Forschung & Entwicklung

Ressourcenmanagement (Teil 2 von 2)

Was die respektvolle Nutzung der «Ressource Mensch» bringt

Der erste Teil dieser Serie hat aufgezeigt, wie die Schweiz es sich in einer Komfortzone gemütlich macht, in der vorhandenes Wissenspotenzial zu wenig zielführend genutzt wird und die kaum Raum lässt für notwendige sozio-ökonomische Veränderungen. Im zweiten Teil der Serie beleuchtet der Autor Lösungsmöglichkeiten der Problematik.
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Der erste Teil dieser zweiteiligen Serie hat sich mit den gesellschaftlichen und den wirtschaftlichen Herausforderungen und Problematiken sowie dem Umgang mit den Ressourcen in der Schweiz befasst. Zusammengefasst haben sich die nachstehenden Folgerungen daraus ableiten lassen:

  • Es gibt viel ungenutztes Potenzial zwischen den Generationen.
  • Die Bildungsrendite als der prozentuale Zugewinn an Arbeitseinkommen, den eine Person durch zusätzliche Bildungsmassnahmen erreicht, ist zu klein. Diese Bildungsrenditen können deutlich höher sein als die Renditen auf dem Kapitalmarkt. In der Schweiz ist nachgewiesen, dass die Bildungsren-diten bei der Berufsbildung mit Fachhochschulabschluss deutlich höher sind als bei einem Universitätsabschluss. Wir sind mit der «Pseudoakademisierung» auf dem besten Weg, die Bildungsrenditen zu schmälern.
  • Auf dem Bildungsmarkt gibt es ein Überangebot an Playern, die die Transparenz verschlechtern.
  • Es gibt zu wenig Übersicht zu den Qualifikationen, die mit Abschlüssen verbunden sind. Die Eltern kennen sich zu wenig gut aus, wenn es um die Einschätzung von Berufschancen geht; vor allem bei der Berufsbildung.
  • Fehlende Anerkennung des schweizerischen, dualen Berufsbildungssystems bei ausländischen Firmen und deren Kaderleuten.
  • Zu viele gut qualifizierte, ältere Personen werden aus dem Arbeitsprozess ausgeschlossen. Dieses Potenzial wird, wie auch bei Frauen, nicht genutzt.
  • In zu vielen HR-Abteilungen gibt es Unkenntnis oder Falschbeurteilungen im Umgang mit den bestehenden Sozialversicherungen.
  • Der Wissens- und Technologietransfer wird zu wenig genutzt. Die Innovationskraft wird durch die Unfähigkeiten bei den Umsetzungen stark geschmälert.
  • Die Folgen der Robotisierung, Automatisierung und der IT sind nicht absehbar. Wahrscheinlich muss langfristig mit einem starken «job killer»-Effekt gerechnet werden, aber auch mit Funktionen mit neuen Herausforderungen.
  • Die verinnerlichte Egomanie und das fehlende sozialpolitische Engagement sind starke Gefährdungen für den Gesellschaftsvertrag zwischen den Generationen. Die Fähigkeit, «etwas zu geben», ist stark geschwunden und hat dem Prinzip «nimm, was du kannst» Platz gemacht.
  • Wir haben als Land die Fähigkeit verloren, komplexe Probleme vorausschauend zu lösen. Die «good governance» auf Regierungsebene hat stark gelitten, weil der rasende Stillstand, in Kombination mit der Polarisierung, normal geworden ist.


Anonymisierung reduzieren

Welche Lösungsmöglichkeiten gibt es? Wir gehen davon aus, dass schon vieles getan wird. Was allenfalls fehlt, ist die Wirkung der getroffenen Massnahmen. Ein Beispiel: Seit Jahren werden in den Mittelschulen Technikwochen durchgeführt. Es gibt auch entsprechende Plattformen dazu. Trotz dieses Ansatzes ist die Bereitschaft, ein Ingenieurstudium zu ergreifen, nicht nachhaltig angewachsen. Der Mangel an Ingenieuren ist nach wie vor markant, Frauen studieren noch immer nicht Ingenieurwesen. Es bleibt das meiste so, wie es schon früher war. Die Stundenpläne an den Mittelschulen sind nach wie vor sprachlastig ausgerichtet. Die Lehrplanrevisionsmühle dreht ganz langsam. Eine leichte Zunahme der Studierenden bei Ingenieurwissenschaften kann verzeichnet werden.

Wir stellen fest, dass viele Plattformen – wofür auch immer – geschaffen werden. Die Anonymisierung der Kontaktmöglichkeiten verhindert die konkrete Auseinandersetzung mit den Berufsbildern. Wir schlagen deshalb physische Räume für Begegnungen vor.

