Forschung & Entwicklung

Marktforschung

Mit der Conjoint-Analyse zum Produkterfolg

Im vorliegenden Artikel wird die Methode der Conjoint-Analyse vorgestellt, die zur kundenorientierten Gestaltung und Vermarktung von Neuprodukten herangezogen werden kann. Ein konkretes Beispiel aus dem KMU-Kontext verdeutlicht die Relevanz und Praxistauglichkeit dieses Marktforschungsinstruments.
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Die kontinuierliche Einführung von neuen Produkten und Dienstleistungen gilt als eine der zentralen Aufgaben zur Sicherstellung des langfristigen Unternehmenserfolgs. Über den Erfolg von neuen Angeboten entscheidet vor allem, inwiefern die angebotenen Leistungen den Bedürfnissen und Anforderungen der Kunden gerecht werden. Angesichts zahlreicher möglicher Gestaltungsoptionen stellt sich die Frage, wie neue Produkte und Dienstleistungen konkret ausgestaltet werden sollen, um eine hohe Kundenakzeptanz und Kaufwahrscheinlichkeit realisieren zu können.

Neuprodukte als Erfolgsgarant

Viele Unternehmen können im Prozess der Spezifikation von neuen Produkten und Dienstleistungen auf substanzielle Markterfahrung zurückgreifen. Allerdings funktioniert dieser Rückgriff auf gesammelte Erfahrungen meist nur in Bezug auf Verbesserungen bei etablierten Produktmerkmalen, während für neue, innovative Leistungselemente kaum Erfahrungswissen vorliegt. Hinzu kommt, dass in vielen Unternehmen bei genauer Betrachtung zum Teil nur diffuses Wissen betreffend den wirklichen Bedürfnissen der Kunden bzw. der Akzeptanz von Produktmerkmalen vorliegt. Entscheidungen werden daher überwiegend aus einer Innenperspektive (Expertensicht) getroffen, womit die Gefahr besteht, dass ein Neuprodukt am Markt vorbei entwickelt wird beziehungsweise das vorhandene Marktpotenzial nicht optimal ausgeschöpft werden kann.

Um mit einem neuen Produkt bzw. einer neuen Dienstleistung den grösstmöglichen Markterfolg erzielen zu können, empfiehlt es sich, die Kundenbedürfnisse und -präferenzen in einem möglichst frühen Stadium des Innovationsprozesses qualifiziert zu erheben. Im Kern geht es um die Beantwortung der Frage, welche Leistungsmerkmale ein neues Produkt aufweisen und in welcher Ausprägung diese vorliegen müssen, damit von den Zielkunden das Neuprodukt als nutzenstiftend und idealerweise als wettbewerbsüberlegen wahrgenommen werden kann.

Zu Beginn eines Innovationsprozesses gibt es meist zahlreiche Ideen für die konkrete Ausgestaltung eines neuen
Angebots. Die Auswahl der «richtigen» Ideen erweist sich dabei oft als schwierig. Einerseits sollte das Produkt den Kundenwünschen entsprechen und ein vorteilhaftes Preis-Leistungs-Verhältnis aufweisen. Andererseits muss aber auch ein Over-Engineering vermieden werden. Bei der Produktgestaltung muss eine Konzentration auf Leistungsmerkmale und deren spezifische Ausprägungen erfolgen, die dem Kunden einen wirklichen Nutzen stiften. Eine fundierte Kenntnis der Kundenpräferenzen ist somit Dreh- und Angelpunkt einer effektiven Produktgestaltung.

Die Conjoint-Analyse

Für die Erhebung von Kundenpräferenzen hat sich die Conjoint-Analyse in der Praxis bewährt. Sie stellt das in der Marktforschung am häufigsten eingesetzte Verfahren zur Bestimmung von Präferenzen dar. Das Ziel der Conjoint-Analyse ist es, den Kaufentscheidungsprozess eines Kunden möglichst realitätsnah abzubilden. Conjoint steht hier für eine Wortbildung, die aus «CONsidered JOINTly» entstanden ist (ter Hofte-Fankhauser, Wälty 2013, S. 106). Mit dieser Bezeichnung wird der Aspekt der ganzheitlichen Beurteilung von Produktalternativen hervorgehoben. Der Kunde vergleicht typischerweise mehrere Produktalternativen als Ganzes miteinander, wobei er den Preis einer Produktalternative verschiedenen Produktmerkmalen gegenüberstellt. Jedes dieser Produktmerkmale ist für einen bestimmten Kunden mit einem spezifischen Teilnutzen verbunden. Ein Kunde wird sich letztlich für die Produktalternative entscheiden, die für ihn den grössten Gesamtnutzen (Summe der Teilnutzen) aufweist (ter Hofte-Fankhauser, Wälty 2013, Seite 105).

