Forschung & Entwicklung

Blick aus der Wissenschaft

KI: Im Umbruch zählt Agilität mehr als Grösse

Steigende Fixkosten, KI und geopolitische Risiken spielen den Grossen in die Karten – so scheint es. Doch sind es wirklich die Konzerne, die von den Umbrüchen profitieren?
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Die renommierte Zeitschrift «Economist» hat kürzlich einen Artikel publiziert mit dem Titel «Why it has never been better to be a big company» und darin argumentiert, dass die rasante Entwicklung von KI und die politischen Verwerfungen unter Donald Trump den gros­sen Unternehmen eher in die Hände spielen würden als den KMU. Ein Blick auf die ökonomischen Grössenvorteile erklärt, warum das so sein könnte.

Marktstruktur und Fixkosten

Ob ein Unternehmen gross oder klein ist, hängt zunächst einmal von der Marktstruktur ab. In Märkten mit Netzwerkeffekten – etwa bei Plattformen wie Whatsapp oder Amazon – steigt der Nutzen mit der Nutzerzahl. Hier führt der Weg zum Erfolg fast zwangsläufig über Grösse. Anders sieht es in fragmentierten Märkten aus, in denen Kundennähe, Flexibilität, Innovation oder Handwerksqualität zählen. Dort gibt es keine dominierenden Netzwerkeffekte, und die Vorteile standardisierter Massenproduktion sind begrenzt. Unternehmen bleiben in solchen Märkten oft ganz bewusst klein oder mittelgross.

Grosse Unternehmen haben bei den Fixkosten einen bedeutenden Vorteil. Wenn Kosten von der Produktionsmenge unabhängig sind, also fix, können diese Kosten auf höhere Stückzahlen verteilt werden. Es entstehen Skalenvorteile für Grossunternehmen. Hier setzt die Argumentation des «Economist» an: KI verstärke diese Skalenvorteile, da grosse Unternehmen über mehr Kapital, Daten und organisatorische Struktur verfügen, um die Technologie zu entwickeln und wirkungsvoll einzusetzen. Insbesondere verursache die Entwicklung von KI-Anwendungen hohe Fixkosten, die sich für grös­sere Firmen eher lohnen. 

Der anschliessende Roll-out im gesamten Unternehmen bringt zwar ebenfalls variable interne Transaktionskosten mit sich, doch diese dürften geringer sein als die entsprechenden Markttransaktionskosten, mit denen kleinere Unternehmen konfrontiert wären. So zumindest die Einschätzung des «Economist».

Agil mit flachen Hierarchien

Diese Sichtweise lässt sich jedoch auch kritisch hinterfragen. Die geringeren internen Transaktionskosten kleinerer Unternehmen machen diese in der Regel agiler. Le Dinh et al. (2025) zeigen in einer kürzlich publizierten Studie, dass KMU ihre flacheren Hierarchien gezielt nutzen können, um KI trotz struktureller Nachteile – wie kleinerer Budgets und begrenzten Zugangs zu Fachkräften – schneller und flexibler zu integrieren. Viele KMU bevorzugten leichtgewichtige, modulare Lösungen mit geringeren Einstiegshürden und tieferen Fixkosten, konkret etwa cloudbasierte Plattformen oder KI-as-a-Service.

Zudem nennt die Studie die zunehmende Bedeutung strategischer Partnerschaften mit Technologieanbietern, Hochschulen oder anderen KMU, um fehlende Infrastruktur oder Expertise auszugleichen. Generative KI ermögliche kostengünstige Automatisierung etwa im Bereich der Kundeninteraktion oder Inhaltserstellung, was gerade für kleinere Teams attraktiv sei. 

Während Grossunternehmen oft unter langen Vorlaufzeiten und komplexen Entscheidungsprozessen leiden, können KMU mit Pilotprojekten rasch testen, iterieren – und auch einmal scheitern, ohne dass dies existenzbedrohend ist.

Resilienz in unwägbaren Zeiten

Ein weiterer Vorteil, den der «Economist» bei grossen Unternehmen sieht, ist ihre Fähigkeit, auf politische Schocks wie etwa Trumps Zollpolitik zu reagieren. Höhere Margen, grössere Rücklagen und diversifizierte Lieferketten würden sie robuster machen. Auch verfügten sie häufiger über direkten Zugang zur Politik, und sie könnten ihre Interessen durch gezielte Lobbyarbeit vertreten. Auch dies ein Beispiel für Fixkosten, die sich für KMU so nicht lohnen würden.

