Forschung & Entwicklung

Unternehmensführung (Teil 1 von 2)

Zeit für einen Paradigmenwechsel

Die Betriebswirtschaftslehre ist immer noch geprägt von einem antiquierten Menschenbild. Gute Unternehmensführung im 21. Jahrhundert bedingt allerdings ein neues Paradigma. Was damit gemeint ist, beschreibt dieser zweiteilige Beitrag.
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Warum braucht erfolgreiche Unternehmensführung im aktuellen Jahrhundert einen neuen Fokus? Weil vieles der BWL-DNA noch aus dem 20. Jahrhundert, dem Maschinen- und Effizienzzeitalter stammt. Im Management, in der Unternehmensführung ist es manchmal so, als würde man noch mit Oldtimern fahren oder schwarz-weiss fernsehen mit drei Sendern. Dabei sind wir im Zeitalter der Wissens- und Informationsökonomie angekommen: Unter den acht wertvollsten Firmen der Welt sind fünf Informationsverarbeiter: Apple, Google, Microsoft, Amazon und Facebook. Keinen der fünf hat es vor 50 Jahren schon gegeben.

Antiquiertes Menschenbild

Mit einer neuen DNA der Betriebswirtschaftslehre ist insbesondere gemeint, dass diese an Menschen und nicht Maschinen orientiert sein sollte. Allerdings ist das Menschenbild in der Theorie, aber vor allem von vielen Führungskräften, antiquiert. Die Ursache liegt im Selbstbild der Manager. Viele Unternehmenslenker sehen sich gern als Kapitän auf der Brücke – «auf jedem Kahn, ob er raucht oder segelt, gibt’s einen, der die Sache regelt» – oder Zirkusdirektor. Oft haben Führungskräfte unrealistische Vorstellungen:

  • Objektivierung, Messbarkeitswahn: Wir leben im Zeitalter der Controller, und nicht selten sitzt der Obercontroller auf dem CEO-Stuhl. Dagegen hat Einstein einmal gesagt: «Nicht alles, was zählt, kann gezählt werden – und nicht alles, was gezählt werden kann, zählt.»
  • Mensch- statt Systemfokus: Menschen verhalten sich oft wegen dem Rahmen so (nicht, weil sie einfach so sind). Menschen sind nicht einfach so aufgrund ihrer Persönlichkeit motiviert (oder nicht), engagiert (oder nicht), sondern vielmehr, weil sie in einem förderlichen oder hinderlichen System arbeiten.

Viele aktuelle Managementinstrumente – wie Zielvorgaben, 360-Grad-Feedback, Boni, Audits, interne Wettbewerbe, Pay for Performance oder Forced Rankings –basieren auf einer solchen Sicht. Es sind typischerweise Instrumente sowie Konzepte aus dem amerikanischen Management (dort ist das Menschenbild besonders verheerend). Langsam dämmert uns Europäern, dass viele der vergangenen «neuen» Managementwellen aus Amerika nicht das Gelbe vom Ei waren.

Was ist an diesen auch bei uns weitverbreiteten Tools falsch? Sie unterliegen einer Kontroll-, Überwachungs- und Steuerungsillusion und funktionieren deshalb meist schlecht beziehungsweise haben mehr Nachteile als Vorteile. Das Grundübel ist, dass das Menschenbild schief hängt. Während in der Psychologie das Dogma der Konditionierung (umgangssprachlich kann man von Dressur sprechen) schon lange überwunden ist, ist dieses einfache Menschenbild im Mana-gement weitverbreitet und wird interessanterweise selten hinterfragt. Im Management haben viele immer noch das Bild vom Menschen als Reiz-Reaktions-Automaten: «Wenn ich dies tue, tust du das.» Zum Beispiel:

  • Wenn ich dir einen Bonus zahle oder dich einem internen Wettbewerb aussetze, strengst du dich mehr an.
  • Wenn ich dir anspruchsvolle und detaillierte Ziele vorgebe, dann wirst du eher meine als deine Interessen verfolgen.

Das nennt sich in der Fachsprache Konditionierung, wir kennen es vom Pawlow’schen Hund:

  • Wenn ein Glöckchen läutet, fängt er an zu sabbern, weil er weiss, dass jetzt dann gleich Futter kommt.
  • Und so fangen auch bei uns vor dem Lohngespräch die Banker an zu sabbern, weil sie wissen, dass jetzt dann gleich ein Bonus kommt.

