Forschung & Entwicklung

Studie: Strategie und Planung

Wie Schweizer KMU Zukunftsarbeit verstehen und umsetzen

Zukunftsarbeit – die Auseinandersetzung einer Organisation mit ihrer Zukunft – ist einer der wesentlichsten Aufgaben der obersten Führungsebene. Bisher war unklar, welches Verständnis zur Zukunftsarbeit in Schweizer KMU vorhanden ist und wie Zukunftsarbeit in Schweizer KMU umgesetzt wird. Eine neue Studie gibt Antworten.
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Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) haben für die Schweizer Wirtschaft eine wichtige Bedeutung. 99,6 Prozent aller Schweizer Unternehmen sind KMU und sie beschäftigen zwei Drittel der erwerbstätigen Bevölkerung (Bundesamt für Statistik 2013). Ein KMU ist gemäss Bundesamt für Statistik eine Unternehmung mit maximal 249 Mitarbeitenden. KMU bilden somit das Rückgrat der Schweizer Wirtschaft.

Zukunftsarbeit – auch strategische Frühaufklärung, Strategic Foresight oder Corporate Foresight genannt – ist die systematische Auseinandersetzung einer Organisation mit ihrer Zukunft (Müller 2008). Sie hat für den wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen und Volkswirtschaften eine grosse Bedeutung. Durch Zukunftsarbeit nehmen Organisationen eine langfristige Entwicklungsperspektive ein und bereiten sich auf zukünftige Herausforderungen vor.

Zukunftsarbeit wenig erforscht

Bisherige Studien zum Thema Zukunftsarbeit konzentrieren sich beinahe ausschliesslich auf die Grossorganisationen. Sie zeigen, dass die Umsetzung von Zukunftsarbeit im Organisationsalltag stark variiert. Studien zu Schweizer KMU existieren bisher kaum. Die einzige im Jahre 2009 durchgeführte Befragung macht deutlich, dass sich 84 Prozent der KMU in der Schweiz «systematisch» oder «eher systematisch» mit der Zukunft ihrer Organisation auseinandersetzen (European Futurist Club 2009). Jedoch adressiert die Befragung weder das Verständnis von Führungskräften zu Zukunftsarbeit noch die Umsetzung von Zukunftsarbeit in Schweizer KMU.

Bis heute ist wenig bekannt, wie KMU in der Schweiz das Thema Zukunftsarbeit operationalisieren. Hier setzt unser Forschungsprojekt an. Ziel unserer Studie ist es, das Verständnis und die Umsetzung von Zukunftsarbeit in Schweizer KMU zu erfassen und einzuschätzen. Basierend auf einem mehrstufigen Forschungsdesign erläutert dieser Artikel, welches Verständnis KMU in der Schweiz von Zukunftsarbeit haben und wie sie dies im Geschäftsalltag umsetzen. Die Resultate zeigen, dass Schweizer KMU sich sporadisch mit der Zukunft auseinandersetzen, jedoch keine systematische Zukunftsarbeit erkennen lassen. Durch die Ergebnisse dieses Artikels können Führungskräfte in KMU ihre Aktivitäten gezielt reflektieren und ihre eigene Zukunftsarbeit bewusster gestalten.

Der Artikel ist wie folgt strukturiert: Im Folgenden stellen wir unsere verwendete Konzeption von Zukunftsarbeit vor. Im dritten Abschnitt detaillieren wir das Studiendesign. Der vierte Abschnitt zeigt die Ergebnisse. Der fünfte Abschnitt diskutiert die Ergebnisse der Studie. Der letzte Abschnitt zeigt Praxisimplikationen auf.

Konzeption von Zukunftsarbeit

Nach einem Review von wichtiger Literatur zur Zukunftsarbeit (zum Beispiel Peterson 1996; Schwarz 2005; Will 2008; Danese / Kalchschmidt 2010; Caniato et al. 2011; Rohrbeck / Schwarz 2013) haben wir uns für die Konzeption von Müller und Müller-Stewens (2009) entschieden. Diese Konzeption betrachtet bei der Zukunftsarbeit in Organisationen folgende Bereiche: Prozesse, Methodik, Organisation und Kultur (vgl. Abbildung 1). Diese Konzeption berücksichtigt die relevanten Einflussfaktoren auf die Zukunftsarbeit und ist auf KMU einfach anwendbar. Im Folgenden stellen wir die vier Bereiche der Konzeption dar.

