Forschung & Entwicklung

Internationalisierung (Teil 1 von 2)

Entscheidungsfindung zwischen Rationalität und Bauchgefühl

Wie Grossunternehmen Entscheidungsprozesse zur Internationalisierung treffen, kann KMU nicht als Vorlage oder gar Benchmark dienen. Denn Strukturen und Ressourcen sind ganz andere. Dass dies kein Nachteil sein muss und auf welchen Grundlagen KMU-Chefs über ihre Internationalisierung entscheiden, zeigt folgender Beitrag.
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Nicht nur schweizerische Grossunter­nehmen, sondern auch KMU sehen sich mit der fortschreitenden Globalisierung des Wirtschaftsgeschehens konfrontiert. Während Grossunternehmen meist schon auf internationalen Pfaden wandeln, ist eine Vielzahl von KMU in der Frage, ob und wenn ja, wie sie sich internationalisieren sollen, noch unentschlossen. Nur bedingt können sie sich dabei an Strategien und Vorgehen der Grossunternehmen orientieren. Diese verfügen über Strukturen und Ressourcen, die die KMU nicht zur Verfügung haben. Das muss aber kein Nachteil sein, wie wir zeigen werden. Relevant ist, dass KMU sich ihrer «Sonderstellung» bewusst sind und auf deren Grundlage Internationalisierungsentscheidungen treffen. Welche Logik sich hinter einer solchen KMU-orientierten Internationalisierungsentscheidung befindet, präsentiert dieser Artikel.

Ratio in Grossunternehmen

Entscheidungen innerhalb von Grossunternehmen sind wesentlich weniger an Einzelpersonen gebunden, als das in KMU der Fall ist. Entscheidungen in Grossunternehmen sind nie losgelöste, einzelne «Events», sondern werden von einem Entscheidungsapparat getroffen, zu dem mehrere Personen und Abteilungen gehören. Zudem orientieren sich Entscheidungen stets an jenen, die bereits in der Vergangenheit getroffen wurden. Hinzu kommt, dass man sich in einem organi­sationalen Feld respektive Netzwerk befindet, welches aus bereits internationa­lisierten Unternehmen (Konkurrenten, Lieferanten, Kunden, etc.) besteht; und diese machen einem vor, was als sinnvoll, also rational gilt, und was nicht (DiMaggio, 1986).

Ganze Abteilungen bereiten Internationalisierungsentscheidungen nach entsprechenden rationalen Marktbeobachtungs- und Entscheidungsmo­dellen und -kriterien vor. Schliesslich schwebt idealtypisch über allem ein klares strategisches Ziel und damit verbunden eine Plan­barkeit.

Zu dieser Strategie gehört, dass Grossunternehmen unterschiedliche Glieder ihrer Wertschöpfungskette parallel verschieden internationalisieren. Vereinfacht ausgedrückt wird in Low-Cost-Ländern produziert, der Verkauf erfolgt in High-Income-Regionen, während die Forschung und Entwicklung in Ländern erfolgt, die über ein entsprechend ausgebildetes und verfügbares Humankapital verfügen.

Im Gegensatz dazu geht es KMU entsprechend ihrer Erfahrungs- und Ressourcenlage vor allem darum, überaubt erst einmal einen ersten Schritt auf internationalen Boden zu unternehmen, eine Präsenz in einem fremden Land aufzubauen.

Gemäss Studien nennen Grossunternehmen meist folgende Motive für ihre Internationalisierung (Aspellung & Butsko, 2008):

› Nutzung von Kostenvorteilen unter Minimierung der Transaktionskosten

› Verfolgung von Wachstumschancen in neuen Märkten, weil kein oder zu wenig Wachstum in den bereits bewirtschafteten Märkten herrscht

› Stärkung der Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit durch den Zugang zu neuen, Wissen im Ausland.

Dabei läuft die Internationalisierung der Grossunternehmen meist step by step nach dem Uppsala-Modell (siehe Abbildung 1)

ab (Holtbrügge, 2005), welches hilft, die Risiken über die Zeit kalkulierbar zu halten. Internationalisierung wird so in «homöopathischen» Dosen gelernt.