Das sind eigentlich nichts anderes als Dressurelemente, Rüben, die vor die Na-se gehalten werden, und Esel, die dieser Rübe nachlaufen. Werden Menschen gefragt: «Lassen sich intelligente Personen dressieren?», dann lehnen viele ab. Die Frage stellt sich: Warum gibt es bis heute so viele Dressurelemente im Management?


Das Primat der Macht

Dabei wissen wir aus der Glücksforschung und auch der Motivationstheorie, wie wichtig Autonomie und Selbstbestimmung für die Arbeitszufriedenheit sind. Menschen, die bei ihrer Tätigkeit keine Selbstbestimmung erleben, leiden unter Ohnmachtsgefühlen. Gerade Burnouts haben selten mit dem Umfang der Arbeit zu tun als vielmehr mit der erlebten Fremdbestimmung.

Das Gefühl der Kontrolle über die eigenen Belange ist eine wichtige Voraussetzung für körperliche und seelische Gesundheit. Autonomie gehört zum «Nukleus der Potenzialentfaltung», wie es der Managementforscher Hans Wüthrich so schön ausgedrückt hat. Warum wird dies so wenig gelebt: Autonomie, Selbstbestimmung, Kompetenzübertragung? Mit anderen Worten: Mündige, erwachsene Menschen laufen lassen, nicht gängeln, nicht bevormunden, nicht kujonieren? Warum haben wir an vielen Orten einen so kindischen Führungsstil?

Die Antwort lautet: Weil das Primärmotiv der Macht bei ganz vielen Managern das stärkste ist (stärker als die weiteren Primärmotivatoren Leistung und Zugehörigkeit).

Macht ist ein unheimlich starker Motivator, und der Verhaltens- und Sozialpsychologe David McClelland – der diese drei Primärmotive herausgearbeitet hat – konnte belegen, dass die Anregung des Machtmotivs primär mit der Ausschüttung von Adrenalin und Noradrenalin verbunden ist. Es ist ein – im wahrsten Wortsinn – «geiles» Gefühl, Macht auszuüben. Der Cocktail an Hirnchemie ist berauschend.

Macht kann viel bewegen, das Dumme ist nur, dass Macht ein süsses Gift ist. Mit dem Diktatorspiel konnte zum Beispiel in vielen Experimenten gezeigt werden, dass mehr Macht zu mehr unethischem Verhalten führt. Ganz schlimm wird es, wenn es keine Schranken mehr gibt – dann gnade uns Gott, wenn wir einem Machtmenschen ausgeliefert sind.

Macht enthemmt und bringt, ähnlich wie viel Geld, bestehende Persönlichkeitsmerkmale stärker zum Tragen. Es gibt also auch sehr integre Menschen, die gut mit viel Macht umgehen können. Leider sind das nicht die, die nach Macht streben.

Die «dunkle Triade»

Menschen in Machtpositionen haben oft eine Neigung zur «dunklen Triade»: zu Machiavellismus, Psychopathie sowie Narzissmus, insgesamt also zu selbstverliebtem, opportunistischem Machtverhalten ohne Skrupel sowie Gewissen (Bauer, 2015). Es gibt leider überdurchschnittlich viele narzisstisch oder psychopathisch veranlagte Personen im Management: Narzissten sind meist enorm ehrgeizig, mutig sowie über lange Zeit sehr fleissig.

Ausserdem sind sie oft charismatische Persönlichkeiten mit überragenden Kommunikationsfähigkeiten, die Leute für sich gewinnen und instrumentalisieren können. Roger Schawinski hat kürzlich ein Buch über Narzissten geschrieben und dabei Personen wie Daniel Vasella, Marcel Ospel und Sepp Blatter porträtiert. Die Fähigkeiten von Narzissten begünstigen den Aufstieg in Toppositionen. Narzissten schneiden zum Beispiel in Bewerbungsgesprächen sehr gut ab. Leider sind damit viele negative Eigenschaften verbunden, zum Beispiel

  • mangelnder Respekt vor Unterlegenen,
  • Einsatz von Manipulation ohne Unrechtbewusstsein (bei Psychopathen kommt noch mangelndes Einfühlungsvermögen dazu),
  • Selbstbedienungsmentalität,
  • keine Selbstbeschränkung,
  • Hungern nach Anerkennung in Form von Macht, Geld, Respekt.

Übrigens: Erhellend ist zudem der Dunning-Kruger-Effekt, er ist empirisch gut nachgewiesen: Danach überschätzen Menschen ihre Fähigkeiten umso mehr, je inkompetenter sie sind, während wirklich fähige Personen ihre Kompetenzen unterschätzen (man erinnert sich an Sokrates, der sagte: «Ich weiss, dass ich nichts weiss.»). Wir dagegen wissen seit den Forschungen von Jim Collins, dass wirklich grosse Führer bescheiden auftreten (Collins, 2011).