An diesen Orten kann der Wissens- und Erfahrungsaustausch zwischen den Generationen und den Arbeitgebern stattfinden. Personen finden so eine Plattform, auf der sie ihre Dienste anbieten und interessante Wissenselemente direkt aufnehmen können.

Wenn es um Anstellungen geht, sind Spezialisten für Fragen der Arbeitslosenversicherung oder der Sozialversicherung vor Ort anwesend. Arbeitgeber und Arbeitsuchende können so vor Ort «Schnupperverträge» abschliessen und sicherstellen, dass die gesetzlichen Vorschriften eingehalten werden. Für Erwerbslose können in dieser Art produktive Arbeitseinsätze ausgelöst werden, mit geringem administrativem Aufwand und ohne Geringschätzung der Person.

Bildungsrendite steigern

Die Bildungsrendite verbessern. Dies kann so geschehen, dass die vorhandenen Kompetenzen auf einer Plattform abgeglichen werden können. Berufslehreabsolventen lassen von ihrem Lehrmeister die erlangten Kompetenzen bestätigen. Diese können im Markt oder in der Branche angesehen werden. Damit ergibt sich eine schnelle Suchmöglichkeit der Person mit den gewünschten Kompetenzen, die in einer zuverlässigen Form und nach einem vergleichbaren Standard evaluiert worden sind. Die Anzahl angehäufter Diplome und Titel, die häufig wenig über die Kompetenz aussagen, tritt deutlich in den Hintergrund, ohne deren Bedeutung abzuwerten. Die Bildungsrendite kann in jedem Einzelfall schnell gesteigert werden, weil die erworbenen Kompetenzen schnell angewendet werden sowie die Chance auf ein verbessertes Arbeitseinkommen deutlich gesteigert wird.

Was für den Einzelfall gilt, ist auch für Firmen von Bedeutung. Wenn es gelingt, die Firmen mit den Hochschulen besser zu vernetzen, dann wird auch in diesem Kontext die Bildungsrendite gesteigert. Die Firmen arbeiten in ihren Innovationsprojekten mit den Hochschulen zusammen und tauschen Wissen und Erfahrungen aus. Die Unternehmen finden die Know-­how-Träger an den Hochschulen über Netzwerke, die über die Lieferanten und Kunden hinausgehen.

Es ist bekannt, dass die intensiv vernetzten Unternehmen höhere Umsatzwachstumsraten haben als schwach vernetzte Firmen. Der Beizug der Generation 50plus stellt ein grosses Reservoir dar, welches heute zu wenig genutzt wird. Zur Verstärkung des branchenunabhängigen Wissenstransfers schlagen wir vor, dass Innovationswerkstätten eingerichtet werden, wo Angebote von Experimentiermöglichkeiten für alle Generationen zugänglich gemacht werden. Ein Nebeneffekt kann sein, dass die Wohlfahrtsökonomie in dieser Art gestärkt wird.

Bürokratie abbauen

Damit die geschilderten Ansätze umgesetzt werden können, muss die Bürokratie der Behörden reduziert werden. Anstelle von noch mehr Papierkram tritt eine Dynamisierung der Ämter für Wirtschaft und Arbeit, inklusive der regionalen Arbeitsvermittlungsstellen. Der Auftrag ist so zu definieren, dass mehr als nur Kostensparen passiert. Die Angebote der Kurse werden regelmässig aktiv hinterfragt und dann abgeschafft, wenn sie die Klienten daran hindern, im Markt Arbeit zu finden. Dadurch könnten die Stellensuchenden mit weniger Bürokratie ihre Bewerbungen machen, ohne dass sie vorher noch einen Ausbildungslehrgang absolvieren mussten.

Die Dokumentierung der Stellenbewerbungen ist zu hinterfragen und in dieser Art abzuschaffen. Nicht das Ausfüllen von Formularen wird belohnt, sondern die erfolgreiche Integration. Dies führt zu neuen Leistungsaufträgen und zu schlankerer Administration. Für jedes neue Formular werden zehn alte Formulare ausser Kraft gesetzt. Jedes Jahr – vielleicht jeweils am ersten August – werden die überzähligen Formulare dann öffentlich verbrannt.

Die Diversität ist besser zu nutzen. Es geht nicht um die Verfassung von Studien und Berichten. Eher muss das vorhandene Potenzial der verschiedenen, anwesenden Kulturen besser genutzt werden. Über die Berufschancen von jungen Menschen muss eine mehrsprachige Aufklärung der Eltern geführt werden; hier sind die Kantone ganz unterschiedlich ausgerichtet.

