Forschung & Entwicklung

Internationalisierung (Teil 2 von 3)

Produktionsverlagerungen erfolgreich evaluieren

Viele Schweizer Unternehmen sehen in Standort- und Produktionsverlagerungen eine gute Möglichkeit, um trotz des steigenden Kostendrucks wettbewerbsfähig zu bleiben. Um die mit einer Verlagerung gewünschten Ziele zu erreichen, braucht es aber eine strukturierte und praxisbezogene Vorgehensweise.
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Die schnelle Aufwertung des Schweizer Frankens, verbunden mit der schwächelnden Eurozone, stellt viele mittelständische Exportunternehmen mit einem grossen Wertschöpfungsanteil in der Schweiz vor Schwierigkeiten. Im Gegensatz zu Grosskonzernen haben sie nur begrenzte Möglichkeiten, die gestiegenen Kosten weiterzugeben. Massnahmen wie das Einführen von Kurzarbeit oder die Reduktion des Working Capitals verschaffen den Unternehmen oft nur kurzfristig etwas Luft. Viele Unternehmen versuchen, durch «Natural Hedging» den Währungsnachteil auszugleichen. So beziehen sie beispielsweise Produktionsstoffe aus dem Ausland. Die – im Vergleich zu den Euroländern – hohen Schweizer Lohnstückkosten ändern sich dadurch jedoch nicht. Folglich stellen sich viele Schweizer Unternehmen die Frage, ob sie nicht die gesamte Produktion (oder Teile davon) ins Ausland verlagern wollen, um auch künftig wettbewerbsfähig zu bleiben.

Um die Situation bei Schweizer KMU besser zu verstehen, hat PwC in Zusammenarbeit mit der Hochschule Luzern im Rahmen einer Studienarbeit die zukünftige Entwicklung von Standortverlagerungen im Schweizer Mittelstand untersucht.

Die Studie liefert die folgenden Schlussfolgerungen:

Künftig wird vermehrt ins Ausland verlagert

Für die Zukunft sehen deutlich mehr Unternehmen eine Verlagerung ihrer Produktionsstandorte ins Ausland als valide strategische Option an. 50 Prozent aller Studienteilnehmer können sich eine Verlagerung für Teile ihres Unternehmens vorstellen.

Kostensenkung als Treiber

Für die überwiegende Anzahl der Um­frageteilnehmer (77 %) sind Kostensenkungsprogramme die internen Treiber für eine Standortverlagerung. Rund 40 Prozent der Teilnehmer verfolgen mit der Verlagerung aber auch das Ziel, neue Märkte im Ausland zu erschliessen.

Aktuelles Geschäftsmodell und Unternehmensstrategie werden wenig hinterfragt

Spannend ist das Ergebnis, dass lediglich gerade 36 Prozent aller Teilnehmer bei einer Verlagerung das eigene Geschäftsmodell (und die Unternehmensstrategie) kritisch hinterfragen. Verlagerungen werden somit primär als Mittel angesehen, die Kostenstruktur nachhaltig zu senken, während an der bestehenden Unternehmensstrategie festgehalten wird.

Umsetzung im Zielland als Stolperstein

Als grösste Herausforderungen bei Verlagerungsvorhaben wird vor allem ihre Realisation im Zielland angesehen. So zum Beispiel das Überführen des Prozesswissens an den neuen Standort oder das Rekrutieren der Mitarbeiter mit den benötigten Fähigkeiten und Kenntnissen.

Verlagerung muss im Einzelfall validiert werden

Für die Mehrheit der befragten Unternehmen ist es zentral, dass eine Verlagerung zu ihnen passt und dass mit dieser Massnahme die übergeordneten strategischen Unternehmensziele erreicht werden können. Eine Verlagerung ist somit nicht für jedes Unternehmen zielführend, sondern muss im Einzelfall abgeklärt werden.

