Forschung & Entwicklung

Case Study: Innovationsgerichtete Führung

Wie Innovation und Leadership nahtlos ineinandergreifen

Starker Franken, sinkende Margen, internationale Konkurrenz und zunehmende Digitalisierung: Auch KMU spüren den Innovationsdruck. Verändern sich die Rahmenbedingungen, zwingt dies zu einer Neuausrichtung. Oft muss das Geschäftsmodell neu entwickelt werden, und zwar unter Einbindung des Führungsteams. Wie das geht, zeigt ein Praxisbeispiel.
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Selten zuvor standen die KMU in der Schweiz unter so massivem Innovationsdruck wie heute. Zwar beschäftigen sich viele Unternehmen mit der kontinuierlichen Verbesserung von Produkten und Dienstleistungen oder der Optimierung von Prozessen. Wenn allerdings eine tiefgreifende Überarbeitung des Geschäftsmodells ansteht, tun sich die meisten schwer. Viele wagen den fundamentalen Wandel erst gar nicht. Herausforderungen wie der internationale Wettbewerb, die Währungsstärke oder konkurrierende Internet-Geschäftsmodelle erfordern jedoch von vielen traditionsreichen KMU genau dies. Nur so können sie sich nachhaltig erfolgreich positionieren. Denn der Mehrwert neu lancierter Produkte und Dienstleistungen oder gestraffter Prozesse nimmt laufend ab und überholt sich immer schneller. Echte Geschäftsmodell­innovationen bieten hingegen nicht nur für Kunden einen klaren Mehrwert, sie sind auch für Wettbewerber wesentlich schwieriger zu imitieren.

Die Frage nach dem Mehrwert

Geschäftsmodellinnovation setzt im Gegensatz zu reiner Produkt- oder Prozess­innovation direkt beim Wertschöpfungs- und Geschäftsmodell an. Gezielt werden neue Ertragsmechanismen, Kundenbeziehungen, Wertangebote oder Wertschöpfungsstrukturen entwickelt, getestet und im Markt positioniert. Nicht selten geschieht dies mithilfe neuer (digitaler) Technologien. Was sich in der Theorie abstrakt anhört, wird in der Praxis schnell konkret. Letztlich geht es um die Frage, wie Unternehmen für ihre Kunden und sich selbst «Mehr-Wert» schaffen können.

Vor der Herausforderung, das eigene Geschäftsmodell zu überdenken und sich mit dem bestehenden Führungsteam neu zu positionieren, stand auch die Buchbinderei Burkhardt mit Sitz in Mönchaltorf (ZH). Ende 2013 trat Christian Burkhardt beim traditionsreichen, 1941 von seinem Grossvater gegründeten KMU in die operative Geschäftsleitung ein. Gemeinsam mit Co-Geschäftsführer Thomas Freitag und seinem Vater, Hans Burkhardt, leitete er die formelle Eigentumsübernahme des Unternehmens mit rund 120 Mitarbeitern ein. «Bereits bei meinem Antritt war klar, dass unser Markt unter massivem Druck stand. Ich erwartete eine weitere Konsolidierung, und es erstaunt mich nicht, dass es im traditionellen Bereich heute nur noch drei vergleichbare Betriebe in der Schweiz gibt», so der neue Co-Geschäftsführer.

«Digitalisierung, internationaler Wettbewerb und der Trend zu kleineren Auflagen führten zu Margenerosion im Stammgeschäft. Gleichzeitig verschärfte sich der Wettbewerb in der Fotobuchproduktion, dem zweiten Geschäftszweig. Fragen stellten sich auch in Bezug auf die exklusive Handbuchbinderei. Welche Rolle soll ihr künftig zukommen? Das  bisherige Geschäftsmodell als industrieller Zulieferer von Druckereien wurde über die Jahre aufgeweicht, und wir mussten unsere Wertschöpfungskette hinterfragen: Was wollten wir in Zukunft wo und wie machen? Im Managementteam waren wir gefordert, das Unternehmen neu zu positionieren. Dabei war mir aber immer wichtig, dass alles mit Augenmass, unternehmerischer Verantwortung und Geduld geschieht», sagt Christian Burkhardt.

Wandel als Chance

Die Buchbinderei Burkhardt begriff die Situation als Chance. In Begleitung des Center for Innovation and Entrepreneurship der ZHAW School of Management and Law initiierte sie den notwendigen Strategie- und Wandelprozess, um die Geschäftsstrukturen neu auszurichten. Burkhardt: «Mit der industriellen Binderei, der Fotobuchproduktion als Online-Geschäft sowie der Handbuchbinderei betrieben wir drei weitgehend unabhängige Geschäftsmodelle, was sich in der Organisationsstruktur und -kultur widerspiegelte. Jeder Bereich verfügte über eigene Produktlinien, Produktionsprozesse, personelle und materielle Ressourcen sowie kulturelle Eigenheiten. Wir mussten uns aber zum veränderten Markt sowie zu den individuellen Kundenerwartungen und -erlebnissen hinbewegen.»

Das Unternehmen überführte deshalb die drei Geschäftsbereiche in ein integriertes Geschäftsmodell. So kann der Kunde von den Möglichkeiten, Kompetenzen und Stärken aller drei Bereiche profitieren, ohne bewusst wahrzunehmen, ob sein Produkt industriell, digital oder manuell entwickelt wurde. «Ihm spielt es ja keine Rolle, wie wir sein Produkt herstellen», sagt Christian Burkhardt. «Hingegen erlaubt uns das integrierte Geschäftsmodell, viel wertschöpfender zu arbeiten. Heute bieten wir schnell und preiswert hoch individualisierte Buchprodukte an. Dies verschafft uns entscheidende Vorteile im Markt: Kein Wettbewerber bietet hochwertige ledergebundene Fotobücher oder Grossauflagen mit einem vergleichbaren Individualisierungsgrad an. Das integrierte marktorientierte Geschäftsmodell war unsere Antwort auf die sich zu­nehmend auflösende Wertschöpfungskette unserer Branche.»

