Forschung & Entwicklung

Wie intelligent sind Sie?

Einführung in das Konzept der multiplen Intelligenz

«Wie intelligent sind Sie?» Diese Frage löst unterschiedliche Reaktionen aus. Wer sich in dieser Beziehung stark fühlt, reagiert positiv und schlägt sich an die Brust. Wer sich unsicher fühlt, möchte dieser Frage lieber ausweichen. Wer sich jetzt gerade in einem dieser beiden Zustände befindet, dürfte einem völlig unzureichenden Intelligenzkonzept auf den Leim gekrochen sein.
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Wir haben uns so sehr an die Engführung gewöhnt, dass wir die Frage automatisch quantitativ verstehen: «Wie sehr sind Sie intelligent?» Da wird die eigene Masszahl («Ich ha­be einen IQ von 126») ins Gespräch geworfen, als ob es um den Vergleich von Bizepsumfang oder Pferdestärken ginge. Im vorliegenden Artikel wird vorgeschlagen, die Frage qualitativ zu verstehen: «Auf welche Weise sind Sie intelligent?» Die Lesenden werden merken, dass diese Betrachtungsweise in die Freiheit führt, jene hingegen tendenziell in die Verkrampfung. Wird die Frage neu gestellt, zeigt sich sofort, dass Intelligenz wenig mit Schulkarriere oder Universitätsabschluss zu tun hat.

Was ist Intelligenz?

Darüber, was Intelligenz ist, lässt sich trefflich streiten. Es ist hilfreich, zwei Haupttendenzen in der Erklärung zu unterscheiden: das eher populäre und das wissenschaftliche Konzept.

Eine Intelligenz

Intelligenz ist ein nahezu ausschliesslich intellektuelles Vermögen, das sich im Umgang mit abstrakten Inhalten zeigt, die von einem intelligenten Individuum verstanden, verarbeitet und formuliert werden. Diese Intelligenz zeigt sich in Tests und lässt sich mit einem Quotienten (IQ) quantifizieren.

Mehrere Intelligenzen

Intelligenz gibt es nicht als eindimensionale Grösse, sondern sie wird als mehrdimensiona­les Konzept formuliert. Dieses umfasst sowohl die «Fähigkeit des Individuums, anschau­lich oder abstrakt in sprachlichen, numerischen und raum-zeitlichen Beziehungen zu denken» als auch die «erfolgreiche Bewältigung vieler komplexer und mithilfe jeweils besonderer Fähigkeitsgruppen auch ganz spezifischer Situationen und Aufgaben», so der Münchner Psychologieprofessor Kurt A. Heller.

Das Konzept a.) entspricht der populären Auffassung von Intelligenz, die häufig mit einer gewissen Ehrfurcht einhergeht, sich vom hohen IQ eines Menschen beeindrucken lässt und sich über einen unterdurchschnittlichen IQ vielleicht noch lustig macht. Dieser undifferenzierte Intelligenzbegriff hat im Normalfall keine Mühe damit, Erfolg in unseren Bildungseinrichtungen mit «Intelligenz» gleichzusetzen: Je intelligenter ein Mensch ist, desto weiter kommt er in Schulen und Universitäten, und umgekehrt.

Konzept b.) resultiert aus einer wissenschaftlichen Vorsicht im Umgang mit dem Intelligenzbegriff. Die Vorsichtigen unterscheiden zwischen objektivierbaren, das heisst beobachtbaren Anteilen – also den Ergebnissen «intelligenten» Handelns – und einer hypothetischen Vorstellung davon, wie man sich die zugrunde liegenden mentalen Prozesse denken könnte.

Multiple Intelligenz

Intelligenz nicht als eine einzelne Fähigkeit, sondern als ein ganzes Bündel mehrerer und voneinander unabhängiger geistiger Vermögen verstehen – diesen Ansatz vertritt auch der Professor für Psychologie und Neurologie an der Universität Boston, Howard Gardner. Als er 1983 sein grundlegendes Werk «Frames of Mind» veröffentlichte, war er damit nicht der erste Psychologe überhaupt; allerdings war er vermutlich der Erste, dem sein Intelligenzkonzept gewissermassen aus den Händen gerissen wurde, speziell im nordamerikanischen und angelsächsischen Raum. Ohne seine Absicht wurde der Ansatz der «Multiple Intelligences» zur Grundlage für einen breiten Strom von Neuerungen in zahlreichen Bildungseinrichtungen weltweit. Dieser Boom hängt wesentlich mit einem auch bei uns spürbaren Missbehagen gegenüber dem überkommenen populären Intelligenzbegriff zusammen, der einseitig intellektualistisch ausgerichtet ist, kognitive Kunststücke überbewertet und nicht in der Lage ist, anderes und ganzheitliches intelligentes Verhalten auch als solches wahrzunehmen.

