Forschung & Entwicklung

Betriebliches Gesundheitsmanagement

Noch viel Spielraum für Top-Führungskräfte

Gesundheitsschutz und -förderung sind wichtig, um motivierte leistungsfähige Mitarbeitende zu beschäftigen. Doch nicht jedes KMU kann ein umfassendes Gesundheitsmanagement einführen. Eine Studie der Hochschule Luzern zeigt, wie Gesundheit gefördert werden kann. Dabei sind in einem ersten Schritt die Top-Führungskräfte gefragt.
PDF Kaufen

Gesundheit ist wichtig, Führung auch. Aus der Praxis wissen wir, dass Führung von den Mitarbeitenden als existenziell erlebt wird. Gleichzeitig ist bekannt, dass Führungskräfte ihren Einfluss auf die Gesundheit ihrer Beschäftigten unterschätzen. Dabei geht es nicht darum, dass Führungskräfte einen besonders vorbildlichen gesundheitsbezogenen Lebensstil pflegen sollten. Vielmehr spielen die Führungskräfte und ihr Führungsverhalten beim Management der Gesundheit im Betrieb eine entscheidende Rolle: soziale Unterstützung, Beteiligungsmöglichkeiten sowie mitarbeiterorientierte Führungsstile gehen nachgewiesenermassen mit einer besseren Gesundheit, weniger Stresserleben und weniger Beschwerden der Mitarbeitenden einher. Ein besonders starker Einfluss besteht auf die psychische Gesundheit der Beschäftigten.

Management und Gesundheit

Nicht immer sind sich Führungskräfte aber ihrer tragenden Bedeutung für das Wohlbefinden und die Gesundheit ihrer Mitarbeitenden bewusst. Oder sie befürchten Umtriebe und Kosten und sehen daher von Neuerungen im Bereich Gesundheitsförderung ab. Tatsächlich sind Forschungserkenntnisse, die an die bestehenden strukturellen und kulturellen Voraussetzungen gerade von KMU anknüpfen, aktuell noch Mangelware. Dies liegt unter anderem daran, dass bisher kaum etwas darüber bekannt war, was Führungskräfte persönlich unter Gesundheit und Gesundheitsförderung verstehen und wo sie die Verantwortlichkeiten, Potenziale oder auch die Hindernisse wahrnehmen. Um diese subjektiven Konzepte zu Gesundheitsthemen zu erforschen, hat die Hochschule Luzern 29 Top-Führungskräfte aus der Verwaltung, aus Non-Profit-Organisationen und aus privatwirtschaftlichen Unternehmen in der Deutschschweiz mit einer Befragungsmethode untersucht, die auf der Erzählung von konkretem, erlebtem Handlungswissen beruht und über die Erhebung von Expertenwissen hinausgeht.

Vier Profile

Die Ergebnisse zeigen, dass bei den Top-Führungskräften ein grosses Interesse daran besteht, sich mit dem Thema Gesundheit auseinanderzusetzen und dass sie sich oft unsicher fühlen, wie weit ihre Rolle als Führungsperson einen aktiven Umgang mit der Gesundheit von Mitar­beitenden tatsächlich zulässt. Neben Gemeinsamkeiten bestehen auch deutliche Unterschiede in den Sichtweisen und Handlungsmöglichkeiten der Befragten. Diese lassen sich entlang von vier Managementprofilen beschreiben, die sich einerseits im Ausmass unterscheiden, in dem die Gesundheit systematisch oder situativ gemanagt wird und andererseits in der Herangehensweise an das Thema, die reaktiv (im Sinn von reagieren auf Gesundheitsprobleme) oder proaktiv (das heisst vorausschauend agierend) gestaltet wird. Die Profile stellen weder Entwicklungsstufen dar, noch sind sie als «bessere» oder «schlechtere» Formen zu bewerten: Jedes Profil beinhaltet je spezifische Stärken, Risiken und Entwicklungsmöglichkeiten.

