Forschung & Entwicklung

Studie: Betriebliches Gesundheitsmanagement

Wie KMU mit Gesundheitsschutz umgehen

Im Jahr 2000 war gut jeder vierte Erwerbstätige in der Schweiz häufig oder chronisch gestresst, 2010 war es bereits jeder dritte. Da die meisten Erwerbstätigen in KMU angestellt sind, stellt sich die Frage, was diese Betriebe unternehmen, um die Gesundheit ihrer Mitarbeitenden zu schützen und zu fördern. Eine Studie gibt Antwort.
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Frühere Befragungen des Teams von Georg Bauer von der Universität Zürich haben gezeigt, dass Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) in KMU seltener durchgeführt wird als in Grossunternehmen. Weitere Studien wurden in KMU in Luzern und der Ostschweiz durchgeführt. Zudem liegt eine Nutzungsanalyse zum Internetportal «www.kmu-vital.ch» vor. Auf diesen Studien aufbauend sind die Autoren in einer Kooperation der Fachhochschule Nordwestschweiz mit der Krankenkasse Visana den folgenden vier Fragen nachgegangen:

  1. Welche BGM-Massnahmen werden in Schweizer KMU durchgeführt?
  2. Welche Beweggründe führen zu diesen Massnahmen?
  3. Welche Hindernisse erschweren im Arbeitsalltag die Umsetzung von BGM-Massnahmen?
  4. Und welchen Unterstützungsbedarf ­haben KMU in der Schweiz?


Die Studie

Ein Fragebogen wurde an 812 Kunden-Unternehmen der Visana in der Deutschschweiz versandt. Insgesamt wurden 172 ausgefüllte Fragebögen von KMU aus der Deutschschweiz ausgewertet. Unternehmen aus allen Regionen der Deutschschweiz mit einer breiten Branchenverteilung (Industrie und Dienstleistung) waren vertreten. Die kleinen Unternehmen bis 49 Mitarbeitende machten 81 Prozent aus, mittlere Unternehmen entsprechend 19 Prozent. Zu vermuten ist, dass sich im BGM bereits aktive Unternehmen eher an der Befragung beteiligt haben und eine leichte Überschätzung der Verbreitung von BGM-Massnahmen resultiert (siehe Abbildung 1). Interessanterweise führten die kleinen Unternehmen mehr BGM-Massnahmen durch als die mittleren.

Was KMU unternehmen

Zur Beantwortung der ersten Frage wurde den Unternehmen eine Liste an Massnahmen vorgelegt, um zu bewerten, inwieweit diese in den letzten zwei Jahren durchgeführt wurden. Die Resultate sind in Abbildung 1 dargestellt, wobei die Antworten «Ja» und «Teilweise» ersichtlich sind. Die meisten Unternehmen sind aktiv: 86 Prozent der Unternehmen geben an, mindestens «teilweise» Massnahmen im Bereich der Unfallverhütung und der Arbeitssicherheit umzusetzen.

Inhaltlich damit verbunden und ebenfalls weitverbreitet sind Massnahmen im Bereich Ergonomie (82 Prozent) und Verbesserungen bei den Umgebungsbedingungen (Licht, Temperatur etc.; 79 Prozent). Hohe Verbreitung haben weiter auch Massnahmen rund um das Steuern von Absenzen: das systematische Erfassen der Fehlzeiten (84 Prozent), das Führen von Rückkehrgesprächen (64 Prozent) sowie Case- (56 Prozent) und Absenzen-Management (82 Prozent).

