Forschung & Entwicklung

Flexible Arbeitsformen

«Home Office macht Arbeitgeber wettbewerbsfähiger»

An der Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW wird seit einigen Jahren intensiv zu den Themen Home Office und mobil-flexibler Arbeit geforscht. Prof. Dr. Hartmut Schulze, Institutsleiter, und Dr. Johann Weichbrodt, Studienleiter zu mobil-flexibler Arbeit, beantworten im «KMU-Magazin» Fragen rund um das flexible Arbeiten.
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Herr Schulze, wie steht es um das Home Office in der Schweiz? Ist diese Arbeitsform inzwischen eine Selbstverständlichkeit für Unternehmen und Beschäftigte?

Hartmut Schulze: Insgesamt gesehen ist Home Office – also das anteilige Erledigen von Arbeitsaufgaben auch von zu Hause aus – im Laufe der Jahre in der Schweiz deutlich selbstverständlicher geworden. Dies betrifft zunächst das Ausmass dieser Form des Arbeitens. Hier wissen wir aufgrund einer repräsentativen Studie im Auftrag des «Home Office Day»-Konsortiums aus diesem Jahr, dass in der Schweiz zirka eine Million Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (25 Prozent) in der Schweiz regelmässig mehrere Tage pro Monat von zu Hause aus arbeiten. Das sind im Schnitt 0,8 Tage pro Woche. Umgerechnet werden etwa 40 Millionen Home-Office-Tage im Jahr erbracht. Damit liegt die Schweiz euro­paweit im oberen Mittelfeld. Zum Ver­gleich: In Deutschland liegt die Home-Office-Rate aktuell nur bei zirka acht Prozent. Etwa eine weitere Million und damit ca. 50% der Schweizer Arbeitskräfte könnte von ihren Arbeitsaufgaben her grundsätzlich ebenfalls mobil-flexibel arbeiten.

Und warum tun sie dies nicht?

Schulze: Das hat verschiedene Gründe. Das kann an fehlender Technik liegen, oder ihr Arbeitgeber erlaubt es nicht. Und manche wollen es schlicht nicht. Überraschenderweise aber wollen nur sieben Prozent der Schweizer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht mobil arbeiten. Hier besteht also grundsätzlich noch Potenzial, vor allem wenn man bedenkt, dass sich mehr als 60 Prozent der Arbeitnehmenden eine solche Flexibilität auch wünschen. Selbstverständlicher ist Home Office weiterhin als zusätzlicher Arbeitsort im Rahmen flexibler Arbeitsmodelle aber auch von den An­­­­­­­for­derungen und Voraussetzungen her geworden. Wir wissen heute deutlich besser, worauf es beim Home Office ankommt, welche Kompetenzen aufseiten der Mitarbeitenden und Führungskräfte, aber auch auf der Seite der Organisationen nötig sind. Letztlich braucht es aber gerade bei den Führungskräften auch etwas Mut, mobil-flexible Arbeitsweisen auszuprobieren und damit zu experimentieren.

Was verstehen Sie unter flexibler und mobiler Arbeit?

Schulze: Wir verstehen unter mobil-flexibler Arbeit eine Arbeitsform, die unabhängig von dem normalerweise festen
Arbeitsort in der Firma oder der Organisation z. B. unterwegs, beim Kunden, im Café oder zu Hause mithilfe mobiler Arbeitsgeräte, zum Beispiel Laptop, Smartphone, Tablets mit mobilem Internetanschluss, erbracht werden kann. Dafür ist auch eine gewisse zeitliche Flexibilität notwendig, also die Möglichkeit, den Zeitpunkt des Arbeitens in Abstimmung mit dem Arbeitgeber selbst wählen zu können. Mobil-flexible Arbeit trifft unserer Ansicht nach diese Form des Arbeitens besser als der alte Begriff der «Telearbeit».

Herr Weichbrodt, Sie haben in einer Umfrage Schweizer Unternehmen befragt. Zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?