Berufserfolg auch ohne Uni

Die Eltern mit Immigrationshintergrund müssen die Chancen der dualen Berufsbildung realistisch einschätzen und keine Prestigefragen ableiten, wenn es das Kind nicht ins Gymnasium geschafft hat. Die Eltern müssen begreifen, dass ein Universitätsstudium für sich alleine noch keine Garantie für einen späteren Berufserfolg und für ein gutes Einkommen darstellt. Denn in der kulturellen Vielfalt des Landes sind viele Chancen begraben. Und diese vergrabenen Schätze müssen vorurteilslos ausgegraben und zur Blüte gebracht werden. Der neuste Pisatest zeigt die Schweiz im Mittelfeld, insbesondere das Textverständnis erscheint problematisch. Bei der Mathematik ist die Schweiz in den vorderen Positionen. Die Methode zur Erhebung der Ergebnisse wird nun stark in Frage gestellt. Selbst wenn Leistungstests mit Recht als problematisch gelten können, muss man sich als Aussenstehender fragen, warum die Schweiz da noch mitmacht und Millionen investiert. Im gleichen Umfeld wird immer noch um die Einführung des Lehrplans 21 gestritten; einige Kantone wollen ihn, andere nicht. Dies obwohl die Kompetenzen ins Zentrum gerückt sind. Auch da, es lebe der Stillstand.

Werte vermitteln

Bei der Erziehung in den Schulen müssen Werte, welche die Solidarität, die Rücksichtnahme, die Integrität und die Kooperation betonen, vermittelt werden. Diese Wertevermittlung beginnt in der vierten Klasse und endet in den Gymnasien, Berufs- und Berufsmittelschulen. Ergebnis könnte sein, dass die Egomanie weniger betont und der Stellenwert der Individualität erkannt wird. Weiter wird die Bedeutung des Gebens erkannt, die Zusammenhänge auf der gesellschaftlichen Ebene sind erläutert und führen zu einem besseren Verständnis zwischen den Generationen. Es entsteht eine «Generation Miteinander».

Dies bedeutet auch, dass die Lehrpläne diese werthaltigen Inhalte aufnehmen, zu Lasten von noch mehr spezifischen Fächern mit noch mehr Theorie. Es ist erwiesen, dass die Förderung sozialer Kompetenz zu besseren Leistungen führt, selbst dann, wenn der Intelligenzquotient einer Person vergleichbar niedriger ist. Die Lernfähigkeit steht im Zentrum. Diese öffnet, über die permanente Weiterbildung, auch die Bereitschaft, neue Herausforderungen in neuen Berufen anzunehmen. Der Fachkräftemangel muss mit der Nutzung der Potenziale der Generation 50plus und der Frauen angegangen werden. Auf die politischen Auseinandersetzungen und Ergebnisse kann nicht gewartet werden.

Hier findet das Theaterstück «Warten auf Godot» statt, der auch nicht in Erscheinung getreten ist. Kampagnen wie etwa: www.berufsbildungplus.ch müssen weiter gefördert werden. Es geht um die bessere Aufklärung und die «Normalisierung» bei der Akademisierung der Bildungsszene. Der Abschluss mit einer Matura muss wieder den Stellenwert haben, an die Universität zu gehen und dort ein Studium in der kürzestmöglichen Zeit abzuschliessen. Dies alles ohne bürokratischen Kram. Eine Ausbildung zur Kindergärtnerin oder zur Kindergartenschullehrperson braucht keine Maturität, schon eher das Interes­se für Pädagogik sowie einen guten Zugang zu Kindern.

Der Einsatz von älteren Menschen – zum Beispiel die Generation 50plus – muss gefördert werden. In Schulen, Kinderhorten, Altersheimen und noch vielem mehr gibt es viele Möglichkeiten für deren Einsatz. Diplome braucht es dafür keine, schon eher Lebenserfahrung. Diese Einsätze können mit Gutschriften für die eigene, spätere Altersbetreuung verrechnet werden, ohne Bürokratie. Die Möglichkeiten der Selbstorganisation sind anzusprechen.

Gerade die älteren Menschen, ab 65 Jahren, müssten aber im Gegenzug von ihren Egotrips wegkommen und sich vermehrt in den Dienst der Gesellschaft stellen. Eine Runde auf dem Golfplatz oder eine Mittelmehrfahrt würde immer noch möglich sein. Wie wäre es in diesem Zusammenhang, wenn zum Beispiel die Arbeitslosenversicherung teilprivatisiert wird. Ein politscher Vorstoss auf Ebene des Bundes würde hierfür nicht schaden. Die Chance mit einer Teilprivatisierung ist gross, dass gerade die 50plus nicht mehr so lange arbeitslos sein müssten, wie dies heute der Fall ist.