Die Conjoint-Analyse liefert eine fundierte Basis für zahlreiche relevante Fragestellungen im Rahmen der Entwicklung eines Produktes bis zur Marktreife (siehe Teichert, Sattler, Völckner 2008, Seite 653)

  • Produktgestaltung, zum Beispiel welche Produktalternative oder welches Servicepaket wird vom Kunden gegenüber anderen bevorzugt?
  • Preispolitik, zum Beispiel wie viel darf ein neues Produktmerkmal kosten?
  • Marktsegmentierung, zum Beispiel welche Produktmerkmale sind in den einzelnen Marktsegmenten besonders nutzenstiftend?
  • Kommunikationspolitik, zum Beispiel welche Produktmerkmale sind bei einer Kommunikationskampagne hervorzuheben?

Letztlich geht es darum, herauszufinden, welches Produktkonzept das grösste Erfolgspotenzial bietet. Dabei sind vor­handene, häufig eher technikgetriebene Ideen aus Forschung und Entwicklung dahingehend zu prüfen, ob diese für den Zielkunden nutzenstiftend sind. Dadurch kann das Risiko von Fehlinvestitionen reduziert werden.

Das Praxisbeispiel

Im Folgenden soll an einem konkreten Beispiel eines KMU dargelegt werden, wie eine Conjoint-Analyse gewinnbringend eingesetzt werden kann. Es handelt sich  um einen renommierten Hersteller von Schutzkoffern aus Kunststoff. Die Fragestellung im Geschäftsfeld Standardkoffer bestand darin, herauszufinden, wie die neue Koffergeneration gestaltet werden sollte, um den grösstmög­lichen Markt­erfolg zu garantieren. Das Unternehmen hatte aufgrund interner Entwicklungsarbeit und Kundenrückmeldungen verschiedene Ideen zu möglichen Produktmerkmalen und deren Ausgestaltung.

Trotz jahrelanger Erfahrung und gutem Marktwissen war allerdings unklar, welche technischen Neuerungen letztlich den grösstmöglichen positiven Einfluss auf den Kaufentscheid des Kunden haben und daher realisiert werden sollten. Aus diesem Grund entschied sich das Unternehmen, eine fundierte Abklärung der Präferenzstruktur der Zielgruppe mittels einer Conjoint-Analyse durchzuführen (siehe für eine ausführliche Erläuterung der Methode: Backhaus, Erichson, Weiber 2013).

Konkret wurde eine sogenannte wahl­basierte (choice-based) Conjoint-Analyse mithilfe einer Online-Befragung durchgeführt. Bei dieser Variante trifft der Befragte mehrere Auswahlentscheidungen zwischen verschiedenen Produktalternativen. Der Befragte wählt jeweils das aus seiner Sicht bevorzugte Produktkonzept. Der Vorteil der wahlbasierten Conjoint-Analyse liegt darin, dass mit verhältnismässig wenigen Auswahlentscheidungen mittels statistischen Verfahren eine verlässliche Aussage zur Akzeptanz von Neuproduktmerkmalen bzw. zur Nutzenstiftung möglicher Ausprägungen gemacht werden kann.

Die Vorgehensweise

Das Vorgehen wird nun anhand dem konkreten Fallbeispiel erläutert (siehe Abb. 1). In einem ersten Schritt ist zunächst zu überlegen, anhand welcher Merkmale die zu testenden Produktalternativen, d. h. die Standardkoffer, beschrieben werden sollen (siehe Abb. 2). Um die endgültige Auswahl an Produktmerkmalen zu erleichtern, sollten einige Anforderungen beachtet werden (siehe dazu und im Folgenden Teichert, Sattler, Völckner 2008).

  • Das Unternehmen sollte sich auf Produktmerkmale konzentrieren, für die zusätzliche Informationen betreffend der Nutzenstiftung beim Kunden wirklich benötigt werden. Die Merkmale müssen für die Kaufentscheidung des Kunden relevant sein. Für die Identifikation wichtiger Merkmale empfiehlt es sich, einen internen Workshop mit Verantwortlichen aus unterschiedlichen Funktionsbereichen wie zum Beispiel Produktmanagement, Vertrieb, Marketing, Produktion und Forschung & Entwicklung durchzuführen. Die auf diese Weise ermittelten Merkmale können bei Bedarf anschliessend mittels qualitativer Marktforschungsmethoden wie zum Beispiel Fokusgruppen oder Tiefeninterviews durch die Sichtweise potenzieller Produktverwender ergänzt und kritisch reflektiert werden.
  • Die Merkmale müssen diskriminierungsfähig sein. Dies bedeutet, dass sich die Merkmale des Neuprodukts von denen der am Markt befindlichen Konkurrenzprodukte auch unterscheiden sollten. Beim Produktmerkmal «Griff» bietet zum Beispiel ein Unternehmen Koffer mit einem am Koffer befestigten Klappgriff an im Gegensatz zu einem Konkurrenzunternehmen mit einer in das Kofferdesign integrierten Griffvariante.
  • Die Anzahl der Produktmerkmale soll überschaubar sein. Beim Vergleich mehrerer Produktalternativen im Rahmen des Kaufentscheids sind in der Regel nur einige wenige Merkmale relevant, die letztlich für die Wahl der bevorzugten Produktalternative ausschlaggebend sind.
  • Die Merkmale sollten redundanzfrei sein. Im vorliegenden Fall eines Schutzkoffers ist es beispielsweise so, dass für den Schutz vor Wasser und Staub eine Dichtung notwendig ist. Daher kann das Produktmerkmal «Dichtung» nicht als einzelnes Produktmerkmal getestet werden, sondern nur in Kombination mit der Schutzfunktion.
  • Die Merkmale sollten an den Kunden kommunizierbar bzw. vermittelbar sein. Dies ist für die spätere Umsetzung von Kommunikationsmassnahmen zentral.

