Forschung & Entwicklung

Wetterabhängige Preisfestlegung

Mit meteo-dynamischem Pricing zum Erfolg

Wie ein Forschungsprojekt der FHS St. Gallen belegt, können mit einer wetterabhängigen Preisfestlegung wirksame Kaufanreize geschaffen und das Marktpotenzial besser ausgeschöpft werden. Der folgende Beitrag erörtert theoretisch-konzeptionelle Grundlagen und zeigt auf, welche Ergebnisse mit diesem Ansatz konkret erzielt werden können.
PDF Kaufen

Der Kontextfaktor Wetter ist für die wahrgenommene Nutzenstiftung eines Angebots für viele Kunden eine zentrale Einflussgrösse. Dies gilt insbesondere für Dienstleistungen im Outdoor-Bereich. Umso mehr erstaunt es, dass die erwarteten Wetterbedingungen bei der Preisfindung in Wissenschaft und Praxis bisher kaum Berücksichtigung finden.

Das Forschungsprojekt

In einem von der Kommission für Technologie und Innovation (KTI) der Schweizerischen Eidgenossenschaft geförderten Forschungsprojekt werden erstmalig die Auswirkungen eines dynamischen Preismanagements untersucht, das systematisch die Wetterprognose im Angebotspreis berücksichtigt.

Für die zu untersuchende Weltneuheit eines meteo-dynamischen Pricings konnten für das Forschungsprojekt nachfolgende Partner gewonnen werden: die beiden Wintersportgebiete Pizolbahnen AG (Bad Ragaz, SG) und Belalp Bahnen AG (Naters, VS), der Ticketing-Spezialist Tipo AG als Bereitsteller der Buchungsplattform (www.tipo.ch) sowie SRF Meteo als anerkannter Provider der Wetterdaten. Das Forschungsprojekt startete in der Wintersaison 2016 / 2017 und rief schweizweit ein enormes Medienecho mit nationaler TV-, Radio- und Printberichterstattung hervor. Obwohl es noch bis zum Ende der Wintersaison 2017 / 2018 läuft, liegen mittlerweile erste überzeugende Ergebnisse vor, die in diesem Artikel dargelegt werden. Es spricht daher einiges dafür, dass meteo-dynamisches Pricing die Zukunft des Preismanagements in wetterabhängigen Branchen prägen wird, was auch durch das Auftreten erster Imitatoren unterstrichen wird.

Dynamic Pricing

Unter dynamischem Pricing versteht man eine preispolitische Strategie, die zwecks Erfolgsoptimierung eine fortlaufende Anpassung des Angebotspreises anhand verschiedener Faktoren beinhaltet. In der Regel wird unter dynamischem Pricing eine anbieterseitige, nicht verhandelbare Preisvorgabe verstanden, die über einen bestimmten Zeitraum variiert wird. Im Unterschied zu üblichen Preisanpassungen erfolgt die Preisvariation «dynamisch», das heisst mit hoher intertemporaler Frequenz.

Das idealtypische Beispiel für dynamisches Pricing entstammt dem Airline-Bereich. Hier wird der Preis in Abhängig­keit von Buchungszeitpunkt und Auslastungs- bzw. Nachfragesituation fortlaufend angepasst. In enger Begriffsdefinition wird von einem «dynamic pricing» dann gesprochen, wenn der Preis für dasselbe Produkt über den Zeitablauf häufig variiert wird. Dies ist in der Passagierluftfahrt unter anderem bei sogenannten «Low Cost Carriern» zu beobachten. In Abgrenzung dazu geht es beim klassischen Revenue Management beziehungsweise Yield Management der Fluglinien oft auch darum, leicht unterschiedliche Produkte durch Abgrenzungskriterien, wie zum Beispiel eingeschränkten Stornomöglichkeiten oder Mindestaufenthalt, im Sinne einer segmentorientierten Preis­differen­zierung anzubieten. Meist erfolgt dies in Zusammenhang mit einer Kontingentierung.

Wie das Beispiel zeigt, ist eine trennscharfe Abgrenzung zwischen dynamischem Pricing und Revenue beziehungsweise Yield Management nicht leicht – die Grenzen sind fliessend. Gleiches gilt auch für Ansätze der klassischen Preisdifferenzierung, die durch eine a priori Festlegung von Preispunkten für dasselbe Produkt (für zum Beispiel unterschiedliche Kundensegmente oder Zeiträume) wesentlich starrer ausfällt.

