Forschung & Entwicklung

Personalentwicklung

Mandat zwischen altem Anspruch und neuer Realität

Trotz veränderter Ansprüche an die Personalentwicklung wird diese immer noch als traditionelle Weiterbildung betrachtet und häufig nur nachrangig behandelt. Auch besteht immer noch eine Kluft zwischen der strategischen Orientierung und der operativen Umsetzung. Der Beitrag zeigt die Konsequenzen eines Perspektivwechsels auf und beleuchtet die Trends.
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Die Erwartungen an Personalentwicklung verändern sich zusehends. Traditionelle Weiterbildung, als was Personalentwicklung oft immer noch verstanden und gehandhabt wird, ist nicht weitreichend genug. Sehr nachdrücklich wurde die Forderung an die Personalentwicklung gerichtet, zukünftige Bedarfe zu akzeptieren und eine auf die Gesamtorganisation bezogene Entwicklungsperspektive einzunehmen. In den letzten Jahren wurden von zahlreichen Unternehmen daher umfassende Aktivitäten unternommen, die Personalentwicklung strategisch auszurichten und zu systematisieren. Ein zentrales Anliegen ist es, zur Entwicklung von Kernkompetenzen des Unternehmens beizutragen und Schlüsselpersonen zu fördern.

Trotz dieser Erwartungen haben die Personalentwickler oft nicht das notwendige Mandat. Die Personalentwicklung geniesst nach wie vor den Hauch des Nachgeordneten, des Zweitrangigen, des Nicht-so-Wichtigen (Dörig nach Meifert, 2008), was sich oftmals darin zeigt, dass Budgets zügig zusammengestrichen werden und die Anerkennung der Personalentwicklung Lücken aufweist. Einige Unternehmen stellen sogar fest, dass das «Menschliche» in ihren Organisationen auf der Strecke bleibt. Der folgende Beitrag beleuchtet die Konsequenzen der Verlagerung der Perspektive weg vom «ganz normalen Alltagsgeschäft» der operativen Personalentwicklung hin zu der strategischen Ausrichtung der Personalentwicklung. Zudem wird auf die relevanten Trends eingegangen, aufgrund derer die Personalentwicklung gefordert ist, ihr Mandat zu erneuern.

Die strategische Ausrichtung

Werfen wir heute einen Blick auf die Personalentwicklung, so lassen sich einerseits grosse Erfolge in der strategischen Ausrichtung und teilweise auch der elektronischen Durchgängigkeit in Personalentwicklungsprozessen verbuchen. Ein zentrales, stark vorangetriebenes Thema ist das Talentmanagement, basierend auf der Entwicklung von Kompetenzmodellen und Bewertungen der Performance als «entfaltetes Potenzial».

Anderseits sind die Erfolge der Personalentwicklung schwierig zu messen. Es wurden viele Versuche unternommen, den Erfolgsbeitrag der Personalentwicklung in Hinblick auf seinen Beitrag zum Unternehmenserfolg zu bewerten, was angesichts komplexer Ursache-Wirkungs-Gefüge alles andere als ein triviales Unterfangen ist. Nach der Cranet-Studie (2009) überprüfen 61 Prozent der 418 befragten deutschen Unternehmen immerhin systematisch den Weiterbildungserfolg. Zudem wird eine Kontrolle häufiger durchgeführt, wenn die Weiterbildung in eine ihrer Strategien implementiert ist (siehe Abbildung 1). Deutlich schwieriger gestaltet sich bereits der Nachweis, inwiefern Inhalte von Personalentwicklung ihren Niederschlag in der Ausübung einer betrieblichen Funktion finden.

Dies mag ein Grund dafür sein, dass gerne Budgets für eine Personalentwicklung gestrichen werden, die ihren Beitrag zum Unternehmenserfolg nicht stichhaltig anhand von Messungen belegen kann. Insbesondere mit Blick auf den Beitrag der strategischen Instrumente fehlen Versuche, den Erfolg zu überprüfen. Der Beitrag von Kompetenzmanagement zum Unternehmenserfolg ist zu vermuten, wurde bisher aber nicht überzeugend erforscht.

Unverknüpfte Perspektiven

Auch sind im Bereich der Personalentwicklung die strategische Orientierung und die operative Umsetzung bisher vielfach nicht gut genug verknüpft. Die Kernkompetenzen werden auf der Ebene des strategischen Managements definiert, Kompetenzmodelle jedoch oft Bottom-up, aus Sicht der ausführenden Funktionen. Es werden Kernkompetenzen der Unternehmung formuliert, ohne daraus systematisch Konsequenzen für die operativen Kompetenzmodelle abzuleiten.

