Forschung & Entwicklung

Krisenmanagement (Teil 1 von 4)

Prävention von strategischen Unternehmenskrisen

Krisen vernichten Werte und gefährden die Existenz des Unternehmens. Krisen sind aber auch Chancen, um Dynamik in lahmende Strukturen einzubringen. In diesem Artikel werden Massnahmen zur Vermeidung einer Strategiekrise diskutiert. Er ist zudem Start einer vierteiligen Serie zum Thema Prävention, Früherkennung und Bewältigung von Unternehmenskrisen.
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Eine Unternehmenskrise zerstört – meist schlagartig und unkontrolliert – signifikante Werte. Neben den offensichtlichen direkten finanziellen Folgen (zum Beispiel Zahlungsausfälle, Vernichtung von Eigenkapital) sind auch nicht finanzielle Schäden sowie indirekte Folgekosten einzubeziehen (zum Beispiel beschädigte/zerstörte Geschäftsbeziehungen, Stellenverluste, Reputationsschäden; psychologische und soziale Schäden). 


Prävention von Strategiekrisen

Kann eine Unternehmenskrise nicht bewältigt werden, geht das Unternehmen unter und erlischt als juristische Person. Zwischen dem Untergehen und dem erfolgreichen Wiedererstarken gibt es gegebenenfalls Zwischenformen, indem gesunde Unternehmensteile mithilfe einer rechtlichen Abspaltung oder einer Fusion eine neue, angepasste Existenzform finden. In diesem Artikel beleuchtet der Autor schwergewichtig die Prävention von Strategiekrisen. 

Das Untergehen von Unternehmen gehört zur fortschrittsorientierten Natur einer gesunden Volkswirtschaft. Das Fallieren von Organisationen ist daher als natürliches Ereignis anzusehen – insbesondere wenn Lebensphasen von Technologien oder Märkten zu Ende gehen. Beispiele sind die analoge Fotografie oder wandmontierte Telefonapparate. Beide Märkte haben aufgrund des technologischen Fortschritts das Ende ihres Lebenszyklus erreicht. Nur wenige, spezialisierte Nischenplayer behaupten sich. Diese haben sich in einem erbittert ausgefochtenen «end game» durchsetzen können. Die anderen Konkurrenten haben sich frühzeitig zurückgezogen oder wurden aus dem Markt und teilweise in die Insolvenz (zum Beispiel Kodak) gedrängt.

Im Kontrast zum gestählten Gewinner eines Branchen-«end games» stehen Unternehmen, die in grundsätzlich gesunden Branchen und Wertschöpfungsketten aktiv sind. Diese fallen nur in Krisensituationen, wenn sie a) grobe Fehler gemacht haben («special situation») oder b) den Anschluss verpassen. Wenn Branchenstrukturen sehr kompetitiv sind und der Wettbewerb auf der globalisierten Bühne stattfindet, können beide Ursachen relativ schnell zum Untergang des Unternehmens führen. Eher schleichend ist der Prozess bei lokalen Strukturen in geschützten Branchen (zum Beispiel Teile des Gesundheitswesens, Nahrungsmittelproduktion). Hier wird mitunter von einer branchenweiten strukturellen Dauerkrise gesprochen. Die Unternehmen bewegen sich in einem geschützten Raum, haben jedoch wenig strategische Optionen und sind also als Risikofaktor zu betrachten.


Selbst gemachte Krisen

Bei intakten Branchenstrukturen sind Krisen weitgehend selbst gemacht. Die Eigentümer, der Verwaltungsrat und die Führungscrew haben es verpasst, das Unternehmen so zu positionieren, dass konjunkturelle Dellen, regulatorische Eingriffe oder smarte Schachzüge der Konkurrenz frühzeitig gesehen und absorbiert werden können.

Neben dem eigenen Unvermögen, übertriebener Risikobereitschaft oder auch Zaudern spielen auch Glück und Pech (beziehungsweise nicht vorherseh- oder beeinflussbare Elemente) in solchen Situationen eine nicht zu unterschätzende Rolle. Wie weit das Schicksal eine entscheidende, mitunter tragische Rolle haben kann, zeigt sich bei «Special Situations». «Special Situations» sind Unternehmen in finanzieller Schieflage, die im Kern aber grundsätzlich gesund sind. «Special Situations» entstehen aufgrund eines einschneidenden Einzelereignisses wie zum Beispiel eine erzwungene Rückrufaktion, ein missglückter Markteintritt, eine überzahlte, nicht integrierbare M&A-Transaktion oder einer Rechtsklage. Solche Situationen sind existenzgefährdend, zeichnen sich aber dadurch aus, dass die Krisenursache schnell identifizierbar ist und dadurch gezielt eingegriffen werden kann.