Prozesse
Von Führungskräften wird erwartet, dass sie sich mit den zukünftigen Entwicklungen im Umfeld ihrer Organisation auseinandersetzen (European FuturistClub 2009). Gleichzeitig fehlt Organisationen häufig ein Prozess, der die gewonnenen Erkenntnisse systematisch erfasst und interpretiert. Der Prozess der Zukunftsarbeit ist abhängig von der Organisationsstruktur auf Gesamtunternehmens-, Geschäftseinheits- oder Funktionalebene (Müller /Müller-Stewens 2009). Zudem variieren die potenziellen Adressaten der Ergebnisse der Zukunftsarbeit wie zum Beispiel bei Forschung und Entwicklung, Controlling, der Geschäftsleitung oder dem Verwaltungsrat.

Das Beratungsunternehmen Z-Punkt unterscheidet die Prozessschritte Ziele, Recherche, Analyse, Projektion und Implikation. Im ersten Schritt werden die Ziele der Zukunftsarbeit definiert wie unter anderem Zukunftsstrategien erarbeiten, Produktinnovationen entwickeln oder neue Märkte und Kundengruppen erschliessen. Dann wird nach den notwendigen Informationen recherchiert. Die wichtigsten Quellen für KMU sind Fachpublikationen, wissenschaftliche Zeitschriften und Branchenberichte. In der dann folgenden Analyse werden die gesammelten Informationen verdichtet, ausgewertet und mittels einer Projektion meist visuell dargestellt. Aus diesen Informationen werden die Implikationen für die Organisation abgeleitet.

Methodik
Die folgenden Methoden werden oft im Zusammenhang mit der Zukunftsarbeit genannt: Szenariotechnik, Delphi-Methode, Umfeldanalyse und Trendextra-polation (Schwarz 2008; Müller /Müller-Stewens 2009). Die Szenariotechnik wird primär für langfristige Zukunftsbetrachtungen und strategische Entscheidungen angewendet. Bei der Delphi-Methode wird in mehreren Iterationen eine Expertengruppe zu einer Problemstellung befragt und deren Antworten verdichtet (Aichholzer 2002). Die Umfeldanalyse dient der systematischen Informationssammlung und bildet die Basis von Zukunftsarbeitsprozessen. Dabei werden Einflussfaktoren im Makro- und Mikroumfeld analysiert. Die Trendextrapolation nutzt numerische Daten, zum Beispiel zu ökonomischen sowie soziodemografischen Kenngrössen, und schätzt diese für die Zukunft ein (Foresight-Toolbox o. J.). Obwohl sämtliche Methoden prinzipiell schnell einsetzbar sind, werden diese von Schweizer KMU selten angewendet (European Futurist Club 2009).

Organisation
Die bestehende Organisationsstruktur beeinflusst die Möglichkeiten der Ausgestaltung der Zukunftsarbeit. In multinationalen Grossunternehmen sind Interdisziplinarität, Vernetzung, Internationalität, individuelle Autonomie sowie Flexibilität wichtige Faktoren für die Organisation der Zukunftsarbeit. Zusätzlich sind die Aufbauorganisation des Unternehmens, das heisst die Grösse der Ab-teilungen, die Gliederung der Geschäftseinheiten sowie die Ausgestaltung von geografischen Schwerpunkten des Un-
ternehmens entscheidend (Müller /Müller-Stewens 2009). Da bei Grossunternehmen mehr personelle und finanzielle Ressourcen zur Verfügung stehen, kann intern eine professionelle Zukunftsarbeit aufgebaut werden.

KMU verfügen oft nicht über die Ressourcen für eine angemessene Zukunftsarbeit und müssen diese Leistungen extern erwerben. Für sie scheint die Zukunftsarbeit personal- und kostenintensiv zu sein. Die Voraussetzungen für die Einführung und Nutzung der Zukunftsarbeit sind in KMU aber durchaus optimal, da kleine und mittelgrosse Unternehmen oft flache Strukturen sowie eine gute Vernetzung aufweisen (Gesellschaft für Innovationsforschung und Beratung GmbH 2010).