Weichbrodt: In der Befragung zum Flex Work-Phasenmodell wollten wir die Sichtweise von Unternehmen und Verwaltungen zum Thema Arbeitsflexibilität erfahren. Das Modell unterscheidet fünf Phasen der Arbeitsflexibilisierung, die vom traditionellen Modell ortsgebundener Arbeit über eine Umbruchsphase bis hin zum Netzwerk-Unternehmen reichen. In der Studie haben wir Un­ternehmen aus der Branchengruppe «wissensintensive Dienstleistungen» wie Finanzen, IT, Beratungen, Forschung befragt, weil wir für diese Unternehmen angenommen haben, dass sie Vorreiter der Entwicklung sind. Zusätzlich haben wir Einheiten der öffentlichen Verwaltung befragt, für die wir zwar eine geringere Verbreitung mobiler Arbeit angenommen haben, aber gleichzeitig auch viel Potenzial sehen. Gefragt wurde nach dem Ist-Zustand und nach einem allfälligen Veränderungswunsch für die nächsten ein bis drei Jahre. Bei den Unternehmen zeigte sich ein relativ eindeutiges Bild: Etwa die Hälfte der Unternehmen befindet sich entweder im Umbruch oder hat flexibles Arbeiten bereits fest etabliert. Die andere Hälfte kennt flexibles und mobiles Ar­beiten mehrheitlich zumindest als Ausnahmeerscheinung. Bei den kleinen und mittleren Unternehmen gab es dabei übrigens die grösste Streuung, das heisst dass zwar einerseits hier die am weitesten entwickelten Unternehmen zu finden sind, andererseits befinden sich bei den KMU noch mehr als zehn Prozent in der ersten Phase, wo Arbeitsflexibilität ab­solut kein Thema ist.

Wird sich dieses Bild in Zukunft verändern?

Weichbrodt: Ja, die Firmen sind dabei, geeignete Voraussetzungen für eine bessere Unterstützung mobil-flexibler Arbeit zu schaffen. Dies betrifft v.a. die Bereitstellung einer angemessenen Infrastruktur oder Architektur, von Technologie, aber auch die Schaffung einer passenden Unternehmenskultur. Und genau hier sehe ich Gründe für die Schwierigkeiten, die Organisationen und Führungskräfte noch haben, wenn sie ihren Mitarbeitenden raum-zeitliche Spielräume einräumen wollen: Das neue, flexible Arbeitsmodell erfordert in einem viel stärkeren Masse Vertrauen, Feedback, Kommunikation und Eigenverantwortung. Und dieses Umdenken entwickelt sich gerade, ist in manchen Firmen aber auch schon weit ausgeprägt. Interessanterweise sind es ja gerade KMU-Firmen, von denen man lernen kann, da sich einige dieser Firmen bereits als in der Phase 5 befindlich einschätzen.

Warum wird mobile und flexible Arbeit zunehmend ein Thema für Unternehmen?

Schulze: Hier spielen verschiedene Faktoren eine Rolle. So fragen potenzielle neue Mitarbeitende in Bewerbungsgesprächen verstärkt nach Möglichkeiten mobil-flexibler Arbeit. Höhere raum-zeitliche Flexibilität ist zu einem wesentlichen Motivationsfaktor geworden. Wir wissen aus unseren Studien, dass Mitarbeitende, die die Möglichkeit zu mobil-flexibler Arbeit haben, ihren Arbeitgeber attraktiver finden. Für Firmen und Organisationen wird die Ermöglichung flexibler Arbeitsweisen also zu einem Wettbewerbsfaktor und ist bedeutsam für die Bindung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an das Unternehmen. Ein weiterer wichtiger Grund betrifft den Wunsch der Unternehmen, die am besten zu den Anforderungsprofilen passenden Mitarbeitenden zu gewinnen. Und diese wohnen nicht selten weiter weg und haben längere Anfahrtswege. Die anteilige Einsparung von Pendelstrecken und Anfahrten kann einen Einfluss haben, um gerade hoch qualifizierte und kompetente Mitarbeitende gewinnen zu können. In einem laufenden Projekt fragen wir auch, inwieweit mobil-flexibles Arbeiten gerade auch für strukturschwächere Regionen von Vorteil sein kann.

Ist die Möglichkeit, mobil und flexibel arbeiten zu dürfen, für die jüngere Generation wichtiger und selbstverständlicher als für die Generation 50 plus?

Weichbrodt: Nein, das scheint nicht unbedingt der Fall zu sein. In unserer Studie ist es die Altersgruppe vierzig bis Mitte fünfzig, die am meisten mobil arbeiten. Es handelt sich hierbei also um Mitarbeitende, die bereits einiges an Erfahrung haben, sich und ihre eigene Arbeitsweise gut kennen, genügend Eigenverantwortung mitbringen und jetzt auch die Freiheiten und Autonomie entsprechend ihrem Kompetenzniveau geniessen wollen. Bei den jüngeren scheint es dagegen einen gewissen Bedarf nach Struktur zu geben. Viele wünschen sich vermutlich nach der Ausbildung oder dem Studium, wo ja meist «unfreiwillig» mobil-flexibel gearbeitet wird, wohl eher einen eigenen, festen Arbeitsplatz mit klaren Grenzen.

Welches sind denn die zentralen Kompetenzen, die es im Home Office braucht?

