vater und ich, aber auch die gesamte Familie zusammen Sitzungen und er beriet uns in erster Linie auf der persönlichen Ebene, wie mein Vater und ich Lösungen gemeinsam finden ­können. Natürlich gab es zwischen meinem Vater und mir auch Meinungsverschiedenheiten. Der Berater unterstützte uns dabei, Konfliktpotenziale konstruktiv anzugehen. Mein Vater führte das Unternehmen 20 Jahre lang sehr souverän. Während der Vorbereitung auf die Unternehmensübernahme gab es aber schon Entscheidungen, die für die Zeit nach der Übernahme Konsequenzen hatten. In diese wollte ich einbezogen werden. Für meinen Vater war das eine neue Herausforderung.  

Es ist ein sehr wichtiger Aspekt, dass man schon vor der Unternehmensübergabe gemeinsam Entscheidungen fällt. Wie verlief das dann konkret?
Bei unterschiedlichen Ansichten zu einem Thema ist es wichtig, die positiven Aspekte einzubringen. Zum Beispiel hatten wir ­immer wieder sehr kurzfristige Terminabsagen bei unseren ­eigenen Sitzungen. Unser Coach empfahl uns folgendes Vorgehen. Sitzungen müssen sieben Tage vorher abgesagt oder verschoben werden und wenn einer zu spät erscheint, muss dieser eine Strafzahlung leisten. Mit dem Geld wurde dann zusammen was unternommen oder essen gegangen. Natürlich durfte jener wählen, welcher pünktlich am Termin erschienen ist. Das wirkte positiv, so wie ein Spiel.  

Wie teilen Sie und Ihre Schwester die Firmenleitung auf?
Wie gesagt, ich habe die Gesamtleitung übernommen. Meine Schwester ist Leiterin der strategischen Kundenbetreuung. Sie arbeitet mit vielen Kontaktpersonen zusammen, mit denen schon mein Vater lange Zeit Geschäfte gemacht hatte. In ihrer Funktion möchte sie unsere Kundschaft begeistern und be­trachtet sich als Bindeglied zwischen ihnen und unseren Mit­arbeitenden. 

Was machen Sie anders als Ihr Vater?
Mein Vater war ein Patron. Wir stellen aber fest, dass dieser ­Führungsstil gerade jüngere Mitarbeitende nicht mehr aus­reichend motiviert. Gerade im Zeitalter des Fachkräftemangels muss man statt dem Top-down- das Bottom-up-Prinzip anwenden, das heisst, die Mitarbeitenden und ihre Meinungen ein­beziehen. Meine Schwester und ich haben zusammen mit unseren Mitarbeitenden eine neue Unternehmenskultur entwickelt, und diese wird nun im ganzen Unternehmen verfolgt. Zusätzlich ­haben wir in der Leitung die OKR-Methode für den Strategie­prozess eingeführt.

Wie funktionierte diese konkret?
Das Strategiemodell OKR (Objectives and Key Results) ist eine Management-Methode, welche die Unternehmensziele mit den Zielen von Teams und Mitarbeitenden verbindet. Unser Unternehmen steht in ständigem Wandel, sodass für viele Mitarbeitende die Strategie schwer fassbar war. Deswegen gestalten wir heute die Strategien für alle Ebenen transparent. Das Unternehmensziel und die Vision ist allen bekannt und jeder Einzelne kann seine Arbeit daran ausrichten. Unser Strategiepapier mit dem Massnahmenkatalog finden alle unsere Mitarbeitenden im Intranet. So haben wir ein viel höheres Mass an Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Bereichen erreicht. Mit diesem Modell kann jeder auch selbst sehr gut Ideen entwickeln und teilweise setzen die Teams diese gleich selber um. 

An welche Zielgruppen verkaufen Sie?
Wir produzieren unsere Produkte ausschliesslich in der Schweiz und positionieren uns dabei im mittleren Segment. Wir bieten hohe Schweizer Qualität zu einem attraktiven Preis an. Unsere Küchen finden sich sowohl im Eigenheim als auch in Mietwohnungen. Für Luxusküchen gibt es eine andere Marke in unserer Holdingstruktur. Unsere Stärke ist die Verwirklichung hoch­wertiger, funktionaler und moderner Küchenträume zu einem fairen Preis. 

Was kostet eine Küche bei Ihnen?
Einzelküchen sind bei uns ab 15 000 Franken erhältlich, mit allem Drum und Dran an Geräten, Abdeckung, Armatur, Rückwand und Montage. Je nachdem, welche Materialien und Geräte die Kundschaft wählt, kann es auch mal 60 000 Franken kosten. Eine durchschnittlich grosse Küche kostet bei uns etwas über 20 000 Franken.