Kultur
Das kulturelle Profil einer Organisation beschreibt den Diversitätsgrad, die kulturelle Distanz einer Einheit zum Gesamtunternehmen, die Wertkonzepte und das Selbstverständnis der Zukunftsarbeitseinheit. Zukunftsarbeitseinheiten können spezifische Eigenschaften wie zum Beispiel Kreativität, Wissensmediation oder strategische Professionalität zugeordnet werden (Müller /Müller-Stewens 2009). Während sich die eine Zukunftsarbeitseinheit als Denkfabrik (Think Tank) versteht, definiert sich eine andere als Innovationsplattform oder als interdisziplinäres Kompetenzzentrum.

Studiendesign

Für unsere Forschung zum Verständnis und zur Umsetzung von Zukunftsarbeit in Schweizer KMU wählten wir ein dreistufiges Forschungsdesign. Dies bestand aus problemzentrierten Interviews mit den Geschäftsführern, einer internetbasierten Erhebung und nachgelagerten, explizierenden Experteninterviews.


Problemzentrierte Interviews
Zu Beginn der Studie führten wir sieben explorative Interviews mit geschäftsführenden Personen von KMU durch. Die problemzentrierten Interviews ermöglichten eine erste Bestandsaufnahme, wie KMU in der Schweiz sich mit der Zukunft auseinandersetzen. Die Leitfadengestützten Interviews dauerten zwischen 60 und 75 Minuten und wurden mit einem Audiogerät aufgenommen. Die transkribierten Interviews wurden anhand einer qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet. Den Fragebogen erstellten wir anhand bestehender Literatur. Die Erkenntnisse aus den problemzentrierten Interviews nutzten wir und entwickelten den Fragebogen weiter.

Fragebogen-gestützte Erhebung
Die Umfrage wurde mit dem Dienst «to ask» umgesetzt. Die Adressen von klei-nen und mittleren Unternehmen wurden selbstständig generiert.

Des Weiteren wurde eine Kooperation mit einer KMU-Plattform eingegangen, die die Umfrage online publizierte. Die Fragen wurden von bestehenden Studien übernommen, angepasst oder selbst erstellt. Der Fragebogen wurde durch Pretests optimiert. Es wurden insgesamt 750 kleine und mittelgrosse Unternehmen angeschrieben; 70 Unternehmen haben geantwortet. Die Rücklaufquote betrug somit 9,2 Prozent.

Es haben auch einzelne Grossunternehmen an dieser Umfrage teilgenommen. Sie wurden für die Auswertung nicht berücksichtigt. Die Auswertung der Antworten erfolgte mit der Software IBM SPSS Version 22.

Nachgelagerte Experteninterviews
Vier nachgelagerte Experteninterviews dienten der kritischen Würdigung beziehungsweise der Plausibilisierung der Ergebnisse der Umfrage. Wir wählten zwei Experten aus der Praxis und zwei aus der betriebswirtschaftlichen Forschung. Die Interviews dauerten zwischen 60 und 75 Minuten. Mit einem weiteren Experten aus der Praxis führten wir eine schriftliche Befragung durch.

Ergebnisse zur Umsetzung

Wir berichten über die Ergebnisse unseres Forschungsprojekts anhand der vier vorgängig erwähnten Bereiche der Konzeption von Zukunftsarbeit.

Prozesse
87 Prozent der von uns befragten KMU schätzen ihre Zukunftsarbeit als einen sehr oder eher systematischen und regelmässigen Prozess ein. Werden Faktoren berücksichtigt, welche für ein systematisches Vorgehen sprechen würden, zeigt sich, dass die Werte deutlich unter den 87 Prozent liegen. Von den befragten Organisationen findet der Prozess nur bei 46 Prozent regelmässig statt, 42 Prozent überprüfen die Qualität der Ergebnisse der Zukunftsarbeit, 33 Prozent verwenden Hilfsmittel beziehungsweise Methoden und 32 Prozent dokumentieren den Prozess schriftlich (vergleiche mit der
Abbildung 2).

Gegen ein rein systematisches Vorgehen spricht ebenfalls die Tatsache, dass 41 Prozent der Befragten Unternehmen angeben, dass der Prozess der Zukunftsarbeit intuitiv gelebt wird. Ähnliche Erkenntnisse konnten aus den qualitativen Interviews mit Geschäftsführern gewonnen werden. Obwohl alle Interviewten die Zukunftsarbeit als systematisch ansehen, ist für uns als Aussenstehende keine Systematik erkennbar.

