Forschung & Entwicklung

Crowdsourcing

Wie radikale Innovationen extern generiert werden können

Dieser Artikel zeigt eine Anwendungsmöglichkeit für unternehmerisches Crowdsourcing auf, das die Zielsetzung verfolgt, radikale Innovationen hervorzubringen. Das vorgestellte strategische Framework soll Unternehmen als Grundlage für die Schaffung von radikalen Innovationen dienen, um so deren Wettbewerbsfähigkeit zu stärken.
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Innovationen sind bitter nötig, um mit der Konkurrenz mitzuhalten (Bouteillier et al., 2008). So wird die Zeit, um neue Innovationen zu kreieren, aufgrund stetig kürzer werdenden Produktlebenszyklen und der zunehmenden Vernetzung der Gesellschaft ein immer kritischerer Erfolgsfaktor für Unternehmen. Vor allem radikale Innovationen schaffen es immer wieder, die Spielregeln des Markts zu ändern und ermöglichen es somit, dem Innovationsverwerter als Monopolist eine Rente abzuschöpfen und damit überdurchschnittlichen Gewinn zu generieren (Chiles et al., 2007).

Strategie für neue Ideen

Mit der Entwicklung des Web 2.0 wur­­den für Unternehmen neue Möglichkeiten geschaffen, um die Phase der Ideengenerierung für Innovationen ortsunabhängig zu externalisieren. Diese Strategie der Ideengenerierung wird je nach Kontext unter verschiedenen Begriffen wie Crowdsourcing, Open Innovation, interaktive Wertschöpfung, arbeitender Kunde oder Schwarmintelligenz zusammengefasst (Gassmann, 2010). Im Rahmen des Innovationsmanagements gibt es beim Crowdsourcing bereits einige idealisierte Prozesse für ein strategisch kluges Vorgehen. Doch diese Prozesse gehen in aller Regel explizit oder zumindest implizit von einem vordefinierten Ziel oder einem erhofften Ergebnis aus. Auf diese Weise wird jedoch die Möglichkeit einer «richtigen» Innovation bereits sehr stark eingeschränkt.

Der aus dem Entrepreneurship stammende «Effectuation»-Ansatz hingegen schlägt einen anderen Weg ein. Im Gegensatz zu einem vorgegebenen Ziel bilden hier die gegebenen Ressourcen den Beginn aller unternehmerischen Handlungen. Die Ziele kristallisieren sich dann im Laufe des Entwicklungsprozesses des Unternehmens heraus und werden mit den involvierten Stakeholdern gemeinsam definiert. Zusammen mit den eingebundenen Anspruchsgruppen wird das neue Produkt mit dem Unternehmen kreiert (Sarasvathy & Dew, 2008). Aufgrund der Kerneinstellung, dass die Zukunft un­sicher, also schlichtweg nicht vor­aus­sehbar ist und damit der Eintritt diver­ser Endergebnisse möglich ist, wird der Effectuation-Ansatz zu einem mächtigen Werkzeug.

Prinzipien für Effectuation

Sarasvathy (2008) führt in ihrem Buch über Effectuation aus, dass die Zukunft von Menschen gestaltet wird und sie aus diesem Grund unvorhersehbar, aber dennoch kontrollierbar ist. Sie fand in ihren Studien heraus, dass erfahrene Unternehmer eine ausgeprägte Art des logischen Denkens zeigten, welche sehr rational und dennoch unternehmerisch geprägt war (Ambrosch, 2010). Vergleicht man die Denkweisen von Experten und Neulingen (Dew et al., 2009) zeigt sich, dass die Experten die gestellten Problem­stellungen sehr häufig mit dem Effectuation-Ansatz lösen (Ambrosch, 2010). Unternehmerisch Unerfahrene hingegen griffen häufig zu der linear-kausalen Logik (Dew et al., 2009). Im Kern lassen sich fünf Prinzipien für Effectuation charakterisieren (Sarasvathy, 2008; Faschingbauer, 2010; Ambrosch, 2010).

Prinzip der Mittelorientierung

Im Prinzip der Mittelorientierung wird von den gegebenen Mitteln ausgegangen und der Zielzustand bewusst offenge­lassen (Faschingbauer, 2010). Die Mittel hängen von der jeweiligen Person ab, also wer er ist, was er weiss und wen er kennt (Wiltbank et al., 2006).

Prinzip des leistbaren Verlusts

Mit dem Prinzip des leistbaren Verlusts wird von Beginn an festgelegt, wie viele Mittelverluste für den Unternehmer maximal tragbar sind (Sarasvathy, 2001). So wird das mögliche Down-Side-Risiko festgelegt, was in der Konsequenz zu einer Berücksichtigung des potenziellen Misserfolgs führt (Read et al., 2009).