Wie hat sich Corona auf Ihr Geschäft ausgewirkt?
Die Leute schätzen es wieder, zu Hause zu kochen und das ­Essen zu zelebrieren, und so gab es einen Boom für Einzel­küchen. Wir stellen auch immer wieder fest, dass Küchen häufig erneuert werden, wenn die Kinder ausgezogen sind. Dann schätzt man eine schöne Küche für die Qualität des Zusammenlebens als Paar. 

Wie ist Ihr Vertrieb organisiert?
Wir haben über 100 qualifizierte Fachhandelspartner in der ganzen Schweiz und sieben eigene Verkaufsstellen (Root [LU], Rothrist [AG], Wettingen [AG], Tagelswangen [ZH], Gümligen [BE], Pratteln [BS] und Rolle [VD]). Darüber hinaus haben wir eine eigene Serviceabteilung und eigene Monteure, was unsere Kundschaft sehr schätzt. Wenn ein Kunde eine Küche – oder auch einzelne Bestandteile – bestellen will, kommen unsere Küchenprofis vorbei und können dann gleich beurteilen, was in die vorgesehenen Räume und allenfalls zu den anderen Möbeln passt. Wir stellen die Küchenmöbel, Garderoben oder Einbauschränke in unserer Fabrik in Root her und montieren sie.  

Wie weit sind Küchen heutzutage digitalisiert, was ist überhaupt sinnvoll? 
Digitalisierung ist sinnvoll, wenn sie den Benützern Arbeitsschritte erspart, wenn sich zum Beispiel gleichzeitig mit dem Herd auch die Belüftung anschaltet. Das verhindert, dass die Wohnung zu feucht wird und Schimmel entsteht. Nützlich sind auch die Lichtsteuerung an der Küchenzeile und die Möglichkeit, bei den Geräteprogrammen direkt das gewünschte Gericht einzustellen, zum Beispiel kann man eingeben, dass man gern Brokkoli garen möchte, und dann wird gleich die Dauer des Koch- beziehungsweise Garprozesses berechnet. Hingegen ist die Vernetzung von Steuerungen mit dem Handy für viele Küchen­nutzer keine Arbeitsersparnis, aber technikaffine Kunden finden das natürlich sehr spannend.

Wie kann man Energie sparen in einer Küche?
Die Gerätehersteller legen viel Wert auf Energieeffizienz und Umweltfreundlichkeit. Die Wirkung des Ökologiemodus gefällt den Leuten allerdings nicht immer. Zum Beispiel braucht eine Geschirrspülmaschine viel mehr Zeit zum Wasseraufheizen, sodass die Spülung nicht mehr wie früher nur eine, sondern vier Stunden dauert. Aber je länger die Dauer des Prozesses, umso mehr Energie spart man, darüber gibt es Untersuchungen. 

Sie legen Wert auf Ergonomie. Worauf muss man in der Hinsicht besonders achten?
Besonders wichtig ist die Höhe der Küchenmöbel, an denen man arbeitet. Diese sollten der Körpergrösse angepasst sein, ­sodass man sich bei der Arbeit nicht bücken muss und Rücken­schmerzen bekommt. Die einfachste Variante, um die Arbeitsfläche ­höher zu installieren, ist ein höherer Sockel. Dabei gewinnt man aber keinen Stauraum. Wir bieten deshalb unser VMS ­(Variables Mass System) an. So lassen sich Unterbau-Möbel millimeter­genau anpassen und die Arbeitshöhe kann von 88 bis 92 cm ­stufenlos an den Kunden angepasst werden.

Entsorgen Sie alte Küchenmöbel, wenn jemand neue Einrichtungen bestellt?
Wir haben Kontakt zu Unternehmen, die alte Kücheneinrichtungen weiterverkaufen, und organisieren das. Meistens werden Küchen aber erst ersetzt, wenn Elemente nach 20 bis 25 Jahren ­beschädigt sind. Dann werden die Möbel entsorgt oder recycelt. 

Sie sind stolz auf die Armbrust von Swiss Label und produzieren in Ihrer Fabrik in Root. Wer liefert die Bestandteile?
Einer unserer wichtigsten Lieferanten für den Hauptbestandteil unserer Küchen, Spanplatten, ist Swiss Krono, eine Firma, die nur eine halbe Stunde von Root entfernt ist und ausschliesslich Schweizer Holz verwendet. Für einige Produkte, zum Beispiel Schubladen oder Scharniere, gibt es keine Schweizer Hersteller. Hier arbeiten wir mit Firmen aus Österreich und Deutschland zusammen. 