Nicht nur praktisch besteht ein Gap zwischen Strategie und Operation. Genauso klafft zwischen den das strategische Management bedienenden wissenschaftlichen Disziplinen sowie denen, die auf die Ausführung bezogene Aussagen formulieren, eine Lücke. Die Disziplinen sind entweder sehr stark praxisfokussiert unterwegs oder zu abstrakt.

Was den Teil «Führungskräfteentwicklung» mit dem Ziel der Entwicklung und Professionalisierung von Führung betrifft, so scheint die Zunahme an Konzepten wenig hilfreich, um alltäglichen, praktischen Herausforderungen zu begegnen. Abbildung 2 gibt einen Eindruck von «modernen Führungskonzepten», wie sie einfach nur dem Inhaltsverzeichnis von Büchern entnommen werden können. Es wird zu wenig differenziert, unter welchen Voraussetzungen welches Konzept geeignet wäre, und es ist fraglich, ob eine solche Variabilität des Handelns im Alltag realistisch ist.

Im Rahmen von Interviews zu nachhaltiger Führung sind wir der Frage gefolgt, was eine so verstandene Führung ausmacht, die aktuelle und künftige Leistung ermöglicht und zu diesem Zweck Wohlbefinden, Kompetenzen, Gesundheit und die Sorge um das soziale Umfeld der Mitarbeitenden nicht vernachlässigt. Unter anderem liess sich eine «Anforderungsliste» eines Interviewpartners finden, der die unterschiedlichen Anforderungen additiv verknüpft, was zu einer nahezu unendlich langen Liste an Anforderungen an Führungskräfte führt.

Besser ist es, die wesentlichen Determinanten guter Führung darzulegen und an die Bedürfnisse einer modernen Arbeitswelt anzupassen.

Zu den wesentlichen und einfachen «Stellschrauben» von guter Führung gehören (Frieling 2015):

  • das direkte Einfordern von Verhalten bei Mitarbeitenden,
  • das Gestalten geeigneter Verhältnisse beziehungsweise Arbeitsbedingungen, unter denen sie dies erbringen können sowie Mitarbeiterbeteiligung,
  • eine angemessene Führungsspanne und ausreichend Zeit, um der Aufgabe «Führung» gerecht werden zu können und
  • Vorbild für die Mitarbeitenden zu sein, verlässlich und kalkulierbar.

Die Aufgabe der Personalentwicklung ist es, sich weder auf die Seite des strategischen Managements zu schlagen noch auf die Seite zum Beispiel der Psychologie. Ihr Angebot muss beide Sichtweisen sinnvoll und pragmatisch integrieren. Ein Risiko einer zu ausgeprägten strategischen Ausrichtung besteht darin, dass «Entwicklung von Menschen und Organisationen» zu stark vereinfacht wird und unrealistische Annahmen in Hinblick auf die Geschwindigkeit und Tiefgründigkeit von Lernen entstehen. Auch wurden die Erwartungen an Personalentwicklung und Führung nicht zuletzt durch Employer Branding zum Teil in unrealistischer Weise geschürt. Es ist vor einem solchen Hintergrund ausgesprochen schwer, zu bewerten, wo die Personalentwicklung heute steht.

Die Zukunft geht dabei schon weiter. Und aus ihr lassen sich wichtige Implikationen ableiten, die in den letzten Jahren möglicherweise etwas vernachlässigt wurden.

Drei Trends von Bedeutung

1. Zielkonflikt zwischen Effizienz- und Innovationsstreben

Allem voran setzt sich der Trend fort, dass angesichts komplexer Umweltanforde-rungen neben effizienten Leistungserstellungsprozessen viele Unternehmen darauf setzen, sowohl Wissen zu generieren und Innovation zu fördern als auch, bestehende Stärken effizient zu nutzen. Dabei sinkt die Halbwertszeit des Wissens weiter und zahlreiche Tätigkeiten werden inhaltlich fordernder (intensiver/anspruchsvoller). Organisationsstrukturen fangen diesen Zielkonflikt zwischen Effizienz- und Innovationsstreben immer weniger auf. Vielmehr wird zunehmend auf die Fähigkeiten des Einzelnen gesetzt, diesen Konflikt für sich selbst und in Zusammenarbeit mit anderen zu lösen. In sogenannten «ambidextren» Organisationen ist eine zunehmende Anzahl an Mitarbeitenden daher gefordert, das künftig erforderliche, eigene Wissen und Können stets zu antizipieren und zu erneuern, um die kundenspezifischen und innovativen Leistungen hervorzubringen. Sie müssen neben dem langfristigen Überleben des Unternehmens auch die eigene Arbeitsmarktfähigkeit sichern. In einem bereits heute fordernden und kurzfristige Erfolge abrechnenden Umfeld besteht aber immer weniger Zeit dazu.

