Forschung & Entwicklung

Strategische Innovationen (Teil 1 von 2)

Strategisches Handeln als Teil von Innovationen

Um sich nachhaltig im Wettbewerb zu unterscheiden, reichen Produkt- und Prozessinnovationen kaum mehr aus. Vielmehr braucht es strategische Innovationen, welche das Unternehmen selbst einzigartig machen. Dieser erste von zwei Beiträgen zeigt auf, wie oft diese Option in Schweizer Unternehmen heute schon genutzt wird.
PDF Kaufen

Innovationen spielen für Unternehmen eine immer wichtigere Rolle, um dem stetig steigenden Wettbewerbsdruck erfolgreich standhalten zu können. Denn in einem globalen Umfeld werden erfolgreiche Strategien und deren Umsetzung in Produkte oder Dienstleistungen innerhalb kürzester Zeit imitiert und oft kostengünstiger umgesetzt, als dies Unternehmen aus Hochlohnländern, wie zum Beispiel der Schweiz, möglich ist. Viele Unternehmen konzentrieren sich dabei auf die vertrauten Spielarten des Innovationsmanagements wie Produkt- und Dienstleistungsinnovationen oder auch innovative Prozesse.

Bei Produkt- und Dienstleistungsinnovationen stehen die Verbesserung bestehender oder die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen im Vordergrund, während Prozessinnovationen in der Regel auf eine Optimierung der Abläufe und folglich auf eine Erhöhung der Effizienz abzielen. Gerade diese lassen sich aber oftmals relativ schnell nachahmen. Trotz erheblichem Ressourcenaufwand ist der so erzielte Vorteil im Wettbewerb nur temporär gültig, und es beginnt ein ständiger Wettlauf um neue Produkte, Dienstleistungen oder Prozesse. Dann setzt oft ein an der Substanz des Unternehmens zehrender Kampf ums Überleben ein.

Dabei übersehen die Unternehmen oft, dass es weitere, jedoch weniger bekannte Möglichkeiten zur Innovation und zur Differenzierung gibt. Gerade deshalb stellen diese für KMU eine grosse Chance dar, denn sie helfen, auch nachhaltige Wettbewerbsvorteile zu generieren, die nur schwer von anderen Unternehmen imitiert werden können. So werden Strategien und strategisches Handeln selbst zum Gegenstand der Innovation.

Strategische Innovationen

Innovatives Handeln beginnt also im Kern des Unternehmens selbst und ist so kaum durch Wettbewerber imitierbar. In den letzten Jahren sind zunehmend die Begriffe «strategische Innovationen» oder «Geschäftsmodellinnovationen» in den Mittelpunkt dieser Diskussion gerückt, die sowohl in Wissenschaft als auch zunehmend in Unternehmen geführt wird.

Allgemein beschreibt ein Geschäftsmodell die grundsätzliche Funktionsweise eines Unternehmens oder Geschäftsbereiches. Dieses umfasst Elemente wie das Leistungsangebot, die Schnittstelle zum Kunden, das Erlösmodell sowie die Wertschöpfungsarchitektur, also die Art und Weise, wie Werte intern generiert und extern auf den Markt gebracht werden. In Anlehnung an Peter Drucker beantwortet ein Geschäftsmodell somit die Fragen: Welche Kunden sollen wie adressiert werden? Welche Produkte beziehungsweise Dienstleistungen werden angeboten? Wie kann die Leistung bestmöglich erbracht werden? Und wie kann das Unternehmen Geld verdienen? Unter Geschäftsmodellinnovationen werden gezielte Veränderungen an einzelnen dieser Bestandteile oder an dem gesamten System verstanden. Hierbei wird das bestehende Geschäftskonzept eines Unternehmens oder Geschäftsbereiches systematisch hinterfragt und neu aufgestellt.

Geschäftsmodellinnovationen sind immer auch strategische Innovationen, bei denen grundsätzlich die Verbesserung der eigenen Wettbewerbsposition im Markt im Mittelpunkt steht. Es geht beispielsweise darum, neue Kundensegmente zu identifizieren oder den Kundennutzen eines Leistungsangebotes zu steigern. Im Idealfall gelingt es sogar, einen völlig neuen Kundennutzen zu generieren, um somit Wettbewerbern einen Schritt voraus zu sein. Dies spiegelt sich mittelfristig am positiven Einfluss auf den Erfolg des Unternehmens wider. Tatsächlich zeigen zahlreiche wissenschaftliche Studien, dass strategische Innovationen positive Auswirkungen auf den Unternehmenserfolg und die langfristige Unternehmensentwicklung haben und sowohl Wachstum als auch Profitabilität von Unternehmen massgeblich beeinflussen können. Bei strategischen  Innovationen wird das strategische Handeln des Unternehmens, beispielsweise die Entwicklung und Umsetzung eines neuen Geschäftsmodells, selbst zum Innovationsgegenstand.