Prinzip der Vereinbarungen und Partnerschaften

Anstatt eine detaillierte Marktanalyse zu erstellen, um unternehmerische Gelegenheiten zu entdecken, schlägt das Prinzip der Vereinbarungen und Partnerschaften vor, neue unternehmerische Gelegenheiten durch das Hinzugewinnen von Mitteln der involvierten Stakeholder zu schaffen (Read et al., 2009). Diese Partnerschaften werden durch frühzeitige Vereinbarungen geschlossen, um Eintrittsbarrieren zu errichten und Unsicherheiten zu reduzieren (Sarasvathy, 2001). Jeder so gewonnene Stakeholder trägt zu der Ausgestaltung der Vision und damit der später realisierten unternehmerischen Gelegenheit bei (Wiltbank et al., 2006).

Prinzip der Umstände und Zufälle

Mit der Hilfe des Prinzips der Umstände und Zufälle lassen sich unerwartete Ereignisse in unternehmerische Gelegenheiten umwandeln (Ambrosch, 2010). Ein Beispiel einer auf diese Weise entwickelten Innovation ist das Post-it von 3M, welches nur aus einer scheinbar «fehlerhaften» Produktion des Klebstoffs entstanden ist (Faschingbauer, 2010).

Prinzip des Steuerns ohne Vorhersage

Das Prinzip des Steuerns ohne Vorhersage betont nochmals die nicht voraussagende Kontrolle der Zukunft. Dieses Prinzip ist implizit bereits in jedem der vorhin erwähnten Prinzipien enthalten. Es hilft dem Unternehmer, sich auf die Aspekte zu fokussieren, die er selbst beeinflussen kann, statt die Konzentration auf zwangsläufig ungenaue Prognosen zu lenken (Ambrosch, 2010).

Effectuales Crowdsourcing

Aufbauend auf die fünf Prinzipien lässt sich nun ein Framework für Effectuales Crowdsourcing entwerfen. Beginnend mit der Annahme, dass sich das Unternehmen für einen Crowdsourcing-Ansatz entschieden hat, werden vier Etappen zu radikalen Innovationen vorgestellt.

Die unternehmerische Vision als strategische Stossrichtung

Das Crowdsourcing knüpft bei den verfügbaren Mitteln des Unternehmens an. Die Identität des Unternehmens bildet somit den Startpunkt der darauffolgenden Aktivitäten. Je nachdem, wie sich das Unternehmen selbst definiert, was es für Kompetenzen hat und welches Netzwerk es pflegt, wird es seine Handlungen entsprechend ausrichten. Die Mittel beeinflussen auch die Wahrnehmung des Unternehmens. Sie spiegeln sich üblicherweise in der Vision des Unternehmens. Eine solche könnte lauten, hochinnovativ zu sein, also kontinuierlich wahrlich Neues zu generieren und darüber seine Marktposition zu verteidigen. Die Vision dient nun als Antreiber und gibt dem Unternehmen eine gewisse, jedoch bewusst nebulöse Richtung vor. Im Kontext des Crowdsourcing bedeutet das, dass das Unternehmen mit den verfügbaren Mitteln die notwendige Plattform bereitstellt. Dabei kann es zu unterschied­lichen Lösungsansätzen kommen. Es ist zum Beispiel möglich, dass die Mittel zu einer Crowdsourcing-Plattform als Dienstleistung über einen Intermediär oder zu einer gemeinsamen freien Lösung führen (Gassmann, 2010).

Die Crowd als Potenzialgeber

Nach der Wahl der Plattform gilt es eine weitere wichtige Frage im Rahmen des Crowdsourcing zu beantworten: Wer ist die Crowd? Das Unternehmen wird sich zunächst auf das bestehende Beziehungsnetz verlassen und vertrauenswürdige Stakeholder als relevante Teilnehmer in der Crowd aussuchen. Um radikalere Geschäftsideen zu generieren, braucht es jedoch eine Crowd, die sich zwar mit dem Unternehmen befasst, aber trotzdem noch eine gewisse Distanz zu dieser Organisation aufweist. Nur so können unterschiedliche Herangehensweisen zu einer Ideenvielfalt auf der Plattform führen. Personen mit einer solchen Distanz sind insbesondere die unterschiedlichen Stakeholder eines Unternehmens.