Die «Patrons»

Ein Betrieb, der wirtschaftlich gesund und gut geführt ist, führt zu zufriedenen und gesunden Mitarbeitenden. Wenn es der strategischen Führung gelingt, Arbeitsplatzsicherheit zu schaffen und für eine mitarbeiternahe Führung zu sorgen («Management by walking around»), dann stellt sich die Gesundheit der Mitarbeitenden automatisch her. Ist die Gesundheit von Mitarbeitenden dennoch einmal gefährdet, dann garantiert eine offene Unternehmenskultur die Früherkennung und ermöglicht adäquate Interventionen.

Die «Risikomanager»
Gesundheit wird sichtbar als Abwesenheit von Krankheit, Krankheit wird sichtbar über die Abwesenheit von Mitarbeitenden. Für dieses Führungsprofil wird Gesundheit dann ein Thema, wenn es Risiken zu vermindern oder Schäden zu begrenzen gilt. Gesundheitsmanagement erschöpft sich im Case- und Absenzenmanagement und wird nur dann aktiv thematisiert, wenn die Manager die Erwartungen der unterschiedlichen Gruppen aus der Gesellschaft oder im Betrieb antizipieren (zum Beispiel wenn sich Spitäler um den Impfschutz des Personals im In­teresse ihrer Patientinnen und Patienten kümmern).

Die «Förderer»

Im Gegensatz zu den beiden bereits beschriebenen Profilen ist und hat Gesundheit hier einen Wert an sich. Im Betrieb wird dies sichtbar als Palette von Gesundheitsangeboten oder in oft charismatischen Führungspersonen, die eine gesunde Lebensführung vorleben und eine – manchmal anreizgesteuerte – Gesundheitskultur unter ihren Mitarbeitenden fördern. Manager in diesem Profil berichten vom Spannungsfeld einer gut gemeinten Gesundheitsförderung einerseits und einem Reputationsrisiko andererseits, indem das Eintreten für die Förderung der Gesundheit als «Missionieren» oder als «Benachteiligung» (zum Beispiel für die unsportlichen Mitarbeitenden) kritisch diskutiert wird.

Die «Gesundheitsmanager»

Gesundheit ist ein betriebliches Querschnittthema, wie die Wirtschaftlichkeit, die Rechtskonformität oder die Qualität. In diesem Sinn ist Gesundheit eine Selbstverständlichkeit, welche immer auch auf die Agenda (zum Beispiel von Geschäftsleitungssitzungen) gehört. Gesundheit als Thema wird gemeinsam verantwortet: Zum einen trägt die Führung die Verantwortung für die Gesundheit im Betrieb (beispielsweise über die Kultur oder die Führungskonzepte), zum anderen sind auch die Mitarbeitenden dafür verantwortlich, die gesundheitsfördernden Entscheide mitzutragen und die eigenen Anliegen aktiv einzubringen. Das kann so weit gehen, dass das Thema Gesundheit durch die Mitarbeitenden von zuhause in den Geschäftsalltag getragen wird. So diskutieren Mitarbeitende zum Beispiel den Umgang mit der Life-Domain-Balance innerhalb der neuen mobilen Arbeitsformen vor dem Hintergrund entgrenzter Arbeit.

Die Herausforderungen

Für jedes dieser Profile stellen sich die nun folgenden Herausforderungen:

Gesundheitsmonitoring

Die Stärke des Managementprofils der «Patrons» zeigt sich in der Nähe zu den Mitarbeitenden, die in den hier vorwiegend als kleine und mittlere Betriebe beschriebenen Firmen durch die überschaubare Grösse, eine Kultur der Offenheit und eine hohe Teamkohäsion hergestellt wird. Sie ermöglichen eine ein­fachere Thematisierung von (auch als «privat» geltenden) Fragen zur Gesundheit. Der Fo­kus auf Vertrauen und das Vermeiden von Monitorings können in der negativen Konsequenz aber bewirken, dass spezifische gesundheitsrelevante Phänomene wie zum Beispiel Präsentismus (das heisst Anwesenheit am Arbeitsplatz trotz relevanter Arbeitsbeeinträchtigung) nicht oder nicht frühzeitig wahrgenommen werden.

