Herr Professor Hauser, welche Bedeutung wird dem Thema Whistleblowing in den nächsten Jahren bei KMU zukommen?
Das Thema wird aufgrund des gesetzlichen und wirtschaftlichen Umfeldes in den kommenden Jahren sicherlich wichtiger werden. Die grösseren Unternehmen werden inskünftig immer stärker darauf drängen, dass sich ihre kleinen und mittleren Zulieferer an den geltenden Standards orientieren, weil die Grossunternehmen ihrerseits daran gemessen werden, wie es in ihrer Supply Chain aussieht. Auf diese Weise wird auch das Thema Whistleblowing über die Lieferkette in die Breite der Unternehmen hineingetragen. Daher gehe ich davon aus, dass das Thema Whistleblowing zunehmend auch bei KMU an Bedeutung gewinnt. Denn es ist ein Instrument, um aufzudecken, wenn es bei Zulieferern zu Missständen kommt. Deshalb wird es voraussichtlich so sein, dass die grösseren Unternehmen ihre Zulieferer immer stärker dazu drängen werden, solche Systeme zu implementieren.
Was kann passieren, wenn ein KMU sich weigert, ein Whistleblowing-System einzuführen?
Es ist durchaus vorstellbar, dass potenzielle Firmenkunden mit einem Zulieferer in einem solchen Fall keinen Vertrag abschliessen, weil in den vertraglichen Bestimmungen stehen wird, dass ein Meldesystem vorhanden sein muss. In zahlreichen Verträgen finden sich heute zum Beispiel bereits Antikorruptionsbestimmungen, das heisst, dass sich der Zulieferer zur aktiven Korruptionsprävention bekennen und effektive Massnahmen ergreifen muss, um Korruption zu verhindern. Derartige Klauseln müssen Zulieferer heute bereits vielfach unterschreiben, wenn sie einen Vertrag mit einem Firmenkunden abschliessen, und bereits bestehende Zulieferer müssen sich nachträglich dazu verpflichten.
Was gilt es bei der Einführung eines Whistleblowing-Systems besonders zu beachten?
Zum einen muss das System zum Unternehmen und seiner Kultur passen. Einfach gesagt, sind die Mitarbeitenden eher in der Lage und bereit, einen Missstand über einen klassischen Briefkasten oder eine mobile App zu melden. Zum anderen muss man bezogen auf die Unternehmenskultur darauf achten, dass man die Mitarbeitenden mitnimmt und ihnen eindeutig klarmacht, dass die Einführung eines Whistleblowing-Systems kein Misstrauensvotum gegen sie ist. Sondern eingeführt wird, weil es zum Beispiel internationalen Best Practice Standards entspricht. Ganz zentral ist hier das mittlere Kader. Diesem muss man deutlich sagen: «Es geht nicht darum, euch stärker zu kontrollieren, sondern unsere offene Unternehmenskultur zu stärken, um ein Element zu erweitern und zu strukturieren.» Ausserdem ist entscheidend, dass die Unternehmensleitung klar hinter der Einführung steht, so dass die Mitarbeitenden das Gefühl bekommen, dass die offene Ansprache von Missständen etwas ist, das das Unternehmen wirklich möchte. Daher muss man zweideutige Aussagen auf jeden Fall vermeiden. Etwa nach dem Motto: «Wir führen das System jetzt ein, aber eigentlich wurde es uns von aussen aufgedrängt und wir sehen auch keinen Sinn darin.» Vielmehr muss man darauf achten, über alle Hierarchiestufen hinweg positiv in das Unternehmen hinein zu kommunizieren, warum das System wichtig und notwendig ist.