Aus dem Bauch heraus

Im Rahmen der Studie zeigte sich, dass keiner der Teilnehmer über ein standardisiertes Vorgehensmodell verfügt, um Standortverlagerungen zu evaluieren. Der Prozess der Standortverlagerung wird – auch aufgrund seiner Einmaligkeit im Rahmen der normalen Geschäftstätigkeiten – oft aus dem Bauch heraus getrieben oder ist von opportunistischem Verhalten geprägt (z. B. persönliche Kontakte zu einem produzierenden ausländischen Unternehmen). Die Entscheide für oder gegen eine Verlagerung erfolgen somit eher emotional denn faktenbasiert.

Für das Unternehmen birgt ein Entscheid für oder gegen eine Verlagerung neben Chancen auch grosse Risiken. Um die Sicherheit im Entscheidungsprozess zu erhöhen, haben die Studienverfasser ein einfaches Vorgehensmodell entwickelt, um Verlagerungspläne zu evaluieren, zu strukturieren und zu versachlichen. Das Modell beinhaltet zwei übergeordnete Phasen, die sequenziell zu durchlaufen sind:

1. Strategische Analyse als Grundvoraussetzung

In der Beratungspraxis zeigt sich, dass Unternehmen generell zu schnell an die direkte Evaluation der potenziellen Verlagerungen herangehen, ohne sich hinreichend und strukturiert Gedanken über die Nachhaltigkeit der Unternehmensstrategie, das eigene Geschäftsmodell sowie alternative strategische Optionen gemacht zu haben. Der Wunsch, durch eine Verlagerung möglichst rasch die Kosten zu senken, erscheint grösser als das Risiko einer – allenfalls radikalen – Neuausrichtung des Unternehmens durch eine neue Strategie oder ein neues Geschäftsmodell.

Allerdings: Eine Verlagerung ist kein Allerheilmittel. Durch ein zu schnelles Fokussieren auf mögliche Verlagerungen schliesst das Unternehmen gegebenenfalls alternative strategische Optionen vorschnell aus – oder zieht diese gar nicht erst in Betracht. Bevor deshalb mit der Evaluation eines Verlagerungsvorhabens begonnen wird, ist es zentral, die Zukunftsfähigkeit der Unternehmensstrategie und das Geschäftsmodell zu überdenken und zu bestätigen. Darin enthalten ist das kritische Auseinandersetzen mit vorhandenen alternativen strategischen Optionen, die der Umsetzung der gesetzten Strategie dienen (z. B. Kooperationen, M & A-Ak­tivitäten, Redimensionierung /Restrukturierung).

Erst, wenn sich das Unternehmen mit den übergeordneten strategischen Fragen auseinandergesetzt hat, wird validiert, ob eine Verlagerung überhaupt im Sinne der Unternehmensstrategie ist. Am Ende des ersten Prozessschritts sollte das Unternehmen auf folgende Fragen Antworten liefern können:

› Ist meine Unternehmensstrategie langfristig attraktiv («Where to play»)?

› Besitze ich relevante Differenzierungs­merkmale/Wettbewerbsvorteile («Right to win»)?

› Welche strategischen Möglichkeiten stehen mir grundsätzlich zur Verfügung («How to win»)?

› Stellt eine Verlagerung tatsächlich die bestmögliche Option dar und wird damit die Unternehmensstrategie nachhaltig unterstützt?

2. Verlagerungsprojekt in fünf Schritten realisieren

Erst, wenn sich die Verlagerung als eine der zielführendsten Massnahmen zur Sicherung der nachhaltigen Geschäftskraft herauskristallisiert hat, geht es darum, ein solches Projekt zu evaluieren, zu validieren und umzusetzen. Die Verfasser schlagen folgendes Vorgehen vor:

