Forschung & Entwicklung

HR-Management

Herausforderungen einer nachhaltigen Personalführung

Die Bedeutung immaterieller Vermögenswerte in Form von Human- und Sozialkapital für den Erfolg eines Unternehmens ist unbestritten und nimmt weiter zu. Die Verantwortung für ihren Aufbau und Erhalt verschiebt sich dabei in neue Zuständigkeitsbereiche. Mit welchen Zielsetzungen Unternehmen nachhaltige Personalführung planen, zeigt eine Studie.
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Das Human- und Sozialkapital, zwei Begriffe, die aus der Volkswirtschaftslehre stammen, werden zunehmend in die betriebswirtschaftliche Diskussion übernommen. Das Humankapital (HC) umfasst je nach Art der Defi­nition das personengebundene Wissen, die Fähigkeiten und Fertigkeiten oder die Einstellungen und die Motivationen (Olbert-Bock / Redzepi 2015). Soziales Kapital (SC) bezieht sich auf die Qualität der Beziehungen zwischen Menschen beziehungsweise in sozialen Strukturen. Als soziales Kapital einer Organisation gelten die Qualität der Vernetzung und zwischenmenschlichen Beziehungen (Netzwerkkapital), der Vorrat gemeinsamer Überzeugungen, Werte und Regeln (Überzeugungs- und Wertekapital) sowie die Qualität einer zielorientierten Koordination (das sogenannte Führungskapital) (ebenda; Badura et al. 2013; Badura 2010; Matiaske 2004).

Beide Begriffe stehen in einer Wechselbeziehung zueinander (Osranek / Zink 2014, 110). Fragestellungen des Erhalts des Human- und Sozialkapitals gehören zu den klassischen Aufgaben des Human Ressource Managements (HRM) sowie der Führungskräfte. Forschung und Praxis des Human Resources Managements haben sich in den letzten Jahren – angeregt durch die Vorstellungen des US-amerikanischen Professors Dave Ulrich – vorwiegend unter der Perspektive eines Businesspartners weiterentwickelt. Die strategische Nutzung des Humankapitals für die unmittelbare Leistungsfähigkeit der Unternehmung wurde unterdessen stark verbessert. Allerdings mehren sich Hinweise, dass diese Schwerpunktsetzung in der Ausrichtung zum Teil zulasten des langfristigen Erhalts der humanen und sozialen Kapitalien des Unternehmens geht (De Prince u. a. 2014).

Wenn moderne Organisations- und Führungskonzepte auf eine von kurzfristigen und wettbewerblichen Überlegungen geprägte Personalpolitik stossen, ist von Situationen auszugehen, in denen dem Ressourcenerhalt nicht immer ausreichende Aufmerksamkeit zuteil wird. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn Weiterbildung zugunsten der aktuellen Produktivität bzw. aus Sorge von Überlastung ausbleiben.

Die Balance zwischen den aktuellen und langfristigen wettbewerblichen Interessen des Unternehmens und denen der Mitarbeiter mit dem Erhalt ihrer Ressourcen zu schaffen, gehört zum klassischen Rollenverständnis des HRM. Allerdings muss man dieser Anforderung im Rahmen neuer Organisationsstrategien gerecht werden. Das heisst, es müssen Vorgehensweisen etabliert und Instrumente geschaffen werden, welche die Führungskräfte und /oder den Einzelnen beim Erhalt von Human- und Sozialkapital unterstützen. Zu nennen sind beispielsweise Ressourcen-Assessments zur Führung oder Selbstführung. Nachhaltiges Human Ressource Management greift diese Überlegungen auf.

Der Nachhaltigkeitsaspekt

Es lassen sich unterschiedliche weit reichende Begrifflichkeiten von Humankapital antreffen. So lassen sich zum einen darunter der unmittelbar einsetzbare Teil der Kompetenzen, die aktuelle Gesundheit, Engagement und ein bestehendes unterstützendes Umfeld verstehen. Eine langfristigere Perspektive umfasst über dieses Verständnis hinausgehend Potenziale, die in Bezug auf Kompetenz, aber auch mit Blick auf die künftige Gesundheit, das künftige Mass an Unterstützung und Engagement bestehen.