Möglicherweise sind angesichts von permanentem Leistungs- und Arbeitsdruck Mitarbeitende und Teilnehmer von Personalentwicklung oft deshalb gar nicht so glücklich mit Fortbildung. Bisweilen wird sie zunehmend als «Zeitverlust» angesichts übervoller Arbeitspensen gesehen. Alles, was nicht unmittelbar verwertbar ist, scheint als Ballast und wird mehr und mehr abgelehnt.

Dabei werden «lebenslanges Lernen /lebenslange Entwicklung» weiterhin bedeutsamer. Neben der Stärkung genau dieser Fähigkeiten sowie einer Bildung, die fachliche Kompetenzen mit höherer Halbwertszeit vermittelt, gilt es Fähigkeiten zu stärken, die die nachhaltige Leistungsfähigkeit von Mitarbeitenden unterstützen helfen. Für Personalentwicklung ergeben sich daher folgende Anforderungen: die Personalentwicklung muss

  • Potenziale erkennen und Kompetenzen fördern, die es ermöglichen, sich zwischen Erneuerung und Ausschöpfung relevanter fachlicher Kompetenzen angemessen zu bewegen.
  • den Zugang zu benötigtem, unmittelbar verwertbarem Wissen anbieten, sollte aber andererseits die langfristige Entwicklung und Aneignung von Kompetenzbestandteilen von höherer Halbwertszeit nicht aus dem Blick verlieren; angemessen scheinen «Learning on the Job» in Kombination mit «Mikroschulungen» sowie regelmässige umfassenden «Kompetenz-Updates».
  • eine politische Klärung dahingehend verfolgen, dass Verständnis dafür besteht, dass Innovation eine Investition in Wissen und Können voraussetzt, für die notwendigerweise finanzielle Ressourcen sowie Zeitressourcen bereitgestellt werden müssen («Nachhaltige Personalentwicklung»).
  • die dazu notwendige Führungs- und Unternehmenskultur entwickeln.

2. Personalentwicklung als Investition

In flexiblen und vernetzten Organisationen hat der Einzelne immer seltener einen Anspruch auf einen «Stammplatz». Verantwortungsvolle Arbeitgeber kalkulieren daher mit ein, dass die Personalentwicklung eine Investition bedeutet, die nicht ihr selbst in Zukunft zugute kommen muss. Vielmehr stellt sie eine «Staffelübergabe» wertvoller humaner Kompetenzen an andere dar, von der sie selbst bereits zuvor profitiert hat.

Viele Personen, deren Potenziale weiter auszubauen sind, halten sich dabei bereits heute schon nicht mehr direkt in der Organisation auf. Zu denken ist an zahlreiche Werkvertragnehmer, Freelancer, und die Verantwortung für Personen entlang der Lieferkette. In vernetzten Organisationen kann sich die Personalentwicklung oft bereits heute nicht mehr auf das organisationsinterne Personal beschränken:

  • Zuständigkeit der Personalentwicklung erweitert sich um Zielgruppen und damit verbundene Zielsetzungen.
  • Bei Kunden und Lieferanten sind jene Kompetenzen zu stärken.
  • Corporate Social Responsibility und ein Nachhaltigkeitsengagement erfordern Verantwortung für Personal und zunehmend auch Kompetenzentwicklung in Lieferantenketten.
  • Befähigung von Mitarbeitenden zu eigener, selbst gesteuerter Karriere zumindest als «Plan B», falls es im angestammten Unternehmen nicht mehr weitergeht.
  • Es sind Formen der Personalentwicklung im Verbund und über Unternehmensgrenzen hinausgehend zu prüfen.

Nicht zuletzt werden einige Personengruppen in der Personalentwicklung bisher sehr vernachlässigt, denen im Rahmen des demografischen Wandels Aufmerksamkeit zu schenken ist. Zu denken ist zum Beispiel an Personen 45+ / 50+ oder Laufbahnen, die über das Erreichen des Renteneintrittsalters hinaus reichen.