Nach der Festlegung der Produktmerkmale sind in einem zweiten Schritt deren Merkmalsausprägungen zu bestimmen. Dabei ist es essenziell, dass die Beschreibung der Merkmalsausprägungen der «Sprache» der potenziellen Produktverwender entspricht. Zudem ist zu überlegen, in welcher Form die Merkmalsausprägungen am besten dargestellt werden können. Im vorliegenden Beispiel (siehe Abb. 2) wurde eine Kombination aus verbaler Beschreibung einzelner Merkmalsausprägungen wie zum Beispiel bei der Schutzfunktion, aus grafischer Darstellung in Form eines Bilds wie zum Beispiel beim Design sowie in Form einer Skizze wie zum Beispiel beim Verschluss gewählt.

Für alle Merkmalsausprägungen eines Produktmerkmals sollte jeweils die beste Darstellungsform genutzt werden. Im Rahmen eines Pretests mit der Zielgruppe sind die Beschreibungen der Merkmalsaus­prägungen auf Verständlichkeit hin zu überprüfen. Gleichzeitig ist die Anzahl der Merkmalsausprägungen auf ein erforderliches Mindestmass zu beschränken. Denn mit steigender Anzahl an Merkmalsausprägungen erhöht sich die Anzahl an möglichen Kombinationen für eine Produkt­alternative exponentiell.

Die Auswahl der Produktmerkmale sowie deren Merkmalsausprägungen bildet die Basis für das Conjoint-Design. Daneben sind im Rahmen der Gestaltung des Conjoint-Designs weitere Entscheidungen zu treffen (siehe auch Völckner, Sattler, Teichert 2008).

  1. Gesamtzahl von Wahlentscheidungen: Diese sollten für den einzelnen Befragten auf das erforderliche Minimum reduziert werden. In der Praxis hat sich gezeigt, dass bis zu 15 Wahlentscheidungen zu bewältigen sind und zu validen Ergebnissen führen. Grundsätzlich gilt, dass je mehr Wahlentscheidungen getroffen werden, desto mehr Informationen werden gewonnen. Gleichzeitig wirkt sich jede zusätzliche Wahlentscheidung auf die Befragungsdauer aus und die Gefahr von Ermüdungseffekten steigt.
  2. Anzahl der Produktalternativen pro Wahlentscheidung: Optimal sind zwei Produktalternativen, die miteinander verglichen werden. Abhängig von der Anzahl Produktmerkmale und der Anzahl Ausprägungen kann jedoch der Umfang an zu treffenden Wahlentscheidungen zu hoch sein, so dass in der Regel drei Produktalternativen miteinander verglichen werden.
  3. Nicht-Wahl-Option: Diese Möglichkeit trägt zur Realitätsnähe von Wahlentscheidungen bei, wenn alle Produktalternativen für den Befragten inakzeptabel wären und er in der Realität den Anbieter wechseln oder den Kauf verschieben würde. Aus diesem Grund wird die Option «Ich würde keine dieser Alternativen kaufen» häufig integriert.

Vorteile der Conjoint-Analyse

Die Vorteile der Conjoint-Analyse für die Produktentwicklung liegen auf der Hand. Die Ergebnisse der Conjoint-Analyse zeigen, wie Neuprodukte unter Maximierung des Kundennutzens spezifiziert werden sollen, d. h. welches konkrete Produktkonzept den grösstmöglichen Erfolg am Markt verspricht. Dadurch können im Rahmen der Produktentwicklung und der Markteinführung beziehungsweise Produktvermarktung die richtigen Schwerpunkte gesetzt werden. Aufgrund der Berücksichtigung von verschiedenen Preisstufen im Conjoint-Design wird zudem ermittelt, was der Kunde bereit ist, für ein bestimmtes Produktmerkmal zu bezahlen. Mit diesen Informationen kann zum einen überprüft werden, ob sich die Umsetzung eines solchen Merkmals langfristig rentiert.

Zum anderen können diese Informationen für eine kundennutzenorientierte Preisfestsetzung herangezogen werden. Dies ist insbesondere dann bedeutsam, wenn es sich, wie bei diesem Projekt, um ein Neuprodukt handelt, für das weder Erfahrungswerte vorliegen noch eine konkurrenzorientierte Preisfestsetzung möglich ist. Schliesslich liefern die Ergebnisse der Conjoint-Analyse Eckpunkte für eine zielgruppengerechte Ausgestaltung des Kommunikationsprogramms, da die aus Sicht der jeweiligen Zielgruppe wichtigsten Merkmale und deren Ausprägungen ermittelt werden. Bei der Gestaltung der Kommunikationsmittel können dann vor allem diese Merkmale in den Vordergrund gestellt werden.

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