Forschung & Entwicklung

Wertschöpfung

Innovationen durch Innovationsökosysteme

Das Konzept der Innovationsökosysteme basiert auf dem Gedanken eines biologischen Ökosystems, indem es Analogien aus der Natur zieht und untersucht, wie diese Phänomene in Geschäftskontexten beobachtet werden können. Dieser Beitrag beschreibt, warum die Teilnahme an einem solchen System eine wichtige Innovationsstrategie sein kann.
PDF Kaufen

Indien ist das Land mit den meisten Einzelhändlern weltweit. Ungefähr 9,3 Millionen Einzelhändler sind in Indien niedergelassen. Diese erhalten ihre Ware über ein Ökosystem von 20 000 Distributoren, 80 000 Grosshändlern und im Wesentlichen 12 Konsumgüterherstellern. Die Einzelhändler sind meist unabhängige Familienbetriebe und nicht von gros-sen Supermarktketten kontrolliert. Ihnen fehlt das Kapital, um mehr Ware zu beschaffen, die sie dann aufgrund ungesättigter Nachfrage der indischen Haushalte verkaufen könnten. Die Distributoren haben bei ihren Auslieferungsfahrten zu den Einzelhändlern ein limitier-tes Warenangebot, das im Verlauf der Route oft komplett abgenommen wird, so dass die Einzelhändler, die am Ende der Auslieferungsroute angefahren werden, nicht mehr ausreichend bedient werden können. Ferner fehlt den Konsumgüterherstellern der Einblick in die «letzte Meile».

Netzwerk im Ökosystem

Die Ineffizienzen im indischen Einzelhandelssystem waren bei SAP der Startpunkt für das Projekt Ganges, welches im Kern darauf beruht, eine Lösung zu generieren, die alle Beteiligten des Ökosystems einbezieht. Dies bettet SAP in ein Ökosystem interdependenter Unternehmen (Adner, 2006; Adner & Kapoor, 2010). Benannt nach dem indischen Fluss ist SAP Ganges ein Netzwerk für den Handel in Indien. Teil des Systems ist ein Endgerät für Einzelhändler auf Tablet-Basis, das in Zusammenarbeit mit bekannten Herstellern solcher Geräte und über 200 Einzelhändlern entwickelt wurde. Indem jeder verkaufte Artikel eingescannt wird, werden die Daten an die SAP HANA-Plattform gesendet. Auf diese Daten können die Konsumgüterunternehmen, Distributoren und Banken dann zugreifen. Jeder Teilnehmer im Ökosystem profitiert von diesem Netzwerk:

  • Die Einzelhändler sind an ein Netzwerk angeschlossen, das es ihnen erlaubt, Echtzeitbestellungen auszulösen und Zugang zu neuem Kapital zu erlangen.
  • Die Distributoren der Konsumgüterhersteller können Bestellungen und Bezahlungen elektronisch erhalten. Sie profitieren von einer grösseren Kaufkraft der Einzelhändler und operativer Effizienz.
  • Die Konsumgüterhersteller erhalten Echtzeitinformationen, um Marketingmassnahmen einzuleiten.
  • Die teilnehmenden Banken erhalten Fakten zur Kreditwürdigkeit, mit denen sie sicherer Kredite an Einzelhändler vergeben können.

Demnach sieht sich SAP in ein sog. In­novationsökosystem eingebettet. Dieses beinhaltet nicht nur SAP als Kerninnovator, sondern auch die zuführenden Partner und die wegführenden Kunden. Die Schlüsselerkenntnis ist, dass es nicht ausreicht, zu betrachten, ob und wie SAP erfolgreich seine internen Innovationsherausforderungen löst, sondern dass alle Partner des Ökosystems genauso ihre eigenen Innovationsherausforderungen lösen müssen, damit im Ökosystem Wert geschaffen werden kann (Adner & Kapoor, 2010).

Innovationsökosysteme

Ein Innovationsökosystem ist ein neues Konzept, das auf dem Gedanken eines biologischen Ökosystems gründet. Es zieht Analogien aus der Natur und untersucht, wie diese Phänomene in Geschäftskontexten beobachtet werden können. Ein biologisches Ökosystem besteht aus verschiedenen Organismen, die in einem gleichen örtlichen Gebiet wohnen. Es herrscht Interaktion zwischen den Organismen, und die physikalischen Gegebenheiten sowie die Umwelt können den Organismen Einschränkungen auferlegen. Genauso ist ein wirtschaftliches Innovationsökosystem durch eine grössere Anzahl von Teilnehmern charakterisiert. Dies können Unternehmen oder andere Organisationen sein. Die Teilnehmer sind untereinander verbunden, indem sie einen gegenseitigen Effekt aufeinander ausüben. Diese Verbundenheit ermöglicht zahlreiche Interaktionen zwischen den Mitgliedern.

Es muss darauf hingewiesen werden, dass im Wesentlichen drei Unterschiede zwischen einem natürlichen Ökosystem und einem Innovationsökosystem bestehen (Iansiti & Levien, 2004):

  1. In einem Innovationsökosystem sind die Akteure intelligent und fähig, die Zukunft mit einer gewissen Genauigkeit zu planen und zu skizzieren.
  2. Innovationsökosysteme konkurrieren um mögliche Mitglieder. Dieses Verhalten kann in natürlichen Ökosystemen nicht beobachtet werden.
  3. Innovationsökosysteme zielen darauf, Innovationen zu erreichen, während natürliche Ökosysteme um das pure Überleben kämpfen.