Studien zeigen beispielsweise, dass der Anteil der Psychopathen in Führungspositionen bei sechs Prozent liegt (während im Bevölkerungsdurchschnitt ein Prozent pathologische Züge aufweisen) (Bauer, 2015). Narzissten und Psychopathen nutzen steuernde, manipulative Tools ungeniert für ihre Zwecke.

Fragwürdige Management-Tools

Auch bei den «normalen» Führungspersonen werden oftmals viele fragwürdige Management-Methoden eingesetzt, weil sie weitverbreitet sind und das meist unreflektiert. Vieles basiert auf der Theorie X von McGregor, also einem negativen Menschenbild. Wer schon einmal im Militär war, kennt das gut: Wenn man als hirnloses Ausführungsorgan behandelt wird, gibt man sich bald auch so, und bestätigt damit die Sicht des Feldwebels. In «My Fair Lady» etwa verhält sich Professor Higgins so.

Boni, wie sie bei Grossbanken und auch sonst vielen Firmen im Einsatz sind, stellen ein gutes Beispiel für ein Management-Tool dar, dem ein inhärent negatives Menschenbild innewohnt. Ein Bonus ist eine Belohnung, die versprochen wird, sofern im Voraus definierte Ziele erreicht werden. Warum wird dieses misstrauensbasierte Instrument der extrinsischen Motivierung so häufig eingesetzt? Die Antworten von Vorgesetzten lauten oft:

  • «Von viel kommt viel. So können wir das Feuer der Motivation zusätzlich schüren.»
  • «Ich glaube nicht, dass sich der Mitarbeitende ohne Bonus  gut genug einsetzen wird.»
  • «So können wir individuelle und kollektive Firmen-Ziele gleichschalten.»
  • «Es kann ja nicht sein, dass man in einem so wichtigen Bereich nichts tun kann!»

Das ist meist gut gemeint – wie in der Unternehmensführung ganz allgemein sind wir auch hier umzingelt von guten Absichten. Die entscheidende Frage ist: Hilft es auch? Dazu ist zu verstehen, was beim Aussetzen einer Belohnung für ein bestimmtes Verhalten passiert.

Zuerst verstärkt sich das gewünschte Verhalten. Das ist der Disziplinierungseffekt: Die Auftretenswahrscheinlichkeit wird am Anfang erhöht. Dies hat mit der Zeit allerdings seinen Preis, und zwar in Form eines Korrumpierungseffekts: Der zusätzliche Anreiz rückt immer mehr in den Vordergrund und führt zu einem wahrgenommenen Kontrollverlust. «So denkt die Firma also über mich – ohne Belohnung würde ich es nicht machen. Ok – können sie haben.» Es kommt so etwas wie ein Prostitutionsgefühl auf (die detaillierten Zusammenhänge sind in Form eines Netzwerks und nachfolgenden Fragen dargestellt in Waibel & Beyeler, 2012).

Veränderungseffekt

Der Neurobiologe Gerald Hüther spricht in diesem Zusammenhang von «hirntechnischem Unsinn». Und Reinhard Sprenger, der mit einem Buch zu Motivation bekannt wurde, formulierte treffend: Beim Verdrängungseffekt wird «Wollen» durch «Sollen» verdrängt, und die intrinsische Motivation löst sich im Säurebad der Belohnung auf. Markante Beispiele sind:

Blutspenden werden in den USA bezahlt, in England nicht – trotzdem wird dort mehr Blut gespendet.

  • 1993 wurde in Wolfenschiessen eine Umfrage hinsichtlich des Standorts
  • eines Endlagers für radioaktive Abfäl-le durchgeführt, welche eine knappe Mehrheit an Befürwortern ergab. Um die Ja-Quote weiter zu erhöhen, stellte der Bund jährliche Ausgleichszahlungen in Aussicht. Ergebnis war, dass die Zustimmung zurückging und unter 50 Prozent sank!
  • Viele Kinderkrippen kämpfen mit dem Ärgernis, dass manche Eltern ihre Kinder am Abend notorisch zu spät abholen. Als in Neuseeland Bussen fürs Zuspätabholen eingeführt wurden, trafen die Eltern noch später ein. Nun zahlten sie ja für die Verspätung, früher hatte wenigstens ihr schlechtes Gewissen eine noch spätere Abholung verhindert.