Erfolgsfaktor Leadership

Damit das neue Geschäftsmodell erfolgreich umgesetzt werden konnte, mussten die traditionelle Kultur und die damit verbundenen Werte neu ausgerichtet werden. Der Wandel verlangte von allen Beteiligten eine hohe Veränderungsbereitschaft. Diese Ausgangslage ist bei vielen KMU in der Schweiz ähnlich. Deshalb sind Führungskräfte gefragt, welche sowohl die konzeptionelle und strategische Entwicklung von neuen Geschäftsmodellen beherrschen als auch deren zielgerichtete Umsetzung durch innovationsgerichtete Führung. Eine grosse Bedeutung haben dabei die «Soft Factors», weil verdeckte Widerstände von Mitarbeitenden sowie Führungskräften die Umsetzung blockieren können.

Ein wichtiger Faktor zum Erfolg ist die möglichst frühzeitige Einbindung der wichtigsten Entscheidungsträger sowie der Mitarbeitenden. Sie müssen verstehen, weshalb die Veränderung notwendig ist und welche Auswirkungen sie hat. Je umfassender der Wandel, desto wichtiger die interne Kommunikation. Eine offene, glaubwürdige Information sorgt für das notwendige Vertrauen und zeigt frühzeitig Handlungsbedarf sowie mögliche Widerstände auf. Gleichzeitig tragen die Mitarbeitenden mit ihrem Fachwissen und ihren Erfahrungen wesentlich zum Erfolg bei. Insbesondere Nachfolger, die erfolgreiche Patrons ablösen, sind auf die Informationen der Mitarbeitenden angewiesen, um den Innovationsprozess erfolgreich zu führen. Das war auch bei Christian Burkhardt so, wie er bestätigt: «Ich musste mit den Leuten sprechen, um zu verstehen, wo wir wirklich stehen.»

Notwendige Glaubwürdigkeit

Die Buchbinderei war geprägt von zwei nicht integrierten Geschäftsmodellen: der Produktionslogik in der Manufaktur sowie der digitalen Produktion in der Bookfactory. Das neue Geschäftsmodell setzt auf eine Integration der Prozesse und stellt den Kunden in den Mittelpunkt. Damit diese fundamentale Veränderung erfolgreich umgesetzt werden konnte, brauchte es prozessübergreifendes, integriertes Denken und Handeln. Diese Forderung ist mit einer Verhaltensänderung aller Beteiligten verbunden. «Wir mussten das traditionell gewachsene Silo-Denken aufbrechen. Deshalb versuche ich zu integrieren, zu koordinieren und konsensorientierte Entscheidungen herbeizuführen», beschreibt Christian Burkhardt seine Rolle. Das Führungsverhalten muss kongruent sein mit den Prinzipien des neuen integrierten Geschäftsmodells. Nur so wird Orientierung während der Transformation ermöglicht.

Zudem sollte sich das Management frühzeitig mit der Frage auseinandersetzen, welche Fähigkeiten zur Beherrschung der neuen Geschäftsprozesse notwendig sind und wie diese bereitgestellt werden können. Eine allfällige Anpassung der Fähigkeiten der Mitarbeitenden will geplant werden und braucht in der Regel Zeit. Diese Aufgabe kann die Führung nicht delegieren, weil sie direkten Einfluss auf den Erfolg der Unternehmensstrategie und damit auf die Kundenzufriedenheit hat. Dies war auch dem Management der Buchbinderei Burkhardt bewusst: «Kompetenzen und Anforderungen haben sich massiv gewandelt, wir müssen uns alle verändern, um erfolgreich zu bleiben.»

Werte vorleben

Damit dies erfolgreich umgesetzt werden kann, braucht es ein glaubwürdiges Management, das während dem Veränderungsprozess die Ziele und Sinnhaftigkeit der Transformation aufzeigt sowie  die entsprechenden Werte vorlebt. Diese neue Führungs- und Kommunikationskultur sollte sich auch in der Beziehung zu den Kunden und anderen wichtigen Stakeholdern zeigen. Deshalb entschied sich die Buchbinderei Burkhardt für ein Rebranding. Neu tritt das Unternehmen unter dem Namen Bubu sowie mit dem Claim «wir binden» auf. So manifestiert sich das integrierte Geschäftsmodell auch in der Kommunikation nach aussen. Die erfolgreiche Erneuerung des Geschäftsmodells erfordert einiges: Das fachliche, methodische sowie konzeptionelle Wissen kann man sich in gezielten Weiterbildungskursen aneignen. Darauf aufbauend gilt es, die Innovationsarbeit auf der strategischen Ebene systematisch und zugleich kreativ anzugehen.


Der Aufwand lohnt sich

Auch wenn dies die Aufgabe des Managements ist, müssen die wichtigsten Stakeholder frühzeitig involviert sein. Der Aufwand der Erneuerung des Geschäftsmodells darf nicht unterschätzt werden. Doch er lohnt sich, wie eine Studie der Boston Consulting Group bei über 300 Unternehmen bestätigt. Drei Jahre nach der Einführung war die Eigenkapitalrendite 6,8 Prozent höher als bei jenen Unternehmen, die sich in ihrer Innovationsarbeit ausschliesslich auf Produkte oder auf Prozesse beschränkten.

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