«Man empfängt Menschen nach dem Kleide und entlässt sie nach dem Verstand.» Der deutsche Dichter und Philologe Karl Simrock bringt auf den Punkt, worum es letztlich bei der Visualisierung und generell der Kreation einer Marke geht. Wir sind konstant gezwungen, aus Milliarden täglich auf uns einwirkender Informationen und Signalen herauszufiltern, was für uns relevant ist.
Markenführung
Holistic Branding, Teil 5: Die Markenvisualisierung
Über unsere fünf Sinne nehmen wir wahr und selektieren im Unterbewusstsein, was für uns wichtig ist. Dieser durch Effizienz und Effektivität geprägte emotionale Prozess deckt rund 80 bis 90 Prozent unserer Entscheidungsfindung ab. Nur der verbleibende Rest wird anschliessend über unser Bewusstsein durch rationale Aspekte abgerundet. Von uns selbst wissen wir, dass der erste Eindruck entscheidend ist und es lange braucht, diesen zu korrigieren. Im Holistic Branding spielt denn auch die ganzheitlich betrachtete «Verpackung» einer Marke eine absolut zentrale Rolle. Sie ist es, die in erster Instanz entscheidet, ob der emotionale Filter eines möglichen Konsumenten die Marke überhaupt ins rationale Bewertungszentrum vorlässt.
Holistic Branding unterscheidet in der «Markenverpackung» drei Dimensionen (siehe Abbildung 1): die Sprache (Name, Nomenklatur, Claim, verbale Tonalität, PR-Boilerplates, …), das Verhalten (Werte, Leitbild, Kultur, Philosophie, HR-Richtlinien, Prozesse, Kommunikation, Events, CRM, …) und das Design, welches sämtliche Dimensionen von Sinneswahrnehmungen berücksichtigt: die visuelle, die auditive, die olfaktorische (Geruch), die gustative (Geschmack) und die taktile Wahrnehmung (Tastsinn). Je nach Art und Positionierung der Marke erhalten diese drei Verpackungsdimensionen in der Markendefinition und -führung eine unterschiedliche Gewichtung.
Im nachfolgenden Artikel konzentrieren wir uns auf die visuelle Verpackung von Marken und darin auf die Kernelemente Logo, Farben und Schrift. Weitere visuelle Komponenten wie Erscheinungsbild, Bildwelt, Produktdesign, Verpackungsgestaltung, Architektur, Kleidung oder weiter gegriffen das Thema der Materialisierung in der holistischen Markenführung werden in einem später folgenden Artikel dieser Themenserie behandelt.


Im Brand Care Cycle, der Methodik für holistische Markenentwicklung und -führung, wird die Definition der «Markenverpackung» im Prozessschritt Markenkreation vorgenommen (siehe dazu Abbildung 2).
Die inhaltliche Markendefinition, die mit Analysen, Recherchen und strategischer Konzeptionsarbeit erarbeitet wird, kann als Pflichtteil betrachtet werden. Mit der Markenkreation als erster Schritt der Markenumsetzung beginnt dann definitiv die Kür. Doch aufgepasst: kreative Kür ist nicht zu verwechseln mit der kreativen Selbstverwirklichung von Designern! Im Holistic Branding ist das Abstützen aller kreativen Umsetzungsentscheidungen auf die Markendefinition zwingende Voraussetzung. Das komplette kreative Instrumentarium ist zwingend auf die emotionale, un- und unterbewusste Wahrnehmung sowie auf die rationale Entscheidungsfindung auszurichten.
Richtig verstandene Markenkreation stellt somit höchste Anforderungen an die damit beauftragten Designer. Diese müssen die Bereitschaft und Fähigkeit mitbringen, sich strategischen Vorgaben gestalterisch unterzuordnen. Sie müssen in der Lage sein, innerhalb strategisch und konzeptionell eng gesteckter Grenzen den verbleibenden gestalterischen Spielraum maximal auszunutzen. Wir verwenden hier den Begriff der «konzeptionellen Kreativität». Zu zentral sind die strategischen Aufgaben, welche die Markenkreation zu erfüllen hat. Es geht um Differenzierung im Wettbewerb, um maximale Individualität und Emotionalisierung.
Die ersten Schritte der Markenkreation dienen – nach erfolgter Definition des Markennamens – der Festlegung aller zentralen Aspekte des visuellen Erscheinungsbildes der Marke. Dieses wird in einem visuellen Rahmenkonzept festgehalten. In Analogie zum Kochen können wir hier von der «mise en place» sprechen, bei welcher alle benötigten Zutaten vor der eigentlichen Zubereitung bereitgestellt werden. Es geht hier um die sichtbare Übersetzung der Markendefinition, welche primär anhand von Markenpersönlichkeit und Markenwerten vorgenommen wird.