In anderen dynamischen Pricing-Ansätzen wird der Preis auf Basis von Kundendaten, Wettbewerbspreisen oder anderen Kontextfaktoren variiert. Ein dynamisches Pricing aufgrund von Kundendaten wird zum Beispiel im Online-Handel angewendet. Das Internet bietet die Möglichkeit, Daten über den Kunden zu sammeln, um damit Rückschlüsse auf seine Zahlungsbereitschaft zu ziehen (Browser-Verlaufstracking, IP-Standortbestimmung, Ermittlung Zugriffsgerät etc.) und in einen kundenspezifischen Angebotspreis zu transferieren. Ein derartiges Vorgehen gilt bei Kunden als wenig akzeptiert beziehungsweise unfair. Bei einer Orientierung an Wettbewerbspreisen wird im Online-Handel über entsprechende Softwarelösungen der Angebotspreis in Abhängigkeit von vergleichbaren Konkurrenzprodukten variiert.

Schliesslich kann eine Dynamisierung des Angebotspreises auf verschiedenen Kontextfaktoren beruhen, worunter auch der Einflussfaktor Wetter subsumiert werden kann. In der amerikanischen Major Baseball League wird der Preis neben der Kapazitätsauslastung zum Beispiel durch Berücksichtigung von Faktoren wie Rivalität der Teams, Tabellenrang des Gegners oder Starting Pitchers ermittelt.

Wetter als Nutzenkomponente

Die Berücksichtigung des Kontextfaktors Wetter bei der Preisfindung reiht sich in die jüngere Forschungsrichtung der nachfragebezogenen Preisbestimmung ein. Die verbreitete kostenorientierte Preisfestlegung (Cost-Plus Pricing) wurde mit einem Wandel von Verkäufer- zu Käufermärkten vielfach durch eine Orientierung an den Strategien direkter Konkurrenten bei vorwiegend austauschbaren Angeboten (Market-Based Pricing) sowie der Nachfrageseite bei Angebotsunterschieden (Value Pricing) ersetzt. Beim nachfragebezogenen Zugang spielt der gestiftete Kundennutzen eine zentrale Rolle. Die Preise orientieren sich an dem vom Kunden wahrgenommenen Wert eines Angebots.

Gerade im Bereich von Outdoor-Veranstaltungen ist es evident, dass der wahrgenommene Nutzen in erheblichem Ausmass durch die erwartete Wettersituation mitbestimmt ist. Der wahrgenommene Nutzen ist der zentrale Treiber für die
Zahlungsbereitschaft, die im Falle einer schlechten Wetterprognose deutlich tiefer ausfällt. Bei der herkömmlichen Vorgabe eines starren Angebotspreises bleibt dieser Umstand unberücksichtigt, was dazu führt, dass viele Tagesgäste bei erwartetem Schlechtwetter auf ein Wintersporterlebnis an diesem Tag verzichten, weil für sie das Preis-Leistungs-Verhältnis ganz einfach nicht stimmt. Hingegen kann mit einer Preisfindung, die den wichtigen Kontextfaktor Wetter berücksichtigt, ein adäquater Kaufanreiz geschaffen werden. Auf diese Weise wird eine Balance zwischen dem vom Kunden wahrgenommenen Angebotsnutzen, seiner daraus abgeleiteten Zahlungsbereitschaft sowie dem Angebotspreis hergestellt. Zudem können durch diese Innovation preisorientierte Kundengruppen (beispielsweise Familien) verstärkt angesprochen sowie Neukunden gewonnen werden.

Durchschnittsertrag steigern

Hinzu kommt, dass es sich bei Dienstleistungen wie der Tageskarte einer Bergbahn um sogenannte «perishable goods», das heisst verfallende Dienstleistungen, handelt. Gelingt es einer Bergbahn nicht, ihre Dienstleistung für einen bestimmten Tag zu verkaufen, so verfällt die Dienstleistung ohne Gegenwert. Da Bergbahnen von Haus aus nur eine begrenzte Anzahl an verkaufbaren Wintersporttagen vorfinden, ist es für diese zentral, dass der durchschnittliche Ertrag pro Wintersporttag so hoch wie möglich ausfällt. Dies umso mehr, da die Fixkosten sehr hoch sind, während die Grenzkosten pro zusätzlichem Kunden kaum ins Gewicht fallen. Jeder weitere Erlös entspricht daher einem zusätzlichen Deckungsbeitrag beziehungsweise bei bereits gegebener Fixkostendeckung einem zusätzlichen Gewinn. Das meteo-dynamische Pricing mit seiner Ausrichtung am Kundennutzen kann so dazu beitragen, dass durch die Generierung von Zusatzumsätzen der Durchschnittsertrag gesteigert wird.