Das Konzept der multiplen Intelligenz(en) ist ein Ansatz unter mehreren möglichen, die den Intelligenzbegriff auf eine breitere Basis stellen. Es führt dazu, nicht nur die üblichen intellektuell-logisch-abstrakt-kognitiven Aspekte «intelligent» zu nennen, sondern auch andere ganzheitliche personale Begabungen oder Vermögen eines Menschen. Es wird von daher jedem Individuum in der speziellen Verteilung und Weite seiner Fähigkeiten besser gerecht als das traditionelle Konzept.

5. Körper und Bewegung

Wir sind körperliche Wesen. Wir nehmen Informationen aus der Umwelt durch unseren Körper auf, und wir drücken uns körperlich aus: Beim Sprechen benutzen wir nicht nur die Sprachwerkzeuge, sondern auch unsere Gesichtsmuskeln (Mimik) und Körpermuskulatur (Gestik, Haltung) und sind dadurch in der Lage, viel mehr als nur Worte weiterzugeben. Aber wir drücken uns auch durch Dinge, Formen und Gestalten aus, die wir mit unserem Körper erst herstellen, sei es durch Materialien wie Farbe, Ton, Holz oder Metall, sei es materialfrei durch Tanz, Schauspiel oder Sport. Als Kernoperationen der Körper- und Bewegungsintelligenz nennt Gardner folgende:

  • die Fähigkeit, körperliche Bewegungen differenziert und genau zu kontrollieren;
  • die Fähigkeit, Objekte grob- oder feinmotorisch gekonnt zu handhaben;
  • die Fähigkeit, Körper und Geist in harmonische Übereinstimmung zu bringen.

Wer einmal einem Meister, gleich welchen Handwerks, längere Zeit zugesehen hat, wer sieht, wie ein Schreiner mit Holz gestaltet oder ein Fliesenleger mit Keramik, und wer Ansätze dieser Fähigkeiten in allen möglichen Schülern beobachtet hat, der wird wohl kaum an einer gleichmässigen Verbreitung der körperlichen und der Bewegungsintelligenz über das ganze Volk zweifeln. Zur Meisterschaft gelangt diese Intelligenz bei vielen Leistungssportlern, Tänzern oder Zirkusartisten, oder bei einem Pantomimen wie Marcel Marceau, der es vermochte, nicht nur eigene körperliche Bewegung auszudrücken, sondern auf der Bühne auch die Anwesenheit und Bewegungen von Objekten wie Zügen, Koffern, Türen usw. zu suggerieren.

6./7. Personale Intelligenzen

Es gibt Menschen, die machen sich mehr als andere Gedanken über innere Vorgänge, über Motive, Gefühle, Reflektionen, Ahnungen oder Ängste. Sie können sich stundenlang damit auseinandersetzen, ohne zu ermüden, und verblüffen ihre Gesprächspartner durch ein hohes Mass an Einfühlung, Verständnis und Selbstkritik. Introspektion scheint ihnen eine angeborene selbstverständliche Haltung zu sein, sie können auf den Begriff bringen, was andere Menschen nur ahnen oder nie in ihr Bewusstsein liessen. Die Wahrnehmung der eigenen Person (intrapersonal) ist so eng mit der Wahrnehmung anderer Personen (interpersonal) verknüpft, dass sich beides schwer trennen lässt. Normalerweise kann die eine Form der Intelligenz sich nicht ohne die andere entwickeln. Entsprechend fliessen bei Gardner die Darstellung der «Intrapersonal Intelligence» und die der «Interpersonal intelligence» auch programmatisch ineinander. Beginnt man mit der intrapersonalen Intelligenz, dann lassen sich die folgenden Kernoperationen identifizieren:

  • Sich seiner eigenen inneren Prozesse und Ressourcen bewusst sein zu können;
  • die Fähigkeit, eigene Gedanken und Gefühle auseinanderhalten zu können;
  • die Möglichkeit, diese beiden Fähigkeiten so einsetzen zu können, dass sie erlauben, Verhalten zu verstehen und anzuleiten.

