Forschung & Entwicklung

Wirtschaftskriminalität

Unternehmen im Fokus von Straftätern

Jede dritte Firma ist von Kriminalität betroffen. Der dadurch entstehende Schaden beläuft sich jährlich auf mehrere 100 Millionen Franken. Dieser Beitrag zeigt auf, wie deliktische Angriffe auf Unternehmen rechtlich einzuordnen sind und warum Abwehrmechanismen Teil des Risikomanagements sein sollten.
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Unternehmen sind beliebte Ziele von deliktischen Angriffen. Dies betrifft nicht nur international tätige Grosskonzerne, sondern ebenfalls kleinere und mittlere Unternehmen. Die Gründe dafür sind mannigfaltig. Im Vordergrund dürfte stehen, dass diese teilweise über wenig effektive Kontrollmechanismen verfügen, um Regelwidrigkeiten abzuwehren und aufzuklären oder gar zu erkennen. Bei grossen Industrie- und Finanzunternehmen bestehen demgegenüber eigene Untersuchungsabteilungen, welche sich ausschliesslich mit der Abwehr und Bekämpfung von Verbrechen beschäftigen.

Deliktische Angriffe

Eindrücklich ist, dass gemäss aktuellen Zahlen jede dritte Firma von Kriminalität betroffen sein soll. Dies schreckt auf – insbesondere vor dem Hintergrund, dass dadurch Firmen im Umfang von jährlich mehreren 100 Millionen Franken geschädigt werden. Die Bedrohungslage für eine Unternehmung ist dabei unterschiedlich und variiert je nach Angriffsobjekt und Deliktsziel. Einerseits kann eine Firma durch externe Kräfte angegriffen werden, sei es nun durch Aktivitäten anderer Unternehmen oder von Einzelpersonen sowie kleinen Gruppierungen. Beachtet werden muss jedoch ebenfalls das Risiko, dass sich Mitarbeiter oder Organe der eigenen Unternehmung zu Lasten des Geschäftsvermögens bereichern, also aus dem inneren Kern einer Unternehmung heraus.

Beide Angriffsarten können eine Unternehmung in ihrer Substanz erheblich gefährden. Im Vordergrund stehen finanzielle Schäden, direkt verursacht durch die strafbaren Handlungen. Bei medialer Exponierung stellt sich zudem unweigerlich die Frage nach der Auswirkung auf die Reputation einer Firma; negative Presse ist schädlich für den Ruf und wird sich in den Umsatzzahlen und dem Börsenkurs einer Unternehmung niederschlagen.

Betrug und Veruntreuung

Kriminelle können bei ihrem Handeln eine Vielzahl von Straftatbeständen erfüllen. Vermehrt medial bekannt wurden in den letzten Jahren Know-how-Diebstähle zur Förderung von Konkurrenzfirmen oder illegaler Transfer von Bankkundendaten an Behörden. Regelmässig erwähnt werden auch Sachverhalte, in welchen sich Mitarbeiter korrumpieren lassen. Dieses Phänomen ist jedoch bei weitem nicht nur auf die Privatwirtschaft beschränkt. Gerade im Bereich der öffentlichen Verwaltung sorgen Bestechungsskandale immer wieder für Schlagzeilen, wobei es um erhebliche inkriminierte Gelder gehen kann, zu Lasten des Steuerzahlers. Nach wie vor äusserst bedeutend sind betrügerische Attacken auf Unternehmen sowie die treuwidrige Verwaltung von Geschäftsvermögen.

Vermischung von Firmen­vermögen mit Eigeninteressen

Gemäss dem Veruntreuungsstrafbestand des Strafgesetzbuches (StGB, Artikel 138) wird bestraft, wer ihm anvertraute Vermögenswerte unrechtmässig verwendet. Der Täter will einen Vorteil erlangen, der ihm nicht zusteht. Es kann um Handlungen gehen, bei welchen Mitarbeiter oder Organe einer Unternehmung firmeneigene Vermögenswerte als eigene Gelder verwenden. Der Täter handelt entgegen seinen Treuepflichten, welche er gegenüber seinem Auftraggeber einzuhalten hätte. Er wäre verpflichtet, ihm anvertraute Gelder wie vertraglich vereinbart zu verwalten oder ordnungsgemäss weiterzugeben, benutzt diese jedoch zweckwidrig. Im klassischen Fall für eigene Interessen.