Auch für KMU steht oftmals das Motiv einer Kostenreduktion oder die Erschlies­sung neuer Märkte am Anfang eines Internationalisierungsvorhabens. Die trotz klarer Motivlage bis dato tendenziell zögerliche Haltung der KMU hinsichtlich ihrer Internationalisierung liegt meist darin begründet, dass KMU im Vergleich zu Grossunternehmen über weniger oder gar fehlende materielle und personelle Ressourcen sowie zu wenig Management-Kapazitäten und Kompetenzen bezüglich der Internationalisierung verfügen (Schreier & Frik, 2012).

In vielen Fällen fehlen auf Mitarbeiter- wie auch auf Management- und Eigentümerebene die Erfahrung und das Wissen für den strategischen Aufbau einer internationalen Aktivität. Es fehlen oft schlicht die Ressourcen und Kompetenzen, um wie Grossunternehmen Märkte, Regionen, Eintrittsformen sowie Potenziale und Risiken vertieft zu analysieren. Fehlende Inter­nationalisierungskompetenzen gehören entsprechend zu den häufigsten Ursachen für das Verschieben oder gar das Scheitern von KMU-Internationalisierungsvorhaben (Volery & Jakl, 2006).

Daraus resultiert letztlich, dass KMU tendenziell nicht den oben skizzierten klassischen, rational nachvollziehbaren, bei Grossunternehmen zu beobachtenden Internationalisierungspfad, sondern eher einem sogenannten «Hit and Run Process» folgen. Diese sind geprägt von Zufällen, Opportunismus, Emotion, Bauchentscheidungen sowie Intuitionen und Erfahrungen gleichgesinnter und eigens bekannter «KMU-Kollegen». Aus diesen Bestandteilen besteht nach unserer Ansicht im Schwerpunkt das strategische Internationalisierungsvorgehen der KMU. Das sollte ernst genommen und bewusst gemacht werden. Wer glaubt, dass eine solche Vorgehensweise, weil zu wenig klassisch rational, zu einem schlechten Ergebnis oder gar zu einem Fehlschlag führt, der irrt. Im Gegenteil sind Entscheidungen, die auf Bauchgefühl gefällt werden, doch oftmals denen, die dem Rationalitätskalkül folgen, überlegen (Aspellung & Butsko, 2008). Als Beispiel können hier die Born-Globals herangezogen werden, also jene KMU, die – getrieben von den Visionen ihres Gründers – als internationale Unternehmen starten und sehr erfolgreich sind. Als besonders prominent für einen solchen Fall ist zum Beispiel das 2003 gegründete Unternehmen Toradex, welches 2010 mit dem Innovationspreis der Zentralschweizer Handels- und Industrievereinigung ausgezeichnet wurde.

Zugleich kann aber ein ausschliesslich auf Intuition und visionärer Kraft basierender Internationalisierungsentscheid auch problematisch sein. Ohne rationale Basierung, die auch ex post passieren kann, verkommen Erfolg oder Misserfolg zu einem reinen Zufall. Und Zufallsergebnisse reduzieren ihrer Natur nach die Chancen, aus Erfahrungen zu lernen und Rückschlüsse für zukünftiges Handeln ziehen zu können. Zudem können Fehlentscheide sich im KMU-Kontext schnell zur Existenzfrage ausweiten. Um das zu verhindern, geht es darum, struk­turell sicherzustellen, dass die eher personengebundene emotionale Zugänglichkeit der KMU in Sachen Internationalisierungsentscheide zum Vorteil ausgebaut und so die Nachteile, die gegenüber den Grossunternehmen bestehen, ausgeglichen werden. Für KMU wird es wichtig sein, eine eigene Rationalität zu entwickeln, die eine gesunde Balance zwischen klassischer Rationalität und Bauchgefühl sicherstellt.