Wie weit ist Ihre Produktion digitalisiert? 
Bei der Produktion läuft bei uns alles über eine digitale Zentrale. Täglich produzieren wir bis zu 100 Küchen. Eine Küche ­besteht aus durchschnittlich zwölf Küchenschränken, hinzu kommen Geräte, Arbeitsplatten, Waschbecken und so weiter. Bis zu zehn Prozent der Teile und Schränke, die wir täglich ­herstellen, sind Spezialanfertigungen und werden in unserer haus­eigenen Schreinerei gefertigt. 2010 besassen wir die erste Laserbekantungsanlage in der Schweiz. 2021 haben wir eine der modernsten Möbelfertigungsanlagen weltweit in Betrieb genommen. Auf der Produktionsstrasse werden alle Schritte vollautomatisch durchgeführt vom Zuschneiden bis zum fer­tigen Bestandteil, wie zum Beispiel Schubladen oder Schränke. Die Combi.cut von IMA führt sogar den Längs- und Querschnitt in einem Arbeitsgang durch, das gab es früher nicht. So werden die ganzen Küchen zugeschnitten und die Bestandteile an die Produktionsstrasse geleitet. Jetzt planen wir die Anschaffung weiterer moderner Produktionsmaschinen. 

Welche Auswirkungen hatte die Digitalisierung der Produktion?
Durch die Digitalisierung wurde die Produktion umweltfreundlicher. Wir sparen eine Menge Papier, weil wir Unterlagen nicht mehr ausdrucken. Und es entstehen spürbar weniger Abfälle, weil wir die Holzplatten besser ausnützen können als früher. Wenn ein Stück übrigbleibt, kann es leichter als früher für ein anderes Möbel verwendet werden.

Gibt es immer noch Engpässe bei der Lieferung von Bestandteilen, Holz usw.?
Die Engpässe bei Holz und Beschlägen haben sich mehrheitlich beruhigt. Sicherlich auch, da die Marktnachfrage bei Küchen im 2023 das erste Mal wieder rückläufig ist. Am längsten hat uns die Liefersituation bei den Geräteherstellern beschäftigt. Problematisch waren für sie die Engpässe bei der Chipproduktion für die Geräte. Diese gibt es fast in jedem Gerät. Diese braucht man zum Beispiel für digitale Anzeigen und die Steuerung. ­Inzwischen hat sich der Markt aber wieder stabilisiert. 

Spüren Sie die Wirkung des niedrigen Eurokurses?
Währungsschwankungen spüren wir immer. Ausländische ­Küchenhersteller werden vermehrt zur Konkurrenz. Küchen­planungsstudios bestellen seit Jahren vermehrt im Ausland. 60 Prozent der Küchen in Schweizer Haushalten werden im ­Ausland hergestellt. 

Welche Ausbildung brauchen Ihre Angestellten?
Bei uns gibt es etwa 50 verschiedene Jobs. Wir bilden KV-Lehrlinge und in unserer Schreinerei in Muotathal auch Schreinerlehrlinge aus. Der Ausbildungsstand richtet sich nach der Stellung, bei uns arbeiten auch Leute ohne höhere Ausbildung. Für firmenspezifische Tätigkeiten werden die Leute bei uns aus­gebildet. Dazu bieten die Hersteller unserer Produktionsmaschinen, zum Beispiel IMA, ebenfalls Schulungen an, so lernen die Leute eine Maschine gründlich kennen.  

Haben Sie auch Probleme mit dem Fachkräftemangel? 
Ja, dies spüren wir vor allem im Bereich der Produktion und der produktionsnahen Abteilungen. Als Anlagenführer oder für die Programmierung unserer komplexen digitalisierten ­Maschinen setzen wir auf die Ausbildung inhouse, um dies selbst in die Hand zu nehmen. Der Markt für kompetente Küchenprofis wie Beraterinnen und Berater, Planerinnen und Planer sowie Technikerinnen und Techniker ist ebenfalls ausgetrocknet. Fachkräfte für die wachsende Nachfrage an Veriset-Küchen zu finden, gestaltet sich zunehmend schwierig. Mit einem Trainee-Programm der besonderen Art wirken wir diesem Fach­kräftemangel entgegen. Während anderthalb Jahren bieten wir drei Praktikantinnen oder Praktikanten Einblicke in die gesamte ­Küchen-Wertschöpfung: Von der Planung bis zur ­Montage erhalten unsere Trainees den perfekten Einstieg in die Schweizer Küchenwelt. Ziel ist eine Festanstellung bei Veriset, denn am Ende der Ausbildung sind die Teilnehmenden echte Küchenprofis, wie sie sich die Branche wünscht.

Porträt