Diese Intelligenz erlaubt dem Einzelnen, zwischen seiner Sicht der Dinge und den Dingen selbst zu unterscheiden. Sie lässt ihn klare und bewusste Ziele setzen, seine eigenen Motive verstehen und gibt ihm die Möglichkeit, Abstand von sich selbst zu gewinnen und von da aus Situationen zu beurteilen und angemessene Entscheidungen zu treffen.

Die intelligente Selbstwahrnehmung ist wesentlich für die vollständige Entwicklung ihres Gegenübers, der interpersonalen, also auf das Du bezogenen Intelligenz. Denn man kann die Stimmungen, Gefühle und Absichten anderer Menschen wohl nur in dem Mass erkennen, wie man etwas Ähnliches zuvor in sich selbst entdeckt hat.

Das, was wir heute gemeinhin als Empathie bezeichnen und wertschätzen, deckt sich weitgehend mit Howard Gardners «Interpersonal Intelligence» (nach David Wechsler, US-amerikanischer Psychologe rumänisch-jüdischer Herkunft, auch soziale Intelligenz genannt): das Vermögen, sich sensibel in andere Menschen hineinzuversetzen, ihre Gedankengänge nachvollziehen zu können, auch ihre heimlichen Motive zu erahnen und ihre Reaktionen vorherzusehen.

8. Naturkundliche Intelligenz

Dieser Aspekt war in Gardners ursprünglicher Liste von sieben Intelligenzen nicht enthalten. Er ist erst 1995 dazugekommen. Die «naturalistische» Intelligenz hat mit Sammeln und Organisieren zu tun, mit Beobachten und Verstehen, mit dem Erkennen von Mustern und Abläufen in der natürlichen Umwelt. Ein so begabter Mensch hält sich gern in der Natur auf, zeigt grosse Fähigkeiten bei der Identifikation und Klassifikation von Pflanzen und Tieren, hat einen «grünen Daumen», hält sich von früher Kindheit an Haustiere, ist in der Lage, einen Hund zu trainieren oder als «Pferdeflüsterer» zu agieren oder wird von anderen als guter Koch bewundert. Seine Werkzeuge sind Mikroskop und Teleskop, Fernglas oder Lupe, er besitzt Sammelmappen mit getrockneten Blättern und Bücher über Vögel oder Wale. Die Spanne umfasst den Molekularbiologen im Hightech-Forschungszentrum ebenso wie den traditionellen Medizinmann, der Heilkräuter anzuwenden versteht oder den Bauern, der weiss, wie sich das Wetter entwickeln wird.

Als Beispiel dafür könnte man den Naturforscher Charles Darwin ebenso nennen wie ein Kind, das mit Verständnis Steine, Insekten, Muscheln oder Sauriermodelle sammelt und klassifiziert. Diese Fähigkeiten sind jedoch nicht nur auf die natürliche Umwelt beschränkt, sondern auch auf das technische Umfeld übergegangen und zeigen sich darin, dass und wie jemand unterschiedliche Automarken am Motorengeräusch erkennt, das Zusammenspiel von Zahnrädern, Treibriemen und Federn erspürt oder mühelos Fingerabdrücke identifizieren kann.

Warum diese 8 Intelligenzen?

Gardner, ein ausgewiesener Entwicklungs- und Neuropsychologe, trifft klare Aussagen über die Herkunft seines multiplen Intelligenzkonzepts. So wie er es sieht, konvergieren wissenschaftliche Untersuchungen über die Strukturen des menschlichen Gehirns zu der Annahme, dass es bestimmte funktionale Einheiten im Zentralnervensystem gibt. Und diese Einheiten legen eine biologische Basis für spezialisierte Intelligenzen nahe. Die Einteilung der Intelligenz-Arten folgt also – nach Gardners Meinung – im Wesentlichen biologisch vorgegebenen Strukturen. Addiert man zu dieser Grundannahme noch weitere Kriterien, findet man die nachstehend dargelegten Gründe für die Annahme von multiplen Intelligenzen.

Funktionale Einheiten im Hirn

Die von Gardner identifizierten Intelligenzen korrelieren mit funktionalen Einheiten im Gehirn, und diese lassen sich durch Gehirnstrommessungen oder auch durch Beobachtungen nach einem Gehirnschaden isolieren. Die Folgen von Hirnverletzungen bilden für Gardner den wichtigsten Begründungszusammenhang, da solche Verletzungen häufig eine ganze, abgegrenzte Funktionseinheit im Kern beeinträchtigen.

