Forschung & Entwicklung

Internationalisierungsstrategien

Pop-up-Stores als Instrument der Internationalisierung

Das Forschungsprojekt «Pop-up Internationalization» an der FHS St. Gallen untersucht die Potenziale von Pop-ups für den Internationalisierungsprozess von Schweizer KMU. Die Ergebnisse zeigen die Vielseitigkeit des Ansatzes und Umsetzungsmuster in verschiedenen Phasen des Internationalisierungsprozesses auf.
PDF Kaufen

Die sogenannten Pop-up-Stores erscheinen für die Kunden plötzlich und schlies­sen bereits nach kurzer Zeit wieder: Der Überraschungseffekt bei der Eröffnung schafft Aufmerksamkeit und der Verknappungseffekt («limited edition», «nur für kurze Zeit») generiert einen Nachfragesog. Die kurzen Mietzeiten in Kombination mit einem eingeschränkten Angebot ermöglichen mit einer geringen Kapitalbindung das Ausprobieren von Neuartigem im direkten Kundenkontakt oder den Abverkauf von Saison- sowie Restware, ohne die Marke in Richtung «billig» zu belasten. Weiteres Potenzial ergibt sich durch die vorübergehende Marktpräsenz in Form von Pop-up-Niederlassungen beziehungsweise -Offices vor allem im B-to-B-Bereich.

Mehr als nur Mode

Die Pop-up-Store-Pioniere sind Textil- und Modehändler. Zunehmend findet das Instrument in anderen Branchen Anwendung: vor allem für erklärungsbedürftige (da innovativ) und langlebige Gebrauchsgüter von stark positionierten Markenherstellern. Das Beispiel der Mercedes-Benz-Pop-ups in weltweiten Innenstadtlagen unterstreicht dies: Während der Gang ins Autohaus eine Kaufabsicht erfordert, ermöglichen temporäre Läden in City-Lagen, die Marke und die Produkte an potenzielle Kunden in gewöhnlichen Lebens- und Einkaufssituationen als Impuls heranzutragen. Für den Relaunch der revidierten A-Klasse mit dem Fokus auf eine im Vergleich zur Vorgängermodellreihe deutlich jüngere Zielgruppe ein zentrales Argument: Dort zu sein, wo die Kunden (gerne) sind.

Touchpoint im Zentrum

Der Aspekt des unmittelbaren Kundenkontakts (Touchpoint) ist von zentraler Bedeutung, wenn der Point-of-Sale sich nicht in direkter Unternehmenskontrolle befindet, sondern durch Zwischen-/Detailhändler, Internetmarktplätze oder Vertriebs-/Servicepartner strukturiert ist. Der US-amerikanische Staubsaugerhersteller Dyson experimentiert mit Pop-up-Stores, um Retention für seine Produkte zu erzeugen und die Reaktionen der Kunden auf Produkte im Dialog unmittelbar zu erheben.

Dieses Potenzial, die «Quality Time» mit den Kunden, den Partnern und den Mitarbeitenden zu verbringen und dabei «hautnah» zu erleben, gewinnt vor dem Hintergrund des Multi-/Omnichannel-Vertriebs an Bedeutung (siehe dazu die Abbildung 1). Der hybride Kunde wechselt für Information, Beratung, Kauf und (Self-)Service zwischen stationären und digitalen Kanälen. Erklärungsbedürftige Produkte, welche durch Innovation und Markenbotschaft Kunden zu überzeu-
gen haben, bedürfen insbesondere im Premium-Segment adäquat umgesetzter Kunden- und Markenerlebnisse. Marke und Produkte müssen haptisch erlebbar sein. Das gilt umso mehr für exportorientierte Schweizer KMU, die sich überwiegend in diesem Segment (Stichwort: Swissness) bewegen.

Pop-up-Typen

Bezüglich der konkreten Umsetzung von Pop-ups konnten im Rahmen des Projekts sechs unterschiedliche Typen auf generischer Ebene identifiziert werden (basierend auf einer Befragung sowie einer Analyse von 32 KMU in der Schweiz mit Pop-up-Store-Erfahrungen beziehungsweise mit Intentionen. Die Typen wurden auf Basis der Grundkonzeption von Warnaby et al. 2015 entwickelt). Für die Tauglichkeit von Pop-ups als Instrument der Internationalisierung beziehungsweise der Marktexploration ist die Frage, wie, wann und welcher Typ sinnvoll anzuwenden ist, ebenso entscheidend wie die konsistente und stringente Umsetzung der Produkt- und Markenbotschaft zum Zwecke einer bleibenden Kundenerfahrung.  

Shopping-Nomaden

Shopping-Nomaden setzen auf Pop-up- Stores als alleiniges bzw. überwiegendes Vertriebsinstrument. Die Pop-up-Stores rollieren dabei im Zwei- bis Sechs-Wochen-Takt. Typische Vertreter sind primär Fashionanbieter, welche die Einzigartigkeit ihres Angebots mit dem zahlenmässigen und zeitlichen Verknappungseffekt kombinieren. Das innovative und Social-Media-affine Image von Pop-up-Stores wird dabei mit einem alternativen und andersartigen Produkt- und Markenauftritt kombiniert.