Personalmanagement-Entscheide wirken sich nicht nur auf die interne Humankapital-Ausstattung aus, sondern auch auf das gesellschaftliche Umfeld. Hier wird von den Anspruchsgruppen erwartet, dass von Seiten der Unternehmen keine negativen externen Effekte ausgehen, die für die Gesellschaft Kosten verursachen. Dies wäre zum Beispiel der Fall, wenn chronische Überlastungssituationen zu psychischen Krankheiten und schliesslich zu längerfristiger Arbeitsunfähigkeit führen. Vor dem Hintergrund der geschilderten Entwicklungen stellen sich mit Blick auf die bestehenden Mitarbeitenden und langfristig orientierte Personalstrategien die Fragen,

  • wie weitgehend aktuell Verantwortung für human- und sozialkapitalbezogene Aufgaben übernommen wird: eher in einer engen Auslegung des Begriffes «Humankapital» oder unter einer langfristigen Perspektive,
  • welche Vorstellungen, bezogen auf die Übernahme von Verantwortung, für diese Aufgaben durch HRM, Linie und Mitarbeitende bestehen und
  • welche Herausforderungen in der Umsetzung human- und sozialkapitalbezogener Aufgaben aktuell bestehen.

Ein aktuelles Projekt an der FHS St. Gallen zur «Nachhaltigen Führung» geht diesen Fragen nach und hat hierfür unter anderem Interviews mit Linien- und HR-Managern analysiert.

Personalführung in der Praxis

Zielsetzungen und Zielgrössen

Um in Erfahrung zu bringen, ob Unternehmen im Rahmen einer nachhaltigen Personalführung aktuell eher in einer engen Auslegung des Begriffes «Human­kapital» oder unter einer längerfristigen Perspektive von «Ressourcen» agieren, wurde nach Zielsetzungen und Zielgrössen gefragt. Die Aussagen lassen sich zu den in der Tabelle dargestellten Kategorien verdichten (siehe Box).

Eine weitere Analyse der Kennzahlen lässt erkennen, dass zumindest zur Steuerung sehr viele klassische Indikatoren verwendet werden, die eher auf Human­kapital als auf Humanressourcen gerichtet sind. Vergleichsweise wenig wird auf Zielsetzungen im Bereich des sozialen Kapitals eingegangen.

Übernahme von Verantwortung

Das Ausmass, in dem seitens der Personalführung (Mit-)Verantwortung für den Erhalt von Humankapital und /oder humaner Ressourcen übernommen wird, unterscheidet sich deutlich nach den betrachteten Teilaspekten:

  • Gesundheit: Führungskraft und Mitarbeiter teilen sich die Verantwortung; zunehmend wird von den Mitarbeitenden die Verantwortungsübernahme für die eigene Gesundheit eingefordert.
  • Kompetenzentwicklung: auf die Funktion bezogen sehen sich die Führungskräfte in der Verantwortung; über die betrieblichen Einsatzmöglichkeiten hinausgehend ist diese kaum im Blick.
  • Soziale Beziehungen geraten nicht in das Blickfeld und sind in den meisten Unternehmen vollständig der Selbstorganisation der Mitarbeitenden über­lassen. Ausnahmen: die «Problemfälle» und Unternehmen, die sich selbst als massgebliches soziales Umfeld der Mitarbeitenden betrachten.