Erfolgsbeispiele

Viele praktische Beispiele unterstreichen eindrucksvoll das Potenzial von innovativen Geschäftsmodellen. So steht beim «Hilti Flottenmanagement» zum Beispiel nicht mehr wie branchenüblich der Verkauf von Werkzeugen im Vordergrund, sondern die zuverlässige Bereitstellung aller erforderlichen Geräte auf der Baustelle. Kunden müssen sich somit nicht mehr um die Wartung, Pflege oder den Ersatz kümmern und können sich voll und ganz auf ihre Kernaufgaben konzentrieren. Hilti übernimmt also einen Teil der sonst für den Kunden anfallenden Arbeitsschritte und erleichtert den reibungslosen Ablauf auf der Baustelle.

Für Hilti resultieren aus dem innovativen Geschäftsmodell regelmässige monatliche Zahlungen im Rahmen eines Leasingvertrages, höhere Margen und eine langfristige Kundenbindung. Die gängige Art, Werkzeuge zu verkaufen, wurde also grundlegend verändert. Das Unternehmen hat dabei gut erfasst, welche Leistungen einen zusätzlichen Wert für den Kunden darstellen, für die dann auch die Bereitschaft besteht, einen höheren Preis zu entrichten.

Im internationalen Kontext fällt auf, dass es oft gerade die besonders erfolgreichen (Gross-)Unternehmen sind, die als die «Erfinder» innovativer Geschäftsmodelle gelten können. Bekannt sind in diesem Zusammenhang Nestlé (z. B. durch das Nespresso-Konzept), Apple (durch seine «Hub-Strategie» oder Apps) oder Ikea (durch die Integration der Kunden in die eigene Wertschöpfungskette). Diese Unternehmen haben aufgezeigt, wie mit innovativen Geschäftsmodellen Branchengrenzen verschoben und bestehende Märkte massgeblich zum eigenen Vorteil verändert werden können.

Da die Geschwindigkeit und Möglichkeit zur Imitation in einer globalisierten Welt nahezu grenzenlos ist, kann davon ausgegangen werden, dass die Bedeutung von strategischen Innovationen für Unternehmen in Zukunft weiter zunehmen wird.

Grosses Potenzial für KMU

Wie sieht jedoch die Situation von KMU aus? Welchen Stellenwert haben strategische Innovationen heute schon in KMU im Vergleich zu Produkt- und Prozessinnovationen? Diese Fragestellungen standen im Mittelpunkt einer durch die FHS St. Gallen im Jahr 2013 in der Schweiz durchgeführten Untersuchung. Insgesamt zeigte sich, dass für Schweizer KMU noch ein erhebliches Potenzial bei der Entwicklung und Umsetzung von strategischen Innovationen besteht.

Die Ergebnisse zeigen, dass Produkt- und Prozessinnovationen bei den befragten KMU eine höhere Bedeutung einnehmen als strategische Innovationen. Wie Abbildung 1 veranschaulicht, werden Produkt oder Prozessinnovationen jeweils von rund drei Vierteln der Unternehmen als «eher wichtig» oder als «wichtig» eingestuft, während strategischen Innovationen nur von rund 60 Prozent eine entsprechend hohe Bedeutung beigemessen wird.

Bedeutung der Innovationsarten

Im nächsten Schritt sollte herausgefunden werden, welchen Stellenwert die verschiedenen Innovationsarten aus Sicht der teilnehmenden Unternehmen voraussichtlich in der Zukunft haben werden. Wie Abbildung 2 aufzeigt, hat sich das Bild sichtbar verändert. Während die zukünftige Bedeutung von Produkt- und Prozessinnovationen im Vergleich zur Gegenwart nahezu unverändert eingeschätzt wird, verzeichnen strategische Innovationen einen starken Zuwachs und werden von 77 Prozent der Befragten als «eher wichtig» oder «wichtig» gesehen. Strategische Innovationen werden somit in Zukunft vermutlich eine wichtigere Rolle spielen als Produkt- oder Prozessinnovationen.

