Forschung & Entwicklung

Blick aus der Wissenschaft

Transformation – was wir nicht wollen

Es braucht ein neues Denken über unternehmerische Transformation. Denn der Charakter der Veränderungen hat sich seinerseits verändert.
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Es braucht ein neues Denken über unternehmerische Transformation. Denn der Charakter der Veränderungen, die auf Unternehmen wirken, hat sich seinerseits verändert.

In den beiden zurückliegenden Dekaden erschien folgende Aussage unhinterfragt: Um auch in Zukunft unternehmerisch erfolgreich zu sein, müssen Unternehmen sich stets neu erfinden. Unternehmen müssen sich – so das Mantra – also kontinuierlich auch radikal verändern, um in einem sich rapide verändernden Marktumfeld konkurrenzfähig zu bleiben. Worte wie Transformation und Disruption standen deshalb hoch im Kurs – bis heute. Einerseits ist der Fokus auf die Transformation von Unternehmen und Geschäftsmodellen nach wie vor gerechtfertigt und notwendig für eine zukunftsgerichtete Unternehmensführung. Denn wir leben ohne Zweifel in einer Zeit grosser Veränderungen. Andererseits muss gute Unternehmensführung das bisherige Transformationsdenken aber neu und kritisch hinter­fragen. «Je mehr Transformation, Disruption und Innovation, desto besser» – mit dieser Haltung werden Unternehmen ausbrennen. Es braucht ein neues Denken über unternehmerische Transformation in unserer neuen Zeit.

Veränderungen folgen weniger ökonomischen als politischen und gesellschaftlichen Logiken

Dieses neue Denken über unternehme­rische Transformation braucht es, weil sich der Charakter der Veränderungen, die auf Unternehmen wirken, ihrerseits verändert hat. Fareed Zakaria, ameri­kanischer Geopolitik- und Ökonomieexperte, sprach Anfang Mai 2022 in einem Interview mit der französischen ­Zeitung «Le Monde» von einem Ende der bisherigen Dominanz des Ökonomischen, zugunsten einer neuen Dominanz des Politischen. Er stellt mit diesem Gedanken fest, dass nun international grosse Ver­änderungen stattfinden, auch wenn diese ökonomisch eventuell sogar schaden. Dies sei neu; in den letzten beiden Dekaden seien politische Entscheide vor allem zugunsten ökonomischen Wachstums gefällt worden, das ökonomische Denken war also dominant auch bei politischen und gesellschaftlichen Entscheidungsfindungen. Mit der Rückkehr des Kriegs in Europa, der erneuten Blockbildung von West versus Ost, aber auch als Folge der Bewältigung der gesundheitlichen Herausforderungen der Coronapandemie, ändere sich dies nun. Die grossen Ver­änderungen sind heute wieder Folge von politischen und gesellschaftlichen Entscheiden, die das Ökonomische oftmals zurückstellen. Damit verändert sich der Charakter der Veränderungen, die auf das unternehmerische Umfeld wirken; denn diese Veränderungen folgen nun weniger ökonomischen als politischen und gesellschaftlichen Logiken. Und weil diese Veränderungen nun weniger ökonomischen Logiken folgen, muss sich wiederum als Folge das Denken über unternehmerische Veränderung und Transformation verändern.

Einflussfaktoren bei Transformationsvorhaben

Das unternehmerische Umfeld verändert sich also neu wieder stärker nicht als Folge ökonomischer Logiken, sondern als Folge von politisch und gesellschaftlich begründeten Entscheiden. Damit gilt natürlich weiterhin, dass unternehmerische Transformation auch in Zukunft notwendig sein wird; denn grosse Veränderungen finden ja wie zuvor beschrieben nach wie vor statt. Jedoch wird es als Folge der grösseren Abwesenheit ökonomischer Logiken im Rahmen dieser Makro-Veränderungen nötig sein, unternehmerisch reaktiver und werterhal­ten­der zu agieren als bisher. Hiermit meine ich eine grössere Berücksichtigung von (a) Emergenz; von (b) Ambidextrie; und von (c) Unveränderbarem anlässlich ­unternehmerischer Transformationsvorhaben. Was bedeutet dies konkret?

