Interviews

Interview mit Thomas Minder

«Berufsbildung ist für Lehrbetriebe kaum mehr attraktiv»

Thomas Minder, Eigentümer, Geschäftsleiter und Verwaltungsratspräsident der Trybol AG, über Kundenansprüche im Kosmetik- und Hygienesegment, den Produktionsstandort Schweiz und die Triebfeder für politisches Engagement.
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Herr Minder, Sie sind seit dem Jahr 1994 Geschäftsführer der Trybol AG, seit 1999 auch  Verwaltungsratspräsident. Aus heutiger Sicht: Welche Vorteile, vielleicht auch Nachteile sehen Sie als mittelständisches Unternehmen, diese Positionen in Personalunion auszuüben? 

Bei KMU-Aktiengesellschaften ist ein Doppelmandat üblich. Denn oftmals gehört die AG vollumfänglich dem VRP oder seiner Familie. 

Trybol wird in diesem Jahr 125 Jahre alt. Welche Meilensteine würden Sie in dieser Unternehmensgeschichte besonders hervorheben? 

Wir haben uns in den letzten zwei Dekaden insbesondere im Bereich «Private Label», also in der Produktion für Dritte, einen Namen gemacht. So haben wir letztes Jahr 20 Millionen Tuben abgefüllt. Dank Ausbau der Kapazitäten sind wir heute in der Lage, bis zu 14 Tonnen Bulk pro Tag zu fabrizieren. 

Sie bieten Kosmetik- und Pflege-Produkte an. Damit stehen Sie nicht alleine da. Wie unterscheiden Sie sich von den grossen Wettbewerbern?

Einerseits bieten wir die ganze Entwicklung von Rezepturen kostenlos an. Andererseits produzieren wir ab 20 Kilogramm bis hin zu 2800 Kilogramm in einem Batch. Für ein KMU ist es atypisch, solch grosse Chargen herzustellen. Ein Coiffure-Salon, ein Kosmetik- oder Nagelstudio kann bei uns seine eigenen Produkte herstellen lassen. 

Produkte in der Schweiz herzustellen, dürfte gegenüber anderen Herstellerländern ein deutlich höherer Kostenfaktor sein. Wie kompensieren Sie dies? 

Nur mit einer ganz schlanken Struktur und flachen Hierarchien, keinem Handgriff zu viel, einem sehr bewussten Einkauf, einer rigorosen Qualitätskontrolle und keinen Flops ganz allgemein kann man die erhöhten «Swissness»-Kosten kompensieren.

Die Produktion auszulagern, war also nie ein Thema?

Nein, nie.

Das soll auch in Zukunft so bleiben?

Ja, auf alle Fälle, die Produktion ist das Herz unserer Unternehmung.

Welche neuen Produkte haben Sie in den letzten Jahren entwickelt?

Zum 125-jährigen Jubiläum haben wir eine 100 Prozent vegane Zahnpasta auf den Markt gebracht. Sie kann in jeder Apotheke und Drogerie verlangt werden. 

Wie entstehen bei Ihnen Innovationen, gibt es in diesen Segmenten überhaupt echte Innovationen?

Ja, durchaus! Insbesondere im «Private Label»-Bereich sind die Kundenansprüche äusserst vielfältig. Niemand will mit einem «Me too»-Produkt auf den Markt kommen. Im Bereich CBD/Hanf in der Kosmetik haben wir uns so einen Namen gemacht.

Sehen Sie Potenzial für Diversifikationen?

Was unsere eigenen Marken anbetrifft, Trybol, Tomaii, Bicosmetic usw., sind wir eher traditionell unterwegs und springen nicht auf jeden Hype auf. 

Welche Produkte sind besonders beliebt beziehungsweise tragen hauptsächlich zum Umsatz bei?

Heute macht das «Private Label»-Business zwei Drittel unseres Umsatzes aus, der kleinere Teil sind unsere eigenen Marken.

Sie legen grossen Wert auf ökologische Aspekte und eine natürliche Zusammensetzung der Produkte. Wie wirkt sich das auf die Produktion aus?