Pop-up of Sales

Eine Umsetzungsform, die ebenfalls ihren Schwerpunkt auf Transaktionen und Flächenumsatz hat, sind Pop-ups of Sales. Dieses Instrument findet branchenübergreifend Anwendung und wird von Anbietern besetzt, welche den Pop-up-Store als weiteren bzw. vorübergehenden Vertriebskanal nutzen. Hier finden sich vor allem Outlet-Konzepte, welche Saisonware und Rotstift- / Streichpreis-Produkte anbieten. Somit richtet sich das Ange-
bot primär an preissensible Kunden. Der Standort hängt vom jeweiligen Anbieter ab: Während sich Pop-up-Outlets von höherwertigen Marken in guten Innenstadtlagen, unter anderen von Mittelstädten, finden, sind mittelsegmentierte Mehrmarkenkonzepte primär in Shopping Malls und Randlagen / Fachmarktzentren anzufinden.

Das Modelabel Marco Polo betreibt so Pop-up-Stores in Innenstadtlagen von mittelgrossen Städten in Deutschland, um die Umsätze zu steigern und Saisonware abzuverkaufen. Auch der Elektronikversender Pearl betreibt einen in der Schweiz rollierenden Pop-up-Shop, der als Outlet mit Kampfpreisen um Kundschaft wirbt. Gleichzeitig wird Preiskompetenz und Markenwahrnehmung für die dauerhaften Outlets gestärkt.

Produkt-Schaukästen

Primär kommunikationsspezifische Ziele werden mit Produkt-Schaukästen verfolgt. Ziel ist es, potenzielle Kunden von spezifischen Produkteigenschaften zu überzeugen. Produkt-Schaukästen befinden sich typischerweise in sehr guten Innenstadtlagen – abhängig vom jeweiligen Anbieter auch Highstreet-Lagen.

Die Pop-up-Stores des Haushaltsgeräteherstellers Miele zielen darauf ab, dass potenzielle Kunden die innovativen Technologien und die neuen Produkteigenschaften vor Ort erleben können (zum Beispiel als Waschsalon in London). Der Kunde lernt die Produkte kennen, Miele lernt den Kunden und seine Bedürfnisse kennen. Aldi nutzt Pop-up-Schaukästen für die Promotion der Sortimentsweine. Passanten können sich vor Ort von der Qualität der Produkte überzeugen (ein Kauf der Weinflaschen ist nicht möglich) und ihre Erfahrungen entsprechend teilen (word-of-mouth).

Crowd-Interfaces

Crowd-Interfaces stellen einen Meeting-Point für die Online-Community dar. Die Stores sind oftmals eventbasiert: Ziel ist es, einzigartige Gemeinschaftserlebnisse rund um Marke und Produkte zu schaffen, um die Loyalität der Kunden-Peer-Group zu stärken. Im Mittelpunkt steht das haptische Markenerlebnis der stark online-affinen Zielgruppe.

Folglich kommt der Einbindung in die Social-Media-Kommunikationskanäle eine zentrale Bedeutung zu. Die Lagen divergieren stark, oftmals wird mit mobilen Pop-up-Läden (z. B. Container) an ungewöhnlichen bis exklusiven Orten gearbeitet. Die Umsetzung selbst ist sehr kurzfristiger Natur und bewegt sich üblicherweise unter einer Woche. So hat die Bank Austria für ihre jugendlichen und Social-Media-affinen Kunden eine Pop-up-Filiale für drei Tage eröffnet und mit zahlreichen Erlebnissen sowie umfangreicher Social- Media-Einbettung promotet.

Markentempel

Der Markentempel schafft für Kunden und Vertriebspartner ein einzigartiges Markenerlebnis. In einer ideal auf die Marke abgestimmten Atmosphäre gilt es, die Markenattribute erlebbar zu machen. Hierfür ist es notwendig, dass die Lage des Stores die Positionierung der Marke widerspiegelt. Premium-Marken präsentieren sich in Premium-Lagen. Günstigere Lagen wie Fachmarktzentren oder konventionelle Shopping-Malls sind für diesen Ansatz ungeeignet.

Die Weisse-Ware-Marke Bauknecht eröffnete im Hotel Kempinski Adlon in Berlin einen exklusiven und hochwertigen Pop-up-Store ausschliesslich für Vertriebspartner und Mitarbeitende, um die Marken- und die Unternehmensidentifikation zu stärken. Dabei verstärken sich der Verknappungs- und der Exklusivitätseffekt in der Wahrnehmung der «Auserwählten». Dieses Beispiel zeigt die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten jenseits der reinen Konsumentenpenetration. Die vorübergehende Vor-Ort-Präsenz bietet im B-to-B-Bereich zur Akquise von Vertriebspartnern, Agenten oder auch Mitarbeitenden erhebliches Potenzial.  