Emergenz: Der Emergenz-Gedanke besagt, dass Unternehmen gut beobachten und verstehen sollen, was warum im ­Unternehmen entsteht (emergiert), das heisst im Unternehmen passiert oder eben auch nicht passiert. Es geht darum zu verstehen, was warum funktioniert und wo warum ­Probleme entstehen. Es geht weiterhin darum zu evaluieren, welche Ressourcen und Potenziale im Unternehmen bereits vorhanden sind und welche fehlen. Schliesslich geht es darum zu identifizieren, welche skalierbaren neuen Lösungen gerade diejenigen bereits entwickelt haben, die am direktesten mit dem unternehmerischen Umfeld in Kontakt stehen und damit am unmittelbarsten auf Ver­änderungen des Umfelds reagieren ­müssen. Kurz: Es geht um das fundierte Verstehen des Unternehmens zum jetzigen Zeitpunkt, um die Bewertung der Gründe der Entwicklung hin zum heutigen Status quo und vor allem um die Evaluation, was an diesem Status quo nützlich oder punktuell verändert werden muss, angesichts der ­Veränderungen im Umfeld. Dies klingt banal. Aber das ist es nicht. Denn Unternehmen, die in Kategorien der Transformation und Disruption denken, fokussieren oftmals stark auf das zukünftige Ziel, auf das Neue, zuungunsten des Bestehenden und Vorhandenen. Dies kann aber in einem Kontext, in dem das Neue weniger ökonomischen Logiken folgt als bisher, gefährlich sein. Neben dem Veränderungswillen braucht es also stärker ein Bewusstsein der Essenz des Unternehmens – über das, was bisher aus ­guten Gründen entstanden ist –, um mit diesem Bewusstsein der eigentlichen ­Essenz Neues anzugehen.

Ambidextrie: Die Bewertung, ob Bestehendes weiterhin nützlich ist oder Neues angegangen werden muss, wird mit dem Gedanken der Ambidextrie erleichtert. Ambidextrie heisst nichts anderes als «Beidhändigkeit». Damit ist ­gemeint – und dies haben Forschungsstudien bestätigt –, dass erfolgreiche Unternehmen einerseits innovativ sein und sich verändern müssen. Andererseits müssen sie aber vor allen Dingen auch Bewährtes und Erfolgreiches möglichst unverändert beibehalten und skalieren können. Diese Beidhändigkeit beinhaltet also einerseits die Notwendigkeit zur Transformation, aber andererseits die konsequente Nutzung und Beibehaltung des bereits Erfolgreichen. 

Der Gedanke der Ambidextrie relativiert also die scheinbare Notwendigkeit einer radikalen Trans­formation und lenkt den unternehmerischen Fokus gleichfalls auf das be­­r­e­its vorhandene Funktionierende. Und gerade diese Nutzung und Skalierung des bereits Erfolgreichen wird im Rahmen von Unternemenstransforma­tionen wichtiger werden, wenn Makro-Veränderungen in Zukunft weniger ökonomischen Logiken folgen.

Unveränderbares: Sowohl Emergenz als auch Ambidextrie gehen auf die Essenz des Unternehmens ein: auf das, was es im Kern ausmacht, das heisst auf das Unveränderbare. Angesichts zahlreicher Makro-Veränderungen, die nicht mehr unbedingt einer ökonomischen Logik folgen, ist dieser Fokus auf die Essenz überlebenswichtig. Der kontinuierliche und ausschliessliche Fokus auf das, was verändert werden und neu werden muss, ist vor diesem Hintergrund vielleicht sogar schädlich. Neues Denken über unternehmerische Transformation muss also stets bei dem eigentlichen Kern der Unternehmung beginnen, beim eigentlichen Zweck und Ziel der Wertschöpfung. Dies deshalb, weil die oben beschriebenen neuen Makro-Veränderungen selbst keine ökonomische Logik mehr vorgeben. Es geht also darum, sich einer übergeordneten Essenz bewusst zu werden, als nicht veränderbarer Kern und Ankerpunkt für die Organisation und die Mitarbeitenden inmitten des «Sturms». Ein solcher Kern kann Sinnhaftigkeit und den Wert aller notwendigen Veränderung vorgeben und rechtfertigen. Dieser Kern kann beispielsweise in einem normativen oder übergeordneten strategischen Ziel der Organisation bestehen, dessen letztliche Erreichung eben immer wieder Veränderungen nötig macht (weil sich die Art und Weise der Erreichung des Ziels verändern muss, zum Beispiel als Folge der erwähnten Makro-Trends). 

Wir treten, davon bin ich überzeugt, mit einer grossen Geschwindigkeit in ein neues Zeitalter ein. Dieses Eintreten in ein neues Zeitalter könnte dazu animieren, nun mit grosser Geschwindigkeit und Radikalität auch über unternehmerische Transformationen nachzudenken. Ein Vorpreschen in Unternehmenstransformationen mit einem bisherigen Verständnis von Transformation könnte aber gerade kontraproduktiv sein, weil sich die Veränderungen, die auf Unternehmen wirken, ihrerseits verändert haben.

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