Forschung & Entwicklung

Blick aus der Wissenschaft

KI nimmt Arbeit nicht weg, verändert sie aber

Die dritte Version des Chatbots von Open AI hat die Diskussion um die Zukunft der Arbeit intensiviert. Den Menschen dürfte die Arbeit nicht so rasch ausgehen. Die grosse Frage ist jedoch, wie sich die Arbeit verändern wird.
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Ob der technologische Fortschritt zur Verknappung der Arbeit führen wird, ist ein uraltes Thema. Schon Aristoteles hatte erörtert, dass Maschinen einmal die menschliche Arbeit verdrängen könnten. Im Jahr 1589 erfand der Engländer William Lee eine neuartige Strickmaschine, doch Königin Elisabeth I. ver­weigerte ihm das Patent angeblich mit den Worten: «Überlege, was die Erfindung meinen armen Untertanen antun könnte.» Insbesondere in Zeiten des wirtschaftlichen Umbruchs gab es immer wieder diese Angst vor dem Ende der Arbeit: Während der industriellen Revolution ab dem 18. Jahrhundert, während der Wirtschaftskrise der 1930er-Jahre oder erneut in den 1980er-Jahren, als die Automatisierung im Zuge der wirtschaftlichen Entwicklung weiter zunahm. 

Tätigkeiten, nicht Berufe ändern sich

Mit der digitalen Transformation wächst die Sorge um die technologische Arbeitslosigkeit seit gut zehn Jahren ­wieder stark. Oft zitiert wurde die Studie von Carl Benedikt Frey und Michael Osborne aus Oxford, wonach 47 Prozent der ­US-amerikanischen Arbeitsplätze einem ­Automatisierungsrisiko ausgesetzt seien. Die 2016 publizierte Studie beschrieb ­eigentlich nur Risiken, doch wurde sie oft dahingehend überinterpretiert, die Hälfte aller Jobs würde verschwinden. Ebenfalls 2016 erschien das Buch «Das zweite Maschinenzeitalter» der beiden MIT-Professoren Brynjolfsson und McAfee, in dem sie nach dem ersten Maschinenzeitalter der Industrialisierung mit seinen mechanischen Motoren nun eine neue Epoche beschreiben, in der «Denkmaschinen» mit ihrer zunehmenden Leistungsfähigkeit die Menschen in gleicher Weise arbeitslos machen könnten, wie es Pferde im ersten Maschinenzeitalter geworden sind.

Die Frage nach der technologischen Arbeitslosigkeit erscheint damit erneut dringend. Organisationen wie die Weltbank, die OECD oder das World Economic Forum (WEF) erstellen breit angelegte Studien zum Thema. Alle streichen zunächst hervor, dass sich die Diskussion weniger um ganze Berufe drehen müsste, sondern um zu erfüllende Aufgaben und die dafür erforderlichen Fähigkeiten respektive «Skills». Viele Berufe werden nicht verschwinden, jedoch sich mit der Zeit deutlich wandeln, so ein häufiger Befund. Zentral sind dabei zwei Fragen. Erstens: Enthält eine Arbeit wiederkehrende ­Routinen? Sich wiederholende Aufgaben lassen sich einfacher automatisieren als unstrukturierte, chaotische und schwer fassbare Probleme. Eine Buchhalterin ­erfasst etwa immer weniger routinemäs­sige Buchungen, dafür erklärt sie anderen Kollegen beispielsweise vermehrt ungewöhnliche Zahlen oder Ähnliches.

Vielleicht noch wichtiger ist eine zweite Frage: Kann respektive soll die Technologie die Arbeit wirklich ersetzen, oder geht es vielmehr darum, dass die Arbeitskräfte selbst dank technologisch ausgereifter Werkzeuge produktiver werden? Letzteres hat sich auch schon durch die ganze Wirtschaftsgeschichte hindurchgezogen. Strick- und CNC-Maschinen, Flaschenzug und Differenzialgetriebe, Sense und Mähdrescher, Schaufel und Bagger: Unzählige Erfindungen gingen mit der wirtschaftlichen Entwicklung Hand in Hand und waren und sind Grund dafür, dass die Produktivität der Arbeit ansteigt, was letztlich für den Wohlstand entscheidend ist. Die Erhöhung der Arbeitsproduktivität durch Technologie wird auch «Augmentation» genannt. Es ist dies der Gegenbegriff zum (interessanterweise viel bekannteren) ­Begriff der Automation, mit der die Ver­drängung von Arbeit impliziert wird. Augmentation ist jedoch häufiger und ­darum wichtiger. Sie erinnert daran, dass es schnell ein Eigentor wird, wenn aus Angst vor technologischer Arbeitslosigkeit der technologische Fortschritt abgeblockt wird. Man mag sich kaum vorstellen, was wäre, wenn Elisabeth I. und Co. sämtliche Strick-, CNC- oder was auch immer für ­Maschinen konsequent verhindert hätten. 