Dafür ist es wichtig, zu verstehen, dass auch rationale Entscheide nicht frei von Emotionen sind. Aus der Hirnforschung ist bekannt, dass erst durch Emotion und Intuition Entscheide Bedeutung erlangen. Auch im Rahmen der Gewichtung der rationalen Entscheidungskriterien muss letztlich wieder auf Intuition, zumindest aber auf Erfahrung, die stets emotional aufgeladen und dadurch bewertet ist, zurückgegriffen werden (Neubarth, 2011).

Viele rationale Strategien sind letztlich darauf ausgelegt, das mit einem Internationalisierungsentscheid verbundene Risiko so weit wie möglich zu reduzieren. Gerade in Grossunternehmen verfolgen viele Manager Schuldvermeidungsstrategien. Sie haben immer im Auge, sich für ihre (Internationalisierungs-)Entscheide, auch in kurzer Frist, rechtfertigen zu müssen. D. h. es ist nicht ausgeschlossen, dass rationale Strategien nur vordergründig genutzt werden, um intuitiv getroffenen (Vor-)Entscheiden nachträglich einen rationalen und im Zweifel entschuldbaren Anstrich zu geben. Das ist in Ordnung, relevant ist jedoch, dass das reflektiert und daraus gelernt wird.KMU wiederum haben aufgrund der bereits beschriebenen Limitation der Ressourcen oftmals gar keine andere Wahl, als auch der Emotion und Intuition einer mit Vertrauen und Selbstvertrauen ausgestatteten Führungspersönlichkeit zu trauen und zu folgen. Problematisch dabei ist, dass die bewusste Offenheit für ein solch intuitives und emotionales Entscheidungsvorgehens in den Unternehmen meist sehr begrenzt ist. Doch wenn, wie wir zu zeigen versuchen, gerade im KMU-Kontext nicht auf Emotion und Intuition verzichtet werden kann und soll, dann stellt sich die Frage, wie bei Internationalisierungsentscheiden aktiv, synergetisch und rational mit dem Thema Emotion/Intuition umgegangen werden kann.

Erkennt man an, dass KMU im Vergleich zu Grossunternehmen über weniger Ressourcen verfügen und akzeptiert, dass es spezifische Führungskompetenzen sind, die nötig sind, die richtigen Unternehmensentscheide zu treffen, dann kann der Mangel an klassischen, greifbaren Ressourcen nur durch immaterielle Ressourcen aufgewogen werden (Mejri & Umemoto, 2010). Zieht man nun als immaterielles Vermögen Emotion und Intuition des Unternehmers in Betracht, die zu erfolgreichen Entscheidungen führen, leitet dies zu einer interessanten Perspektive: Entscheide von Grossunternehmen basieren auf rationalen, analysier- und scheinbar nachvollziehbaren Argumenten. Diese sind, wie diskutiert, allerdings nicht frei von unterliegenden Emotionen derjenigen, die an den Entscheidungen mitgewirkt haben, oder letztendlich, die sie treffen. Die Routinen rationaler Vernunft werden im Hintergrund durch Emotionen mit Bedeutung unterlegt (siehe Abbildung 2, linke Seite des Modells). Anders ausgedrückt, trotz aller rationalen Argumente im Rahmen von Internatio­nalisierungsprozessen sind Entscheidungen – auch in Grossunternehmen – nicht frei von den Emotionen der Entscheider.

KMU-Unternehmer sind nun aufgrund der genannten Argumente (z. B. Ressourcenlage) in grösserem Umfang auf ihre Emotion und Intuition angewiesen und können tendenziell als alleiniger Entscheidungsträger oftmals auch die nötigen Freiheitsgrade nutzen, auf ihre Emotionen und Intuitionen zu vertrauen. Sind sie damit erfolgreich, können sie im Nachhinein leicht ihre Entscheidungen durch das richtige Bauchgefühl legitimieren.