Mit der Veruntreuung verwandt ist die ungetreue Geschäftsbesorgung (Artikel 158 des Strafgesetzbuches). Es wird bestraft, wer ein Vermögen verwalten oder beaufsichtigen muss und dabei seine Pflichten verletzt, so dass bei der Unternehmung ein Vermögensschaden entsteht. Auch hier kann es darum gehen, dass die Gelder einer Firma vertragswidrig verwendet werden. Veruntreuung und ungetreue Geschäftsbesorgung können im Überschneidungsbereich beide erfüllt sein, wobei gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung in solchen Fällen eine Verurteilung wegen Veruntreuung vorgeht und die ungetreue Geschäftsbesorgung als konsumiert gilt.

Den Vermögensdelikten ist eigen, dass diese nur vorsätzlich begangen werden können, also mit dem Willen eines Täters zu delinquieren. Ein fahrlässig begangener Betrug existiert nicht. Es genügt jedoch, wenn ein Täter in Kauf nimmt, widerrechtlich zu handeln (so genannter Eventualvorsatz). Die Grenzlinie zur Fahrlässigkeit – und damit Straflosigkeit – ist manchmal dünn, wobei die Staatsanwälte die Böswilligkeit der Tat beweisen müssen.

Der Gesetzgeber hat den Straftatbestand der Veruntreuung als Verbrechen ausgestaltet, bei Verurteilung drohen Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe in entsprechender Höhe. Auf Wirtschaftsdelikte spezialisierte Staatsanwaltschaften verfolgen diese Taten regelmässig mit harter Hand, wobei komplexere Verfahren bis zum Abschluss oft jahrelang andauern können. Danach folgt die Fallbeurteilung auf Stufe der Gerichte. Der Rechtsmittelweg zieht sich über Bezirksgericht, Obergericht bis hin zum Bundesgericht und gegebenenfalls an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg.

In einfacheren Praxisfällen handelt es sich bei Veruntreuungssachverhalten um Mitarbeiter, welche Gelder aus der Ladenkasse stehlen, oder solche, die Trinkgelder nicht wie vereinbart in die gemeinsame Kasse abliefern. Es besteht eine Verhaltenspflicht eines Mitarbeiters und dieser entscheidet sich bewusst gegen die Einhaltung derselben, um sich oder einen Kollegen zu bereichern.

Heikle Abgrenzungsfragen stellen sich im Umfeld von Einmann-AGs. Diese verfügen über eine eigene Rechtspersönlichkeit und eine vom Alleinaktionär unabhängige Rechtstellung. Charakteristisch ist, dass nur ein einziger Aktionär existiert, welcher gleichzeitig einziger Verwaltungsrat und Generalversammlung in einer Person verkörpert. Häufig ist er ebenfalls einziger Arbeitnehmer. Die Möglichkeiten für potenzielle Interessenskonflikte und Insich-Geschäfte sind systemimmanent und vorprogrammiert. Trotz allem, ein Verwaltungsrat muss die Interessen der Einmann-AG und nicht primär diejenigen des Aktionärs wahren.

Diese Interessen können kongruent sein, in Einzelsituationen jedoch auch aus­einanderdriften. Besondere Vorsicht ist geboten. Aus Sicht des erfolgreichen Einzelunternehmers ist die Anerkennung der eigenen Rechtseinheit der Aktiengesellschaft nicht immer einfach, schliesslich hat er diese aufgebaut, mit seinem Vermögen und ununterbrochenen persönlichen Einsatz. Gerade im Verlauf der Zeit kann der Allein-Aktionär versucht sein, Firmenvermögen wie das eigene zu behandeln – gedanklich vermischen sich die unterschiedlichen Rechtspersonen. Die gesetzlich geforderte scharfe Abgrenzung zwischen AG und Alleinaktionär beginnt sich aufzulösen.