Es entsteht das Markenbild, eines der fünf Kriterienfelder im Markensteuerrad, welches zugleich auch ein ideales Instrument und Briefing für die zielgerichtete Gestaltungsarbeit darstellt (siehe «KMU-Magazin» 5/2013). Bereitgestellt werden hier als Zutaten Logo, Schriften, Farben, Bildwelt und deren gestalterische Struktur/Organisation. Zusammen ergeben sie ein Gesamtbild, welches quasi als «visuelle Welt» oft auch in Form von Moodboards dargestellt wird (siehe Abbildung 3).

Der für Markenführung vielfach verwendete Begriff «Branding» stammt aus der Viehhaltung, wo die Tiere mittels Brandzeichen der Eigentümer gekennzeichnet und zugeordnet wurden. Gleiches gilt historisch für den Begriff «Marke», der von «Markierung» kommt und sich inhaltlich bis zurück zu den Ägyptern verfolgen lässt. Dort meisselten Steinmetze ihre eigenen Zeichen in die Quader der Pyramiden, um sie als ihr Werk zu kennzeichnen. Dem Begriff «Branding» ist denn auch zu entnehmen, welche zentrale Rolle das Logo, Signet oder eben der «Brand» spielen. Es ist das Kernstück der visuellen Markengestaltung und überdauert meist die Lebensdauer verschiedener Erscheinungsbilder. Es ist die Identifikationskomponente für Markenkonsumenten schlechthin.
Entsprechend sensibel ist mit der Entscheidung umzugehen, ein bestehendes Logo zu bewahren oder zu erneuern: Kontinuität ist mithin das zentralste Asset einer Marke, denn in ihr liegt die Grundlage für Vertrauen, Bekanntheit und Loyalität. Zugleich ist das Logo auch das Meisterstück des Designers, in dem es mit der Notwendigkeit, eine Vielzahl an Aspekten und Informationen in einem Element zu komprimieren, höchste Anforderungen an ihn stellt. Ein Logo muss gleichermassen verständlich, unverwechselbar und einprägsam sein und den Erfordernissen sämtlicher Reproduktionstechniken qualitativ einwandfrei genügen.

Rechtlich und faktisch können in der Markenvisualisierung drei Gruppen von Logos unterschieden werden: Wortmarken, Bildmarken und Wort-/Bildmarken als Kombination der ersten beiden (siehe Abbildung 4). Die richtige Wahl bedarf auch wieder eines strategischen Entscheides und darf nicht aus subjektiver Perspektive heraus getroffen werden. Die richtige Auslegung der Markendefinition sowie die Anforderungen aus der operativen Markenführung heraus sind massgebend dafür.

Ein Bildelement verstärkt die emotionale Aktivierung und dient – sofern ausreichend eigenständig – der erleichterten Einprägsamkeit, da wir Bilder schneller und besser verarbeiten als Buchstaben und Texte. Bei reinen Wortmarken ist die Differenzierung und Eigenständigkeit am schwierigsten herzustellen. Hier ist die Wahl der Basisschrift, aus welcher heraus sie gestaltet werden, entscheidend für die Aussagekraft der Marke. Zudem sollten innerhalb der Wortmarke subtile oder augenscheinliche Merkmale geschaffen werden, die der Marke die gewünschte Eigenständigkeit verleihen (siehe Abb. 5).
Professionelle und wirkungsstarke Markenvisualisierung lässt wenig Raum für Subjektivität und Aspekte wie «gefällt mir, gefällt mir nicht». Sie ist eine logische Konsequenz zuvor strategisch definierter Komponenten. Auch hier gilt klar: «der Köder muss dem Fisch, nicht dem Angler schmecken». Im Holistic Branding müssen mindestens 80 Prozent aller gestalterischen Entscheidungen klar und nachvollziehbar gestützt auf die Markendefinition erfolgen und entsprechend argumentierbar sein.