Dieses Ergebnis deutet darauf hin, dass die Bedeutung strategischer Innovationsarten heute schon erkannt wird, aber möglicherweise noch zu wenig Wissen in den Unternehmen vorhanden ist, diese auch umzusetzen. Denkbar ist auch ein Fokus in der Ressourcenverteilung, der vertraute und bekannte Innovationsarten bevorzugt, da diese als «sicherer» eingestuftwerden. Dabei wird übersehen, dass jede Innovationsart mit Unsicherheiten und dem Risiko zu scheitern verbunden ist.

Innovationsziele

Ein weiterer Aspekt der Untersuchung war die Frage nach der Zielsetzung, die Unternehmen mit ihren Innovationsanstrengungen verfolgen. Es standen Antwortmöglichkeiten zur Auswahl, die einen konkreten Bezug zu den zuvor untersuchten Innovationsarten aufweisen. So stehen Produkterweiterungen oder -modifikationen in der Regel im Fokus von Produktinnovationen, während Aspekte wie Effizienz und Kosteneinsparung für Prozessinnovationen von zentraler Bedeutung sind. Strategische Innovationen tangieren das Geschäftskonzept und zielen daher zumeist auf die Geschäftsmodellentwicklung oder -optimierung. Zwar wurden alle vorgegebenen Zielsetzungen von den Teilnehmern mehrheitlich als «wichtig» oder «eher wichtig» eingeschätzt, jedoch lassen sich dennoch eindeutige Prioritäten ableiten.

Wie Abbildung 3 zeigt, haben die Ziele Effizienz und Kosteneinsparung die höchste Bedeutung und werden jeweils von rund 80 Prozent der Befragten als «wichtig» oder «eher wichtig» gesehen. Dieses Ergebnis korrespondiert mit den Antworten zur ersten Fragestellung und der Erkenntnis, dass Prozessinnovationen bei KMU gegenwärtig die höchste Priorität verzeichnen. Auch dabei lässt sich wiederum ein Fokus auf das Bestehende und Vertraute feststellen. Innovationen sind also ein Mittel, um das Bisherige zu optimieren, aber weniger, um das gesamte Unternehmen auf neue Pfade zu führen. Die Ziele Produkterweiterung und -modifikation liegen hinsichtlich ihrer Bedeutung eng beieinander und werden jeweils von etwa zwei Dritteln als «wichtig» oder «eher wichtig» eingeschätzt. Hingegen weisen die Aspekte Geschäftsmodellentwicklung
und Geschäftsmodelloptimierung deutliche Unterschiede auf und werden von 62 respektive 75 Prozent der Befragten als «wichtig» oder «eher wichtig» betrachtet.

Geringe Dynamik

Im nächsten Schritt wurden die Unternehmen nach konkreten Veränderungen im Hinblick auf verschiedene Bestandteile des aktuellen Geschäftsmodells ihres Unternehmens oder Geschäftsbereiches befragt. Diese Frage sollte einen Hinweis darauf geben, in welchem Umfang bereits heute strategische Innovationen in KMU umgesetzt werden. Die Antwortmöglichkeiten umfassten einerseits eher marktorientierte Aspekte wie Umsatzquellen, Kundensegmente, Vertriebswege oder Kundenbeziehungen. Auf der anderen Seite wurde die unternehmensinterne Perspektive mit Punkten wie Kostenstrukturen, Ressourcen, Aktivitäten und Kooperationspartner berücksichtigt.

Abbildung 4 veranschaulicht, in welchem Ausmass die einzelnen Geschäftsmodellelemente innerhalb der letzten drei Jahre verändert wurden. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass die Unternehmen tendenziell nur wenige Veränderungen am eigenen Geschäftsmodell vorgenommen haben. Alle Aspekte wurden mehrheitlich «nur wenig» bis maximal «mittelmässig» verändert. Die geringste Dynamik weist der Aspekt der «Schlüsselpartner» auf, der von nur 21 Prozent der Befragten «stark» bis «sehr stark», hingegen von 40 Prozent «gar nicht» oder «wenig» verändert wurden.

Schweizer KMU gehen also zur Herstellung ihrer Leistung vornehmlich feste und loyale Beziehungen zu ihren Geschäftspartnern ein. So kann eine kollektive Wissensbasis zur Verbesserung der gemeinsamen Leistung aufgebaut werden. Die für Innovationen notwendigen neuen Ideen werden aber meist vernachlässigt.