Nebst gravierenden zivilrechtlichen Fragestellungen kann dies ebenfalls strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Dies insbesondere in Fällen, bei denen sich ein Alleinaktionär am Firmenkonto wie an einem Privatkonto bedient. Eine solche Entwicklung beginnt in der Praxis meist schleichend und kann in totaler Vermischung der Geschäfts- und Privatinteressen enden.

Das fällt gerade im Konkurs einer Einmann-AG auf, wenn Gläubiger nicht mehr bedient werden können und die Vermögenssituation im Rahmen eines Konkursverfahrens analysiert wird. Auch hier kommen die Strafverfolgungsbehörden zum Zug. Sie werden sich dann ebenfalls auf die Ermittlung von Konkursdelikten konzentrieren.

Täuschung von Unternehmen durch Mitarbeiter und Dritte

Beim Betrug (Artikel 146 Strafgesetzbuch) täuscht ein Täter ein Opfer zu dessen finanziellem Nachteil. Als solche kommen durchwegs auch Unternehmen in Frage. Der Tatbestand des Betrugs ist rechtlich nicht immer einfach einzuordnen und wird international unterschiedlich gehandhabt. Zur Erfüllung des Betrugstatbestandes setzt das Bundesgericht voraus, dass ein Täter arglistig täuscht. Dazu ist notwendig, dass dieser ein ganzes Lügengebäude erstellt oder sich besonders täuschender Machenschaften bedient – eine simple Lüge genügt für Strafbarkeit nicht; wenn ein Geschädigter angesichts der Umstände den Betrug hätte entdecken können, wird dieser strafrechtlich nicht geschützt.

Gerade zur Frage, ob sich getäuschte Opfer Naivität vorwerfen lassen müssen, unterscheidet sich die schweizerische Gesetzgebung von anderen Ländern. Hier werden bezüglich Vorsichtsmassnahmen gegenüber betrügerischen Angriffen hohe Anforderungen an Geschädigte gestellt. Diese müssen ihnen zumutbare Massnahmen zur Gefahrenabwehr ergreifen. Ansonsten gehen Gerichte regelmässig davon aus, dass kein Betrugsdelikt vorliegt, was mit dem Prinzip der Selbstverantwortung von Geschädigten begründet wird.

Ein KMU kann durch interne und externe Angriffe von Betrug bedroht sein. Intern dürften betrügerische Handlungen hauptsächlich durch Mitarbeiter verübt werden, welche so zu ungebührlichen finanziellen Vorteilen kommen wollen. Zu denken ist an den Spesenbetrug, bei welchem Mitarbeiter auf illegale Weise einen Lohnzustupf erreichen möchten: Ein Geschäftsführer einer mittelgrossen Unternehmung reicht Belege als Firmenspesen bei der Finanzabteilung zur Rückerstattung ein. Tatsächlich handelt es sich jedoch um Privatausgaben, für welche die Firma nicht aufkommen muss.

Die Abgrenzung zwischen nachlässiger Unvorsichtigkeit und kalkuliertem Verhalten kann hier schwierig sein. Im Kern steht wiederum die Frage des Vorsatzes. Wie ist zu entscheiden, wenn ein Geschäftsführer seine Ferienabrechnungen transparent an die Finanzabteilung weiterleitet und diese die Ausgaben nach Prüfung der Rechnung sogar zur Spesenrückzahlung bewilligt?

Es ist im Einzelfall zu entscheiden, was die tatsächlichen Absichten des Mitarbeiters waren und ob man sich auf die gründliche Prüfung der Controller verlassen durfte. Andererseits dürfte der Vorsatz erstellt sein, wenn bei der Finanzkontrolle gefälschte Abrechnungen zum Erhalt von Spesenrückerstattungen eingereicht werden. In solchen Fällen können sich die Ermittlungen ebenfalls auf Betrug am Unternehmen und Urkundenfälschung ausdehnen.