Handlungsmacht schwindet

Welche Instrumente stehen dem KMU zur Verfügung, um sich gegen Krisen zu wappnen? Das Gesetz verlangt neben den unentziehbaren und unübertragbaren Aufgaben des Verwaltungsrats (OR 716a) explizit die periodische Durchführung einer Risikoanalyse wie auch – für Firmen mit einer ordentlichen Revisionspflicht –die Erstellung eines Lageberichts. Der Verwaltungsrat wird dadurch gezwungen, eine nach vorne gerichtete Standortbestimmung der strategischen und ertragsmässigen Ausrichtung der Unternehmung vorzunehmen. Hilfsmittel wie Risikokataloge und Standardvorlagen sind einfach zugänglich. Bleibt die Frage, ob diese gesetzliche Pflicht in einer qualitativ genügenden Art und Weise durchgeführt wird, um strukturelle, konjunkturelle oder führungsmässige Krisen vermeiden oder zumindest frühzeitig erkennen zu können.

Die Abbildung «Handlungsmacht bei verschiedenen Krisenarten» zeigt eine sachlogische Gliederung in Krisenarten (Strategie-, Ertrags-, Liquiditätskrise) und die Aktivitätsstufen (Prävention, Erkennung, Bewältigung). Der blauschraffierte Bereich stellt die Handlungsfreiheit oder Handlungsmacht der Unternehmung in den unterschiedlichen Krisen dar.

Die Handlungsmacht – im Sinne der Selbstbestimmung – ist natürlich am grös­sten im Feld links oben (Prävention der Strategiekrise). Im Idealfall ist das Unternehmen in der Branche tonangebend und kann sein Marktumfeld proaktiv mitentwickeln (zum Beispiel Digitalisierung von wichtigen Vertriebskanälen).
 
Im darunterliegenden Feld «Früherkennung der Strategiekrise» ist die Handlungsfreiheit bereits eingeschränkt. Die Strategiekrise ist schon da. Beispielsweise hat die Konkurrenz ein neues kosteneffizientes und zukunftsbestimmendes Vertriebssystem bereits eingeführt. Der Verwaltungsrat muss spätestens jetzt agieren. Verpasst es das Unternehmen, mit entsprechenden (Gegen-) Massnahmen nachzuziehen (zum Beispiel Digitalisierung des eigenen Vertriebsnetzes, innovative Rabattierungssysteme), wird eine Ertragskrise unausweichlich sein. 


Die Ertragskrise

Diese entwickelt sich in Form von sinkenden Erträgen, schrumpfenden Marktanteilen und führt zu einer unvorteilhaften Kostenstruktur, kleineren Margen und reduzierter Cashflow-Generierung. In der Ertragskrise ist der  Handlungsspielraum bereits einschneidend eingeschränkt. Prävention ist nicht mehr möglich. Das Unternehmen ist bereits geschwächt und seine (strategischen) Optionen sind limitiert. Der Wettlauf gegen die Zeit beginnt.

Bei einer ausgebrochenen Ertragskrise müssen die Alarmglocken schrillen. In der Praxis sieht man häufig, dass bei vielen KMU die freien finanziellen Reserven sowie Fachressourcen fehlen, um die notwendigen Investitionen zu tätigen und in Windeseile umzusetzen. Im Allgemeinen ist zu dem Zeitpunkt auch die Schwelle für die Veräusserung von nichtbetrieblichen Vermögenswerten immer noch zu hoch. Eigentümer negieren oder unterschätzen die Krise, sehen die Dringlichkeit nicht und lehnen demzufolge solche Massnahmen ab. 

Im Allgemeinen vergehen ein bis zwei Jahre, bis die Erkenntnis gereift ist, dass radikale strukturelle Anpassungen nicht mehr aufschiebbar sind. Im guten Fall kann die Ertragskrise bewältigt werden. Im weniger guten Fall schlittert das Unternehmen in eine Liquiditätskrise. Hier ist die Handlungsfreiheit stark eingeschränkt. Die Führungscrew ist permanent damit beschäftigt, Lieferanten und gute Mitarbeiter zu besänftigen, um den Geschäftsbetrieb aufrechterhalten zu können. Befindet sich ein Unternehmen im Liquiditätsengpass, ist die Abhängigkeit vom Goodwill von Lieferanten und Banken gross – aber meistens nicht unendlich. Der Selbstbestimmungsgrad des Unternehmers tendiert gegen null.

