Forschung & Entwicklung

Internationalisierung (Teil 1/2)

«Glokalisierung» als Antwort auf die De-Globalisierung

Auch die Globalisierung hat durch das Coronavirus Schaden genommen, mit Auswirkungen auf Gesellschaft, Wirtschaft, Technologie und Ökologie. Der zweiteilige Beitrag zeigt, ob «Glokalisierung» als Mischform zwischen der Globalität und der Ausrichtung auf den Nationalstaat eine Antwort für die Zukunft sein könnte.
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Durch das Coronavirus ist die Globali­sierung infrage gestellt. Der Gegenpol wäre die Nationalisierung oder die «Re-Na­tionalisierung». Das gesellschaftlich-wirtschaftliche Trilemma entzündet sich neu. Wie sieht das Verhältnis des Nationalstaats, der direkten Demokratie in den europäischen Ländern  und die Globalisierung auf den Ebenen der Gesellschaft, der Wirtschaft, der Technologie und der Ökologie aus? Wie ist die Situation der Schweiz und welche Bedeutung haben die Entwicklungen für unser Land?


Innere Werte nicht vergessen

Der Nationalstaat, in Verbindung mit der Globalisierung, behindert die Mitbestimmung, ausgenommen in der direkten Demokratie, wie wir dies in der Schweiz kennen. In der Beziehung zwischen der Demokratie und dem Nationalstaat verliert die Globalisierung und zwischen Demokratie und Globalisierung verliert der Nationalstaat an Bedeutung. Es ist wohl unbestritten, dass die Globalisierung Gewinner hinterlassen hat; die Schweiz gehört mit weiteren Kleinstaaten zu diesen Gewinnern.

Das Coronavirus hat aber bei der Glo­balisierung Spuren hinterlassen und die Ausrichtung auf den Nationalstaat verstärkt. Die Schweiz, als Gewinner der Globalisierung, ist gut beraten, wenn die bisherigen Aussenbeziehungen weiter verstärkt werden, aber auch die Ausrichtung an inneren Werten nicht ver­gessen geht. Im Inneren sind die Erhaltung des Mittelstandes, die Reduktion der Ungleichheiten, die Förderung des Bildungstandes, die Reduktion der Umweltbelastung mit Erhaltung der Biodiver­sität wesentliche Themen, die nach gesellschaftlich-politischen Lösungen verlangen. «Glokalisierung» als Mischform zwischen der Globalität und der Ausrichtung auf den Nationalstaat könnte eine Antwort für die Zukunft sein. 


Was «Glokalisierung» bedeutet

Der Soziologe Roland Robertson hat den Begriff erfunden. «Lokal» und «global» stehen nicht in einem Gegensatz, sondern in einem Gleichgewicht. Die «Globalisierung» bezeichnet den Vorgang, dass internationale Verflechtungen in vielen Bereichen des alltäglichen Lebens bestehen. Die «Lokalisierung» umfasst die Anpassung an die lokalen Gegebenheiten eines Marktes. Es wird bei der «Glokalisierung» von der weltweit einheitlichen Vermarktung gleicher Produkte Abschied genommen. Beispiel dafür ist Coca-Cola.

Zu den Bereichen, die mit zunehmendem Interesse in der Globalisierung behandelt werden, gehören die Wirtschaft, die Ökologie, die Politik und die Kultur. Die Verflechtungen in diesen Bereichen betreffen die Menschen, den Staat, die Gesellschaft und verschiedene Institutionen. In der Wirtschaft wird die Globalisierung vor allem im Warenhandel sichtbar. Industrien sind von Waren aus dem Ausland abhängig, um die Nachfrage der Menschen abzudecken. Menschen sind bei ihrem Know-how international gefragt. 