Weniger Zuspruch erhalten Massnahmen, die direkt auf das Wohlbefinden der Mitarbeitenden abzielen wie Stressmanagementkurse (17 Prozent), Angebote zu Sport (19 Prozent) und Entspannung (4 Prozent) sowie Ernährungskurse (7 Prozent). Vor diesem Hintergrund kann eine Kernaussage aus der Studie von ­Regine Buri-Moser und Norbert Thom für Schweizer KMU nicht bestätigt werden, die in «Personal Schweiz» im September 2013 veröffentlicht wurde: Zwar spielt das Fehlzeitenmanagement tatsächlich eine grosse Rolle in Schweizer Betrieben. Die Angebote zur Bewegungsförderung sind jedoch seltener und Unfallverhütung deutlich häufiger anzutreffen als bei Buri-Moser und Thom angenommen wird.

Verbreitet sind also die Klassiker des Gesundheitsschutzes bei der Arbeit: Prävention von Unfällen, verbesserte Ergonomie und Umgebungsbedingungen. Das ist auch der Bereich, wo die Bedrohung der Gesundheit am offensichtlichsten ist, nämlich im Bereich Sicherheit. Als Konsequenzen gesundheitlicher Probleme resultieren meist Absenzen, entsprechend ist es verständlich, dass Massnahmen rund um Absenzen (Erfassen von Fehlzeiten, Rückkehrgespräche, Absenzenmanagement, Case Management) sehr verbreitet sind.

Massnahmen, die direkt auf das individuelle Gesundheitsverhalten und den Umgang mit Stress abzielen, wie Seminare zu Stressmanagement oder zu Führung sowie Angebote rund um Ernährung und Sport, sind deutlich weniger verbreitet. Immerhin jedes dritte Unternehmen gibt an, die Belastungen zu erfassen, was ein wichtiger Schritt ist, um die gesundheitsrelevanten Belastungen (zum Beispiel Zeitdruck) und Ressourcen (zum Beispiel Autonomie) erkennen und angehen zu können. Immerhin 41 Prozent der Unternehmen weisen darauf hin, sie hätten mindestens «teilweise» BGM auf strategischer Ebene verankert.

Gründe für BGM-Massnahmen

Warum fördern Geschäftsleitungen und Personalverantwortliche in Schweizer KMU die Gesundheit ihrer Mitarbeitenden? Um gezielte Massnahmen im Gesundheitsmanagement anzubieten, ist es notwendig, die wichtigsten Gründe zu kennen, die die Unternehmen bewegen (siehe Abbildung 2). Passend zu den verbreiteten Massnahmen rund um die Absenzen geben 55 Prozent der befragten Unternehmen an, dass die Reduktion von Fehlzeiten ein Grund für die Umsetzung von BGM-Massnahmen war.

Gleich dahinter folgt die Zufriedenheit (52 Prozent) der Mitarbeitenden. Damit zusammenhängend sind die Anliegen zur Verbesserung der Gesundheit (47 Prozent) und der Motivation (37 Prozent) der Mitarbeitenden einzuordnen. Demnach ist die Motivation für BGM-Massnahmen nicht rein ökonomisch, sondern scheint auch aus einem Gefühl der sozialen Verantwortung (44 Prozent) heraus zu entstehen.

Die von den Unternehmen angegebenen Gründe sind vielfältig und differenziert: Zum einen spielen die «harten» Faktoren wie Fehlzeitenreduktion und bessere Arbeitseffizienz (36 Prozent) eine Rolle, andererseits sehen sich die befragten Unternehmen aber auch in einer gewissen gesellschaftlichen Verantwortung und wollen die Zufriedenheit der Mitarbeitenden stärken.

Das Einhalten der gesetzlichen Vorgaben (38 Prozent) und der Umgang mit dem demografischen Wandel (1 Prozent) wurden seltener genannt, als wir vorab vermutet hatten.

Hindernisse bei der Umsetzung

Allein der Wille zur Umsetzung von Massnahmen im betrieblichen Gesundheitsmanagement ist nicht immer ausreichend. Verschiedene Hindernisse treten auf, die eine Umsetzung verhindern oder erschweren. Um herauszufinden, wie wichtig diese Hindernisse im betrieblichen Alltag tatsächlich sind, wurden die Unternehmen über eine Liste mit möglichen Stolpersteinen befragt (siehe Abbildung 3). Allen voran steht die Priorität des Tagesgeschäftes (93 Prozent). Wenn dringende Aufgaben anstehen und enge Fristen einzuhalten sind, werden als sekundär wahrgenommene Aufgaben hintenangestellt.