Definition: Im ersten Schritt werden die mit der Verlagerung verfolgten Ziele (zum Beispiel Erschliessen neuer Märkte, Erhöhen der Wett­bewerbs­fähigkeit) und vorhandenen, Rahmen­bedingungen (zum Beispiel Verlagerung ausschliesslich in Europa) festgelegt. Zusätzlich werden die wesentlichen Standortfaktoren (zum Beispiel Sprache, Distanz, Zugänglichkeit) und Bewertungsmethoden bestimmt. Es erfolgt eine erste Grobselektion möglicher Kernländer (long list). Zusätzlich wird – sofern noch nicht vorhanden – ein finanzieller Mehrjahres­plan für die Unternehmensentwicklung «ohne» Verlage­rung erstellt. Mit ihm werden anschliessend mögliche Verlagerungsoptionen ver­glichen.

Assessment: Im zweiten Schritt werden die identifizierten Kernländer analysiert und die wesentlichen Kennzahlen und Charakteristika (aufbauend auf den definierten Standortfaktoren) erarbeitet. Basierend auf dieser Analyse erfolgt eine erste Bewertung und Fokussierung auf gewisse Länder /Regionen. Für diese werden grobe (finanzielle) Business Cases erstellt. Sie werden untereinander verglichen und dem Mehrjahresplan im Status quo gegenübergestellt. Unter Einbezug der qualitativen Kriterien erfolgt eine Selektion und ein Festlegen auf die präferierten Standorte (short list).

Nach der «Assessment-Phase» wird ein kritischer Meilenstein erreicht: Das Management muss sich entscheiden, ob mit der Detailevaluation einzelner Standorte begonnen wird, oder das Verlagerungsvorhaben abgebrochen wird. Die Assessment-Phase ist stark von der Analyse der einzelnen Länder beziehungsweise Regionen und dem Aufbereiten von Zahlenmaterial getrieben. Es kann sich lohnen, für diesen aufwendigen Prozess einen externen Dienstleister einzubeziehen, der auf bereits vorhandenes Wissen zurückgreifen kann.

Konstruktion: Der dritte Schritt hat zum Ziel, eine Detail-Evaluation möglicher Verlagerungsorte durchzuführen und eine Entscheidungsgrundlage für das Management aufzubereiten. Insbesondere werden Analysen und Interviews vor Ort geführt und mögliche konkrete Standorte gesichtet. Der bereits erstellte (finanzielle) Business Case wird ver­feinert und zusätzlich plausibilisiert. Zudem bilden Szenario- und Sensitivitätsanalysen mögliche Risiken im Geschäftsmodell ab. Mit ihrer Hilfe wird die Unsicherheit der Zukunftsannahmen minimiert und die Stabilität der Modellparameter überprüft. Auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse erfolgt eine Grobplanung für den präferierten Standort.

Implementierung: Hat sich das Unternehmen für eine Verlagerung ausgesprochen, erfolgt die Umsetzung im Zielland. Oft handelt es sich hier vom Start bis zum Abschluss um ein mehrjähriges Projekt. Notwendig sind daher eine detaillierte Planung sowie ausreichend Ressourcen im Zielland wie auch innerhalb der Schweiz.

Controlling: Sowohl im Rahmen der Umsetzung als auch anschliessend im operativen Betrieb nach der Verlagerung ist ein wirkungsvolles Controlling zentral. Durch regelmässige Kontrolle der kritischen Standortfaktoren können Abweichungen schnell erkannt und korrigiert werden. Dies verringert die Wahrscheinlichkeit, die gesetzten Verlagerungsziele nicht zu erreichen.

Die gewonnenen Erkenntnisse verdeutlichen, dass eine Verlagerung kein Allheilmittel für Schweizer Unternehmen darstellt. Eine sehr genaue Prüfung ist unerlässlich, ob die gewünschten stra­tegischen Ziele nicht mit anderen Optionen wirtschaftlicher erreicht werden können. Wichtig ist, eine vorschnelle Entscheidung für eine Verlagerung zu vermei­den – durch eine vorgängige strategische Analyse sowie klar definierte Abbruch­kriterien. «

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