Mit der Markenvisualisierung beauftragte Designer dürfen den Markenverantwortlichen denn auch keine unendlichen Auswahlsendungen oder gar sogenannte «Abschussvarianten» unterbreiten. Der kompetente Designer muss aufgrund der Markendefinition in der Lage sein, klare Entscheidungen zu treffen und klare Empfehlungen abzugeben. In der Wahl der Formensprache zum Beispiel ist deren Aussagekraft zu berücksichtigen, denn alle Arten von Formen – rund, eckig, organisch, symmetrisch, frei – senden klare Signale an den Betrachter. Auch ist die kulturelle Symbolik von Formen (> Kreuz, Halbmond, Stern, etc.) unbedingt zu beachten.
Die Wahl der Farben, die im Logo und dem visuellen Rahmenkonzept eingesetzt werden, muss eine Konsequenz der strategischen Markendefinition sein. Erkenntnisse aus der Farbpsychologie, die unterschiedliche Bedeutung von Farben in den verschiedenen Kulturen, die Signalwirkung in der Kommunikation, Farbkontraste, Farbharmonien oder auch schon nur der Unterschied zwischen warmen und kalten Farben müssen hier die entscheidenden Kriterien sein (siehe Abbildung 6). Auch hier gilt: alles kommuniziert, alles ist markenbildend.

Als verbale Übermittler von Informationen und Botschaften spielen Schriften in der Markenvisualisierung eine entscheidende Rolle. Schrift codiert mittels eines festgelegten Zeichensystems Sprache, welche so für unsere Mitmenschen erfassbar und lesbar wird. Das Visualisieren der Sprache mittels dieser Schriftzeichen und der bewusste, gestalterische Umgang damit nennt man Typografie. Für uns ist die Buchstabenschrift relevant, die Laute in Zeichen übersetzt. Dem gegenüber stehen Silbenschriften und Wortbildschriften wie zum Beispiel die chinesische Schrift mit ihren etwa 50 000 Schriftzeichen. Die von den Römern perfektionierte Versalschrift «Capitalis Monumentalis» ist bis heute Grundlage und Vorbild unserer Grossbuchstaben.
Unterschiedliche Schreibmittel, Bleisatz oder die digitale Textverarbeitung formten über die Zeit die geometrischen Formen der römischen Capitalis in unzähligen Varianten. Alleine bei FontShop, einem der grössten Versandhäuser für digitale Schriften, stehen davon mehr als 40 000 zur Lizenzierung zur Verfügung. Der Gestalter steht somit vor der berühmten Qual der Wahl, um die auf das Markensteuerrad und die strategische Markendefinition passend abgestimmte Schrift zu wählen
Es gibt zahlreiche, zumeist länderspezifische Klassifikationen, über welche versucht wird, ein wenig Ordnung in das «Schriften-Chaos» zu bringen. Diese verfolgen entsprechend ihrem Urheber jeweils unterschiedliche Zielsetzungen. Die DIN16518 zum Beispiel klassifiziert Schriften nach ihrer geschichtlichen Entwicklung der Gestaltung. Andere Klassifizierungsmethoden wie die Matrix von H.P. Willberg unterscheiden Schriften nach Form und Stil und verdeutlichen, wie Schriften wirken. Solche Klassifizierungsmethoden helfen dem Gestalter, sich zu orientieren, Schriftarten einzugrenzen und gestützt auf den Vorgaben aus der Markendefinition die richtige Wahl zu treffen.
Die Schrift ist eine zentrale Botschafterin der Marke und widerspiegelt ihre Werte (siehe Abbildung 7). Schreibt sich ein Unternehmen Werte wie Tradition und Seriosität auf ihre Fahnen, kommt, wie viele Beispiele belegen, oft eine klassische Antiqua-Schrift zum Einsatz. Ein junges Trendsport-Label hingegen bedient sich eher einer dynamischen Grotesk-Schrift. Regeln gibt es keine. Der geschichtliche Hintergrund und die Herkunft einer Schrift laden ein Schriftbild ebenfalls mit Werten auf, die jeweils mit denjenigen der Marke korrespondieren sollten.
Ein Brand und Corporate Font muss Inhalte vermitteln können. Lesbarkeit und eine ausreichend grosse Auswahl an Schriftschnitten sind zentrale Selektionskriterien. Serifen-Schriften helfen dem Auge, beim Lesen die Zeile zu halten und lassen den Leser weniger schnell ermüden. Andere Schriften, wie zum Beispiel die Frutiger, werden wegen ihrer hervorragenden Lesbarkeit auch in kleinen Schriftgraden oft für Beschilderungen und Leitsysteme verwendet. So verwundert es kaum, dass sie sehr häufig in Flughäfen und im Verkehr zum Einsatz kommt.