Eine rationale und explizite Nutzung von Emotion und Intuition als Entscheidungsbasis und damit Unsicherheitsreduktion wird insbesondere für KMU zur «Ultima Ratio» (siehe Abbildung 2, rechte Seite des Modells). Der Unternehmer als Internationalisierungsentscheider muss demzufolge entscheiden, wann und in welchem Umfang er seiner Emotion und Intuition Raum gibt und Vertrauen schenkt. Diese Entscheidung wiederum kann auf rationalen Argumenten beruhen und demzufolge reflektiert und erfahrbar werden. Die in Abbildung 2 visualisierte Entscheidungslogik, zeigt den Balanceakt zwischen Rationalität und Bauchgefühl, den es bewusst einzusetzen gilt, um emotional basierte Entscheidungen produzieren zu können.

Der KMU-Entscheider als Person wird damit zum Mittler seiner eigenen rationalen und intuitiven Vernunft, im Optimalfall unter Einbezug der Emotions- und Intuitionsbasis von entscheidungsrelevanten Mitarbeitenden (Know-how-Träger). Hier gilt es zu entscheiden, ab welchem Moment jeweils primär Intuition oder Rationalität die Entscheidungsfindung bereichern. Die Fähigkeit der Abwägung des Moments, die gesamte Persönlichkeit und das Kompetenzprofil des Unternehmers werden zu einer massgeblichen Grösse im Entscheidungsprozess für eine erfolgreiche Internationalisierung.

Erfolgreiche KMU-Internationalisierung ist in erster Linie ein Entscheidungsthema und zugleich ein Entscheidungsprozess, das bzw. der einen aktiven Einbezug rationaler wie auch intuitiver Vernunft des Unternehmers erfordert (siehe erneut Abbildung 2, rechte und linke Seite). Dieser Prozess ersetzt nicht etwa den klassisch vorherrschenden rationalen Entscheidungsprozess, sondern ergänzt diesen vielmehr.

Emotion und Intuition im klassischen Entscheidungsprozess stellt meist einen blinden Fleck dar, den es zu erfassen gilt: Strategische Gestaltung in die Hand nehmen, rational eine kritische, den Ressourcen angepasste Unternehmens- und Umweltanalyse durchzuführen, bestehende Internationalisierungsfähigkeiten und -grenzen offenlegen (z. B. mittels Gap-Analyse) und die notwendigen Kompetenzen für eine erfolgreiche Internationalisierung evaluieren; doch dann gilt es auch der Emotion und Intuition Raum bei all dem Genannten zu geben, zu verstehen, dass sie bereits gewirkt hat. Und dort, wo man bislang nur aufseiten der Emotion und Intuition war, ist es wichtig, (ex post) dieser die Rationalität nachzutragen. Am Ende dieses Balanceaktes steht die Entscheidung des Unternehmers, internationales Entrepreneurship zu wagen und zu leben – oder es bleiben zu lassen.

Den Ausführungen folgend wird klar, dass die Eigenschaften des Entscheiders, seine Persönlichkeit, sein Selbstverständnis und sein Weltbild zu einem zentralen Element erfolgreicher KMU-Internationalisierung wird. Hier gilt es anzusetzen und darauf einen Entscheidungsprozess zu evaluieren, der KMU-Entscheidungsträgern bei ihren Entscheidungen zur Internationalisierung Unterstützung bietet. Zuerst muss das Selbstvertrauen geschaffen werden, um Emotion und Intuition expliziten Raum bei der Entscheidung zu gewähren. Es müssen die «Turning Points&raquo gefunden werden, wann der Moment für Rationalität bzw. Emotion und Intuition gekommen ist. Last but not least muss untersucht werden, welche Voraussetzungen und Rahmenbedingungen gegeben sein müssen, damit Emotion und Intuition ihre Rolle der «Ultima Ratio» übernehmen kann und soll. Hier gilt es, ein Entscheidungsmodell zu entwickeln, das Intuition, Vertrauen und Emotion als Gegenpol der klassisch rationalen Entscheidungsmodelle versteht und diese synergetisch nutzt. An genau dieser Stelle wird dann auch deutlich, warum KMU in Fragen der Internationalisierung gegenüber Grossunternehmen alles andere als unterlegen sind.«

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