Forschung & Entwicklung

KMU-Internationalisierungsstudie 2014

Eine Frage von Intuition und Vertrauen

Gemeinsam mit der Hochschule Luzern hat das «KMU-Magazin» untersucht, auf welchen Grundlagen KMU-Chefs ihre Entscheidung zur Internationalisierung treffen. Die Ergebnisse und Auswertungen der Umfrage liegen nun als Studie vor, die bei den Autoren kostenlos erhältlich ist. Nachstehend eine exklusive Zusammenfassung.
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Im vergangenen Jahr hat das «KMU-Magazin» (Ausgaben 11 /13 und 12 /13) in einer kleinen Serie einen alternativen
Ansatz des Competence Center General Management der Hochschule Luzern – Wirtschaft zur Entscheidungsfindung in Internationalisierungsfragen für KMU präsentiert. Ziel der Forschergruppe war es, herauszubekommen, inwiefern es für KMU rational sinnvoll sein kann, im Kontext von Internationalisierungsentscheidungen systematisch auf eher «irrationale» Faktoren wie Intuition, Vertrauen, Netzwerke und persönliche Erfahrungen zu setzen.

Auf diese Faktoren zu bauen, scheint insbesondere deshalb sinnvoll, um die vorhandenen Ressourcen- und Strukturnachteile gegenüber Grossunternehmen auszugleichen. Die Forschenden sind zudem davon ausgegangen, dass durch den Einbezug dieser Faktoren die Qualität von Entscheidungen innerhalb der KMU zu steigern ist. Die Erhebung sollte herausbekommen, welche Faktoren auf die Internationalisierungsentscheidungen Schweizer KMU tatsächlich wirken. Als Orientierungsrahmen galt das «Emotional Basierte Entscheidungsmodell (EBE)» (siehe Abbildung), welches im «KMU-Magazin» 12 /2013 bereits eingehend vorgestellt und im Vorfeld von den Autoren entwickelt wurde. Der vorliegende Beitrag stellt nun den Abschluss dieser Serie zu Internationalisierungsentscheidungen von Schweizer KMU dar.

Valide Einblicke

Auf Basis der genannten Annahmen hat die Forschergruppe in Kooperation mit dem «KMU-Magazin» von November bis Dezember 2013 eine schweizweite Online-Befragung zur KMU-Internationalisierung durchgeführt. 309 Schweizer KMU haben an der Umfrage teilgenommen; von diesen haben 128 Unternehmen alle Fragen beantwortet. Diese 128 Firmen stellen die Bezugsgrösse für alle nachfolgenden Aussagen dar.

Mit 81,7 Prozent stellen relevante Entscheidungsträger von KMU (30,5 Prozent sind KMU-Eigentümer, Geschäftsführer oder CEO, 50 Prozent setzen sich aus Geschäftsleitungs- oder Kadermitglieder zusammen. Die übrigen knapp 19 Prozent sind Verwaltungsrats­mitglieder/-präsi­denten sowie Projektleitende) das Gross der Antwortgebenden dar. Damit ist sichergestellt, dass in der Studie tatsächlich jene Zielgruppe zu Wort gekommen ist, die für die Entscheidungen bezüglich einer Internationalisierung verantwortlich ist und valide Einblicke in die tägliche Entscheidungspraxis geben kann.

Geringe Theoriekompetenz

Zunächst fällt auf, dass die Mehrzahl Schweizer KMU bereits erfolgreich internationalisiert ist. Jedes zweite Schweizer KMU ist im Ausland sogar mit eigenen Strukturen (Tochterfirmen / Niederlassungen) präsent. Der aktuelle Schwerpunkt scheint dabei auf Asien zu liegen. Dabei stellt China als eine Hauptdestination im asiatischen Markt keine Unbekannte mehr dar. Des Weiteren stehen bei den Befragten – was Asien angeht – vor allem Indien und Thailand im Fokus. Mit der Internationalisierung verbinden Schweizer KMU im Wesentlichen Wachstumschancen und Kompetenz­zugewinne – und erst in zweiter Priori­-tät werden Kostensparmotive genannt. Diese Motivlage korrespondiert mit der innovations- und wissensintensiven Produktpalette der Schweizer KMU, die es zu erhalten gilt.