Zu den Stakeholdern können Kunden, Lieferanten, Mitarbeiter und Aktionäre, aber auch der Staat, die Öffentlichkeit oder übrige Finanzgeber und Non-Profit-Organisationen gehören. Aufgrund der verschiedenen Interessenslagen wird das Unternehmen automatisch aus unterschiedlichen Perspektiven wahrgenommen. Neben den verfügbaren Mitteln haben auch die Vision und die Kultur des Unternehmens einen Einfluss auf die Wahl der Crowd. Denn wenn die Vorstellung des Unternehmens ein hochinnovatives Produkt ist, welches auch technisch sehr anspruchsvoll sein soll, kann diese Vorstellung den Kreis einer möglichen Crowd erheblich einschränken.

Mitarbeiter als primäre Stakeholder

Eine Anspruchsgruppe, welche jedes Unternehmen aufweisen kann, sind ihre Mitarbeiter. Die Involvierung der Mitarbeiter über die organisatorischen Grenzen in die Crowdsourcing-Plattform kann bereits zu Innovationen führen. Die vorhandenen Kompetenzen der Mitarbeiter bieten hierbei grosses Potenzial in der Entdeckung und Schaffung von unternehmensnahen Innovationen. Jedoch kann die ausschliessliche Einbindung der Mitarbeiter in die Plattform die Gefahr aufweisen, dass keine radikalen Ideen vorgeschlagen und verfolgt werden. Deshalb ist in dieser Etappe dem Prinzip der Umstände und Zufälle die grösste Bedeutung beizumessen. So können Ideen gewonnen werden, welche den einzelnen Interessen Rechnung tragen und unternehmensübergreifend für einen Mehrwert sorgen. In der Praxis wird zudem oft eine klare Kennzeichnung der Mitarbeiter auf der Crowdsourcing-Plattform verfolgt, um Transparenz – explizit auch gegenüber Externen – zu gewährleisten.

Selbstselektion der sekundären Stakeholder

Nach der Mitarbeitereinbindung gilt es die weiteren Stakeholder auf die Crowdsourcing-Plattform aufmerksam zu machen und sie möglichst stark zu involvieren. Dies kann auf unterschiedliche Arten geschehen. Denkbar wäre unter anderem ein initialer Wettbewerb oder vermehrte Kommunikation in verschiedenen Medien, um die Aufmerksamkeit der gewünschten Stakeholder zu gewinnen. Es müssen von Beginn an die richtigen Anreize für die Stakeholder geschaffen werden, damit eine produktive Zusammenarbeit auf der Crowdsourcing-Plattform überhaupt möglich ist. Deshalb ist es von Bedeutung, die Motive der eingebundenen Stakeholder zu kennen, damit ein richtiger Mix aus intrinsischen und extrinsischen Anreizen gesetzt wird.

Nach der Involvierung der Stakeholder in die Crowdsourcing-Plattform verfügt das Unternehmen über die nötigen Ressourcen, um erfolgreich neue Ideen zu generieren und innovative Lösungsansätze zu erhalten. Doch mit der Mobilisierung der Crowd ist erst eine weitere Hürde für ein erfolgreiches Crowdsourcing gemeistert. Die Herausforderungen entstehen, wenn die Crowdsourcing-Plattform produktiv ist und aktiv genutzt wird. Wenn nämlich Innovationen auf der Plattform generiert werden, fragt sich schnell, inwiefern die Ideengeber noch von den eigenen Vorschlägen profitieren. Auf den intermediären Plattformen winken den Teilnehmern in der Regel Preise und Honorare für die besten und ausgewählten Lösungen (Gassmann, 2010). Dabei ist es in den wenigsten Fällen so, dass die Problem­löser weiterhin mit dem Unternehmen in regem Kontakt stehen.

Doch auch in der Praxis binden Unternehmen externe Personen über die Ideengenerierung hinaus bis zur Miterschaffung des Produkts ein. Effectuation geht in diesem Kontext ebenfalls davon aus, dass das Unternehmen durch die Interaktion und den Dialog mit den Stakeholdern verbindliche Vereinbarungen mit den Problem­lösern trifft, um starke Partnerschaften zu etablieren. Dabei verhandelt das Unternehmen mit den Anspruchsgruppen, und es werden gegenseitige Vereinbarungen getroffen, sodass die beteiligten Akteure an die Idee und das Projekt gebunden werden. Die Vereinbarungen helfen dem Unternehmen, Eintrittsbarrieren für potenzielle Mitbewerber zu schaffen und können das Risiko und die Verantwortung auf mehrere Akteure verteilen (Faschingbauer, 2010).

