Forschung & Entwicklung

Büro der Zukunft (Teil 1 von 3)

Digital vernetzt in neue Arbeitswelten

Die Arbeitsumgebung überall abrufen oder sich von Sensoren im Anzug sagen lassen, wann die Pause fällig ist: Das ist erst der Anfang der digitalen Transformation. Sie bringt Risiken mit sich, kann KMU aber auch agiler und damit wettbewerbsfähiger machen.
PDF Kaufen

Ein ganz normaler Morgen im Grossraumbüro eines x-beliebigen Konzerns: Viola Marchionnes biometrischer Batch öffnet ihr die Tür zum Open-Space-Büro. Sie sucht sich einen freien Arbeitsplatz, der automatisch ihre persönlichen Einstellungen abruft und ihr den Zugriff auf ihre Arbeitsunterlagen erlaubt.

Derselbe Batch öffnet ihr einen Kubus mitten im Raum, in dem sie einen Workshop vorbereitet. Auf einer berührungsempfindlichen Wand kann sie ihr Projekt visualisieren. Sie verändert Parameter, indem sie die Oberfläche berührt und kann so den Input ihrer hinzugekommenen Kollegen unmittelbar sichtbar machen. Weil die Form nach dem Workshop etwas nachlässt, regt sie ein im Kleid integrierter Sensor zu einer Bewegungspause an, und sie erholt sich im firmeneigenen Fitnessstudio.

Ohne Papier, mit Intelligenz

Zukunftsmusik? Wohl nicht mehr lange. Unternehmen weltweit sind bereits auf dem Weg dorthin. Eine intelligente Umgebung mit autonomen, interaktiven Hightech-Oberflächen wird in zahlreichen Büros in den nächsten zehn Jahren Einzug halten, prophezeit Gregor Schiffer, Partner beim Beratungsunternehmen Future Management Group AG, in seinem Papier «Das Büro als Denkraum». Und auch Wilhelm Bauer, Institutsleiter am Fraunhofer IAO, betonte kürzlich in einem Interview, dass das papierlose Büro schon bald Wirklichkeit werde. Schliesslich werden immer mehr Prozesse digitalisiert und somit die Daten online abrufbar.

Damit mehren sich die Möglichkeiten, unabhängig von Ort und Zeit zu arbeiten. Künftig wird uns unsere Arbeitsumgebung wie eine digitale Aura umgeben. In sogenannten «Smart Rooms» erkennt die intelligente Umgebung unser Profil und passt sich an die persönlichen Bedürfnisse und Einstellungen an. Solche Räume bieten ganz neue Arbeitsmöglichkeiten sowohl für die Einzelperson, aber auch für ganze Teams. Kleinformatige Bildschirme gibt es dort nicht mehr. In Zukunft können ganze Wände zu berührungsempfindlichen Flächen werden, auf denen Wissensarbeiter Inhalte visualisieren und durch Berührung unmittelbar verändern können.

Neue Technologie

Möglich machen dies organische Leuchtdioden (die sogenannten OLED), eine Technologie für Bildschirme und die Raumbeleuchtung. Die biegsame, leichte OLED-Folie kann künftig überall aufgebracht werden. So ziemlich jede Oberfläche kann damit zu einem Informationsträger werden, der mit dem Nutzer oder der Nutzerin interagieren wird. Die Technologie ist zwar noch in der Entwicklung, besitzt aber ein enormes Marktpotenzial. Darum experimentieren grosse Player wie Samsung und LG etwa mit OLED-TV, das über gebogene Flächen Illusionen von Räumen schafft, die uns zu umgeben scheinen.

Die neuen Leistungsverwalter

Neue Technologien können aber nicht nur unsere Arbeitsweise verändern und verbessern. Sie sorgen auch dafür, dass wir leistungsfähig bleiben. Tracking-Systeme zählen nicht nur Schritte, sie verwalten unsere Leistung bald auch im Arbeitsalltag. So können etwa Sensoren, die in unsere Kleidung eingearbeitet sind, Rückmeldungen über unser Befinden geben. Dank biometrischer Daten erkennt ein Gerät, wann unsere Gesichtszüge ermüden und ermuntert uns, wieder mal Pause zu machen. Unsere Umgebung wird also in Zukunft unsere Bedürfnisse womöglich vor uns erkennen und sich vorausschauend daran anpassen. Schiffer bringt es auf den Punkt: «In Zukunft sorgen wir uns nicht mehr um Geräte und Technologien, sondern diese um uns.»

