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Unternehmensentwicklung

Industrie 4.0: Herausforderungen und Chancen

Auf der Grundlage der digitalen Technologien wachsen bei Industrie 4.0 Produkte und Dienstleistungen zusammen, um die Kundenbedürfnisse optimal zu lösen. Unternehmen stehen dabei vor der Herausforderung, ihre Geschäftsprozesse und Geschäftsmodelle neu auszurichten.
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Die Wirtschaft befindet sich im Übergang zur vierten industriellen Revolution. In jeder Phase einer industriellen Entwicklung steht ein Grundbedürfnis im Mittelpunkt. In der vierten industriellen Revolution ist es das Grundbedürfnis der Information. Dabei liegt der Fokus auf der permanenten und simultanen Erfassung von Daten und in der Verknüpfung dieser Daten. Die Kommunikation zwischen Maschinen und Mensch-Maschine-Systeme schafft völlig neue Potenziale und cyber-physische Systeme verknüpfen Produkte und Dienstleistungen. Damit wird nicht mehr das Produkt im Vordergrund stehen, sondern die Lösung für den Kunden (vergleiche mit Abbildung 1).

Wachstumspotenziale

Hinter dem Begriff Industrie 4.0 verbirgt sich die wachsende Digitalisierung der Produktion. Darunter versteht man Kommunikation zwischen Maschinen, aber auch den Einsatz von Bauteilen, die Informationen zu ihrer Verarbeitung auf Chips bei sich tragen. Diese Entwicklung macht den verstärkten Einsatz von Software und den Austausch von Daten in der Fertigung nötig. Die klassischen Industrien wie der Maschinen- und Anlagenbau sehen enor-me Wachstumspotenziale dadurch, dass sie in der Zukunft nicht nur Maschinen und Anlagen verkaufen, sondern dem Kunden durch integrierte Dienstleistungspakete einen umfassenderen Nutzen anbieten können. Solche Dienstleistungen umfassen den ganzen Lebenszyklus der Maschine /Anlage und können sein:

  • Dienstleistungen vor dem Kauf: Engineering, Auslegungen und Berechnungen
  • Dienstleistungen beim Kauf: Inbetriebnahme, Datenmanagement, Anwendungsschulung
  • Dienstleistungen bei der Nutzung: Vorbeugende Instandhaltung, Release Wechsel, Ersatzteile Dienstleistungen am Ende der
  • Nutzung: Rücknahme der Anlage, Neuaufrüstung der Anlage, Entsorgung

Während man sich mit einem Produkt meist nur kurzfristig differenzieren kann, schafft die Kombination von Produkten und Dienstleistungen einen langfristigen Wettbewerbsvorsprung, der nur schwer durch andere aufzuholen ist. Die Kundenpotenzialausschöpfung wird immer umfassender und durch die Übernahme des Datenmanagements lernt der Hersteller viel besser den Einsatz und die Verwendung seiner Produkte kennen. Der permanente Datenaustausch schafft eine bessere Kenntnis, wie der Kunde die Anlage nutzt und was für ihn wichtig beziehungsweise weniger wichtig ist.

Vernetzte Unternehmen

Ein wichtiger Faktor von Industrie 4.0 ist die Vernetzung. Dies gilt nicht nur für Maschinen mit Maschinen, sondern auch Mensch – Maschine. Die neuen Märkte wie «Smart Home», «Smart Factory» oder «Smart Farming» haben nicht mehr einzelne Produkte im Blickpunkt, sondern ganzheitliche Lösungen (vergleiche mit Abbildung 2). Dadurch werden die Grenzen der traditionellen Branchen verschwinden. Internetunternehmen positionieren sich in der Gesundheitsbranche, der Automobilindustrie, der Landwirtschaft und des Facility Managements. Dadurch wird die Verzahnung der Märkte eine spezifische Herausforderung von Industrie 4.0 sein. Die Vernetzung ist immerauf den Markt und den Kunden auszurichten. Der Nutzen für den Kunden nimmt zu und dadurch entsteht Kundenbindung und eine bessere Potenzialausschöpfung des Kundenbedarfs. Das Unternehmen Philips arbeitet an der Vernetzung der elektronischen Zahnbürsten, bei der Bürsten den Speichel analysieren und die Daten an das Smartphone sendet. Aus einem Alltagsgegenstand wird ein Hightechgerät. Gleichzeitig investiert Philipps in Healthcare Informatics, damit die Ärzte die medizinischen Daten besser nutzen können. Damit wird ein digitales Ökosystem geschaffen, bei der Medizintechnik und Konsumelektronik zusammenwachsen.

Die acht Felder der Innovation

Innovation war bisher klassisch Pro­duktinnovation. Produktinnovation wird auch bei Industrie 4.0 der Ausgangspunkt sein. Da die Kundenfokussierung und die Vernetzung jedoch primäre Merkmale von Industrie 4.0 sein werden, reicht die Produktinnovation nicht mehr allein aus. Diese wird ergänzt und damit für den Kunden wertvoller durch:

  • Die Prozessinnovation: Industrie 4.0 schafft neue digitale Geschäftsprozesse, die miteinander verzahnt sind und sich gegenseitig ergänzen und befruchten
  • Die Serviceinnovation: Produkt und Service verschmelzen, vorbeugende Instandhaltung wird zum permanenten Werttreiber
  • Die Vertriebsinnovation: Industrie 4.0 schafft neue Vertriebskanäle, die von der Kundschaft unterschiedlich genutzt werden
  • Die Supply Chain Innovation: Die Integration der Wertschöpfungsketten wird durch die Technologien von Industrie 4.0 ermöglicht, so dass die Entstehung des Produktes über die ganze Wertschöpfungskette zu verfolgen und zu steuern ist
  • Die Marketinginnovation: Schaffen von neuen Marken «Zalando» und einem neuen Markenbewusstsein
  • Die Organisationsinnovation: Weg von hierarchisch geprägten Strukturen zu flexiblen Netzwerken
  • Innovation im Geschäftsmodell: Das Unternehmen übernimmt Betreiberfunktionen für den Kunden, der Kunde kauft das Produkt nicht mehr, sondern zahlt für die Nutzung.