Aus den Interviews lässt sich ableiten, dass Zukunftsarbeit eher intuitiv und ad-hoc durchgeführt wird. Eine zeitlich oder funktional konsistente Prozessführung scheint oft nicht gegeben, wie eine Aussage eines Geschäftsführers vermuten lässt: «Wir haben verschiedene Workshops, und der Verwaltungsrat kommt vier Mal jährlich zusammen; und da sind noch die Zwischenabschlüsse, dort gibt es auch immer wieder gewisse Sachen auf die Zukunft bezogen, wo du dir eine Meinung bildest.»

Die Resultate zeigen, dass bezüglich einer systematischen Zukunftsarbeit ein Unterschied im Verständnis der KMU und jenem der betriebswirtschaftlichen Forschung besteht. Dies mag darin begründet sein, dass allgemein zu wenig bekannt ist, wie Zukunftsarbeit systematisch betrieben werden kann und der Begriff dann individuell interpretiert wird. Wir halten fest, dass eine regelmässige Thematisierung bei Schweizer KMU erkennbar ist, der Prozess der Zukunftsarbeit jedoch eher intuitiv und wenig strukturiert abläuft.

Methodik
79 Prozent der befragten Organisationen nutzen Hilfsmittel für die Zukunftsarbeit (vergleiche mit Abbildung 2). Mit Hilfsmitteln sind primär Methoden für die Zukunftsarbeit gemeint. Die Umfrage und die Experteninterviews zeigen jedoch, dass Schweizer KMU einen Grossteil der Methoden für die Zukunftsarbeit nur gelegentlich bis selten anwenden (vergleiche mit Abbildung 3).

Von den abgefragten Methoden werden die Umfeldanalyse (42 %; die folgenden Prozentangaben fassen jeweils die Antworten «immer» und «oft» zusammen) und die Szenariotechnik (30 %) am häufigsten angewendet. Die Trendextrapolation (10 %) und die Simulationstechnik (10 %) werden hingegen nur selten genutzt. Dies ist bemerkenswert, da 90 % der befragten Organisationen angeben, dass interne Daten eine wichtige Quelle für die Zukunftsarbeit sind. Interne Informationen sind jedoch nur mittels Trend-extrapolation und Simulation für die Zukunftsarbeit von praktischem Nutzen (vergleiche mit Abbildung 3).

Eine erste Erklärung für die tiefen Werte bei Trendextrapolation und Simulation könnte sein, dass diese Methoden unter einer anderen Bezeichnung in der Praxis bekannt sind. Eine zweite Erklärung könnte sein, dass eine korrekte Anwendung dieser Methoden mathematische-statistische Kenntnisse erfordern, welche entsprechend nicht ausreichend vorhanden sein könnten. Abbildung 3 bestärkt diese Feststellung und zeigt, dass Methoden wie zum Beispiel die Delphi-Methode (39 %), die Trendextrapolation (23 %) oder auch die Simulationstechnik (17 %) für einen beachtlichen Teil unbekannt sind. Mangelnde Methodenkenntnisse oder zu hoher Ressourcenaufwand sind mögliche Gründe, dass diese Methoden nicht angewendet werden. Da die Verwendung von Methoden ein Hinweis für einen systematischen Prozess darstellt, ist dies ein weiteres Indiz dafür, dass kleine und mittelgrosse Unternehmen in der Schweiz den Zukunftsarbeitsprozess eher intuitiv ausgestalten, da eine fundierte und spezifische Methodenbasis für die Zukunftsarbeit zu fehlen scheint.

Organisation und Kultur
84 Prozent der befragten KMU stellen eine Intensivierung der Zukunftsarbeit in ihrem Unternehmen fest. Obwohl das Thema an Relevanz gewonnen hat, geben alle interviewten Geschäftsführer an, dass ihre Organisation keine Abteilung für Zukunftsarbeit besitzt. Ein anderer Indikator für eine auf die Zukunftsarbeit ausgerichtete Organisationsstruktur und -kultur ist die Involvierung verschiedener Stakeholder wie zum Beispiel Mitarbeitende, Kunden und Lieferanten in der langfristigen Planung.

