Warum braucht erfolgreiche Unternehmensführung im aktuellen Jahrhundert einen neuen Fokus? Weil vieles der BWL-DNA noch aus dem 20. Jahrhundert, dem Maschinen- und Effizienzzeitalter stammt. Im Management, in der Unternehmensführung ist es manchmal so, als würde man noch mit Oldtimern fahren oder schwarz-weiss fernsehen mit drei Sendern. Dabei sind wir im Zeitalter der Wissens- und Informationsökonomie angekommen: Unter den acht wertvollsten Firmen der Welt sind fünf Informationsverarbeiter: Apple, Google, Microsoft, Amazon und Facebook. Keinen der fünf hat es vor 50 Jahren schon gegeben.
Antiquiertes Menschenbild
Mit einer neuen DNA der Betriebswirtschaftslehre ist insbesondere gemeint, dass diese an Menschen und nicht Maschinen orientiert sein sollte. Allerdings ist das Menschenbild in der Theorie, aber vor allem von vielen Führungskräften, antiquiert. Die Ursache liegt im Selbstbild der Manager. Viele Unternehmenslenker sehen sich gern als Kapitän auf der Brücke – «auf jedem Kahn, ob er raucht oder segelt, gibt’s einen, der die Sache regelt» – oder Zirkusdirektor. Oft haben Führungskräfte unrealistische Vorstellungen:
- Objektivierung, Messbarkeitswahn: Wir leben im Zeitalter der Controller, und nicht selten sitzt der Obercontroller auf dem CEO-Stuhl. Dagegen hat Einstein einmal gesagt: «Nicht alles, was zählt, kann gezählt werden – und nicht alles, was gezählt werden kann, zählt.»
- Mensch- statt Systemfokus: Menschen verhalten sich oft wegen dem Rahmen so (nicht, weil sie einfach so sind). Menschen sind nicht einfach so aufgrund ihrer Persönlichkeit motiviert (oder nicht), engagiert (oder nicht), sondern vielmehr, weil sie in einem förderlichen oder hinderlichen System arbeiten.
Viele aktuelle Managementinstrumente – wie Zielvorgaben, 360-Grad-Feedback, Boni, Audits, interne Wettbewerbe, Pay for Performance oder Forced Rankings –basieren auf einer solchen Sicht. Es sind typischerweise Instrumente sowie Konzepte aus dem amerikanischen Management (dort ist das Menschenbild besonders verheerend). Langsam dämmert uns Europäern, dass viele der vergangenen «neuen» Managementwellen aus Amerika nicht das Gelbe vom Ei waren.
Was ist an diesen auch bei uns weitverbreiteten Tools falsch? Sie unterliegen einer Kontroll-, Überwachungs- und Steuerungsillusion und funktionieren deshalb meist schlecht beziehungsweise haben mehr Nachteile als Vorteile. Das Grundübel ist, dass das Menschenbild schief hängt. Während in der Psychologie das Dogma der Konditionierung (umgangssprachlich kann man von Dressur sprechen) schon lange überwunden ist, ist dieses einfache Menschenbild im Mana-gement weitverbreitet und wird interessanterweise selten hinterfragt. Im Management haben viele immer noch das Bild vom Menschen als Reiz-Reaktions-Automaten: «Wenn ich dies tue, tust du das.» Zum Beispiel:
- Wenn ich dir einen Bonus zahle oder dich einem internen Wettbewerb aussetze, strengst du dich mehr an.
- Wenn ich dir anspruchsvolle und detaillierte Ziele vorgebe, dann wirst du eher meine als deine Interessen verfolgen.
Das nennt sich in der Fachsprache Konditionierung, wir kennen es vom Pawlow’schen Hund:
- Wenn ein Glöckchen läutet, fängt er an zu sabbern, weil er weiss, dass jetzt dann gleich Futter kommt.
- Und so fangen auch bei uns vor dem Lohngespräch die Banker an zu sabbern, weil sie wissen, dass jetzt dann gleich ein Bonus kommt.
Das sind eigentlich nichts anderes als Dressurelemente, Rüben, die vor die Na-se gehalten werden, und Esel, die dieser Rübe nachlaufen. Werden Menschen gefragt: «Lassen sich intelligente Personen dressieren?», dann lehnen viele ab. Die Frage stellt sich: Warum gibt es bis heute so viele Dressurelemente im Management?
Das Primat der Macht
Dabei wissen wir aus der Glücksforschung und auch der Motivationstheorie, wie wichtig Autonomie und Selbstbestimmung für die Arbeitszufriedenheit sind. Menschen, die bei ihrer Tätigkeit keine Selbstbestimmung erleben, leiden unter Ohnmachtsgefühlen. Gerade Burnouts haben selten mit dem Umfang der Arbeit zu tun als vielmehr mit der erlebten Fremdbestimmung.
Das Gefühl der Kontrolle über die eigenen Belange ist eine wichtige Voraussetzung für körperliche und seelische Gesundheit. Autonomie gehört zum «Nukleus der Potenzialentfaltung», wie es der Managementforscher Hans Wüthrich so schön ausgedrückt hat. Warum wird dies so wenig gelebt: Autonomie, Selbstbestimmung, Kompetenzübertragung? Mit anderen Worten: Mündige, erwachsene Menschen laufen lassen, nicht gängeln, nicht bevormunden, nicht kujonieren? Warum haben wir an vielen Orten einen so kindischen Führungsstil?
Die Antwort lautet: Weil das Primärmotiv der Macht bei ganz vielen Managern das stärkste ist (stärker als die weiteren Primärmotivatoren Leistung und Zugehörigkeit).
Macht ist ein unheimlich starker Motivator, und der Verhaltens- und Sozialpsychologe David McClelland – der diese drei Primärmotive herausgearbeitet hat – konnte belegen, dass die Anregung des Machtmotivs primär mit der Ausschüttung von Adrenalin und Noradrenalin verbunden ist. Es ist ein – im wahrsten Wortsinn – «geiles» Gefühl, Macht auszuüben. Der Cocktail an Hirnchemie ist berauschend.
Macht kann viel bewegen, das Dumme ist nur, dass Macht ein süsses Gift ist. Mit dem Diktatorspiel konnte zum Beispiel in vielen Experimenten gezeigt werden, dass mehr Macht zu mehr unethischem Verhalten führt. Ganz schlimm wird es, wenn es keine Schranken mehr gibt – dann gnade uns Gott, wenn wir einem Machtmenschen ausgeliefert sind.
Macht enthemmt und bringt, ähnlich wie viel Geld, bestehende Persönlichkeitsmerkmale stärker zum Tragen. Es gibt also auch sehr integre Menschen, die gut mit viel Macht umgehen können. Leider sind das nicht die, die nach Macht streben.