Wetterabhängige Tageskare

Auf Basis obenstehender Überlegungen wurde im Rahmen des Forschungsprojekts gemeinsam mit den Wintersportgebieten Pizol in St. Gallen und Belalp im Oberwallis ein meteo-dynamisches Preismodell entwickelt sowie eine wetterabhängige Tageskarte eingeführt. Das dahinterstehende Konzept ist denkbar einfach: Je schlechter die Wetterprognose von SRF Meteo für einen bestimmten Wintersporttag ausfällt, umso günstiger ist der Preis für eine Tageskarte. Ausgehend von einem Referenzpreis, der den regulären Kassa- beziehungsweise Online-Preis für die Kundengruppe (Erwachsene, Jugendliche, Kinder) darstellt, wird abhängig von der Vorhersage den Kunden ein bestimmter Rabatt gewährt.

Bei der Entwicklung des meteo-dynamischen Pricing-Modells mussten zunächst die von SRF Meteo bereitgestellten, umfangreichen Wetterdaten analysiert und kategorisiert werden. SRF Meteo unterscheidet in der Wetterprognose dreissig idealtypische Wetterkonstellationen, die durch verschiedene Wettersymbole dargestellt werden.

Auf der Webseite der Buchungsplattform des Ticketing-Spezialisten Tipo AG spielen diese Wettersymbole daher eine zentrale Rolle, womit auch eine Anschlussfähigkeit an die medial verbreitete Wetterprognose gegeben ist.

Meteo-dynamisches Preismodell

Die Rabatthöhen wurden auf Grundlage einer Studie der FHS St. Gallen zur Zahlungsbereitschaft bei unterschiedlichen Wetterprognosen festgelegt. In einer Untersuchung mit 147 Studierenden konnte belegt werden, dass die Zahlungsbereitschaft bei verschiedenen erwarteten Wetterbedingungen wegen der unterschiedlichen Erwartungen des Nutzens zum Teil erheblich variiert. Bei vergleichsweise schlechteren Bedingungen ist ein Preisnachlass von bis zu 50 Prozent angezeigt, um der durchschnittlichen Zahlungsbereitschaft gerecht zu werden. Dies markiert auch die maximale Rabattstufe im meteo-dynamischen Preismodell, die aber auch aus psychologischen und marketingtechnischen Gründen («Tagesticket zum halben Preis») in dieser Höhe festgelegt wurde.

Daneben gibt es je nach Wetterprognose eine Handvoll weiterer Rabattstufen. Allerdings wird bei guten Wetterbedingungen kein Preisnachlass gewährt, da dies unter Nutzenerwägungen nicht erforderlich ist und auch die Studie zur Zahlungsbereitschaft ergab, dass in diesem Fall tendenziell sogar noch ein etwas höherer Preis als der reguläre Ticketpreis für eine Tageskarte verlangt werden könnte. Obwohl es konzeptionell vorstellbar wäre, bei guten Bedingungen einen erhöhten Preis zu veranschlagen, wurde im vorliegenden Modell auch aus Wettbewerbsüberlegungen davon Abstand genommen. In theoretischer Hinsicht wäre es jedoch für manche Wintersportgebiete denkbar – zum Beispiel in den Wochen der Hochsaison bei sehr guter Kapazitätsauslastung durch Wochengäste und Saisonabonnenten – einen Schritt in diese Richtung zu setzen.

Spielerische Komponente

Die Preise für die wetterabhängigen Tageskarten werden sofort nach Vorliegen einer neuen Wetterprognose für die verschiedenen Tage automatisiert neu berechnet und allenfalls angepasst – eine Aktualisierung findet vier Mal pro Tag statt. Es liegt in der Natur der Sache, dass eine mittelfristige Wetterprognose eine höhere Schwankungsbreite in der Genauigkeit aufweist als eine kurzfristige Vorhersage.

Im vorliegenden Modell wurde die Buchbarkeit der wetterabhängigen Tageskarte aber ganz bewusst auf den maximalen Zeitraum von einer Woche ausgedehnt, für den eine brauchbare Wettervorhersage verfügbar ist. Damit werden dem Kunden mehrere Handlungsoptionen eingeräumt und es soll unterstützt werden, dass er mit der wetterabhängigen Tageskarte nicht nur ganz kurzfristige Optimierungen vornimmt, sondern sich damit im Idealfall auch kontinuierlich beschäftigt (Steigerung des Kunden-Involvements).