Bei den unternehmensinternen Aspekten verzeichneten die Schlüsselaktivitäten, also die wichtigsten Arbeitsschritte und Prozesse bei der Leistungserstellung, eine ähnlich hohe Stabilität, während bei den marktorientierten Geschäftsmodellbausteinen die Kundenbeziehungen und die Kundensegmente am wenigsten verändert wurden. Die grössten Veränderungen gab es bei den Kostenstrukturen, die von 39 Prozent der Unternehmen «stark» bis «sehr stark» und von nur 24 Prozent «gar nicht» bis «wenig» angepasst wurden. Auch in diesem Ergebnis spiegelt sich die hohe Bedeutung von Prozessinnovationen für KMU wider, bei denen die Verbesserung von Abläufen und Effizienzsteigerungen im Vordergrund stehen. Es zeigt sich auch hier: Innovationen werden überwiegend als Instrument zur Optimierung des Bestehenden betrachtet.

Investitionen in Innovationen

Die relative Wichtigkeit der verschiedenen Innovationsarten zeigt sich auch bei der Verteilung der Investitionen in Produkt- und Prozessinnovationen sowie strategische Innovationen.

Abbildung 5 zeigt, wie bei den Unternehmen innerhalb der letzten drei Jahre die Investitionen in Innovationen anteilsmässig verteilt wurden. Fast zwei Fünftel der KMU verwendeten maximal zehn Prozent ihres Innovationsbudgets für strategische Innovationen. Hingegen investierten zum Beispiel mehr als ein Viertel über die Hälfte ihres Budgets in Prozessinnovationen.

Einschätzung

Untersuchungen zu strategischen Innovationen zeichnen in der Regel ein äusserst positives Bild und attestieren dieser neuen Innovationsart im Vergleich zu klassischen Produkt- oder Prozessinnovationen meist eine überdurchschnittlich grosse Wirkung auf den Unternehmenserfolg. Dabei muss jedoch berücksichtigt werden, dass diese Studien alle im Kontext von Grossunternehmen durchgeführt worden sind. Die Ergebnisse können daher nicht ohne Weiteres auf die grosse Mehrheit an Unternehmen übertragen werden, denn diese besteht in den meisten Volkswirtschaften aus KMU. Vor diesem Hintergrund leistet die vorliegende Untersuchung einen wichtigen und wertvollen Beitrag, indem der Fokus auf KMU gelegt wurde und diesbezüglich ein realistisches Bild über den gegenwärtigen Stellenwert von strategischen Innovationen in diesen Unternehmen gezeichnet werden konnte.

Zusammenfassung

Auf Grundlage der durchgeführten Untersuchung können folgende Ergebnisse im Hinblick auf die Bedeutung verschiedener Innovationsarten in Schweizer KMU festgehalten werden:

  • Prozessinnovationen haben bei KMU heute die höchste Priorität und zielen darauf ab, die Effizienz zu verbessern und Kostenvorteile zu realisieren. Diese Erkenntnis spiegelt sich in der Verteilung der Investitionen in Innovationen wider, bei denen aktuell der grösste Anteil für Prozessinnovationen verwendet wird.
  • Prozess- als auch Produktinnovationen spielen eine wichtigere Rolle als strategische Innovationen.
  • Aktuell zielen die Innovationsaktivitäten von KMU vorwiegend auf operative Verbesserungen des Bestehenden und Bekannten, strategische Innovationen und Veränderungen stehen deutlich weniger im Fokus.
  • Alle untersuchten Geschäftsmodellbestandteile verzeichneten mehrheitlich nur wenige oder mittelmässig viele Veränderungen. Folglich kann davon ausgegangen werden, dass strategische Innovationen in der Praxis noch eher selten umgesetzt werden.
  • In Zukunft wird jedoch nach Ansicht der Befragten die Bedeutung strategischer Innovationen auch in KMU erheblich zunehmen und voraussichtlich sogar die Wichtigkeit von Produkt- und Prozessinnovationen übertreffen. Ausblick KMU haben die Bedeutung von strategischen Innovationen erkannt. Daraus lässt sich die Frage ableiten, wie Unternehmen hierfür das erforderliche Wissen aufbauen, geeignete Strukturen schaffen und einen systematischen Prozess implementieren können. Wie können ausserdem die besonderen Stärken von KMU genutzt und etwaige Schwächen ausgeglichen werden. Diese Aspekte werden im zweiten Teil dieses Beitrages näher beleuchtet.

Der vorliegende Beitrag basiert auf den Ergebnissen einer Online-Befragung, die von Teilnehmenden des Masterstudiengangs «Msc Business Administration» an der FHS St.Gallen im Rahmen eines Forschungsprojektes durchgeführt worden ist. Das Projektteam bestand aus Arsim Jahii, Simon Breu, Kathrin Flachmüller, Florian Giger, Birgit Niesen und Christian Städler

Porträt