Markttester-Pop-ups

Als Experimentierraum und als Erprobungsraum dienen die Markttester-Pop-ups. Deren Funktion ist das Ausprobieren neuer Märkte, neuer Produkte sowie Kundenerlebnisse. Um valide Ergebnisse zu erhalten, sollten Lage und Gestaltung des Ladens möglichst repräsentativ für das spätere, dauerhafte Angebot sein. Das Instrument fungiert als qualitative, primäre Markt(er)forschung. Mit diesem Instrument bietet sich die Möglichkeit, Marktforschung direkt an und in der Zielgruppe zu betreiben. Hinsichtlich Lage und Dauer ist die bestmögliche Repräsentation des späteren Angebots der Massstab. Steht die Erhebung von Kundendaten sowie das Kundenverhalten im Mittelpunkt des Testens bieten sich Lagen mit intensiver Laufkundschaft an. Der Cerealienversender mymüsli – früher online-only, mittlerweile zunehmend ins stationäre Geschäft drängend – eruiert mittels Pop-ups in europäischen Metropolen, welche Märkte und Standorte für dauerhafte Niederlassungen attraktiv sind.

Die Markttester-Funktion

Die Internationalisierung als langwieriger und planungsintensiver Prozess umfasst die Selektion geeigneter Länder, passender Markteintrittsform(en) wie zum Beispiel Export, Franchising, Verkaufsniederlassungen, den Vertrieb über den eigenen Webshop oder über andere Plattformen/Marktplätze wie Amazon, Alibaba und dergleichen sowie die Analyse und Antizipation notwendiger Adaptionen des Produktangebots an lokale Kundenwünsche.

Diese Vorab-Investitionen schränken die Möglichkeiten der KMU bei der Internationalisierung erheblich ein. Kleine und mittlere Unternehmen benennen trotz der langwierigen und ressourcenintensiven Planung des Markteintritts als zentrale Schwächen und Hemmnisse im Internationalisierungsprozess sprachliche sowie kulturelle Hindernisse, das Fehlen einer Vor-Ort-Präsenz und mangelnde Marktkenntnisse.

Die Markterkundung beziehungsweise -erprobung mittels Pop-up-Stores verlagert die Ressourcenintensität von der  Desk Research in die unmittelbare Er-probung vor Ort (siehe Abbildung 2). Plakativ lässt sich feststellen, dass im Sinne von Trial and Error der Weg Bestandteil des Ziels wird. Statt die Planung hin zu einem optimalen Standort und Markteintrittsmodus zu verfeinern, gilt es vielmehr, im Rahmen des gegebenen Angebots an Pop-up-Flächen einen geeigneten Standort zu finden, welcher die Ziele der Internationalisierung adäquat widerspiegelt.

Bei der Standortsuche unterstützen gängige Immobilienportale ebenso wie spezialisierte Portale für Pop-up-Immobilien. Zentral für den dauerhaften Erfolg der Internationalisierung ist, dass die Erfahrungen sowie die Erkenntnisse, die durch die Markttester-Pop-up-Stores gemacht werden, auch in das Unternehmen zurückflies­sen. Im Sinne einer selbstlernenden Organisation werden dadurch die notwendigen Voraussetzungen zur Exekution bzw. Nicht-Exekution eines dauerhaften Markteintritts geschaffen.

Die Markttester-Pop-ups fungieren als flexible und wenig kapitalintensive Eintrittsplattformen in den Markt. Für den dauerhaften Rollout ist zu evaluieren, welche Rolle Pop-up-Stores in der Umsetzung im Multi- beziehungsweise im Omnichanneling spielen können. Die Zielstellung und Einbindung in den Kanalmix impliziert die Umsetzungsform.

Für die unterschiedlichen Phasen des Internationalisierungsprozesses sind auch unterschiedliche Pop-up-Store-Typen sinnvoll. Während im Bereich des probeweisen Eintritts in den Markt die Markttester-Pop-ups federführend fungieren, empfiehlt sich in späteren Phasen eine Kombination verschiedener Vertriebskanäle und -formate (siehe Abbildung 3).

Ausblick

Pop-up-Stores stellen für kleine und mittelgrosse Unternehmen eine Alternative in der Exploration und dem Eintritt in internationale Märkte dar. Der Prozess der Markterforschung des Eintritts wird wesentlich beschleunigt und mit dem Vorteil, die Märkte sowie die Kunden «vor Ort» kennenzulernen, ergänzt.

Als dauerhafte Wachstumsplattform sind aber Pop-up-Stores nur mit weiteren Vertriebskanälen geeignet. Bisher liegen keine Erkenntnisse über die Nachhaltigkeit und die dauerhafte Wirksamkeit einer Pop-up-Internationalisierung vor (siehe Abbildung 4). Für Schweizer KMU bestehen Synergien in der gemeinsamen Umsetzung einer Pop-up-Internationalisierung auf Basis eines Plattformansatzes. Hierin liegt die nächste Zielsetzung für das Forschungsprojekt Pop-up Internationalization der FHS St. Gallen.

Porträt