Einige KMU geben auch an, dass kein eindeutiger Handlungsbedarf (40 Prozent) besteht in ihren Unternehmen oder allenfalls nur teilweise (29 Prozent). Skepsis scheint gegenüber dem Nutzen von BGM-Massnahmen zu bestehen (16 Prozent; «teilweise»: 46 Prozent). Mangel an Ressourcen im Sinne von fehlendem Geld (57 Prozent) und fehlender Zeit (57 Prozent) sind im Mittelfeld der Hürden anzusiedeln. Fehlende Motivation bei den Mitarbeitenden (62 Prozent)  scheint ein deutlich grösseres Hindernis zu sein als fehlende Motivation der Führungskräfte (44 Prozent) oder sogar Widerstand seitens der Entscheidungsträger (27 Prozent). Mangelndes Wissen scheint hie und da auch ein Thema zu sein, gibt doch rund die Hälfte aller Unternehmen an, zu wenig Wissen über Anbieter von BGM-Massnahmen (49 Prozent) oder über die konkreten Umsetzungsmöglichkeiten zu besitzen (48 Prozent).

Fazit

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass in einigen KMU der Handlungsbedarf nicht erkannt wird und auch Skepsis gegenüber dem Nutzen von BGM-Massnahmen besteht. Informationen über den Sinn und Zweck von BGM, Überzeugungsarbeit und positive Umsetzungsbeispiele sind nach wie vor gefordert. Entsprechend wurden Umsetzungsbeispiele aus anderen Betrieben besonders häufig von den Schweizer KMU eingefordert (62 Prozent), auch Informationsmaterial zu BGM (58 Prozent), Informationen über den Nutzen von BGM (49 Prozent) sowie Weiterbildungen für Führungskräfte rund um Arbeit und Gesundheit (48 Prozent) werden gewünscht. Mit Blick auf konkrete Interventionen, die für das eigene Unternehmen angeboten werden sollen, stehen weniger die bereits verbreiteten Massnahmen wie Unfallverhütung /Arbeitssicherheit, sondern Weiterbildungsangebote zu Stress und Stressbewältigung an erster Stelle (60 Prozent).

Wenn erst einmal eine positive Einstellung besteht, sind nicht der Widerstand der Entscheidungsträger und die Motivation der Führungskräfte die entscheidenden Hemmschuhe. Vielmehr führt die Priorität des Tagesgeschäfts dazu, dass Massnahmen im Bereich BGM nur verzögert oder gar nicht umgesetzt werden. BGM-Angebote an KMU müssen Antworten liefern auf die Frage, wie die Umsetzung im Alltag gelingen kann, etwa wie die Bewältigung von Stress durch Führungskräfte, Teams und einzelne Mitarbeitende unterstützt werden kann.

Welcher BGM-Bedarf besteht in Zukunft? Sicher werden Arbeitssicherheit und Absenzen- /Case Management wichtig bleiben. Eine Lücke zwischen Ist (aktuelle Verbreitung) und Soll (Bedarf an Unterstützung) war besonders bei Angeboten gegen Stress erkennbar. Mit Blick auf die zunehmend grössere Gruppe an gestressten Erwerbstätigen scheinen KMU in der Schweiz gewillt, auf den zunehmenden Konkurrenzdruck und das Stresserleben mit BGM-Angeboten wie Stressmanagementkursen gegenzusteuern, sofern sie einen eindeutigen Nutzen erkennen können und die Umsetzung der Massnahmen in den Arbeitsalltag sehr gut integrierbar erscheint.

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