Zwar dürften die grössten Unternehmen auch in der Schweiz oft besseren Zugang zu politischen Entscheidungsträgern haben. Doch ein Wunschkonzert erleben sie trotzdem nicht, wie der neue Regulierungsvorschlag des Bundesrats zur UBS zeigt. 

KMU werden von der Politik durchaus angehört, nicht zuletzt über verschiedene Wirtschafts- und Interessensverbände. Dank Vernehmlassungsverfahren, Föderalismus und direktdemokratischen Elementen erlaubt das p­olitische System der Schweiz den KMU Mitsprachemöglichkeiten, die ihre Pendants anderswo nicht haben.

KMU haben ihre Stärken

Auch abseits der Politik existieren strukturelle Hebel, mit denen kleinere Unternehmen ihre Resilienz stärken können. Zwar sind sie anfälliger für Störungen in der Lieferkette, etwa durch Abhän­gigkeit von Einzellieferanten oder fehlende Lagerkapazitäten. Doch durch gezielte Strategien lässt sich gegensteuern: etwa durch Diversifikation der Zulieferer oder den Aufbau stabiler Partnerschaften.

Auch bei Cybersecurity, Finanzierung, Fachkräften oder Regulierung scheinen grosse Unternehmen auf den ersten Blick im Vorteil. In vielen dieser Felder lauern hohe Fixkosten, die für kleinere Unternehmen zur Hürde werden könnten. Der «Economist» hat insofern einen Punkt: Fixkostenintensive Innovationsschübe wie KI oder geopolitische Erschütterungen könnten das Kräfteverhältnis tendenziell zugunsten grosser Akteure mit etablierten Strukturen, Kapital und Einfluss verschieben.

Kleinere halten an der Börse mit

Ob nun jüngste Trends die Grossunternehmen begünstigen, oder vielleicht sogar im Gegenteil die KMU, können die bisherigen, theoretischen Überlegungen allein kaum beantworten. Doch wie schlägt sich all das in der Realität nieder, etwa an den Finanzmärkten? Dazu abschliessend ein Blick auf die Börse. Wir vergleichen zu diesem Zweck die Entwicklung des Swiss Market Index (SMI), der die 20 grössten Unternehmen der Schweiz repräsentiert, mit dem Swiss Performance Index Extra (SPIEX), der den SMI ausschliesst und nur die Aktien der sogenannten Small- und Mid Caps aus der Schweiz abbildet. Im SPIEX sind natürlich nur börsenkotierte und immer noch teils grössere Unternehmen vertreten, aber sie sind im Durchschnitt deutlich kleiner als jene im SMI. Bezüglich des Betrachtungszeitraums halten wir uns an das Aufkommen der generativen KI sowie an die Wahl Trumps und seine Zollpolitik. 

Die Entwicklung der beiden Indizes seit der Veröffentlichung von Chat-GPT 3.5, also seit dem 30. November 2022, zeigt Folgendes: Der SMI hat seither bis Mitte Juni 2025 knapp 10 Prozent zugelegt, der SPIEX hingegen fast 18 Prozent. Das Aufkommen der KI-Sprachmodelle scheint also den Small- und Mid Caps erst mal nicht geschadet zu haben, ganz im Gegenteil. 

Betrachtet man die beiden Indizes seit der Wahl von Donald Trump Anfang November 2024, so hatten die Grossen mit dem SMI zunächst bis Anfang März stark zugelegt, mit fast 10 Prozent, während der SPIEX lediglich um 3,5 Prozent anstieg. Der darauffolgende Einbruch, der durch Trumps radikale Zölle Anfang April ausgelöst wurde, erfasste jedoch den SMI wiederum deutlich stärker, sodass dieser Vorsprung seit Trumps Wahl gerade wieder in etwa ausgeglichen wurde. Seit diesem Tiefpunkt hatten sich die Aktienwerte bis Mitte Juni wieder deutlich erholt, der SPIEX aber mit fast 20 Prozent wesentlich kräftiger als der SMI mit gut 13 Prozent. 

Nimmt man also die Börsenkurse zum Massstab, so kann man derzeit keinen Vorteil für die Grossunternehmen er­kennen, sondern eher im Gegenteil. Es bleibt wohl damit die Schlussfolgerung: Grösse allein garantiert keine Zukunftsfähigkeit. Entscheidend ist, wie man sich auf das Unbekannte einstellt. Denn sicher ist, vieles bleibt unsicher.

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