Idiots savants und Hochbegabte

Die Existenz von «idiots savants», also von Menschen mit aussergewöhnlichen Begabungen auf einem einzelnen geistigen Gebiet bei gleichzeitiger Minderbegabung auf anderen Gebieten, gibt einen Hinweis auf die funktionale Abgegrenztheit von Intelligenzen. Wir beobachten hier, wie in einzigartiger Weise eine besondere menschliche Begabung gegen einen Hintergrund von durchschnittlicher oder Minderbegabung aufrechterhalten wird.

Kernoperationen

Die Grundlage einer Intelligenz im Sinne Gardners bildet eine identifizierbare geistige Kern­operation der Informationsverarbeitung oder ein Satz von Operationen. Darunter fallen beispielsweise eine Sensibilität für Tonhöhenverhältnisse als Kern einer musikalischen Intelligenz oder die Fähigkeit, Bewegungen nachzuahmen als Kern der Körper-Intelligenz. Nach seiner Auffassung werden unterschiedliche Verarbeitungsmechanismen im Nervensystem ausgelöst, je nachdem, welche Form von Informationen präsentiert wird.

Entwicklung

Für Gardner sollte eine Intelligenz eine erkennbare Entwicklungsgeschichte haben, eine nachvollziehbare Ontogenese, die das Individuum durchläuft; beginnend als Novize über Grade wachsender Kompetenz bis hin zum Meister, der einen «Endzustand» auf seinem Gebiet erreicht. Als solche Ausnahmeerscheinungen nennt Gardner, darauf wurde bereits hingewiesen, unter anderem Menschen wie den Geiger Yehudi Menuhin, den Pantomimen Marcel Marceau, die Inuit- oder die Pulawat-Völker.

Evolution

Die Wurzeln unserer gegenwärtig zutage tretenden Intelligenzen reichen tief zurück in die Vergangenheit unserer Spezies. Sie haben eine bestimmte Evolutionsgeschichte und -plausibilität; das bedeutet, dass sich Ansätze, Teilaspekte und gewisse Entwicklungszustände der identifizierbaren Intelligenzen auch in anderen Organismen finden. Die Entwicklung der Arten und vergleichende Studien bilden für Gardner ein weites Feld von Erkenntnismöglichkeiten; allerdings warnt er auch vor zu viel Spekulation auf diesem Gebiet.

Symbolsystem

Ein entscheidendes Kriterium für eine Intelligenz ist die Möglichkeit, in einem Symbolsystem enkodiert zu werden, was bei der sprachlichen, der musikalischen oder der logisch-mathematischen Intelligenz ja besonders augenfällig ist (Buchstaben, Wörter, Satzzeichen, Noten, Zahlen usw.). Aber schon bei kurzem Nachdenken lassen sich weitere Symbolsysteme identifizieren, beispielsweise die Körpersprache oder die Mimik, die als Ausdrucksmittel der interpersonalen Intelligenz dienen oder die Farb- und Formsymbolik der bildenden Künste, die unterschiedlichste Inhalte transportieren können.

All diese Kriterien lassen sich durch experimentalpsychologische Untersuchungen und psychometrische Erkenntnisse stützen, so dass deutlich wird, dass Gardner seine Intelligenzen nicht aus der Luft gegriffen hat. Dennoch ist der Kanon nicht so dogmatisch und abgeschlossen, dass er keine neuen Intelligenzen mehr zulassen würde. Schon in seinem einführenden Werk «Frames of Mind» hat er diese Möglichkeit ausdrücklich eingeräumt und, wie erwähnt, auch schon selbst eine achte Intelligenz nachgetragen. Im Jahr 1999 überlegte er, auch noch eine Art «existenzialer Intelligenz» einzuführen.

Begabung und Intelligenz

Das Auseinanderhalten von Begabung und Intelligenz hat schon immer Mühe bereitet, und häufig werden diese beiden Begriffe synonym verwendet. Deshalb geht die Kritik an Gardner auch ein Stück weit ins Leere, wenn sie ihm vorwirft, er würde einfach nur unterschiedliche Begabungen oder Talente nehmen und ihnen den Status einer Intelligenz einräumen, denn über die Abgrenzung dieser beiden Begriffe gibt es keinen wissenschaftlichen Konsens. Gardner dreht den Spiess um und zeigt, dass angesichts der Ergebnisse der Hirnforschung die Betonung und Wertschätzung nur eines Begabungsbereichs, nämlich des kognitiv-intellektuellen, ausschliesslich traditionell, aber nicht sachlich zu begründen ist. Deshalb schlägt er vor, entweder alle erkennbaren Bereiche Begabung zu nennen – damit wäre das, was wir gemeinhin «intelligent» nennen und wertschätzen, nur noch ein Talent unter mehreren – oder ihnen allen den Rang einer Intelligenz einzuräumen, was zwangsläufig zu einer Aufwertung der anderen Bereiche führt.