Digitale Transformation

Die Entwicklung ist noch lange nicht zu Ende, die digitale Transformation nicht aufzuhalten: «Alles, was sich digitalisieren lässt, wird es auch in der digitalen Variante geben», sagt Schiffer. Das wirkt sich auf die Struktur der Beschäftigten und ihre Aufgaben aus. Immer mehr Arbeitsprozesse wird der Computer übernehmen. Studien zufolge wird die Hälfte der heutigen Berufe aussterben, darunter viele aus der Mittelschicht wie Steuerberaterin oder Kaufmann im stationären Einzelhandel. Das mag erschrecken, ist der Trend doch für viele Mitarbeitende mit der Sorge verbunden, durch eine Maschine ersetzt zu werden.

Die Digitalisierung bietet aber auch zahlreiche Chancen. Sie schafft zum Beispiel neue Berufsbilder: Schliesslich muss es Leute geben, welche die zukünftigen künstlichen Welten erschaffen und verwalten. Die Digitalisierung ist insofern positiv für kleine und mittelgrosse Unternehmen, als sie deren Wettbewerbsvorteil gegenüber grossen Unternehmen weiter erhöht. Flexibilität schlägt Grös­se, so Schiffers These, und das geht digitalisiert noch besser: KMU können immer schneller und von überall her auf Kundenbedürfnisse antworten, und weil sie risikofreudiger sind als die Grossen, besetzen sie interessante Märkte früher.

Dasselbe gilt auch für die Mitarbeitenden. Je agiler sie sind, desto eher können sie im Arbeitsmarkt bestehen und sich dort einbringen, wo der Mensch die Maschine schlägt: bei kreativen Aufgaben, die vernetztes Denken und die Fähigkeit zur Innovation erfordert (siehe unten).

Gezielte Technisierung

Wie digital muss ein kleines oder mittelgrosses Unternehmen nun aber sein, um wettbewerbsfähig zu bleiben? Nicht maximale Technisierung lautet die Devise, sondern gezielte. Mitarbeitende wünschen sich laut Wilhelm Bauer vom Fraunhofer IAO keine vollautomatisierte Umgebung, sondern eine, die so klug vernetzt ist, dass sie die Nutzer optimal unterstützt. Dies ist in vielen Fällen gleichzusetzen mit flexiblem Arbeiten. Cloud Services spielen hier eine grosse Rolle: «Ein firmeneigenes Tool zum Datenaustausch lohnt sich», meint Daniel Zuber, Leiter Verkauf Bürobedarf und Bürotechnik bei Witzig The Office Company, «Firmen können so auf teure Hardware-Updates verzichten und erhalten bessere Services.» Ausserdem seien die Sicherheitsrisiken einfach zu gross, wenn Mitarbeitende ein Gratis-Tool nutzten.

Auch Dokumente zu scannen erleichtert das flexible Arbeiten: Digitale Informationen sind überall verfügbar, lassen sich durchsuchen und schneller finden. Aus­serdem sind sie weniger manipulierbar, da man sämtliche Änderungen verfolgen kann. Vieles spricht also für eine Reduktion des Papiers im Büro. Vollkommen papierlos zu werden ist laut Zuber aber nur für wenige Firmen eine Option. «Statt schwarz-weiss zu denken, lohnt es sich, genau zu überlegen, welche Prozesse durch Digitalisierung vereinfacht und optimiert werden können», meint der Bürofachmann.

 

Verstand und Intuition als Treiber der Innovation

Im Rausch der technologischen Möglichkeiten übersieht man gerne, dass Fortschritt nicht nur Vorteile hat. Die Datenmengen, die wir durch die Digitalisierung andauernd produzieren, überfordern uns. Wir sind weder geistig in der Lage, sie auszuwerten noch technisch fähig, sie zu speichern.

Dies sagt einer, der Trends mit einem kritischen Auge betrachtet: Dr. Stephan Sigrist, Gründer und Leiter von W.I.R.E., einem interdisziplinären Think Tank, der sich mit globalen Entwicklungen befasst. Stephan Sigrist bezweifelt, dass mehr Daten wie oft geglaubt zu mehr Transparenz und zu leistungsfähigeren Wissensarbeitern führen. Die Tatsache, dass sich alles messen lässt, macht uns nicht objektiver, meinte er kürzlich am Office Symposium von Witzig The Office Company. Entscheidungen treffen und Ideen haben müssen wir immer noch selbst – und das ist gut so, findet der Zukunftsforscher.

Die Innovation bedingt aber die Fähigkeit, selbstständig zu denken. Das Ideal der Aufklärung – Kants «Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit» – ist für Sigrist daher brandaktuell. Nur wer auf seinen Verstand setzt und seiner Intuition vertraut, wird die grossen Zusammenhänge erkennen und dadurch Neues schaffen – und genau hierin kann sich der Mensch auch morgen von der Maschine unterscheiden.

Porträt