Zusätzlich ergibt sich aus dem längeren möglichen Buchungszeitraum auch eine spielerische Komponente: Aufgrund der grös­seren Schwankungsbreite bei einer Prognose von mehreren Tagen im Vorhinein besteht auch die Chance, dass sich das Wetter tatsächlich besser entwickelt. Buchungen zu einem früheren Zeitpunkt stellen daher implizit auch eine Wette auf den Wetterverlauf dar. Allerdings profitiert der Kunde in jedem Fall bereits zum Kaufzeitpunkt vom prognoseabhängigen Rabatt, während sich durch einen besseren, tatsächlichen Wetterverlauf ein Zusatznutzen einstellen kann.

Substanzieller Effekt

Die im Folgenden dargestellten Ergebnisse basieren auf einer Analyse der Buchungsdaten sowie auf Online-Befragungen der Kunden bei der Ticket-Buchung und nach der Absolvierung des Wintersporttages. Durch dieses mehrstufige Vorgehen ist sichergestellt, dass die Auswirkungen des meteo-dynamischen Pricings umfassend beleuchtet werden können.

Der Verkaufsstart fand in der Wintersaison 2016 / 17 in der zweiten Januarhälfte statt. Es gab ein reges Interesse und es konnten in den beiden mitwirkenden, mittelgrossen Wintersportgebieten gesamthaft zirka 2 200 Stück wetterabhängige Tageskarten verkauft werden. Damit wurde mit dem meteo-dynamischen Pricing ein nennenswerter Umsatz generiert. Zur Beurteilung der Frage, wie gross der ökonomische Vorteil tatsächlich ausfällt, stellt sich die Frage nach der Kannibalisierungsrate beziehungsweise dem realisierten Nettoumsatz. Bei der Kannibalisierungsrate handelt es sich um den prozentualen Umsatzverlust durch Kunden, die den Wintersporttag zu regulären Preisen in Anspruch genommen hätten, nun aber vom Preisvorteil der wetterabhängigen Tageskarte profitieren.

Wie aus Abbildung 2 ersichtlich ist, beträgt die Kannibalisierungsrate 23 Prozent des Umsatzes der wetterabhängigen Tageskarte (Umsatz MDP), womit sich ein effektiver Nettoumsatz von 77 Prozent ergibt. Die erfreulich tiefe Kannibalisierungsrate konnte zum einen durch eine sorgsame, forschungsgestützte Ausgestaltung des Pricing-Algorithmus mit seinen wetterbezogenen Rabattstufen sichergestellt werden. Zum anderen gelang es, mit dem meteo-dynamischen Pricing-Ansatz zahlreiche Kunden auf die Piste zu locken, die sonst nicht gekommen wären. In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, dass der Anteil an gewonnenen Neukunden, die noch nie im jeweiligen Gebiet Wintersport betrieben haben, sich mit zirka 20 Prozent (Belalp) und zirka 36 Prozent (Pizol) recht hoch darstellt.

 Hohe Kundenakzeptanz

Neben diesen eindrücklichen Absatzdaten ist das Angebot einer wetterabhängigen Tageskarte aber auch in Bezug auf die Kundenwahrnehmung und -akzeptanz ein voller Erfolg. Der Preis der wetterabhängigen Tageskarte wird von zirka 80 Prozent als fair beziehungsweise sehr fair wahrgenommen. Dabei ist interessant, dass die Zustimmung zu dieser Feststellung nach Absolvierung des Skitages sogar noch etwas höher ausfiel.

Dies ist wohl darauf zurückzuführen, dass den Kunden ein unmittelbarer wetterbedingter Preisvorteil bei der Buchung eingeräumt wurde und sich für zahlreiche Kunden das wahrgenommene Wetter am Skitag noch besser als erwartet präsentierte. In Bezug auf die Vorteilhaftigkeit dieses neuen Angebots sehen zirka 80 Prozent einen grossen bis sehr grossen und zirka 15 Prozent einen moderaten Vorteil. Demgegenüber wird das mit einer wetterabhängigen Tageskarte verbundene Risiko als moderat (zirka 45 %) beziehungsweise wenig oder gar nicht vorhanden (zirka 35 %) eingestuft.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der meteo-dynamisch ermittelte Preis als fair empfunden wird und in der Angebotsinnovation einer wetterabhängigen Tageskarte ein grosser Vorteil bei geringem beziehungsweise kalkulierbarem Risiko gesehen wird. Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass die abgefragte Wahrscheinlichkeit eines Wiederholungskaufs auf einer Skala von 1 (sehr niedrig) bis 7 (sehr hoch) im Mittel mit 6.1 recht hoch ausfällt. Dieser Wert wird sogar noch von der Wahrscheinlichkeit der Weiterempfehlung der wetterabhängigen Tageskarte übertroffen, die auf der Skala den Mittelwert von 6.2 aufweist.

Porträt