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Warum alle KMU eine digitale Strategie brauchen

Viele KMU sehen sich zunehmend mit der Herausforderung konfrontiert, digitale Aktivitäten zu starten, um Kunden zu erreichen und mit den Mitbewerbern gleichzuziehen. Welche Aktivitäten passen zum bestehenden Geschäftsmodell? Und wie können dadurch die Produkte aufgewertet oder die Beziehungen zu den Kunden verbessert werden?
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Die vielen neuen Möglichkeiten für Unternehmen durch die digitalen Technologien erscheinen heute geradezu grenzenlos. Insbesondere im Spannungsfeld der Onlinekommunikation und von «Big Data» werden immerfort neue, noch leistungsfähigere Lösungen und Plattformen am Markt angeboten.

Bedrohungen neuer Anbieter

Gleichzeitig wächst für die etablierten kleinen und mittelgrossen Unternehmen der Druck, da immer mehr wandlungsfähigere und technologieintensive Un-ternehmen auch in traditionellen Märkten wie beispielsweise im Handel oder in der Finanzdienstleistung Fuss fassen. Die neuen Technologien ermöglichen es diesen Anbietern, schneller und kosteneffizienter an den Markt zu gehen.

Daraus resultieren neue innovative Geschäftsmodelle, welche traditionell aufgestellten Unternehmen zur Bedrohung werden. Meistens spezialisieren sich branchenfremde Wettbewerber auf einen Teil des Geschäftsmodells traditioneller KMU. Auf diese Weise können Leistungen effizienter, besser oder günstiger angeboten werden, was vom Kunden als echter Nutzen wahrgenommen wird.

Im Bereich der Finanzdienstleistungen beispielsweise erbringen neue, branchenfremde IT-nahe Unternehmen kunden-orientierte Services (zum Beispiel bei der Zahlungsabwicklung oder der Kreditvergabe), die bis dahin nur durch Banken erbracht wurden. Die Geschäftsmodelle dieser Seiteneinsteiger in die Branche sind so gestaltet, dass sie keine Bankenlizenz für ihre Aktivitäten benötigen und dadurch auch lange nicht von den Banken als Wettbewerber wahrgenommen wurden. Banken stehen heute jedoch im Wettbewerb mit jungen Unternehmen wie «Paypal» oder «ClickandBuy», die kundenfreundliche Zahlungsabwicklungen anbieten. Aber auch etablierte Unternehmen wie etwa Apple greifen mit neuen Zahlungsmechanismen (zum Beispiel Applepay) in das Kerngeschäft der Banken ein.

Auch der stationäre Detailhandel ist mit ansteigendem Wettbewerb durch digitale Geschäftsmodelle konfrontiert. Viele KMU erleben, dass sich potenzielle Kunden im eigenen Laden vom Fachpersonal beraten lassen, ihren Kauf dann aber später über einen Onlinehändler abwickeln.

Früher erschien der Onlinehandel aufgrund von Faktoren wie fehlender Beratung, langen Lieferzeiten, zusätzlichen Kosten bei der Rücksendung und komplizierten Zahlungsabwicklungen gegenüber dem stationären Handel nur wenig attraktiv. Diese Schwachstellen werden jedoch auch zunehmend beseitigt. Onlineversandhäuser verfügen über ein grosses Produktangebot und mit Unternehmen wie zum Beispiel Outfittery oder Modomoto haben sich innovative Geschäftsmodelle am Markt etabliert, welche die Bedürfnisse, den Stil und die Eigenschaften der Kunden erfassen, analysieren und daraus massgeschneiderte Produktkombinationen zusammenstellen. Auch die Supermärkte und die Lebensmittelhändler erfahren einen neuen Wettbewerb durch Onlineversandhäuser. Branchenfremde IT-Mischkonzerne wie zum Beispiel Amazon, eBay oder Google steigen mit neuen Logistiklösungen in das Geschäft ein.

In diesem dynamischen Umfeld müssen kleine und mittelgrosse Unternehmen heute schauen, dass sie bestmöglich neue Chancen nutzen und sich gleichzeitig vor neuen Gefahren schützen. Dazu ist zum einen zu überlegen, inwieweit digitale Aktivitäten zum bestehenden Geschäftsmodell passen, um effektiver oder effizienter Mehrwerte zu schaffen. Zum anderen sind aber auch Bedrohungen durch disruptive Entwicklungen, neue Wettbewerber und deren Leistungen einzubeziehen. Auf dieser Grundlage muss entschieden werden, inwieweit das bestehende Geschäftsmodell angepasst werden kann und soll.

Strategische Stossrichtungen

Wenn KMU Massnahmen im Bereich des digitalen Wandels erwägen, ist abzuklären, auf welche strategische Stossrichtung diese Weiterentwicklung des Geschäftsmodells überhaupt abzielen soll. In Anlehnung an die klassische Ansoff-Matrix (Ansoff 1958) können Unternehmen auch bei ihren digitalen Aktivitäten entscheiden, inwieweit neue Produkte oder neue Märkte beziehungsweise Kunden erschlossen werden sollen (Produkt- bzw. Marktentwicklungsstrategie) oder aber lediglich bei den bestehenden Geschäftsfeldern (Marktdurchdringungsstrategie) Verbesserungen erzielt werden sollen (siehe dazu die Abbildung 1).