Der Maschinenbauer Trumpf prüft beispielsweise, eine Cloud-Plattform für Maschinenbau-Software nach Vorbild von einem App-Store aufzubauen. Man nimmt die digitale Transformation proaktiv in die eigene Hand und überlässt die existenzielle Bedeutung von Software nicht der IT-Branche.

Das Technologiemanagement

Digitale Technologien sind die treibenden Kräfte bei Industrie 4.0. Die bestehenden Technologien sind durch die neuen digitalen Technologien zu ergänzen. Erfolgreiches Technologiemanagement wird zur treibenden Kraft (vergleiche mit der Abbildung 3). Diese Technologien wandeln sich rasch und die Unternehmen müssen die Fähigkeit haben, sehr schnell neue Technologien zu entwickeln oder zu adaptieren. Erschwerend wirken sich insbesondere der schnelle Technologiewechsel und die damit verbundene Unsicherheit aus. Es besteht die latente Gefahr, zu viel Zeit mit Diskussionen über Standards für die Industrie 4.0 zu verlieren, anstelle sich um die Transformation der Geschäftsprozesse und Geschäftsmodelle zu kümmern.

Die Geschäftsprozesse

Die Informationstechnologie wird bereits über einen längeren Zeitraum zur Unterstützung von Beschaffung und Vertrieb von Gütern und Dienstleistungen sowie zur Verbesserung der Kommunikation innerhalb und zwischen Organisationen eingesetzt. Die Informationstechnologie hat damit einen weitreichenden Einfluss auf die effiziente inner- und zwischen­betriebliche Abwicklung von Geschäftsprozessen. Bedingt durch die starke Vernetzung gewinnt die Optimierung der Geschäftsprozesse branchenübergreifend für Unternehmen weiter an Relevanz. Das betrifft die klassischen Geschäftsprozesse:

  • Der Innovationsprozess das Schaffen von neuen Produkten und Leistungen
  • Der Sales- und Marketingprozess sowie  das Vermarkten von Produkten und Leistungen
  • Der Auftragsabwicklungsprozess die Erstellung und Lieferung von Produkten und Leistungen
  • Der Customer-Service-Prozess die Betreuung des Kunden bei der Nutzung von Produkten und Leistungen

Im Rahmen von Industrie 4.0 sind diese Prozesse offen zu gestalten und den Kunden in die Prozesse zu integrieren. Ebenso laufen die Prozesse in der Realität nicht mehr sukzessive hintereinander, sondern simultan und integriert. Big Data schafft die Voraussetzung, die Prozesse permanent zu messen und in ihrer Performance zu steigern. Neben der Optimierung interner Prozesse müssen im Rahmen einer ­unternehmensübergreifenden Prozessoptimierung auch Lieferanten und Kunden einbezogen werden. Zur effizienten Transaktionsabwicklung von zwischenbetrieblichen Prozessen ist es von zentraler Bedeutung, die Kosten und Nutzen detailliert zu bestimmen, um sie als Grundlage für strategische Entscheidungen einsetzen zu können. Durch das Internet der Dinge sollen vor allem die Koordinations-, Kommunikations- und Administrationskosten reduziert werden. Die Kosten können dabei auf der Transaktions -, Kanal- und Kundenebene bestimmt werden.

Zusätzlich gewinnt die unternehmensübergreifende Kostenanalyse der Lieferanten und Kunden an Bedeutung, da aus der engen Verzahnung zwischen Unternehmen der Wertschöpfungskette oft bedeutende Kostensenkungspotenziale resultieren. Kostenanalysen entlang der Wertschöpfungskette setzen jedoch eine kooperative Beziehung zwischen den Unternehmen voraus, um die Erhebung und den Austausch von Kosteninformationen zu ermöglichen. Wesentlichen Einfluss auf die Kosten haben dabei insbesondere die Anzahl der Transaktionen und Transaktionstypen. Das Unternehmen Bosch stellt beispielsweise nicht nur die Tech­nologie für Industrie 4.0 her, sondern optimiert damit auch seine eigene Supply Chain. Bosch verspricht sich mittelfristig durch den Einsatz vernetzter Maschinen in seinen Produktionsstandorten Einsparungen im dreistelligen Millionenbereich.

Integrierter Ansatz

Zentrale Figur bei Industrie 4.0 ist der Kunde. Es ist alles darauf auszurichten, seinen Anforderungen gerecht zu werden. Dazu sind innovative Technologien relevant, die analoge und digitale Technologien verknüpfen, um Geschäftsprozesse und Geschäftsmodelle zu optimieren. Dies alles muss eingebettet werden in eine Philosophie der Netzwerke und der Führung, die in neue Dimensionen vorstösst und traditionelle Grenzen überwindet.