Forschung & Entwicklung

Komplexitätsmanagement (Teil 1 von 2)

Herausforderungen im Unternehmensnetzwerk

Im Rahmen ihrer Internationalisierung gründen viele KMU Standorte im Ausland. Mit jedem neuen Standort entstehen allerdings auch neue Herausforderungen, da gleichzeitig die Komplexität innerhalb des Unternehmensnetzwerkes zunimmt. Um den angestrebten Nutzen nicht zu beeinträchtigen, ist es notwendig, diese Komplexität zu managen.
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Viele kleine und mittelgrosse Unternehmen besitzen neben dem angestammten Produktionsstandort in der Schweiz auch weitere Standorte im Ausland. Gründe dafür liegen unter anderem im Zugang zu neuen Märkten oder tieferen Produktionskosten. Während der Nutzen von neu zu erschliessenden Produktionsstandorten in entfernten Ländern meist gründlich evaluiert wurde, sind die dadurch entstehenden Herausforderungen oftmals kaum betrachtet worden: Versteckte Kosten durch unklare Aufgabenverteilungen und Verantwortlichkeiten sind nur eine Auswirkung. Die oftmals enge Verflechtung der entfernten Standorte mit dem Schweizer Stammhaus führt zu einem ungeplanten, meist hohen Koordinationsaufwand, meistens ausgeführt durch ohnehin schon stark ausgelastete Schlüsselmitarbeiter in der Schweiz.

Komplexität analysieren

Die Komplexität im Netzwerk steigt durch jeden neuen Standort – und kann den angestrebten Nutzen massgeblich beeinträchtigen. Folglich müssen folgende Fragen vor Beginn der Integration eines weiteren Standortes berücksichtigt werden:

  • Welche Herausforderungen sind bei Veränderungen im Produktionsnetzwerk zu beachten?
  • Welche Komplexität wird durch die Veränderung im Netzwerk beeinflusst? Wie kann diese transparent gemacht werden?
  • Mit welchem Zusatzaufwand muss gerechnet werden? Welche Mitarbeiter sind betroffen?
  • Mit welchen Massnahmen kann Komplexität, falls notwendig, reduziert werden?

Diese Thematik wurde in einem von der Kommission und Technologie (KTI) geförderten Projekt mit dem Titel «Supply Chain Integration: Der Umgang mit Komplexität» bearbeitet. Die Autoren haben in Zusammenarbeit mit zwei Schweizer Industrieunternehmen eine Methode zum Umgang mit Komplexität im Unternehmensnetzwerk erarbeitet. Beide Industrieunternehmen verfügen über einen Standort in der Schweiz und einen zweiten in China respektive den USA. Das KTI-Projekt verfolgte folgende Ziele:

  • Transparenz im Unternehmensnetzwerk und der Wertschöpfungskette erhöhen
  • Identifikation relevanter Komplexitätstreiber
  • Ableiten von Massnahmen, um den Grad der Komplexität, wo notwendig und möglich, zu reduzieren.

Im Folgenden wird die Grundlage des Komplexitätsmanagements aufgezeigt und anschliessend die entwickelte Methode vorgestellt. Während der vorliegende Artikel die Ausgangslage, Methode und erste Ergebnisse aufzeigt, werden in einem zweiten Artikel die Erkenntnisse aus den Fallstudien aufbereitet.

Mehrdimensionales Konstrukt

Um Transparenz im Umgang mit Komplexität zu erreichen, muss Komplexität als mehrdimensionales Konstrukt betrachtet werden. In einem ersten Schritt sind die relevanten Komplexitätstreiber zu definieren: Sie bilden die strukturelle Komplexität (siehe Abbildung 1).

Der zweite Schritt bezieht sich auf die funktionale Komplexität. Diese beschreibt die Fähigkeit eines Unternehmens, die Komplexität im Netzwerk zu erkennen und Entscheidungen zu treffen, welche Komplexitätstreiber zu reduzieren und welche zu akzeptieren sind. Im Folgenden werden beide Dimensionen des Komplexitätsmanagements kurz beschrieben.