Die befragten KMU, welche oft inhabergeführt sind, beziehen Familienmitglieder (19 %) und das persönliche Netzwerk (20 %) stärker in die Zukunftsarbeit mit ein als Mitarbeitende (10 %) (vergleiche mit Abbildung 4). Bei der Frage, wie Mitarbeitende einbezogen werden, antwortete ein Geschäftsführer: «Wir beziehen die Mitarbeiter teilweise auch ein: da sie auch ein wenig interessiert sind; da sie auch sehen, um was es geht. Wir reden miteinander.»

Diese Ausführung stützt die Annahme, dass die Mitarbeitenden formell, das heisst mit Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortungen, zwar selten in die Zukunftsarbeit miteinbezogen werden,jedoch durchaus relevante Informationen aus Gesprächen mit Mitarbeitenden in die Zukunftsarbeit einfliessen. Es scheint verschiedene Sichtweisen zu geben, wie stark Mitarbeitende in den Prozess der Zukunftsarbeit einbezogen werden sollen. Dies ist insbesondere auch davon abhängig, welche Erfahrungen die Geschäftsführer mit dem Einbezug anderer Stakeholder gemacht haben.

Wurden mit Mitarbeitenden oder externen Beratern schlechte Erfahrungen gemacht, so werden diese anscheinend weniger oder nicht mehr involviert: «Früher, als wir mehr Leute waren, haben wir das gemacht. Aber wir haben festgestellt, es wird schwierig, wenn man die Mitarbeiter zu viel wünschen lässt. Sie bezahlen ja nichts. Plötzlich stellen sie auch finanzielle Ansprüche.» Die Zukunftsarbeit ist bei den befragten Organisationen eher hierarchisch von oben nach unten (top-down) angeordnet; ist also meistens «Chef-Sache». Dies zeigt die starke Involvierung der Geschäftsleitung (83 %) und des Verwaltungsrats (54 %) (vergleiche mit Abbildung 4).

Unsere Ergebnisse zeigen deutlich, dass im Kontext von KMU nicht von Organisationskultur und -struktur der Zukunfts-arbeit im eigentlichen Sinn gesprochen werden kann. Bei den Befragten ist primär die Geschäftsleitung und der Verwaltungsrat involviert und Zukunftsarbeit wird kaum in der gesamten Organisation gelebt. Die Fachliteratur zeigt hierbei, dass mangelnde Kommunikationsfähigkeiten (Krystek /Müller-Stewens 1993), interner Informationsfluss (Lombriser /Abplanalp 2010), Know-how der Mitarbeitenden oder auch Widerstand der Mitarbeitenden (Morris 2012) die Zukunftsarbeit erschweren.

Für die Befragten in unserer Studie treffen diese Schwierigkeiten selten zu. Dennoch wird die Involvierung der Mitarbeitenden eher als hemmend empfunden. Aus unseren Erhebungen wird deutlich, dass den Mitarbeitenden selten zugetraut wird, einen wichtigen Beitrag für die Auseinandersetzung mit der Zukunft zu leisten. Da die Organisationskultur eines KMU stark von den Geschäftsführern geprägt ist, welche die Zukunftsarbeit als «Chef-Sache» ansehen, wird der Aufbau einer für die Zukunftsarbeit zielführenden Kultur sowie Struktur erschwert.

Diskussion

Bei der Future Readiness Studie (European Futurists Club 2009) haben über 80 Prozent der Teilnehmenden angegeben, die Zukunftsforschung systematisch zu betreiben. Diese Selbsteinschätzung ist von den Geschäftsführern in den problemzentrierten Interviews bestätigt worden. Interviewte nannten «Erkenntnisse aus der Zukunftsarbeit schriftlich festhalten», «ein Qualitätssystem verwenden» oder auch «verschiedene Methoden der Zukunftsarbeit anwenden» als Beispiele für eine Systematik der Zukunftsarbeit. Das Verständnis zu Systematik wurde auch in früheren Studien oft erwähnt. Wir haben deshalb in unserer quantitativen Erhebung die Systematik detailliert abgefragt. Die Antworten von 70 Schweizer KMU zeigen einen starken Zusammenhang zwischen der wahrgenommenen Systematik und dem verwendeten Prozess. Weitere mittlere Zusammenhänge gibt es zwischen der zugeschriebenen Relevanz der Zukunftsarbeit und der verwendeten Systematik, wie auch zwischen der Systematik und den verwendeten Methoden.