Im Zentrum stehen aktuell Kompetenzen bei der Digitalisierung. Die Schweiz kann die Nachfrage nach diesem Know-how mit Inländern nicht befriedigen und ist auf den Austausch von Fachkräften angewiesen. In der Ökologie zeigt sich deutlich, dass der Verbrauch von Ressourcen oder die Erderwärmung mit erhöhtem CO2-Ausstoss nur global gelöst werden kann. Die «Grüne Partei» fordert, dass CO2 in den Böden gespeichert wird. Die Schweiz soll bis 2040 «klimapositiv» sein; mit technischer und natürlicher Hilfe soll der Atmosphäre zusätzliches Treibhausgas entzogen werden. 


Lokal und global wirksam

Die Aufforstungen oder die Bodendüngungen mit Pflanzenkohle gehören auch dazu. Der Schweizer Wald bindet durch Wachstum mehr CO2 in Form von Kohlestoff, als er abgibt. Der Wald in der Schweiz hat in Europa den grössten Kohlestoffvorrat. Die Senkleistung zu erhöhen ist deshalb schwierig. Böden können grundsätzlich CO2 aufnehmen. In der Schweiz scheint man bereits an der Grenze angelangt zu sein. Grundsätzlich gilt, dass die Speicherung von CO2 im Untergrund möglich ist. Das Verfahren steckt aber noch in den «Kinderschuhen». Die Politik ist geopolitisch gefordert. Sie muss Lö­sungen entwickeln, die lokal und global gleichzeitig wirksam werden können. Bei der Kultur ist die Diversität gefordert, die für das Zusammenleben und die Integration hohe Anforderungen stellt. Es ist seit langer Zeit bekannt, dass die Diversität zur Bewältigung von Zukunftsproblemen und für die Entwicklung einer Gesellschaft von grösster Bedeutung ist. Hinter der «Glokalisierung» steckt vor allem die Idee, globale Trends und Neuerungen auf der lokalen Ebene fortzuführen. Man kann aber auch sagen, dass viele globale Neuerungen ihren Ursprung auf der lokalen Ebene haben. Globale und lokale Ebenen sind immer miteinander verbunden.


Fragile Globalisierung

Zukunftsforscher Daniel Dettling setzt sich mit der Globalisierung und Glokalisierung auseinander. Die USA stehen mit China schon längere Zeit in einem Systemwettbewerb. Dieser hat auf die Globalisierung negative Auswirkungen. Das System der internationalen Verflechtungen ist fragil. In der Corona-Krise tritt diese Verletzlichkeit deutlich hervor. Bei der aktuellen Katastrophe handelt es sich um einen «schwarzen Schwan», ein nicht vorhersagbares Ereignis mit katastrophalen Auswirkungen. Das Schwert des Endes der «Globalisierung» steht am Himmel. Der Eindruck ist, dass das Prinzip «Alle gegen Alle» gilt. Die USA werben deutsche Wissenschaftler ab und wollen Impfstoffe gegen Corona aufkaufen. China droht mit dem Lieferstopp für Schutz­kleidung und Medikamente.

Die Folge solcher Aktionen ist ein wachsender Nationalismus. Es wird zudem auch beobachtet, dass immer mehr Firmen ihre Wertschöpfungsketten und Lieferketten zurückholen. Es betrifft vor allem Branchen wie Chemie, Automotive und Pharma, also sicherheitsrelevante Branchen. 

Die De-Globalisierung 

Die Abschottung nationaler Märkte geschieht vor allem aus Gründen des Gesundheitsschutzes. Gesundheitsdaten werden zur Staatsangelegenheit und Datenschutz wird abgeschafft oder nachträglich legitimiert. Die Menschen werden getrackt, damit Infektionen nach­verfolgt werden können, allerdings mit zweifelhaften Erfolgen. Auf nationaler Ebene installiert sich eine staatliche Planwirtschaft und lokal erleben genossenschaftliche Selbstversorgungsmodelle eine Renaissance. Die positiven Szenarien setzen auf Robustheit und Resilienz. Konsequente lokale Massnahmen bremsen die Ausbreitung des Virus. 