Dimension 1: Die Identifikation von Komplexitätstreibern

Als komplex gelten Faktoren, welche aus einer Vielzahl von Elementen bestehen (z. B. Anzahl Kunden), sich voneinander stark unterscheiden (z. B. heterogene Kundengruppen), sich stark verändern (z. B. Kundenwünsche) oder sich stark gegenseitig beeinflussen (z. B. die Abhängigkeit von politischen Veränderungen und der Zugang zu Ressourcen).

Die Ursachen, welche zu Komplexität im Unternehmen führen, sind vielfältig und verstärken sich zum Teil gegenseitig. Komplexitätstreiber stammen sowohl aus der externen Umwelt als auch der Innenwelt eines Unternehmens. Die systematische Suche nach möglichen Komplexitätstreibern in der Literatur hat über 250 mögliche Elemente ergeben. Die Literatur unterscheidet vier Kategorien: Die externen Komplexitätstreiber stammen aus dem Markt oder der Gesellschaft. Bei den internen Komplexitätstreibern unterscheidet die Literatur zwischen korrelierter und autonomer Komplexität.

Die korrelierte Komplexität basiert auf der Annahme, dass ein gewisses Mass an interner Komplexität vorhanden sein muss, um externe Komplexität adressieren zu können. Das heisst, die externe Komplexität, die zum Beispiel aus heterogenen Kundenwünschen entsteht, wird mit interner Komplexität (Angebot eines breiten Produktportfolios) beantwortet. Das Unternehmen könnte zwar nur einen Teil der Kundenwünsche befriedigen und so die Komplexität, welche aus einem breiten Produktportfolio entsteht, reduzieren, jedoch vergibt das Unternehmen dadurch potenziellen Umsatz. Die autonome Komplexität beschreibt jene internen Komplexitätstreiber, welche nicht direkt abhängig vom externen Komplexitätsgrad sind. Soweit die autonome Komplexität wie zum Beispiel die Komplexität, welche aus der Kontrolle eines Prozesses resultiert, die korrelierte Komplexität unterstützt, schafft sie dem Unternehmen Nutzen, darüber hinaus verursacht sie aber nur Kosten. Der eingangs erwähnte zusätzliche Aufwand, die Aktivitäten des neuen Standortes zu koordinieren, ist beispielsweise ein autonomer Komplexitätstreiber, welcher so weit wie möglich reduziert werden sollte.

Dimension 2: Der Umgang mit Komplexität

Bei vertieftem Studium der Kategorien wird rasch klar, dass ein blosses Beschreiben der vorhandenen Komplexitätstreiber unzureichend ist, da auch Abhängigkeiten zwischen den Treibern bestehen. Die zweite Dimension des Komplexitätsmanagements, die funktionale Komplexität, beschreibt den Umgang mit Komplexität im Netzwerk (Abbildung 1). Sie beinhaltet die Fähigkeit, relevante Komplexitätstreiber zu erkennen, Entscheidungen im Umgang mit Komplexität zu treffen und entsprechende Massnahmen zu identifizieren. Je höher der Komplexitätslevel, desto mehr Anforderungen werden an die funktionale Komplexität gestellt. Insbesondere die Berücksichtigung der Interdependenzen zwischen den Kom-
plexitätstreibern ist herausfordernd.

Umgang mit Komplexität lernen

Um zu erkennen, wie stark die Fähigkeit im Umgang mit Komplexität bei den im KTI-Projekt beteiligten Unternehmen ausgeprägt ist, wurden im ersten Schritt Interviews mit Mitarbeitern aus allen relevanten Funktionen der Wertschöpfungskette geführt. Ziel der Interviews war, zu erkennen, welche Komplexitätstreiber vorhanden sind beziehungsweise von den Mitarbeitern wahrgenommen werden. Abbildung 2 fasst die Ergebnisse zusammen. Es fällt auf, dass der Fokus auf den internen Dimensionen, insbesondere auf den intern-autonomen Treibern der Komplexität liegt – also der Komplexität, welche so weit wie möglich zu reduzieren ist. Externe und intern-korrelierte Komplexitätstreiber, welche auch Nutzen stiften können, wurden von unseren Interviewpartnern in weitaus geringerem Masse genannt. Auf den Punkt gebracht: Diese beiden Unternehmen verfügen über ein hohes Mass an Komplexität, das keinen Nutzen stiftet und reduziert werden sollte. Zusätzlich fehlt ein Sensorium zum Erkennen von Treibern aus der externen Umwelt und der intern-korrelierten Komplexität.