Prävention als primäres Mittel

Krisen entstehen erst, wenn die Prävention versagt hat. Prävention wird somit verstanden als «first line of defense» von Unternehmenskrisen. Sie muss sich a) sowohl auf mögliche Krisenursachen (negative Risikosicht) wie auch b) auf strategische Optionen (positive Risikosicht) fokussieren. Dabei kommen die klassischen Instrumente des Risikomanagements und des strategischen Managements zur Anwendung. 

Beim Risikomanagement sind das die Schritte der Identifikation der relevanten Risiken (mithilfe von Risikokatalogen), die quantitative und qualitative Bewertung (Risikomatrizen), die Steuerung der Risiken (vermeiden, reduzieren, transferieren, akzeptieren) und schliesslich das laufende Risiko-Controlling. 

Beim strategischen Management sind das unter anderem klassische Methoden wie die fünf Wettbewerbskräfte nach Porter (Wettbewerb durch bestehende Konkurrenten, durch Lieferanten oder Kunden, Substitutionsrisiken, innovative neue Anbieter), die SWOT-Analyse oder die BCG-Matrix (Marktwachstum und -anteilzeigen die Stars, Cash Cows, Dogs und Fragezeichen). 

Aktuellere Strategieansätze hinterfragen oder entwickeln in kreativ-analytischer Weise innovative Geschäftsmodelle (zum Beispiel Canvas-Methode von Osterwalder und Pigneur). Tiefschürfender geht
die klassische Strategieschule von Cuno Pümpin mit dem Hinterfragen der Nutzenpotenziale vor («Für wen wird wie Wert geschaffen?»). Zudem hinterfragt siedie Definition, den Aufbau und die Pflege
strategischer Erfolgspositionen (SEP), die auf die relevanten, möglichst attraktiven Nutzenpotentiale ausgerichtet werden. Ein Beispiel für eine SEP ist die Einführung von digitalen Vertriebswegen, die multiplikativ auch in anderen Geschäftsbereichen eingesetzt werden können. 

Ein Grossteil der gängigsten strategischen Ansätze beinhalten neben der Berücksichtigung von quantitativen Faktoren auch den Einbezug von qualitativen Aspekten; dies insbesondere im Rahmen von Frühwarnsystemen (strategische Radars, (Extrem-) Szenarioanalysen, Trend-Späher etc.). Durch dieses explizite «In-die-Zukunft-Schauen» sollen mögliche Krisenursachen (oder Chancenpotenziale) im frühen Stadium identifiziert und benannt werden.

Werden die weitverbreiteten Instrumente und Prozesse des Risikomanagements und des strategischen Managements gewissenhaft angewendet beziehungsweise durchgeführt und beschlossene Massnahmen auch umgesetzt, ist ein wesentlicher Teil zur Prävention von Unternehmenskrisen gemacht. 


Bilanz als Risikopuffer

Wenn wir von Prävention von Unternehmenskrisen sprechen, gilt es festzuhalten, dass das beste finanzielle Präventionsmittel in einer starken Bilanz mit einer starken Eigenkapitalbasis und ausreichend flüssigen Mitteln oder verflüssigbaren (stillen) Reserven besteht. Dies ist jedoch eine statische Sicht und birgt die Gefahr, dass eine starke Bilanz nur als defensiver Risikopuffer gesehen wird. Im Sinne der Prävention von strategischen Unternehmenskrisen soll sie als Instrument eingesetzt werden, um proaktiv die Wettbewerbsposition nachhaltig zu stärken. 


Fazit

Krisen sind im Normalfall hausgemacht. Das Management von Unternehmenskrisen beginnt bei der Prävention – spätestens bei der Früherkennung. Risiken werden zwar früh erkannt, aber die Erfahrung zeigt, dass Massnahmen zu zögerlich umgesetzt werden. 

Wird zu lange zugewartet, müssen Instrumente zur Krisenbewältigung eingesetzt werden. Diese verursachen direkte wie indirekte Kosten und erhöhen das unternehmerische Risiko, weil die Handlungsmacht zunehmend eingeschränkt ist. Die Selbstbestimmung beziehungsweise Handlungsfreiheit ist der kritische Erfolgsfaktor, den es zu bewahren, zu gestalten und bei Verlust durch eine Krise wiederzuerlangen gilt.

Porträt