Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) haben für die Schweizer Wirtschaft eine wichtige Bedeutung. 99,6 Prozent aller Schweizer Unternehmen sind KMU und sie beschäftigen zwei Drittel der erwerbstätigen Bevölkerung (Bundesamt für Statistik 2013). Ein KMU ist gemäss Bundesamt für Statistik eine Unternehmung mit maximal 249 Mitarbeitenden. KMU bilden somit das Rückgrat der Schweizer Wirtschaft.
Zukunftsarbeit – auch strategische Frühaufklärung, Strategic Foresight oder Corporate Foresight genannt – ist die systematische Auseinandersetzung einer Organisation mit ihrer Zukunft (Müller 2008). Sie hat für den wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen und Volkswirtschaften eine grosse Bedeutung. Durch Zukunftsarbeit nehmen Organisationen eine langfristige Entwicklungsperspektive ein und bereiten sich auf zukünftige Herausforderungen vor.
Zukunftsarbeit wenig erforscht
Bisherige Studien zum Thema Zukunftsarbeit konzentrieren sich beinahe ausschliesslich auf die Grossorganisationen. Sie zeigen, dass die Umsetzung von Zukunftsarbeit im Organisationsalltag stark variiert. Studien zu Schweizer KMU existieren bisher kaum. Die einzige im Jahre 2009 durchgeführte Befragung macht deutlich, dass sich 84 Prozent der KMU in der Schweiz «systematisch» oder «eher systematisch» mit der Zukunft ihrer Organisation auseinandersetzen (European Futurist Club 2009). Jedoch adressiert die Befragung weder das Verständnis von Führungskräften zu Zukunftsarbeit noch die Umsetzung von Zukunftsarbeit in Schweizer KMU.
Bis heute ist wenig bekannt, wie KMU in der Schweiz das Thema Zukunftsarbeit operationalisieren. Hier setzt unser Forschungsprojekt an. Ziel unserer Studie ist es, das Verständnis und die Umsetzung von Zukunftsarbeit in Schweizer KMU zu erfassen und einzuschätzen. Basierend auf einem mehrstufigen Forschungsdesign erläutert dieser Artikel, welches Verständnis KMU in der Schweiz von Zukunftsarbeit haben und wie sie dies im Geschäftsalltag umsetzen. Die Resultate zeigen, dass Schweizer KMU sich sporadisch mit der Zukunft auseinandersetzen, jedoch keine systematische Zukunftsarbeit erkennen lassen. Durch die Ergebnisse dieses Artikels können Führungskräfte in KMU ihre Aktivitäten gezielt reflektieren und ihre eigene Zukunftsarbeit bewusster gestalten.
Der Artikel ist wie folgt strukturiert: Im Folgenden stellen wir unsere verwendete Konzeption von Zukunftsarbeit vor. Im dritten Abschnitt detaillieren wir das Studiendesign. Der vierte Abschnitt zeigt die Ergebnisse. Der fünfte Abschnitt diskutiert die Ergebnisse der Studie. Der letzte Abschnitt zeigt Praxisimplikationen auf.
Konzeption von Zukunftsarbeit
Nach einem Review von wichtiger Literatur zur Zukunftsarbeit (zum Beispiel Peterson 1996; Schwarz 2005; Will 2008; Danese / Kalchschmidt 2010; Caniato et al. 2011; Rohrbeck / Schwarz 2013) haben wir uns für die Konzeption von Müller und Müller-Stewens (2009) entschieden. Diese Konzeption betrachtet bei der Zukunftsarbeit in Organisationen folgende Bereiche: Prozesse, Methodik, Organisation und Kultur (vgl. Abbildung 1). Diese Konzeption berücksichtigt die relevanten Einflussfaktoren auf die Zukunftsarbeit und ist auf KMU einfach anwendbar. Im Folgenden stellen wir die vier Bereiche der Konzeption dar.
Prozesse
Von Führungskräften wird erwartet, dass sie sich mit den zukünftigen Entwicklungen im Umfeld ihrer Organisation auseinandersetzen (European FuturistClub 2009). Gleichzeitig fehlt Organisationen häufig ein Prozess, der die gewonnenen Erkenntnisse systematisch erfasst und interpretiert. Der Prozess der Zukunftsarbeit ist abhängig von der Organisationsstruktur auf Gesamtunternehmens-, Geschäftseinheits- oder Funktionalebene (Müller /Müller-Stewens 2009). Zudem variieren die potenziellen Adressaten der Ergebnisse der Zukunftsarbeit wie zum Beispiel bei Forschung und Entwicklung, Controlling, der Geschäftsleitung oder dem Verwaltungsrat.
Das Beratungsunternehmen Z-Punkt unterscheidet die Prozessschritte Ziele, Recherche, Analyse, Projektion und Implikation. Im ersten Schritt werden die Ziele der Zukunftsarbeit definiert wie unter anderem Zukunftsstrategien erarbeiten, Produktinnovationen entwickeln oder neue Märkte und Kundengruppen erschliessen. Dann wird nach den notwendigen Informationen recherchiert. Die wichtigsten Quellen für KMU sind Fachpublikationen, wissenschaftliche Zeitschriften und Branchenberichte. In der dann folgenden Analyse werden die gesammelten Informationen verdichtet, ausgewertet und mittels einer Projektion meist visuell dargestellt. Aus diesen Informationen werden die Implikationen für die Organisation abgeleitet.
Methodik
Die folgenden Methoden werden oft im Zusammenhang mit der Zukunftsarbeit genannt: Szenariotechnik, Delphi-Methode, Umfeldanalyse und Trendextra-polation (Schwarz 2008; Müller /Müller-Stewens 2009). Die Szenariotechnik wird primär für langfristige Zukunftsbetrachtungen und strategische Entscheidungen angewendet. Bei der Delphi-Methode wird in mehreren Iterationen eine Expertengruppe zu einer Problemstellung befragt und deren Antworten verdichtet (Aichholzer 2002). Die Umfeldanalyse dient der systematischen Informationssammlung und bildet die Basis von Zukunftsarbeitsprozessen. Dabei werden Einflussfaktoren im Makro- und Mikroumfeld analysiert. Die Trendextrapolation nutzt numerische Daten, zum Beispiel zu ökonomischen sowie soziodemografischen Kenngrössen, und schätzt diese für die Zukunft ein (Foresight-Toolbox o. J.). Obwohl sämtliche Methoden prinzipiell schnell einsetzbar sind, werden diese von Schweizer KMU selten angewendet (European Futurist Club 2009).