Gemäss Moore (1993) arbeiten die Mitglieder eines Innovationsökosystems kooperativ und wetteifernd, um neue Produkte zu unterstützen, Kundenbedürfnisse zufriedenzustellen und schliesslich die nächste Innovationsrunde anzustossen. Demnach gründet der Erfolg von Innovationsökosystemen auf einer Balance von Wettbewerb und Kooperation. Lewin (2000) behauptet, dass es in einem Innovationsökosystem herausfordernd ist, herauszufinden, wer Freund und Feind ist.

Die Erfolgsfaktoren

Hauptsächlich erweisen sich drei Faktoren als kritisch für den Erfolg von Inno­vationsökosystemen. Wie bei jeder Art von Geschäft ist Produktivität ein Basisfaktor jeder Geschäftstätigkeit, der auch den Erfolg eines Innovationsökosystems definiert. Darüber hinaus muss ein Innovationsökosystem robust sein. In einem natürlichen Ökosystem bedeutet Robustheit, ausgeprägte Überlebensfähigkeiten zu haben, wenn Schocks von innerhalb oder ausserhalb des Ökosystems drohen, dieses zu zerstören. Schliesslich sollte ein Innovationsökosystem auch die Fähigkeit besitzen, Nischen und Gelegenheiten für neue Unternehmen zu schaffen. Dies erfordert einen Wandel von protektionistischen zu kooperativen Haltungen (Iansiti & Levien, 2004).

Die Vorteile und Risiken

Innovationsökosysteme sind verführerisch. Sehr leicht wird das Potenzial zur Wertschöpfung überschätzt, weil so viele Teilnehmer ihre Fähigkeiten kombinieren. Gleichzeitig werden die Herausforderungen sehr leicht unterschätzt, da die meisten als zu anderen zugehörig und nicht eigens erscheinen.

Innovationsökosysteme bieten die Möglichkeit, Allianzen zu bilden und sich in diesen Netzwerken erfolgreich zu etablieren. Dies passiert geschützt vor potenziellen Eindringlingen. Dieselbe Verbundenheit fungiert aber auch als Auslöser möglicher Desaster. Wenn jeder direkt oder indirekt miteinander verbunden ist, breiten sich Veränderungen in einem Teil des Systems höchstwahrscheinlich im ganzen System aus und manchmal gehen dabei Unternehmen ohne eigene Schuld zugrunde. Diese Art der Unvorherseh-barkeit ist ein unangenehmer Aspekt eines Innovationsökosystems. Wenngleich wird hiermit aber auch nur ein realistisches Bild vom Geschäftsleben gezeichnet (Lewin, 2000).

Die Rollenverteilung

In einem Innovationsökosystem werden im Wesentlichen vier verschiedene Rollen besetzt (Iansiti & Levien, 2004). «Keystones» sind Unternehmen, die als Ermöglicher fungieren und einen starken Einfluss auf das gesamte Ökosystem haben. «Dominatoren» integrieren sich vertikal oder horizontal in das Netzwerk, um dieses grösstenteils direkt zu beeinflussen. «Commodity-Anbieter» schaffen wenig Wert für das Ökosystem. «Nischenanbieter» machen den Grossteil eines Innovationsökosystems aus. Sie besitzen spezialisierte Fähigkeiten, die sie von anderen im Ökosystem unterscheiden.

Die Herausforderungen

Kleine und mittlere Unternehmen sehen sich im Innovationsprozess vielfältigen Herausforderungen konfrontiert. Im Gegensatz zu Grossunternehmen verfügen sie meist nicht über eine «kritische Masse» an Mitarbeitern, Anlagen und Finanz­mitteln, um komplexe Projekte allein durchführen zu können. Ferner haben sie bisweilen kein attraktives Umfeld, um qualifizierte Experten anzuziehen, was sich teilweise im völligen Fehlen einer eigenen F&E- beziehungsweise dem Vorhandensein einer nur kleinen F&E-Abteilung manifestiert. Darüber hinaus ist es KMU aufgrund ihrer personellen und organisatorischen Struktur oft nicht möglich, ihren Innovationsprozess sy­s-tematisch und methodenfundiert aufzubauen. Auch mangelt es an einem professionellen Intellectual-Property-Management sowie dem Einsatz von Methoden des Projektmanagements. Demgegenüber stehen kurze Entscheidungswege sowie die Fähigkeit, Innovationsprozesse schneller und flexibler an neue Gegebenheiten anzupassen. Ein ambivalenter Sachverhalt ist die Rolle des Geschäftsführers, der einerseits durch seine direkte Beteiligung an den meisten Projekten als Machtpromoter funktionieren, andererseits aber auch als hemmender und beharrender Faktor fungieren kann. Wie die «Open Innovation Studie 2014» des Lehrstuhls für Innovationsmanagement der Zeppelin Universität zeigt, ist die Partizipation in Innovationsökosystemen eine wichtige Innovationsstrategie. Diese ermöglicht KMU, mit grossen Partnern gemeinsam Wertschöpfung zu betreiben, welche über den eigenen ressourcenlimitierten Mehrwert hinausgeht. Die Studie verdeutlicht ferner, dass KMU im Vergleich zu Grossunternehmen daher intensivere Anstrengungen betreiben, um Potenziale zur Bildung von Innovations-ökosystemen zu verorten und gewinnbringend auszuschöpfen.

Porträt