Trotz dieser positiven Internationalisierungsbilanz Schweizer KMU scheinen im Bereich der Internationalisierungskompetenzen noch Verbesserungspotenziale vorhanden. Das theoretisch konzeptionelle Wissen (Theorien, Konzepte, Mo­-delle, etc.) zur Internationalisierung scheint eher unterdurchschnittlich ausgeprägt. Nicht verwunderlich ist, dass sich dies in der praktischen Umsetzung fortsetzt: Was nicht bekannt ist, kann auch nicht angewandt werden. Internationalisierungskompetenz entsteht in Schweizer KMU hingegen vor allem durch das konkrete Handeln. Hier wird also die Person des KMU-Lenkers, die Gruppe an Entscheidungsträgern (Geschäftsleitung und Kader) oder der individuelle Mitarbeitende relevant, wenn sie entsprechende (Handlungs-)Kompetenzen und Erfahrungen im Bereich der Internationalisierung mit- und einbringen. So benennen die Schweizer KMU neben der Erfahrung die unternehmerische Kompetenz als relevanteste Ressource, wenn es darum geht, sich erfolgreich zu internationalisieren.

Als massgebliche Persönlichkeitseigenschaften der Entscheider werden Offenheit, Selbstbewusstsein und -vertrauen genannt. Es braucht also, so offenbart die Studie, das Vertrauen in sich selbst, in die eigenen Kompetenzen und Eigenschaften, da ansonsten ein wichtiger Motivator zu Internationalisierung fehlt. Der KMU-Entscheidungsträger oder eine (überschaubare) Gruppe an Entscheidungsträgern wird so tatsächlich zu einer sehr relevanten Entscheidungsprämisse, ob ein KMU den Schritt Richtung Ausland wagt oder nicht: Person und Persönlichkeit, Erfahrung und Handlungskompetenz sticht blosses Theoriewissen aus.

Planung als Hygienefaktor

Im Rahmen der Schweizer KMU Internationalisierung steht das «Handeln» im Vordergrund. Dabei wird die jeweils eigene Internationalisierungstheorie durch eben dieses «Handeln im unmittelbaren Tun» entwickelt. Gegenüber diesem «Machen» spielt auch die Planung eher weniger eine Rolle, die man rational und wie auch immer betriebswirtschaftlich geschult jeder Internationalisierungsentscheidung unterstellen könnte. Das bedeutet aber nicht, dass die Planung im Prozess der Internationalisierung keine Rolle spielen würde. Ganz im Gegenteil: Planung steht hoch im Kurs in Bezug auf Unsicherheitsreduktionen. So gilt es festzuhalten, dass Planung sich als ein «Hygienefaktor» präsentiert, den es braucht, um die Unsicherheit im Rahmen der Internationalisierung zu beherrschen, während das Handeln, das unternehmerische Agieren, das Tun, die «Motivatoren» darstellen, die die KMU-Internationalisierung ins Rollen bringen.

Nicht ohne Netzwerk

Als weitere «Motivatoren» spielen sozialen Kontakte und Netzwerke eine gewichtige Rolle in der Internationalisierung von KMU in der Schweiz. Dabei übernehmen auch sie die Funktion, Unsicherheiten zu reduzieren. Mit dieser Perspektive werden die Prämisse eines «alleinigen» Entscheidungsträgers sowie die Rolle des Individuums deutlich eingeschränkt. Die vorliegende Studie zeigt, dass die Internationalisierung durch und mit anderen Geschäftspartnern, in den Netzwerken, in denen man agiert, erfolgt. Berater und Agenten genauso wie Juristen hingegen scheinen bei der Internationalisierung eine eher untergeordnete Rolle zu spielen. Sie sind gemäss der Untersuchung aus der Perspektive der KMU nur marginal imstande, Unsicherheiten zu reduzieren beziehungsweise eine treibende Rolle im Prozess des «going international» zu leisten. Überraschend auch die eher nebensächliche Rolle, die die Familie des Entscheiders innehat. So bekennen nur wenige KMU-Unternehmer, Familienmitglieder im Rahmen der Internationalisierung konsultiert zu haben, und das trotz des hohen Anteils an Familienunternehmen unter den KMU.

Jedoch, und dies gilt es an dieser Stelle noch einmal als markantes Ergebnis der Studie hervorzuheben, wird der Entscheid zur Internationalisierung nicht etwa von einem «einsamen Entscheider» getroffen. Die Internationalisierung ist ein «kollektives Werk», kreiert durch den KMU-Lenker, seinen Kadermitgliedern und externen Persönlichkeiten, die beispielsweise aus den Reihen der Geschäftspartner stammen können. Das Bild eines alleinherrschenden KMU-Eigentümers oder -Entscheiders kann für die Schweizer KMU-Unternehmenslandschaft mittlerweile als überholt gelten.