Diese hohe Zustimmung ist jedoch kritisch zu hinterfragen. Anhand unserer Interviews gehen wir davon aus, dass die Geschäftsführer auch Aktivitäten der Zukunftsarbeit zuschreiben, welche Wissenschaftler dem allgemeinen Planungsprozess zuschreiben würden. Dazu ein Beispiel: Ein Geschäftsführender könnte den Budgeterstellungsprozess als Zukunftsarbeit verstehen und ihre Antwort entsprechend darauf beziehen.

Zudem muss Zukunftsarbeit für Dritte nachvollziehbar sein, bestimmte Methoden verwenden und in einer gewissen
Regelmässigkeit durchgeführt werden (Müller / Müller-Stewens 2009). Erst dann kann von einem systematischen Vorgehen gesprochen werden. Zumindest die Regelmässigkeit der Auseinandersetzung konnte bei den Befragungen durchaus festgestellt werden. Wir können festhalten, dass das Verständnis zum «Systematik»-Begriff bei Praktikern und Wissenschaftlern stark abweicht.

Aufgrund der bestehenden Fachliteratur kann der Prozess der Zukunftsarbeit grob in drei Phasen eingeteilt werden: Input, Foresight und Output (Horton 1999). Es geht in diesem Prozess darum, durch eine Umfeldabklärung Daten zu erheben, diese dann in Form einer Analyse auszuwerten und anschliessend Zielgruppen-gerecht darzustellen und zu verwenden (Horton 1999; Müller /Müller-Stewens 2009). Wir verwendeten einen Prozess für die Zukunftsarbeit mit den Phasen «Ziele», «Recherche», «Analyse», «Projektion» sowie «Implikation» (Müller /Müller-Stewens 2009; Foresight-Toolbox o. J.).

Diese Einteilung wurde auch für die Durchführung beziehungsweise die Leitfaden-Erstellung verwendet. In den problemzentrierten Interviews mit Schweizer Geschäftsführern von KMU stellte sich heraus, dass die Unterteilung in diese Phasen nicht zielführend ist. Der Prozess der Zukunftsarbeit wird bei den Geschäftsführern nicht derart fragmentiert wahrgenommen. Mit anderen Worten nimmt die Literatur eine feine Unterscheidung vor, welche so detailliert in der Praxis nicht anwendbar ist.

Implikationen für die Praxis

Zukunftsarbeit sollte systematisch durchgeführt werden. Woran liegt es, dass Zukunftsarbeit in der Wahrnehmung der Geschäftsführer systematisch abläuft, doch Dritte die Zukunftsarbeit anhand objektiver Indikatoren nicht nachvollziehen können? Wir stellen fest, dass dies auf einen auffälligen Unterschied im Verständnis von Zukunftsarbeit bei KMU in der Schweiz und dem Verständnis von Zukunftsarbeit in der betriebswirtschaftlichen Forschung zurückzuführen ist.

Systematisch vorgehen
Zukunftsarbeit, wie sie in der Forschung verstanden wird, setzt eine Systematik der Zukunftsarbeit, eine organisatorische Einbettung und die Verwendung von spezifischen Methoden voraus. Für Führungskräfte in der Praxis ist eine freie Reflexion über die Organisationszukunft bereits Zukunftsarbeit.

Um diese verschiedenen Verständnisse zu differenzieren, verwenden wir für das Verständnis in der betrieblichen Praxis den Begriff «Zukunftsdenken». Zukunftsdenken ist eine meist kognitive, Indivi­duums-bezogene, informelle Auseinandersetzung mit der Zukunft. Wir sehen Zukunftsdenken als Voraussetzung für eine (umfangreichere) Zukunftsarbeit. Dieser wichtige Unterschied im Verständnis von Zukunftsarbeit war bisher nur implizit und erschwerte die Zusammenarbeit von Praxis und Wissenschaft.

Zukunftsarbeit ist wichtig, weil die Organisationen flexibler auf zukünftige Veränderungen reagieren können und somit die langfristige Existenzsicherung der Organisation erhöhen. Das bewusste und systematische Vorgehen im Rahmen eines sparsam definierten Zukunftsarbeitsprozesses ist für eine erfolgreiche Zukunftsarbeit unerlässlich. Dies bedeutet, dass Entscheidungsträger selbst und relevante Dritte die getroffenen Entscheidungen im Rahmen der Zukunftsarbeit auch zu einem späteren Zeitpunkt nachvollziehen können sollten.