Ja, das ist so. Persönlich glaube ich, dass sich der heutige Megatrend von natürlichen Rezepturen zu mehr ökologisch aus­gerichteten Produkten entwickelt. Ökologisch heisst, dass die Produkteverpackung rezykliert werden kann und eine 500-Milliliter-Shampoo-Flasche ökologischer ist als eine 200-Milliliter-Flasche. Die Alu-Tube wird ein Revival erfahren. 

Woher beziehen Sie die Rohstoffe für Ihre Produkte?

Der grösste Teil kommt aus der Schweiz und Europa. Aus beschaffungsstrategischen, aber auch ökologischen, logistischen und geopolitischen Gründen sind wir sehr vorsichtig bei Lieferanten aus dem asiatischen Raum und insbesondere China.

Auf welchen Wegen vertreiben Sie Ihre Produkte, und wie haben Sie den Vertrieb organisiert?

Die Marke Trybol, die Balma-Baby-Produkte, die Jobra-Anti-Schuppen-Linie und Birkenblut-Haarwasser sind hauptsächlich in Apotheken und Drogerien erhältlich.

Sie haben den Trybol-Onlineshop für Privat- und Geschäftskunden organisiert. Wie funktioniert ­dieser und wie stark trägt dieser zum Absatz bei?

Natürlich haben wir seit 20 Jahren einen Onlineshop, forcieren diesen aber aus Rücksicht gegenüber dem Fachhandel nicht. 

In welchen Läden bekommt man als Privatperson Ihre Produkte?

Ausschliesslich in Apotheken und Drogerien. Mit der Trybol-Zahnpasta 100 Prozent vegan sind wir indes erfreulicherweise auch in die grösseren Coop-Läden gelangt. 

Können Sie uns etwas zur Kundenstruktur sagen?

Wir arbeiten seit Jahrzehnten praktisch nur mit dem Fach­handel zusammen. Die Tomaii-Haarpflege-Produkte sind nur beim Coiffeur erhältlich. Unsere eigene Kosmetiklinie Bicosmetic ist nur online zu erwerben. 

Welche Rolle spielt die Digitalisierung sonst im Vertrieb?

Keine grosse, da sind wir sehr traditionell unterwegs. 

Und generell im Unternehmen?

Da sind wir gut aufgestellt. Da sämtliche Mails über eine einzigen Mail-Account und nur über einen einzigen Arbeitsplatz hereinkommen, haben wir auch die Betrüger und Malware gut im Griff.

Welche Bedeutung hat KI dabei?

Keine.

Wie beurteilen Sie den digitalen Reifegrad von Trybol?

Für ein KMU sehr gut.

In den letzten Jahren wurde zunehmend im Rahmen von Digitalisierung und New Work über neue Führungsstile und -kompetenzen ­diskutiert. Was halten Sie von diesen neuen ­Strömungen und wie würden Sie Ihren eigenen ­Führungsstil beschreiben?    

Wir pflegen einen traditionellen Führungsstil und glauben, dass der Vorgesetzte und insbesondere der Chef vor Ort sein müssen.

Welche Strategien sind Ihnen bei der Unter­nehmensführung besonders wichtig und warum?

Viele Unternehmen behaupten in ihren Leitbildern, bei ihnen stehe der Kunde im Zentrum. Leider stimmt das vielerorts nicht. Ruft man an, begrüsst einen die Warte- und Musikschlaufe, E-Mails werden nicht automatisch gelesen und erst nach einigen Tagen beantwortet, Offerten bekommt man erst nach Wochen. Ein kundenorientiertes Verhalten ist jedoch überlebenswichtig.

Welche Ausbildung haben Ihre Angestellten?

Von sehr gut ausgebildeten mit breiten Sprachenkenntnissen bis hin zu Quereinsteigern, Angelernten und Inklusionsarbeitsplätzen findet man bei uns alles.

Bieten Sie Lehrstellen an?

Ja, KV und Chemikant, wobei es in den letzten Jahren sehr schwierig geworden ist, geeignete Jugendliche zu finden. Und die Reformitis im Berufsbildungsbereich hat den Aufwand und die Bürokratie nur noch verstärkt.

Spüren Sie den Fachkräftemangel?

Nein, kaum.