3. Auf Digitalisierung reagieren

Als dritten Trend gilt es der rapiden Di­gitalisierung Rechnung zu tragen. Bisher stellen moderne technische Möglichkeiten oft eher noch ein Werkzeug dar und es gibt eher kleinere Veränderungen. Angesichts der Kombination verschiedener Technologien sind in den kommenden Jahren umfassendere Umwälzungen zu erwarten, die sich in vielen Fällen als wirksame Unterstützung des Menschen erweisen werden. Im Bereich der Personalentwicklung eröffnen sich zum Beispiel neue, individualisierte und unmittelbare Formen des Lernens im Prozess der Arbeit. Selbstlernende Maschinen sind möglicherweise immer mehr in der Lage, zunehmend komplexe und neuartige Tätigkeiten zu übernehmen, sobald der Mensch ihnen vorgeführt hat, wie dies funktioniert. In die Vernetzung werden neben Menschen zunehmend Dinge einbezogen (Robotik, Industrie 4.0). Teams setzen sich künftig nicht mehr nur aus Personen zusammen, sondern aus Personen und Maschinen, die im Dialog miteinander stehen.

Neben vielen hilfreichen Anwendungen gibt es auch skeptisch zu bewertende Folgen. Kleine Vorzeichen sehen wir bereits in der Veränderung von Kommunikation in der Organisation, die deutlich dichter ist. Soziale Folgen machen sich auch in einer gewissen «Entmenschlichung» von Organisationen bemerkbar. Es ist interessant, wenn man zunehmend der Technik Fehler zugesteht, während der Mensch aber immer perfekter funktionieren soll.

Die Nutzung von Technik zieht ohne Intervention aller Voraussicht nach Konsequenzen für die Entwicklung grundlegender Fähigkeiten nach sich. So wird angenommen, dass oftmals genau die Fähigkeiten abgebaut werden, auf die man dann angewiesen ist, wenn die Technik ausfällt (beispielsweise verschlechtert sich der Orientierungssinn, je mehr Navis genutzt werden und je mehr man sich auf deren Führung verlässt) oder der Mensch eben die komplexen Probleme lösen muss, die die Maschinen noch nicht lösen können.

In vielen Berufsfeldern sieht man entsprechende Probleme bereits heute: Zum Beispiel bei Piloten, die angesichts des immer umfassenderen Einsatzes von Autopiloten ihre Fähigkeiten durch Simulatoren trainieren müssen, um sie zu erhalten. Parallel zur Optimierung von Lernprozessen in Hinblick auf unmittelbar benötigtes Verwertungswissen geht es darum, einen Wissensaufbau von höherer Halbwertszeit zu fördern.

Weitere Herausforderungen

Darüber hinausgehend werden es die folgenden Fragen sein, die sich zunehmend an die Entwicklung des Personals stellen:

  • Wie kann man die permanente Höherqualifizierung leisten, und was sind relevante Inhalte?
  • Wie verhindert man vereinseitigtes Spezialistentum und eine Abhängigkeit von Maschinen?
  • Wie werden die Personalentwicklung und die «Lernspezialisten» Element eines Entwicklungsprozesses, deren Treiber aktuell vor allem Ingenieure und Informatiker mit ihren Vorstellungen von «Lernen» sind?
  • Welche Rolle kann und will Personalentwicklung in diesem Prozess spielen? Wie sorgt sie dafür, dass sich die Kompetenzen der beteiligten Entwickler gut ergänzen?
  • Wie gestaltet die Personalentwicklung ein Mensch-Maschine-Lernen mit?

Das Augenmerk ist darauf zu richten, wie Wissen und Können verschiedener «Lernspezialisten» in einer Organisation integriert werden. Es ist davon auszugehen, dass zum Teil wenig differenzierte Vorstellungen menschlicher Lernprozesse bestehen. Nur so lässt sich die Verbreitung der Metapher, Veränderung lasse sich in die DNA von Mitarbeitenden verpflanzen, erklären. Sowohl für den Erhalt von Verwertungswissen als auch das Schaffen eines tiefgründigen Verstehens braucht es Zeit und Geld. Es ist eine Investition, deren Return sich oft erst zeitlich sehr stark versetzt zeigt.

Unmittelbar auf verwertbares Wissen und Können bezogenes Lernen sollte so nah wie möglich und so spezifisch wie möglich dorthin rücken, wo es gebraucht wird: an den Prozess der Arbeit. Echte Innovation bedarf aber immer wieder Investitionen in Wissen und Können. Der eigene Auftrag von Personalentwicklung ist zu diesem Zweck zu aktualisieren. Eine wichtige Funktion ist die Integration von Funktionen, die zum Wissenserwerb und seiner Diffusion beitragen. Gemeinsam ist zu klären, was die konkreten, wirklich wichtigen, neuen Herausforderungen sind und wer welche Anteile zu ihrer Lösung beitragen kann.

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