Gezieltes Management

Anhand des KTI-Projekts konnte aufgezeigt werden, dass das gezielte Management von Komplexität immer mit einer objektiven Beschreibung der Faktoren und deren Effekte beginnt. Zusätzlich sind die Fähigkeiten der Mitarbeiter und Entscheidungsträger zur Identifikation relevanter Komplexitätstreiber, zum Fällen von Entscheiden über deren Relevanz sowie zum Ableiten von Massnahmen zu stärken. Stark vereinfacht resultierten im Rahmen des KTI-Projektes die folgenden Schritte als zweckmässig:

  1. Selektion relevanter Komplexitätstreiber, abgeleitet aus einer Liste von 250 potenziellen Komplexitätstreibern.
  2. Beschreibung der gegenseitigen Beeinflussung.
  3. Erstellen einer Einfluss- /Beeinflussungs-Matrix.
  4. Identifikation aktiver und kritischer Komplexitätstreiber (diese haben einen hohen Einfluss auf die restlichen Komplexitätstreiber und somit hohes Potenzial zur Komplexitätsreduktion).
  5. Identifikation geeigneter Massnahmen zur Reduktion der aktiven und kritischen Komplexitätstreiber. Komplexitätstreiber, welche andere nicht aktiv beeinflussen, sind oftmals zu akzeptieren.
  6. Priorisierung des Massnahmenkatalogs.
  7. Umsetzung der Massnahmen und kontinuierliches Monitoring.

Massnahmen können einerseits aus Veränderungen der Netzwerkstruktur (wie zum Beispiel beim Auf- oder Abbau von Standorten) oder der Netzwerkkoordination (zum Beispiel bei der Erhöhung der Standardisierung, der Autonomie oder der Formalisierung) abgeleitet werden. (Die weiteren Ausführungen zu möglichen Massnahmen entnehmen Sie dem Fortsetzungsartikel.)

Anhand des im KTI-Projekt entwickelten strukturierten Vorgehens zum Umgang mit Komplexität wurden bei den Industriepartnern Komplexitätsreiber in allen vier Dimensionen identifiziert. Zudem wurde ersichtlich, dass die Fähigkeit, relevante Komplexitätstreiber zu identifizieren und entsprechende Massnahmen abzuleiten, gezielt entwickelt werden muss und anhand der Checkliste auch entwickelt werden kann.

Zusammenfassung

Zusammenfassend lassen sich folgende Resultate festhalten:

  • Der Betrieb eines Netzwerks von Produktionsstätten generiert Komplexität, welche nicht ausschliesslich auf die einzelnen Standorte abgebildet werden kann. Es entsteht zum Beispiel ein Koordinationsaufwand für die Aufteilung der Arbeit zwischen den Standorten oder in der (unklaren) Zuordnung der Verantwortungen bei standortübergreifenden Themen.
  • Wer ein solches Netzwerk effizient steuern möchte, der muss für seine Managemententscheidungen die Komplexitätstreiber des Netzwerkes kennen, benennen und bewerten können.
  • Das in diesem KTI-Projekt entwickelte strukturierte Vorgehen zeigt, dass sowohl externe wie auch interne Komplexitätstreiber zu berücksichtigen sind.
  • Grossfirmen verfügen in den Stabsstellen der Konzernleitung üblicherweise über Personal, welches sich um diese Aufgaben kümmert. KMU mit verteilten Standorten unterschätzen den Aufwand für die Netzwerkkoordination gerne.
Porträt