Die Fähigkeit, komplexe Probleme zu lösen, ist ein weiteres, wichtiges Anliegen. Dieses Unvermögen zeigt sich vor allem in der Politik, aber auch in Firmen. Damit diese Verbesserung gelingen kann, muss das ganzheitlich-vernetzte Denken und Handeln ins Zentrum gerückt werden. Die Ganzheitlichkeit betont die Übersicht bei mehrteiligen Situationen und die Vernetzung betont die wechselseitigen Abhängigkeiten. Dazu gibt es eine Reihe von bekannten Methoden und Techniken, die aber viel zu wenig oft eingesetzt werden.

Mit den Methoden und den Techniken allein funktioniert die Verbesserung der komplexen Lösung von Problemen aber leider nicht. Es braucht dazu noch ein anderes, ein wertschätzendes Kommunikationsverständnis: Die allgemeine Einsicht, dass es eine kollektive Intelligenz gibt und damit verbunden auch einen anderen Zugang zum Irrtum. Und dieser ist ferner als Chance für das Lernen zu begreifen. Mit diesen modellhaften Vorstellungen wird in Zukunft mit der starken Betonung des analytischen und linearen Denkens, in Verbindung mit der Unfähigkeit, zu den gemachten Fehlern zu stehen, gebrochen. Das Berufsbild des «science fiction managers» könnte künftig für die Verbreitung des neuen Denkens und Handens helfen.

Kodex statt Regelflut

Die Grundstufe der Ausbildung zum Lösen komplexer Probleme beginnt stufengerecht in der Schule und setzt sich bis zum Ende der Ausbildung fort. In den Firmen wird die Fähigkeit zur Lösung komplexer Probleme mit der Führungsfähigkeit verbunden. Im Zentrum stehen Fähigkeiten wie die Durchführung ei­ner gerechten Beurteilung der Leistung sowie die zielorientierte Förderung der Mitarbeitenden. Für die Unternehmung wird ein «Human-Resources-Kodex» entwickelt. Dieser ist Teil der «good governance» und trägt dazu bei, dass nicht tausende von Seiten geschrieben, aber nie umgesetzt werden. Auch mit mehrseitigen Abhandlungen über die Rechtfertigung der Millionensaläre von Ma­nagern kann die Glaubwürdigkeit der Salärpolitik auf der Ebene der Mitarbeitenden nie erreicht werden.

Schon Emile Durkheim, der Erfinder der Soziologie, hat 1895 festgehalten, dass Ideen, Verhaltensweisen, Auffassungen im Volk nicht mit ein bisschen Seelenmassage verändert werden können. Das moderne Management geht aber genau in die falsche Richtung. Je mehr Studierte im Management sitzen, desto mehr Papiere werden produziert, die nicht den grösseren Wert als die verbrauchte Druckerschwärze haben.

Regeln umsetzen

Im «Human-Resources-Kodex» müssten die folgenden Themen geregelt und umgesetzt sein: die Gleichstellung von Männern und Frauen bis hin zur Lohnfindung, BVG-Möglichkeiten bei der Anstellung der Generation 50plus, die Freiwilligenarbeit sowie das Engagement für die Öffentlichkeit, die Mobilität und das Homeoffice, die Führungsqualität, die Nutzung der So­cial Me­dia für den Abgleich und den Austausch von Kompetenzen, von Wertschätzung statt Geringschätzung, Wissens- sowie Technologietransfer zwischen den Mitarbeitenden sowie den Hochschulen, die «Generation Miteinander», die Werte in der Gesellschaft und Firma und so weiter. Dieser Kodex ist jeweils firmenspezifisch angelegt und ersetzt die Dokumente, die bisher im Gebrauch waren.

Ressourcen respektvoll nutzen

Zum Abschluss hier noch eine vorläufige Aufzählung der möglichen Wirkungen: Die Wertschätzung für die Erwerbslosen steigt, das Wissens- und das Erfahrungspotenzial wird besser genutzt, es werden die So­zialwerke entlastet, die Bildungsrendite wird gesteigert, es können dadurch Vorteile im Standortwettbewerb genutzt werden, es entsteht ein neuer ethischer Rahmen zwischen den Generationen im Sinne eines «Imperativs der Generationen», volks- und betriebswirtschaftliche Reibungen werden reduziert, ebenso die Bürokratie, weiter verbessern sich die politischen Rahmenbedingungen, die Altersdiskriminierung sinkt, die Freiwilligenarbeit wird unterstützt und gestärkt, wie auch die Innovationskraft und die Wettbewerbsfähigkeit, das Ideenmanagement sowie die Verinnerlichung des lebenslangen Lernens.

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