Hier rückt eine Komponente in den Vordergrund: Die Beziehungen und Interaktionen mit potenziellen und aktuellen Kunden. Mit neuen digitalen Funktionalitäten lassen sich Kundenbeziehungen jetzt erweitern oder sogar neu definieren. Früher wurden Märkte entweder über Produktklassen (wie zum Beispiel Märkte für Kleinstwagen oder Laptops) definiert oder über Regionen. Heute erlaubt die Vielfalt an Online- und Mobil-Kanälen eine feingliedrige Mikrosegmentierung von Kundengruppen, die sich noch viel mehr an den Personeneigenschaften orientiert als an räumlichen Gegebenheiten oder Produktklassen. So ist es heute möglich, selbst für kleinste Nischenprodukte und Spezialthemen überregional (oder sogar weltweit) grosse Zahlen an potenziellen Kunden zu erreichen, indem diese über ihre jeweiligen Interessen angesprochen werden können.

Der Weg zum «Point of Sale»

Die Online- bzw. mobilen Kanäle können Funktionen übernehmen, die vorher über klassische Kommunikationskanäle umgesetzt wurden. Abbildung 2 zeigt, wie KMU bei der Anbahnung eines Neugeschäfts im B2B-Bereich vorgehen und schrittweise potenzielle Interessenten zu Kunden entwickeln. Dieses schrittweise Vorgehen fängt auf einer losen Beziehungsebene an: Der potenzielle Kunde weiss nur, dass ein Produkt beziehungsweise eine Leistung eines Unternehmens am Markt verfügbar ist, im besten Fall kennt er das Unternehmen bereits.

Die Interessenten werden dann weiterführend über entsprechende Themen informiert. Dies kann über Offlinekanäle erfolgen, zum Beispiel Messen oder klassische Printmedien, oder aber über Online-/Mobil-Kanäle wie zum Beispiel eine Suchmaschinenrecherche oder Online-Zeitschriften. Dabei müssen die Interessenten dazu bewegt werden, den nächsten Schritt aktiv zu tätigen. Über weitere Schritte werden diese dann auf eigene Kanäle geführt, zum Beispiel eine Info-Veranstaltung (offline) oder in einen eigenen Social-Media-Kanal (online /mobil) bis hin zu einem «Point of Sale». Auch der Verkaufspunkt kann offline (z. B. ein Ladengeschäft) oder online (z. B. in einem Webshop) angelegt sein.

Es zeigt sich, dass die Funktionsweise von Online-/Mobil-Aktivitäten sehr ähnlich zu Offlineaktivitäten ist und es durchaus förderlich sein kann, diese beiden Arten von Kanälen miteinander zu kombinieren («Multichannel»-Strategie). Die Online-/Mobil-Kanäle bieten folgende Vorteile gegenüber Offlinekanälen:

1. Geografische Unabhängigkeit

Sie ermöglichen grössere Unabhängigkeit von geografischen Gegebenheiten. Potenzielle Interessenten oder Kunden können überall erreicht werden und sind nur einen Click vom eigenen «Point of Sale» entfernt.

2. Hohe Skalierbarkeit

Digitale Medien erlauben es, Interaktionen umfangreich zu vervielfältigen. So macht es bei den Online- /Mobil-Kanälen (vom Aufwand her) kaum einen Unterschied, ob mit einem Adressaten oder mit Millionen kommuniziert wird.

3. Targeting

Online /Mobil-Kanäle erlauben ein umfangreiches «Targeting». So können potenzielle Kunden direkt bei ihren Interessen abgeholt werden, zum Beispiel indem Nachrichten in Kontexte bestimmter Themen eingebettet werden.

4. Schnelle Rückkanäle

Online/Mobil-Kanäle bieten schnelle sogenannte «Rückkanäle». Diese erlauben es, schnelles Feedback einzuholen oder aber (gerade bei hohen Reichweiten) experimentell zu schauen, was funktioniert und was nicht. So können schnell Reaktionen auf eigene Kommunikationsmassnahmen eingeholt und Folgemassnahmen entwickelt werden.

5. Digitale Daten

Ein weiterer Vorteil ist die automatische Erfassung aller Interaktionen in Form von digitalen Daten. Diese lassen sich umfassend analysieren. Die Ergebnisse können dann zur besseren Aussteuerung von Marketingkampagnen genutzt werden oder auch in die Produktentwicklung einfliessen.

Kommunikation über Online/Mobil-Kanäle bietet allerdings nicht nur Vorteile für KMU beim Aufbau und beim Pflegen von Beziehungen. An manchen Stellen ist eine individuelle und persönliche Ansprache von Vorteil (Daft et al. 1987). Genau diese hohe Qualität kann von besonderer Bedeutung sein. Daher gilt es – je nach Beziehungsstadium – vor allem die Vorteile der einzelnen Kanäle miteinander zu kombinieren.

Die aufgezeigten Chancen und Bedrohungen durch die Digitalisierung verdeutlichen, dass KMU nicht um eine eigene digitale Strategie herumkommen. Dazu ist zu überlegen, inwieweit mögliche digitale Aktivitäten zum bestehenden Geschäftsmodell passen, Produkte aufgewertet oder erweitert und Beziehungen zu den Kunden verbessert werden können, um auf diese Weise effektiver oder effizienter Mehrwerte zu schaffen. Zudem sind auch Bedrohungen durch neue Wettbewerber und deren Leistungen einzubeziehen. Abschliessend stellt sich die Frage, inwieweit nun das bestehende Geschäftsmodell an die neuen Gegebenheiten angepasst werden sollte.

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