Durch die Hinzugewinnung von Stakeholdern für Ideen und Projekte entsteht ein unternehmerischer Diskurs, dem andere Stakeholder beiwohnen werden. Dabei erhöhen sich die verfügbaren Mittel des Unternehmens, was wiederum die Handlungsmöglichkeiten erweitert. Gleichzeitig aber werden genau diese Handlungsmöglichkeiten wegen der Vorstellungen und Ziele der eingebundenen Stakeholder eingeschränkt (Faschingbauer, 2010). Folglich schliesst sich das Framework in diesem Element allmählich auf ein konkreteres Ziel hin. Das Ziel wird durch die Stakeholder immer genauer definiert, die Vision konkretisiert sich. Dadurch reduziert sich auch die Menge der involvierten Anspruchsgruppen (Read et al., 2011). Die Dynamik des Dialogs ist komplex und kann auch über einen längeren Zeithorizont andauern (Faschingbauer, 2010).

Etablierung des effectualen Netzwerks

Im letzten Schritt des Frameworks wird das neue Produkt oder der neue Markt erschaffen. Dabei kommt eine weitere Dynamik zum Tragen. Denn wenn ein neuer Markt geschaffen wird, dann weiss das Unternehmen im Vornherein nur vage, welche Firmen als mögliche Konkurrenten infrage kommen. Ebenfalls ist das Potenzial eines neuen Markts normalerweise nur schwierig abzuschätzen. Um mit diesen Unsicherheiten umgehen zu können und sie zu reduzieren, wird nun wieder ein stärkerer Fokus auf die Kontrolle gelegt (Sarasvathy, 2008).

In dieser Phase wächst der Markt zunehmend, und das Unternehmen muss sich einer immer stärker werdenden Konkurrenz stellen. Diese Wettbewerbsdynamik entscheidet schliesslich darüber, ob das Unternehmen mit seiner Innovation am Markt erfolgreich sein wird oder nicht. Wenn das Unternehmen erfolgreich wirtschaftet, dann ist es gut möglich, dass wiederum neue Stakeholder für das Produkt hinzugewonnen werden. Beispielsweise kann ein für das neue Produkt gegründetes Subunternehmen einen Börsengang vollziehen und so Aktionäre als neue Kapitalgeber und Stakeholder in die Unternehmensstruktur einbinden. Diese Dynamik wiederum bedeutet, dass sich die verfügbaren Mittel des Mutterunternehmens auch noch zu diesem Zeitpunkt ändern können.

Doch ist es auch denkbar, dass das Unternehmen mit der Innovation scheitert und sich nicht am Markt etablieren kann. In einem solchen Fall werden sich zumindest einige Stakeholder überlegen, aus der Partnerschaft auszutreten. Dies wird zu einem erneuten Dialog unter den noch involvierten Stakeholdern führen und gibt somit zugleich Raum für neue Stakeholder frei. Eine spezielle Eigenschaft, welche das Framework beinhaltet, ist die veränderte Dynamik, die mit zunehmender Erfahrung des Unternehmens mit Crowdsourcing entsteht. Wenn das Crowdsourcing erneut bei den verfügbaren Mitteln startet, dann können sich die dem Unternehmen zur Verfügung stehenden Mittel in der Zwischenzeit verändert haben. Auch wird sich das Unternehmen aufgrund der positiven und negativen Erfahrungen in den einzelnen Elementen in einem weiteren Anlauf unterschiedlich verhalten. So ist es möglich, dass bei jedem neuen Versuch unterschiedliche Stakeholder wieder eingebunden werden. Auf diese Weise können andere Zielvorstellungen und neue Vereinbarungen getroffen werden. Das resultierende Gefüge an Partnerschaften kann schliesslich zu einem völlig unterschiedlichen Ergebnis führen (Sarasvathy & Dew, 2005).

In der Abbildung 2 finden sich die spezifischen Eigenheiten der Framework-Elemente im Überblick. Insbesondere wird hier die zugrunde liegende Zuordnung der Prinzipien des Effectuation-Ansatzes zu den Elementen des Effectualen Crowdsourcing ersichtlich.

Das vorgestellte Framework bietet eine Vorgehensweise, um die bereitwilligen Stakeholder eines Unternehmens auf eine andere Weise einzubinden, als dies bei anderen Crowdsourcing-Ansätzen in aller Regel der Fall ist. Auch entwickelt sich durch die neu auszuhandelnden Vereinbarungen eine Dynamik, die schliesslich zu einem neuen effectualen Netzwerk führen wird.

Fazit

Statt eines starren zielorientierten Prozesses bietet das empfohlene Vorgehen einen Rahmen, der grösstmöglichen Spielraum für Flexibilität zulässt. Dies erhöht letztlich die Wahrscheinlichkeit, wirklich radikale Innovationen zu kreieren. Allgemeinere Crowdsourcing-Ansätze hingegen führen in den wenigsten Fällen zu einer bahnbrechenden Innovation. Hier ist die vorgegebene deterministische Ziel­beschreibung das grösste Hemmnis für wahrlich Innovatives.