Und dann doch Fachkräftemangel

Die Kombination von chaotischen, anspruchsvollen Nicht-Routine-Aufgaben und der Gebrauch von Technologie im Sinne der Augmentation ist jene Konstellation, welche die Arbeitskräfte zunehmend herausfordert – und diese gleichzeitig zur Schlüsselressource werden lässt. Das zeigt sich derzeit nicht zuletzt in einem Fachkräftemangel, der mit den Befürchtungen um technologische Arbeitslosigkeit auf den ersten Blick in Widerspruch zu stehen scheint. Aber insbesondere Arbeitskräfte mit hohem oder spezialisiertem Wissen sowie mit grosser kognitiver oder sozioemotionaler Leistungsfähigkeit dürften nicht so schnell vom Roboter verdrängt werden. 

Unter dem Stichwort Jobpolarisierung wird in Studien die Annahme diskutiert, dass auch niedrig qualifizierte Berufe, die häufig manuelle oder soziale Nicht-Routine-Tätigkeiten abdecken, gleich wie die hoch qualifizierten zunehmen würden. Nach der These der Jobpolarisierung wären Stellen mit einem mittleren Qualifikationsniveau unter Druck, weil digitale Innovationen dort am meisten Verdrängung ausüben. Der Blick in die Daten der 30 OECD-Länder zeigt, dass in den vergangenen zwei Jahrzehnten tatsächlich tendenziell mehr Jobs entweder im oberen Drittel der Lohnskala oder im unteren Drittel geschaffen wurden, während die Stellen im dazwischenliegenden Drittel in fast jedem OECD-Mitgliedsland abgenommen haben. Wenn sich die Jobpolarisierung weiter verstärken sollte, könnte dies Einkommensungleichheiten verschärfen und im schlimmsten Fall zu einer Zweiklassengesellschaft führen. In der Wissenschaft wird kontrovers darüber diskutiert, ob es dazu kommen wird. 

KI und ihre Auswirkungen

Unter anderem der öffentlich zugäng­liche Chatbot Chat GPT von Open AI brachte die KI verstärkt in den Fokus. In verschiedensten Anwendungsfeldern wird KI heute schon produktiv eingesetzt. In einem gemeinsamen Forschungsprojekt des Autors zusammen mit Ute Klotz vom Departement Informatik der Hochschule Luzern wurden Anwendungsfälle in so unterschiedlichen Branchen wie Medizin, Versicherungen und Eisenbahnen untersucht und in der Zeitschrift «Anwendungen und Konzepte der Wirtschaftsinformatik» publiziert. Häufig steigt mit dem Einsatz von KI das Anforderungsprofil an die Mitarbeitenden tatsächlich an, da die Menschen sich öfter um Zweifelsfälle oder um besonders komplexe Entscheidungen kümmern müssen. Zugleich werden das Training und die Datenpflege für die KI zur neuen, anspruchsvollen Aufgabe. Dies macht es für Berufseinsteiger schwieriger, sich in ein Aufgabenfeld einzuarbeiten, in dem die KI die Routineaufgaben erledigt. Es fehlen dadurch die einfacheren Einstiegsfälle, die für die Einarbeitung geeignet wären. Wer schon länger im Berufsfeld gearbeitet hat, spezialisiert sich tendenziell noch mehr und muss eine gewisse Technik-Affinität mitbringen. Weiter wird als Kehrseite beschrieben, dass in bestimmten Anwendungsgebieten der KI die direkte Kommunikation zu Kundinnen und Kunden abnimmt. Dadurch leide mit der Zeit das gegenseitige Verständnis. Während also das Training der KI kurzfristig entscheidend ist, darf umgekehrt die langfristige Pflege des Know-hows nicht vergessen werden.

Die Hauptnutzen des Einsatzes von KI waren in der Studie unterschiedlich, es ging häufig um die Verarbeitung von grösseren Datenmengen, um Zeitersparnis und/oder um die Reduktion von Fehlern respektive um die Erhöhung von Sicherheit und Zuverlässigkeit. In vielen Fallstudien war schliesslich bedeutsam, dass durch den Einsatz einer KI der Verlauf und die Qualität der Aufgabenerledigung transparenter wird, denn Daten werden nicht nur verarbeitet, sondern auch gespeichert. So werden sogar Fehler aus früheren Zeiten aufgedeckt, und der Arbeitgeber muss sich fragen, wie er damit umgehen soll. Datenspuren zur rechtlichen Absicherung oder zur Rechtfertigung von Vorsorgemassnahmen gehören zu den Hauptargumenten für den Einsatz der KI insbesondere in sicherheitsrelevanten Feldern.

Es ist absehbar, dass sich die Potenziale der KI rasch erweitern und die Eintrittsbarrieren sinken werden. Übersetzungsmaschinen wie Deep-L wurden rasch adap­tiert, Chat GPT dürfte das Googeln auch schon bald routinemässig ergänzen. Ob man als KMU KI einsetzt, ist weniger eine Frage des Ob, sondern eher des Wann und Wie. Eine wichtige Erkenntnis der Forschung sollte dabei stets mitbedacht werden: Am produktivsten wird es, wenn Mensch und KI ein starkes Team bilden und sich gegenseitig helfen. Das zu er­reichen, ist auch eine Führungsfrage.