Warum das Thema wichtig ist

Mythos von theoretisch versus praktisch begabten Menschen

Der Mythos, von dem hier die Rede ist, teilt die Menschen ein in zwei Klassen, indem er behauptet, es gäbe theoretisch begabte Individuen auf der einen Seite; diese fänden normalerweise ihren Weg über die höheren Schulen an die Universitäten. Auf der anderen Seite stünden die «einfachen Menschen», deren Begabungen mehr im Praktischen lägen. Diese Dichotomie von entweder theoretisch oder praktisch begabten Menschen weist alle Kennzeichen eines Mythos auf, nämlich (a) die hartnäckige Aufrechterhaltung; (b) die weite Verbreitung; (c) die simplifizierende Erklärung einer komplizierten Realität; (d) die weitgehende Nichtbeachtung bereits vorhandener wissenschaftlicher Korrekturen. Gegen diesen Mythos spricht nicht nur die allgemeine Erfahrung, dass es jede Menge theoretisch und praktisch begabter Menschen gibt. Die Aufteilung in akademische Theoretiker und praktische Handwerker ist auch deshalb völlig unhaltbar, weil es natürlich in den höheren Schulen ebenfalls sehr praktisch begabte und in den anderen Bildungseinrichtungen (leider) auch sehr viele praktisch unbegabte Menschen gibt.

Es ist deshalb schon lange an der Zeit, den Mythos von den Theoretikern hier und den Praktikern da entweder zu belegen oder durch bessere Entwürfe einzuholen. Stellt man mit Gardner den Intelligenzbegriff auf eine breitere Basis, gerät man nicht in die Verlegenheit, diesen Irrglauben ewig zu wiederholen, denn dann nimmt man jeden Menschen als eine ganz besondere Mischung aus verschiedenen Formen von Intelligenz wahr. Darüber hinaus wird der Intelligenzbegriff im Sinne Gardners zwangsläufig mehr beschreibend und immer weniger bewertend angewandt werden. Das führt dann zum nächsten Punkt.

Diskrepanz von Begabungen und Anforderungen im Bildungssystem

Was wir von den Schülern in der Schule vor allem sehen wollen, sind kognitive Leistungen im sprachlich-logischen und mathematischen Bereich. Diese sind aber, wie gesehen, nur Teilbereiche der zahlreichen persönlichen Kompetenzen, die unsere Kinder besitzen. Kinder können viel, aber sie können nicht immer das, was in der Schule gefordert wird. Es gibt viele Schüler, denen das fehlt, was in der Schule zum Erfolg führt; die aber daneben Eigenschaften aufweisen, die bei der Bewältigung der täglichen Herausforderungen zu Hause, unter Freunden oder im Berufs- und Geschäftsleben von hohem Nutzen sind. Leider spielt das schulische Leistungsvermögen aber (offen oder unter der Hand) für die Einschätzung eines Menschen eine ungerechtfertigt wichtige Rolle. Von daher ist es nötig, das Bild eines Schülers und Menschen zu ergänzen, abzurunden und zu einer realistischen Einschätzung zu gelangen.

Fazit

Nach dem Dafürhalten des Autors bietet das Konzept der multiplen Intelligenzen mehrere Vorteile, die seine Verbreitung in der Gesellschaft wünschenswert erscheinen lassen:

  • Es stellt die Wahrnehmung und Würdigung jedes Menschen auf eine breite und ganzheitliche Basis, die dem Individuum um einiges gerechter wird als der traditionelle, häufig unreflektierte, einseitige und wertende Intelligenzbegriff.
  • Es «überholt» gewissermassen den Mythos von theoretischer versus praktischer Begabung und macht diese Unterscheidung nicht länger notwendig.
  • Es richtet bereits in den Schulen den Blick der Lehrpersonen auf die unterschiedlichsten Fähigkeiten und verhindert intellektualistische Einseitigkeiten. Damit gibt es uns die Chance, Unterricht vielfältiger, abwechslungsreicher und für die Kinder angemessener zu gestalten.