Bedeutsam ist auch der betrügerische Angriff auf eine Unternehmung von ausserhalb. Geschäftsführer sind häufig mit Abnehmern oder Auftraggebern konfrontiert, welche für Leistungen nicht oder nicht rechtzeitig bezahlen wollen. Selbstverständlich stehen dem Leistungserbringer sämtliche zivilrechtlichen Rechtsbehelfe zur Verfügung, um entsprechende Zahlungen zu erzwingen. Sei es nun eine Forderungsklage, Schuldbetreibung oder Ähnliches. Es stellt sich dabei zudem die Frage, ob eine Zahlungsverweigerung strafbar ist.

Die Strafanzeige kann einerseits zur Unterstreichung der zivilrechtlichen Vorgehensweise benutzt werden. Dies ist zulässig, solange tatsächlich ein Verdacht für strafbares Handeln vorliegt. Wie sieht es jedoch aus, wenn ein Auftraggeber gar nie den Willen hatte, rechtzeitig oder überhaupt (vollständig) zu bezahlen? Ein solches Verhalten kann den Tatbestand des Betrugs erfüllen.

Das Bundesgericht hält in ständiger Rechtsprechung fest, dass sich wegen Betrugs strafbar machen kann, wer über so genannte innere Tatsachen täuscht, also über seinen schon bei Vertragsschluss fehlenden Zahlungswillen. So darf sich ein Hotelier darauf verlassen, dass wer eine Übernachtung in seinem Hotel bucht, auch gewillt und in der Lage ist, die Rechnung dafür zu bezahlen.

Wer einen Vertrag eingeht, bekundet seinen Erfüllungswillen. Praxisrelevant ist hier auch das Beispiel in der Baubranche: Wer eine Baufirma mit Werkarbeiten beauftragt, muss sich an die vertraglich vereinbarten Bedingungen halten. Wenn nach korrektem Abschluss der Arbeiten die Bezahlung ohne Grund verweigert wird, stellt sich die Frage, ob überhaupt jemals ein Zahlungswille bestanden hat. Falls das Gegenteil bewiesen wird, fällt eine Strafbarkeit wegen Betrugs in Betracht. In diesem Fall hat der Auftraggeber die Baufirma über seinen Zahlungswillen (oder überhaupt über seine Zahlungs­fähigkeit) getäuscht und dadurch den entsprechenden Schaden betrügerisch verursacht.

Abwehrdispositiv entwickeln

Die Aufdeckung von Regelwidrigkeiten dient der Sicherung des einwandfreien Funktionierens des Geschäftsablaufs. Die langfristige Kontinuität der Geschäftsentwicklung und eine positive Unternehmenskultur können so sichergestellt werden. Die repressive Vorgehensweise, also die Sanktionierung von Fehlbaren, beinhaltet damit ebenfalls präventive Gesichtspunkte.

In strategischer Hinsicht ist zu entscheiden, ob die Unternehmung die ermittelten Pflichtwidrigkeiten selbst (zumeist zivilrechtlich) sanktionieren oder staatliche Behörden einschalten will. Um diese Frage zu beantworten, sind im Einzelfall strategische und rechtliche Erwägungen zu tätigen und es ist im Rahmen der Risikoeinschätzung eine Gesamtbeurteilung vorzunehmen. Beachtet werden sollte dabei, dass auf den ersten Blick ermittelte vernachlässigbare Pflichtverstösse häufig nur die Spitze des Eisbergs darstellen. Ein verhältnismässig geringfügiger Spesenmissbrauch kann sich bei genauerem Hinschauen als weit umfangreicher entpuppen.

Die Entwicklung eines Abwehrdispositivs gehört damit zum Standard eines ausgereiften Risikomanagements. Strafverfahren können ein Unternehmen nachhaltig beschäftigen oder sogar jahrelang in der wirtschaftlichen Entwicklung beeinträchtigen.

Man denke nur an in Strafverfahren beschlagnahmte Geschäftsunterlagen, welche der Unternehmung nicht mehr zur Verfügung stehen, oder andauernde und zeitintensive Behördenkontakte, mit Folgekosten für Rechtskonsulenten. Die Involvierung von Mitarbeitern in Straf­verfahren, sei es als Beschuldigte oder Zeugen, schlägt sich zudem unmittelbar in der Mitarbeitermotivation und Unternehmenskultur nieder.

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