Mit einem systematischen Vorgehen lassen sich zudem aus vergangenen Entscheidungen Rückschlüsse ziehen, die es ermöglichen, den Prozess der Zukunftsarbeit laufend zu verbessern. Um die Zukunftsarbeit bewusster und systematischer zu gestalten, ist es empfehlenswert, eine Bestandsaufnahme in der Organisation durchzuführen, die aufzeigt, wie ein Zukunftsarbeitsprozess mit geeigneten Methoden in die bestehende Struktur und Kultur implementiert werden kann.

Mit schlanken Methoden ausstatten
Schweizer KMU benötigen für die Zukunftsarbeit eine umfangreichere Methodenausstattung. Dabei ist darauf zu achten, dass zuerst Methoden verwendet werden, welche mit einem geringen Lern- und Anwendungsaufwand ein hohes Strukturierungspotenzial bieten. Solche schlanke und apérotaugliche Methoden sollten sich zügig anwenden lassen und gut innerhalb einer Organisation vermittelbar sein.

Solche Methoden stellen für uns einen ersten Schritt zu einer erfolgreichen Zukunftsarbeit dar. Es ist jedoch notwendig, dass potente Methoden erlernt und implementiert werden, welche geeignet sind, die Komplexität der Entwicklungen in den Organisationsumwelten systemisch zu erfassen (Groesser 2015). Um die für die Organisation geeigneten Methoden zu implementieren, braucht es eine intensive Auseinandersetzung mit den vorhandenen und womöglich notwendigen neuen Informationsquellen.

Damit Zukunftsarbeit erfolgreich umgesetzt werden kann, müssen die nötigen finanziellen und zeitlichen Ressourcen im Unternehmen verfügbar sein. Die Geschäftsführer sind stark in das operative Geschäft involviert und sehen es als Herausforderung, die notwendige Zeit für die Zukunftsarbeit aufwenden zu können. Es ist daher unabdingbar, für die Zukunftsarbeit entsprechende Freiräume zu schaffen. Zugleich sollte die Zukunftsarbeit in der Organisation breiter abgestützt werden. Die flachen Hierarchiestufen und die kurzen Kommunikationswege in kleinen und mittelgrossen Unternehmen können sich als vorteilhaft erweisen, um den Prozess in die bestehende Organisationsstruktur zu integrieren.

Organisationskultur anpassen
Damit Zukunftsarbeit gezielt gelebt werden kann, braucht es deshalb auch eine auf die Zukunftsarbeit ausgerichtete
Organisationskultur. Mitarbeitende müssen stärker für Zukunftsarbeit sensibilisiert und in den Prozess der Zukunftsarbeit einbezogen werden. Mitarbeitende können dann wertvolle Hinweise einbringen, wenn sie nahe bei Kunden oder anderen wichtigen Informationsquellen sind. So werden Veränderungen im Umfeld schneller wahr- und für die Zukunftsarbeit produktiv aufgenommen. Zukunftsarbeit für KMU zu operationalisieren ist anspruchsvoll und gleichzeitig wichtig für deren Lebensfähigkeit.

Ein Zukunftsdenken ist aber noch keine Zukunftsarbeit. KMU können grossen Nutzen daraus schöpfen, wenn sie ihre Zukunftsarbeit weiterentwickeln und systematischer ausgestalten. Dies benötigt in einem ersten Schritt eine bewusste Hinterfragung der aktuellen Auseinandersetzung mit der Zukunft. Diese Arbeit konnte empirisch festhalten, dass die meisten KMU ihre Auseinandersetzung mit der Zukunft als systematisch empfinden, aber ein systematisches Vorgehen nicht wirklich erkennbar ist. Neue Erkenntnisse konnten insbesondere in Bezug auf die Involvierung, Veränderung sowie Vorgehensweisen der Zukunftsarbeit in KMU gewonnen werden. Zukünftige Forschungsprojekte könnten nicht nur die Perspektive der Unternehmensführung betrachten, sondern auch die Mitarbeitenden aktiv in die Erhebung miteinbeziehen.