Um den psychologischen Vorgang des Verdrängungseffekts mit Goethe zu beschreiben: «Man merkt die Absicht, und man ist verstimmt.»

Fazit: Boni sind neurologischer Unsinn und gehören auf den Müllhaufen der BWL. Nicht einmal im Vertrieb sind Boni und Provisionen gerechtfertigt, oder will tatsächlich jemand in der heutigen Zeit, in der Kundenzufriedenheit sogar schon bei den Banken wichtig ist, dass der Verkauf die eigenen monetären Interessen vor die Interessen der Kunden setzt?

Belohnung und Anerkennung

Um richtig verstanden zu werden: Selbstverständlich darf, ja soll man die Mitarbeitenden belohnen, aber man sollte es gescheit machen, zum Beispiel mit einer generellen Gewinnbeteiligung mit gleichem Lohnprozentsatz für alle. Das ergibt keine negativen Effekte, ist ein Ausdruck von Wertschätzung und verstärkt das Gefühl einer Schicksalsgemeinschaft, bei der alle im gleichen Boot sitzen. Ich möchte noch etwas grundsätzlicher erklären, wie moderne Menschen ticken. Wir verbringen den grössten Teil unserer Lebenszeit am Arbeitsplatz und für uns Schweizer ist Arbeit unheimlich wichtig. Sie ist bei allem Ärger und Stress gleichzeitig ein Quell der Freude und Befriedigung. Arbeitslosigkeit ist das, was uns am unglücklichsten macht, und Arbeit kann unheimlich glücklich machen. Diese Resonanzerfahrung ist neurobiologisch mit einem glücklich machenden Botenstoffcocktail verknüpft. Wir wissen heute ja: All unser Fühlen und Erleben ist Hirnchemie.

Verschiedene Botenstoffe des Motivationssystems, vom Powerbringer Dopamin (Nomen est Omen) bis zum Kuschelhormon Oxytocin, sorgen für gute Gefühle. Für diese guten Gefühle sind wir bereit, tagtäglich viele Extrameilen in Kauf zu nehmen, wenn wir nur Anerkennung für unser Tun bekommen. Anerkennung ist ein sehr komplexes Konstrukt.

Mensch als Individuum

Wichtig ist es, den Menschen nicht nur volkswirtschaftlich als Produktionsfaktor, also quasi als lebende Maschine, zu sehen, sondern als «Human Being», als Individuum, als einzelne Person, die sich mit vielem, was sie hat, tagtäglich am Arbeitsplatz bemüht. Wertschätzung heisst, dem einzelnen Menschen gerecht zu werden, sich mit ihm auseinanderzusetzen. Das impliziert auch Reibung und Konflikte, wir müssen uns nicht alle gern haben, eine Firma ist keine Kuschelfabrik, es dürfen ruhig auch einmal die Fetzen fliegen, sofern die Regeln des Anstandes gewahrt bleiben.

Es ist wie in einer Schulklasse: Für den Lehrer das Schlimmste sind nicht zu viele störende Schüler, das Schlimmste ist ein echoloser Raum. Genauso geht es den Mitarbeitenden: Das Verstörendste ist, nicht wahrgenommen, ignoriert, nicht anerkannt zu werden. Worauf springt unser Motivationssystem am stärksten an? Es ist nicht der gute Lohn. Aus der Perspektive der drei menschlichen Hauptmotivatoren Zugehörigkeit, Leistung und Macht lässt sich folgern: Arbeit findet in einem sozialen Rahmen statt, wir können viele soziale Motive befriedigen und ebenso unseren Leistungsdrang ausleben.

Die Übersicht (siehe Box) zeigt die Be­fragungsergebnisse von 1000 Schweizern aus einer aktuellen Studie von Ernst & Young: Die sozialen Beziehungen und eine Tätigkeit, bei der wir «Mastery» erleben können, die wir also gut können und bei der wir herausgefordert werden, sind mit grossem Abstand die wichtigsten Motivatoren. Ein guter Lohn kommt mit deutlichem Abstand erst an vierter Stelle.

In vielen Studien werden diese Ergebnisse immer und immer wieder bestätigt: Viel wichtiger als der Lohn oder die Karrie­rechancen sind die Arbeitsinhalte und das soziale Umfeld. Im Gegenzug wissen wir, dass ein schlechtes Arbeitsklima, eine fehlende Wertschätzung, und der fehlende kollegiale Zusammenhalt oder gar Mobbing Motivationskiller sind sowie krank machen.

Porträt