Insgesamt zeigt sich auch hier, dass es – mit Ausnahme von Gesundheit – eher um den Erhalt von Humankapital geht. Interessant ist, dass viele Befragten einen Klärungsbedarf sehen, was «sozial» ist und welche Bedeutung dem beigemes­sen wird. Manche Forderungen des Einzelnen scheinen als unangemessen und durch Attraktivitätsversprechen aufgebauscht. Betrachtet man die Entwicklungen in der Arbeitswelt, so muss Verantwortungsübernahme vom Einzelnen für den Erhalt seiner Ressourcen eingefordert werden. Darüber hinaus wird in den Interviews aber immer wieder der hohe Stellenwert einer «offenen Tür» betont. Zudem lassen die Antworten der Befragten erkennen, dass die Rahmenbeding­ungen nicht immer so sind, dass der Einzelne in ausreichendem Masse dem Erhalt seiner Ressourcen nachkommen kann. Unter einer langfristigen Nachhaltigkeitsperspektive ergibt sich hier ein Klärungs- sowie ein Gestaltungsbedarf in puncto «Verantwortung».

Herausforderungen

Nicht nur das generelle wettbewerbliche Umfeld, sondern auch bestehende Mechanismen in der Organisation werden von den Studienteilnehmenden dargestellt, die eine gleichermassen strategische als auch nachhaltige Entwicklung herausfordernd machen. Genannt werden permanente Veränderungen, Agilität und die Dominanz kurzfristiger Ziele, basierend auf hoher Produktivität.

Um langfristig ausreichend Human- und Sozialkapital zur Verfügung zu haben, gilt es, die Führungskräfte selbst «nachhaltig» zu führen. Sie selbst müssen die Möglichkeit haben, Verantwortung für den Erhalt sozialer und humaner Ressourcen zu übernehmen und einzufordern. Im Einzelnen wird als wichtig erachtet,

dass die höheren Führungsebenen die Anforderungen, denen sich die Führungskräfte gegenübersehen, ausreichend kennen und bei Entscheidungen berücksichtigen, notwendige Freiräume für das eigene Handeln bestehen und die notwendige Zeit für Führungsaufgaben geboten wird.

Notwendig ist, dass der Situation und den Herausforderungen des mittleren Managements vom Top-Management ausreichend Rechnung getragen wird, unter anderem, um Lösungen der nachhaltigen Führung im eigenen Verantwortungsbereich passend zur jeweiligen Situation und den Mitarbeitenden umzusetzen, aber auch um als Vorbild zu fungieren. Mit Blick auf Unterschiede beim Thema «Work-Life-Balance» weist ein Befragter auf den gros­sen Hebel hin, den Personen des mittleren Kaders für die Gesamtbelegschaft haben, wenn sie ihrer Führungsaufgabe in angemessener Weise nachkommen können.

Handlungsempfehlungen

Die Studienergebnisse bestätigen, dass das «Soziale» der Nachhaltigkeit in der Personalführung vielfach etwas zu kurz gekommen ist. Ursächlich dürften verdichtete aufgabenzbezoge Anforderungen sein, die immer weniger Zeit für die Pflege der Arbeitsbeziehungen lassen. Andererseits scheint es auf Seiten des «Sozialen» zu Übertreibungen zu kommen. Es geht bei nachhaltiger Personalführung nicht darum, «soziale» Geschenke zu verteilen – etwa weil man sich beim «Kampf um die Besten» in Versprechungen an den Nachwuchs übertreffen will –, sondern zunächst langfristigen, betriebswirtschaftlichen Anliegen zu entsprechen.

Um bewerten zu können, welche Handlungen strategisch sinnvoll sowie auch nachhaltig sind, braucht es neue Bewertungsverfahren, zum Beispiel mit Zielgrös­sen, welche die bestehenden Ressourcen bewerten und damit die Entwicklung von Human- und Sozialkapital prognostizieren. Angesichts der Herausforderungen des Marktes und sich verändernder Strukturen in der Organisation kann es sich bei der Übernahme von Verantwortung nur um eine gemeinsame Verantwortung handeln. Jeder der Beteiligten in der Unternehmung ist gefordert, Selbstverantwortung für die eigene Situation zu übernehmen. «Gemeinsam» bedeutet, dies abgestimmt zu tun und ohne den anderen – in einer vermeintlich schlechteren Verhandlungsposition – zu übervorteilen. Hierfür braucht es das geeignete soziale Kapital.

Porträt