Wer einen eigenständigen Font sucht, kann ihn sich von einem Schriftgestalter entwickeln lassen, so wie Kurt Weidemann für Daimler-Benz die «Corporate ASE» entwarf. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, eine existierende Schrift überarbeiten zu lassen. Bei beiden Varianten fallen Lizenzgebühren weg, was gerade für grosse Unternehmen nicht unwesentlich ist. Jedoch entstehen hierbei nicht zu unterschätzende Entwicklungskosten. Am einfachsten ist es, eine bestehende Schrift zu besetzen, so wie zum Beispiel bei Marlboro die «Neo Contact. In diesem Fall besitzt man keine Exklusivrechte und kann nicht verhindern, dass andere Unternehmen die gleichen Schriften verwenden.

Die starke Digitalisierung der kommunikativen Markenführung spielt auch bei Brand und Corporate Fonts eine zunehmende Rolle. Viele bestehende Schriften werden für das Lesen auf Bildschirmen optimiert. Über HTML5 und CSS3 ist es heute auf Plattformen wie fonts.com möglich, seinen eigenen Font in seiner Website einzubinden und damit Einheitlichkeit im visuellen Erscheinungsbild sicherzustellen. Die Zeit, wo das Internet aus Arial, Verdana und Times New Roman bestand, ist zum Glück definitiv vorbei. Bis dahin mussten Brand und Corporate Fonts als Bilddateien eingesetzt werden. Die Handhabung ist nun um ein Vielfaches einfacher, die Schrift wird skalierbar und Texte werden indexierbar, was einen wichtigen Faktor bei der Suchmaschinenoptimierung darstellt.
Im Holistic Branding sind drei K’s von entscheidender Wichtigkeit: Mit Konsequenz, Konstanz und Kontinuität ist die Einheitlichkeit im Auftritt sicherzustellen. Dadurch werden für die Stärke einer Marke begehrte Wirkungen erzielt wie Bekanntheit, Vertrautheit und Bindung. Die Einheitlichkeit kann in Richtlinien und Manuals festgehalten werden.
Da mit diesen immer auch ein mitunter erheblicher Aufwand verbunden ist, sollte hier zwingend vorher die Sinnfrage geklärt sein. Bei grösseren Unternehmen mit vielen kommunizierenden Instanzen macht dies zwingend Sinn. Bei kleineren und mittleren Unternehmen ist dies zumindest kritisch zu prüfen.
Oft entsteht der Drang und Wunsch nach einem neuen, überarbeiteten Erscheinungsbild nicht durch äusseren, sondern durch inneren Druck: Man möchte «sich neu einkleiden». Hier ist unbedingt Vorsicht und Zurückhaltung geboten: denn wenn einem das eigene Erscheinungsbild schon längst «zum Hals heraushängt», beginnt die Aussenwelt erst langsam, es wirklich zu verinnerlichen. Intelligente Erscheinungsbilder bewahren deshalb in ihrer Definition trotz ihrem Anspruch an Einheitlichkeit ein ausreichendes Mass an Flexibilität, um lange attraktiv zu bleiben.
Das eigene Kleid der Marke, im Holistic Branding die Markenvisualisierung, stellt eine strategische Investition in die nachhaltige, langfristige Marktdifferenzierung dar und dient dem Aufbau von Markenstärke. In einer Zeit, wo Logos und Erscheinungsbilder auf Auktionsplattformen im Internet zu Schnäppchenpreisen angeboten werden, fällt es den meisten Finanzchefs schwer, die Nachhaltigkeit und den Sinn dieser Investition zu erkennen.
Gerade im heutigen «Information Overkill» kommt dieser jedoch eine stark gestiegene Bedeutung zu: die eigene Markenwelt muss in Sekundenbruchteilen als solche erkannt und vom Wettbewerb differenziert wahrgenommen werden können. Auch im Modebereich können Sie sich ja weniger mit Stangenware als mit Massanfertigung oder limitierter Kollektionsware individuell differenzieren.
Wichtig jedoch: Ästhetik, Eigenständigkeit und Originalität alleine machen noch keine strategische Markenführung aus. Die der Markenvisualisierung zugrunde liegende Markendefinition, deren Übersetzung ins Visuelle und der Experte, der diesen Prozess steuert, machen hier den Unterschied. Nur wer Ihre Organisation, Ihr Produkt oder Ihre Dienstleistung und vor allem deren strategische Ausrichtung wirklich kennt, kann ein authentisches und wirkungsstarkes Erscheinungsbild schaffen. Vorsicht bei der Wahl des Umsetzers: jeder machts, wenige könnens. «