Selten zuvor standen die KMU in der Schweiz unter so massivem Innovationsdruck wie heute. Zwar beschäftigen sich viele Unternehmen mit der kontinuierlichen Verbesserung von Produkten und Dienstleistungen oder der Optimierung von Prozessen. Wenn allerdings eine tiefgreifende Überarbeitung des Geschäftsmodells ansteht, tun sich die meisten schwer. Viele wagen den fundamentalen Wandel erst gar nicht. Herausforderungen wie der internationale Wettbewerb, die Währungsstärke oder konkurrierende Internet-Geschäftsmodelle erfordern jedoch von vielen traditionsreichen KMU genau dies. Nur so können sie sich nachhaltig erfolgreich positionieren. Denn der Mehrwert neu lancierter Produkte und Dienstleistungen oder gestraffter Prozesse nimmt laufend ab und überholt sich immer schneller. Echte Geschäftsmodellinnovationen bieten hingegen nicht nur für Kunden einen klaren Mehrwert, sie sind auch für Wettbewerber wesentlich schwieriger zu imitieren.
Die Frage nach dem Mehrwert
Geschäftsmodellinnovation setzt im Gegensatz zu reiner Produkt- oder Prozessinnovation direkt beim Wertschöpfungs- und Geschäftsmodell an. Gezielt werden neue Ertragsmechanismen, Kundenbeziehungen, Wertangebote oder Wertschöpfungsstrukturen entwickelt, getestet und im Markt positioniert. Nicht selten geschieht dies mithilfe neuer (digitaler) Technologien. Was sich in der Theorie abstrakt anhört, wird in der Praxis schnell konkret. Letztlich geht es um die Frage, wie Unternehmen für ihre Kunden und sich selbst «Mehr-Wert» schaffen können.
Vor der Herausforderung, das eigene Geschäftsmodell zu überdenken und sich mit dem bestehenden Führungsteam neu zu positionieren, stand auch die Buchbinderei Burkhardt mit Sitz in Mönchaltorf (ZH). Ende 2013 trat Christian Burkhardt beim traditionsreichen, 1941 von seinem Grossvater gegründeten KMU in die operative Geschäftsleitung ein. Gemeinsam mit Co-Geschäftsführer Thomas Freitag und seinem Vater, Hans Burkhardt, leitete er die formelle Eigentumsübernahme des Unternehmens mit rund 120 Mitarbeitern ein. «Bereits bei meinem Antritt war klar, dass unser Markt unter massivem Druck stand. Ich erwartete eine weitere Konsolidierung, und es erstaunt mich nicht, dass es im traditionellen Bereich heute nur noch drei vergleichbare Betriebe in der Schweiz gibt», so der neue Co-Geschäftsführer.
«Digitalisierung, internationaler Wettbewerb und der Trend zu kleineren Auflagen führten zu Margenerosion im Stammgeschäft. Gleichzeitig verschärfte sich der Wettbewerb in der Fotobuchproduktion, dem zweiten Geschäftszweig. Fragen stellten sich auch in Bezug auf die exklusive Handbuchbinderei. Welche Rolle soll ihr künftig zukommen? Das bisherige Geschäftsmodell als industrieller Zulieferer von Druckereien wurde über die Jahre aufgeweicht, und wir mussten unsere Wertschöpfungskette hinterfragen: Was wollten wir in Zukunft wo und wie machen? Im Managementteam waren wir gefordert, das Unternehmen neu zu positionieren. Dabei war mir aber immer wichtig, dass alles mit Augenmass, unternehmerischer Verantwortung und Geduld geschieht», sagt Christian Burkhardt.
Wandel als Chance
Die Buchbinderei Burkhardt begriff die Situation als Chance. In Begleitung des Center for Innovation and Entrepreneurship der ZHAW School of Management and Law initiierte sie den notwendigen Strategie- und Wandelprozess, um die Geschäftsstrukturen neu auszurichten. Burkhardt: «Mit der industriellen Binderei, der Fotobuchproduktion als Online-Geschäft sowie der Handbuchbinderei betrieben wir drei weitgehend unabhängige Geschäftsmodelle, was sich in der Organisationsstruktur und -kultur widerspiegelte. Jeder Bereich verfügte über eigene Produktlinien, Produktionsprozesse, personelle und materielle Ressourcen sowie kulturelle Eigenheiten. Wir mussten uns aber zum veränderten Markt sowie zu den individuellen Kundenerwartungen und -erlebnissen hinbewegen.»