De-Globalisierung erweist sich als falsche Variante gegen die Gesundheits- und Wirtschaftsrisiken. Die Wirtschaftskrise erhöht die Sterblichkeit, vor allem in den armen Ländern. Es wird deutlich, dass Wohlstand und Lebenserwartung zusammenhängen. Das Virus führt zu neuen Kooperationen, einem neuen Gleichgewicht der Staaten und der Kommunen. Die re­siliente globale Gesellschaft setzt auf die Glokalisierung mit der Dezentralisierung der Märkte und Wertschöpfungsketten bei gleichzeitiger Intensivierung kooperativer Systeme. Die Geschäftsmodelle werden von geografischen Räumen entkoppelt. Dazu sind die technischen Instrumente vorhanden; beispielsweise Versammlungen und Sitzungen im Internet, Homeoffice, Telemedizin etc. 


Maschinen statt Management

Bemerkenswert ist, festzustellen, dass viele Firmen «vollständig» auf Home­office umstellen wollen. Zu befürchten ist, dass die «schwarzen Schafe» die Gelegenheit für Entlassungen benutzen. Es ist jetzt schon beobachtbar, dass das mittlere Management ausgedünnt wird, weil diese «Lehmschicht» in erster Linie hohe Kosten produziert und in zweiter Linie erheblich dazu beiträgt, dass Veränderungen zu wenig effizient umgesetzt werden können. Die Ressourcenverteilung und Koordination als wesentliche Aufgaben des mittleren Managements können mit Maschinen besser bewältigt werden.  

Die «weissen Schafe» entschädigen ihre Mitarbeiter für die Benutzung privater Geräte wie Drucker, Computer oder Telefone. Ein Beispiel eines Mitarbeiters hat in der Presse die Runde gemacht, weil er beim Bundesgericht eine tägliche Entschädigung von 150 CHF pro Monat erwirken konnte. Anspruch auf Entschä­digung hat aber nur, wer auf Anordnung des Arbeitgebers von zu Hause aus arbeitet. Da gehen für juristische Auseinandersetzungen viele Türen auf. Die Corona-Krise kann soziale Veränderungen aus­lösen, weil unter anderem auch Raummieten eingespart werden können. Wenn für weniger Raummieten zum Beispiel ein Viertel der Raumkosten wegfallen, dann sind das erhebliche Einsparpotenziale. Sicher ist, dass es eine breite Diskussion über die Arbeitsart der Zukunft braucht. 


Beginn der Glokalisierung

Die Corona-Krise kann auch zu einem ganzheitlichen Gesundheitsverständnis führen, weil dies auch eine öffentliche, gemeinsame Angelegenheit ist. Gesundheit und Weltgesundheit sind die zwei Seiten einer Medaille. Frühwarnsysteme können auf der Basis von Bigdata entwickelt werden. Wahrscheinlich können in der Zukunft auch Vorhersagen über künftige Epidemien gemacht werden, immer mit dem Faktor der Ungewissheit, nicht mit dem Risikofaktor verbunden. Wesentlich ist bei all diesen Zusammenhängen, dass supranationale Netzwerke ständige Lernprozesse auslösen können, beispielsweise bei der Entwicklung von Impfstoffen gegen das Coronavirus. 

Mit diesen Lernprozessen, dem einzigen Rohstoff der sich durch das Teilen vermehrt, kann die Zukunftsintelligenz verbessert werden. Die regionalen Entwicklungsprozesse können von den Massnahmen der Zentralregierungen entkoppelt werden. Die Schweiz bietet mit dem Föderalismus gute Voraussetzungen für diese Entwicklungen.  In diesen Tagen erleben wir den Beginn der Glokalisierung, nicht das Ende der Globalisierung. Die lokale und globale Zivilgesellschaft or­ganisiert sich neu. Die Einsicht wächst, dass Abschottung und Isolation nicht zu einer besseren Zukunft führen. Setzte bisher die Globalisierung stark auf die Effizienz, achtet die Glokalisierung auf resilientere und robustere Beziehungen in der Wirtschaft und Gesellschaft.

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