Vertrauen und Intuition

Um qualitativ valide Internationalisierungsentscheide treffen zu können, so hat die Studie gezeigt, stellt Vertrauen wohl die zentrale Komponente in jedem Entscheidungsprozess dar. Der Entscheidungsträger muss in sich selbst als Person vertrauen und zugleich Vertrauen schaffen. Es muss Vertrauen in die gemachten Erfahrungen bestehen und natürlich auch eine breite Vertrauensbasis in die zu konsultierenden Netzwerke existieren. Intuition, in der Praxis oftmals als Bauchgefühl tituliert, wird durch die Schweizer KMU als ein wichtiger Faktor für den Internationalisierungserfolg gewertet. Dabei schätzen die Entscheidungsträger sich zu zwei Drittel als intuitive Unternehmer oder oder zumindest als teilweise intuitive Entscheider ein. Doch umgekehrt bekennen fast zwei Drittel der Befragten, dass aus ihrer Sicht Intuition keine Rolle bei der eigenen Internationalisierungsentscheidung spiele. Je konkreter die Fragen auf einen spezifischen Entscheidungszusammenhang zielen, desto eher wird das Bild eines rationalen Entscheidungsträgers bemüht. Eine Diskrepanz zwischen wahrgenommener Intuitionskompetenz und (selbst-)bewusster Nutzung eben dieser Intuition wird hier offenbar. Passend zu diesem Gesamtbild scheint es, dass Emotionen bei der Internationalisierungsentscheidung keine bedeutende Rolle als Einflussfaktor zugesprochen wird; es scheint sogar so, dass die Entscheidungsverantwortlichen jede emo­tionale Basierung von Entscheidungen aussen vor lassen wollten.

Ein weiteres interessantes Ergebnis dieser Studie ist, dass die KMU-Entscheider dem Zufall im Rahmen der Internationalisierung keine Rolle zuschreiben wollen. Jedoch ergeben die qualitativen Aussagen in Bezug auf die Frage nach dem Moment der Internationalisierungsentscheidung ein differenziertes Bild. Die Internationalisierung hat sich aus vielen, eher «kumulativen» Situationen ergeben, die im Moment der Entscheidungsfindung das Gefühl entstehen lassen, dass der Zufall nicht im Spiel war und die Internationalisierung lediglich eine logische Konsequenz zwingender Rationalität darstellt.

Ein bisschen Zufall?

Ob Zufall oder nicht, die Erkenntnis scheint, dass man sich aufgrund eines spezifischen Kontextes internationalisiert hat, in dem man sich gerade befindet: Weil Geschäftspartner bereits internationalisiert sind, internationalisiert man auch. Weil Geschäftspartner oder Unternehmen des eigenen Netzwerks in bestimmten Ländern Erfolg haben, wagt man selber auch den (gleichen /ähnlichen) Versuch. Die Internationalisierung wird so, im ursprünglichen Sinne des Wortes, zur so­­zialen Frage, respektive geschieht aufgrund einer gewissen sozialen Dynamik. Das muss man nicht zwangsläufig als Zufall beschreiben – man kann es aber entsprechend titulieren.

Potenziale gezielter nutzen

Zusammenfassend kann auf Basis der vorliegenden Untersuchung unterstellt werden, dass die intuitiven, vertrauens­orientierten und netzwerkbasierten Faktoren (wie Kompetenzen /Fähigkeiten /Eigenschaften) bei der Entscheidung zur Internationalisierung eine massgebliche Rolle spielen. Die Internationalisierungsoption, die im organisationalen Feld der Schweizer KMU schon immer vorhanden war, kann nur wahrgenommen werden, wenn sowohl die Entscheider, als auch die Organisation über die hier genannten Faktoren verfügen. Ohne sie ist eine KMU-Internationalisierung natürlich prinzi­piell möglich. Doch stellt sich umgehend die Frage, ob die Internationalisierungsentscheide dann auch von ähnlich guter Qualität sind. Alles in allem macht die vorliegende Studie deutlich, dass Schweizer KMU über die entsprechenden Potenziale verfügen, um qualitativ gute und erfolgreiche Internationalisierungsentscheide treffen zu können.

Zugleich gilt es aber diese Potenziale und Kompetenzen noch systematischer zu entwickeln und zu nutzen, um so den Weg der Internationalisierung noch gezielter und erfolgreicher vorantreiben zu können. Gerade für die nächste Stufe der Internationalisierung, in der es um eine wie auch immer geartete strukturelle und soziale Verankerung in fremden Ländern geht, braucht es weitreichende, vertiefte und zum Teil wohl auch andere Kompetenzen als die vorhandenen.

Erfolgreiche Internationalisierung verlangt besondere Fähigkeiten und Persönlichkeitspotenziale seitens des Entscheiders oder des Entscheidungsgremiums, um die Sicherheit und das entsprechende Selbstbewusstsein aufzubringen, um sämtliche anstehende Entscheidungen erfolgreich treffen zu können.

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