Ein kurzer Blick auf die schwierige Coronazeit. Wie stark waren Sie von den Massnahmen betroffen und wie haben Sie diese Zeit überstanden?

Da im Kosmetikbereich die Hygiene und das Tragen von Mundschutz bei uns schon immer an der Tagesordnung waren, konnten wir den Betrieb relativ gut weiterführen wie bisher. Glücklicherweise hielten sich auch die Ausfälle in Grenzen.

Sie haben 2020 das Handgel «antimicrobiell» auf den Markt gebracht. Hatte dieses wegen Corona ­besonderen Erfolg?

Genau, wir haben relativ schnell reagiert und aus Ethanol – das wir ja tonnenweise im Haus hatten – Desinfektionsgel hergestellt. Relativ schnell sind dann aber die Preise erodiert, doch wir stellen das Produkt bis heute her.

Kommen wir noch zu einem anderen wichtigen Blick auf Ihre Unternehmungen. Von 2011 bis 2023 waren Sie Mitglied des Ständerates. Was hat Sie ­bewogen, sich politisch zu engagieren?

Einerseits haben mich ökologische Themen schon seit jeher umgetrieben, andererseits hat mich das Missmanagement in Grossfirmen zusehends irritiert, insbesondere im Zusammenhang mit exorbitanten Entschädigungen. Aber auch Themen wie die Zuwanderung und Demokratie haben mich stark beschäftigt.

Wie liess sich das mit Ihrer Stellung im Betrieb koordinieren?

Ziemlich gut, denn als Patron konnte ich meine Zeit selber einteilen. Während der Sessionen in Bern konnte ich relativ viel via Laptop arbeiten.

Warum haben Sie schliesslich nicht mehr ­kandidiert?

Ich hätte 2023 gerne noch eine letzte Legislaturperiode gemacht, doch das Stimmvolk hat damals einen jüngeren Kandidaten bevorzugt.

Ihre Initiative gegen Abzockerei wurde 2013 vom Volk angenommen. Sind Sie mit der Umsetzung zufrieden oder gibt es da Verbesserungspotenzial? Wenn ja welches?

Immerhin sind seit 2013 die ärgsten Ausreisser ausgeblieben. Boni von 20 bis 70 Millionen wie damals gibt es heute zum Glück nicht mehr. Eine gewisse Wirkung ist also spürbar, wenngleich natürlich das Lohnniveau im Topmanagement der Börsenkotierten noch immer sehr hoch ist.

Sie schreiben auf Ihrer politischen Website über Fachkräftemangel. Was soll man Ihrer Meinung nach unternehmen, um einerseits das Ansehen der praktischen Lehre zu verbessern und andererseits die Chancen älterer Stellensuchender zu erhöhen?

Wie erwähnt ist die Berufsbildung aufgrund der den Lehrbetrieben aufgebürdeten Bürokratie kaum mehr attraktiv. Man müsste die letzte Reform sofort rückgängig machen.

Ein anderes, brisantes Thema: die EU-Anbindung. Wie sollte sich die Schweiz zur EU stellen?

Die EU ist wohl unser wichtigster Handelspartner. Deswegen aber mittels Institutionellen Abkommens gleich eine «EU-Mitgliedschaft light» einzugehen, wäre fatal.

Zum Schluss noch ein Blick nach vorn: Trybol ist ein alter Familienbetrieb. Wird er das bleiben, und wie weit haben Sie Ihre Nachfolge geplant?

Zwar werde ich diesen Dezember 65 Jahre alt – doch bin ich glücklicherweise noch fit und motiviert, noch lange in meiner Firma operativ tätig zu sein.

Trybol hat im Verlauf der Firmengeschichte immer wieder mit anderen Unternehmen fusioniert oder diese übernommen. Sind für die Zukunft weitere Zusammenschlüsse geplant?

Nein, aktuell ist nichts in der Pipeline.

Was wünschen Sie sich generell für Ihre Zukunft und die des Unternehmens?

Weiterhin nahe am Markt und am Kunden zu sein, weiterhin zum Produktionsort Schweiz zu stehen, dann werden wir auch die nächsten Jahrzehnte Kosmetikprodukte «made in Switzerland» erfolgreich vermarkten können.

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