Agieren statt reagieren

Die Stärke des Profils des Risikomanagers liegt darin, dass das Thema Gesundheit in dem Sinn gelöst ist, dass für auftretende gesundheitsbedingte Probleme bereits Prozesse und Instrumente zu deren Bewältigung definiert sind. Absenzenstatistiken allein können aber zahlreiche Gesundheitsrisiken nicht wiedergeben. Gerade psychische Befindlichkeitsstörungen werden nicht erfasst und treten erst dann zutage, wenn sie sich als leistungsbeeinträchtigende Krankheiten manifestieren und entsprechende Kosten verursachen. Die «Risikomanager» könnten demnach die grösseren Risiken besser vermeiden, wenn sie sich auch um die Gesundheit der Mitarbeitenden oder zumindest um die Früherkennung von gesundheitlichen Störungen kümmern würden. Agieren statt reagieren, Prävention zusätzlich zur Intervention, wären hier mögliche optimierende Strategien.

Angebote integrieren

Die Förderer erleben sich mehrheitlich als Teil einer «Übergangsphase» zu einer integrierte(re)n Form des betrieblichen Gesundheitsmanagements. Führungskräfte in diesem Profil balancieren ohne Netz, das heisst sie agieren als Individuen ohne konzeptionellen oder strukturellen betrieblichen Rückhalt. Daher zeichnen sie sich durch eine explizite Gesundheitsorientierung und gleichzeitig durch eine ausgeprägte Unsicherheit aus. In dieser Übergangssituation zeigt sich aber auch die Stärke des Profils: Es ist hoch adaptiv und kann aktuelle Themen und Entwicklungen wie die bereits erwähnten sich entgrenzten Arbeitsformen oder neue Problemfelder wie die Zunahme psychischer Krankheiten gut integrieren.

Wertebasiert handeln

Das integrierte Gesundheitsmanagement wird oft als «Königsweg» betrachtet, weil Gesundheitsförderung zum organisationalen «courant normal» gehört. Das zeigt sich unter anderem darin, dass Gesundheit kaum mehr als «Gesundheit» benannt, sondern in einer eigenen Begrifflichkeit zu einem Teil der betriebsinternen Kultur wird. Die Förderung psychischer Gesundheit wird beispielsweise integriert in betriebliche Abläufe einer gesundheitsfördernden Gesprächs-, Kritik- und Fehlerkultur. Auch das integrierte Gesundheitsmanagement birgt aber Risiken. Diese bestehen einerseits in der Gefahr der Stagnation, anderseits aber auch darin, dass der «Zugriff» auf die Mitarbeitenden zu gross wird, wenn diese die betrieblichen Werte zu sehr übernehmen (müssen).

Gesundheit ist (auch) Chefsache

Die Studie zeigt insgesamt auf, dass es die beste Lösung nicht gibt, sondern dass die gesundheitsbezogenen Handlungsweisen stark vom betrieblichen Kontext und den spezifischen Handlungsorientierungen der Befragten abhängig sind. In diesem Sinne ist Gesundheit in jedem Fall auch – aber nicht ausschliesslich – die Sache des Chefs.

Fazit

Für die Praxis heisst das, dass es nicht wie häufig gefordert lediglich um die Sensibilisierung der sogenannten Chefetage gehen kann, sondern dass betriebsbe­zogene Handlungsspielräume erkannt und auf ihre Potenziale überprüft werden müssen. Spielräume, die nicht zuletzt auch in kleinen und mittelgrossen Unternehmen zu finden sind.

Die detaillierten Forschungsergebnisse des Projekts «Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) ist Chefsache!?» der Hochschule Luzern sind auf der Webseite www.hslu.ch/bgm-chefsache nachzulesen.

Porträt