Weichbrodt: Damit sind wir schon beim Thema: Für die Arbeit im Home Office braucht es auf jeden Fall genügend Eigenverantwortung, also die Fähigkeit, in Eigenregie zu entscheiden, wann, wo und wie man die Arbeit erledigt. Weiterhin ist es wichtig, eigene Grenzen setzen und einhalten zu können: Zu fokussieren, wenn die Ablenkungen des Haushalts und des Freizeitbereichs locken oder wenn die Kinder Aufmerksamkeit fordern, aber auch gegenüber Kollegen und Vorgesetzten, wenn man sein Pensum für den Tag geleistet hat und Feierabend machen will. Oder wenn Pause und Erholung auf dem Programm stehen.

Herr Schulze, wie wird die Arbeitsform in Ihrem eigenen Institut und an der Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW gehandhabt? Was sind Ihre Erfahrungen?

Schulze: Wir sind in der glücklichen Lage, unsere Erkenntnisse aus unseren Studien und Forschungsprojekten auch selbst anwenden zu können. So besitzt die FHNW als Organisation eine Policy, die mobil-flexibles Arbeiten inklusive Home Office fördert. Sie gibt den Führungskräften einen Leitfaden an die Hand, um zu erkennen, ob bei ihren Mitarbeitenden das Arbeitsumfeld und die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Arbeit zu Hause gegeben sind. Dazu zählen zum Beispiel Möglichkeiten, sich zu Hause einen störungsfreien, ruhigen Arbeitsort einzurichten. Auch Empfehlungen werden gegeben, wie etwa kreative und Konzentration erfordernde Aufgaben zu sammeln und dezidiert für Home Office zu planen. Technisch gesehen erhalten unsere Mitarbeitenden Laptops und einen sicheren Remote-Zugang zu den Servern und Laufwerken ihrer Hochschule. Diese Möglichkeiten werden gerne und erfolgreich von unseren Mitarbeitenden genutzt. Interessanterweise führt dies nicht dazu, dass wir uns nie an der Hochschule treffen würden. Im Gegenteil, informelle Kommunikation und Abstimmung werden sehr geschätzt. Wir unterstützen dies durch Cafézonen in Sichtweite zu Arbeitsplätzen und durch verschiedene Anlässe wie bspw. einem Hochschulkolloquium oder Institutssitzungen mit anschliessendem gemeinsamem Mittagessen.

Herr Weichbrodt, die Vorteile von Home Office werden oft im Zusammenhang mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder als Ersatz für das Pendeln bei langen Arbeitswegen gesehen. Wie ist Ihre Sichtweise dazu?

Weichbrodt: Home Office bietet tatsächlich Vorteile für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, aber nicht in dem Sinne, dass man gleichzeitig arbeitet und Kinder betreut. Dies wird leider oft so dargestellt. Dabei ist die Betreuung von Kleinkindern natürlich ein Job für sich und verträgt sich mit der Arbeit zu Hause nur in Ausnahmefällen. Home Office bietet aber dennoch grosse Flexibilität für die Koordination innerhalb der Familie, also beispielsweise bei der Frage, wer wann Kinder wegbringt oder abholt. Für viele bedeutet Home Office auch grössere Nähe zu Familie und Kindern, wenn man beispielsweise zusammen mittagessen kann. Für Pendler gilt: Je weiter der Arbeitsweg, desto beliebter ist Home Office, weil mehr Zeit eingespart werden kann. Dies bietet natürlich auch ein Potenzial zur Entlastung der Verkehrssysteme.

Ein mittelständisches Unternehmen möchte die Möglichkeit, im Home Office zu arbeiten, einführen. Was raten Sie?

Schulze: Hier raten wir ganz entschieden, sich gut darauf vorzubereiten. Ganz nach dem Motto: Home Office ja, aber richtig. Zunächst sollte herausgefunden werden, welche Aufgaben grundsätzlich eine hohe Präsenz in der Firma vor Ort erfordern und welche auch mobil-flexibel an anderen Orten inkl. Home Office erbracht werden können. Entscheidend ist auch, die Führungskräfte mit ins Boot zu nehmen. Hier gilt es, Potenziale und Risiken gegenüberzustellen und Richtlinien zu entwickeln, anhand derer zum Beispiel entschieden wird, ob einem Mitarbeitenden der Wunsch nach Home Office erfüllt werden kann oder eben nicht. Weiterhin merken wir immer wieder, dass flexible Arbeitsweisen auch neue Kompetenzen erfordern und dies sowohl aufseiten der Mitarbeitenden wie auch aufseiten der Kader. Traditionelle Führungsstrategien wie Command and Order greifen nicht mehr. An deren Stelle treten Zielvereinbarungen, Ressourcenbereitstellung, Feedback und Vertrauen. Die Einführung von mobil-flexibler Arbeit sollte systematisch vorbereitet und begleitet werden.