Forschung & Entwicklung

Unternehmenssteuerung (Teil 1 von 2)

Die Rolle der Familie im Verwaltungsrat

Die Führung eines Familienunternehmens gestaltet sich aufgrund des Einflusses der Unternehmerfamilie komplexer als die Führung eines Unternehmens ohne Familienbezug. Deshalb ist der Besetzung des Verwaltungsrates ein besonderes Augenmerk zu schenken.
PDF Kaufen

Knapp 90 Prozent der über 300 000 kleinen und mittelgrossen Unternehmen (KMU) in der Schweiz befinden sich in Familienbesitz – damit ist die Schweiz kein Einzelfall. Familienunternehmen sind weltweit die vorherrschende Unternehmensform. Entgegen der landläufigen Meinung, Familienunternehmen seien vor allem klein und unprofessionell, wird eine Vielzahl erfolgreicher, international tätiger Nischenanbieter sowie Grossunternehmen von Unternehmerfamilien gesteuert.

Die Rolle des VR

Die Führung eines Familienunternehmens gestaltet sich aufgrund des Einflusses der Unternehmerfamilie komplexer als die Führung eines Unternehmens ohne Familienbezug. Die Anforderungen an die Steuerung von Unternehmen und Familie verändern sich, wenn sich ein Unternehmen mit der Zeit von einem gründergeführten Betrieb hin zu einem Familienunternehmen entwickelt, das von mehreren Generationen geführt wird. Es stellen sich daher die Fragen, welche Rolle der Verwaltungsrat im Familienunternehmen spielen soll, und insbesondere, welche Rolle die Familie im Verwaltungsrat einnehmen soll.

Diverse Beiträge in praxisorientierten Fachzeitschriften vertreten die Ansicht, der Verwaltungsrat sei in erster Linie als «Strategie- und Strukturgestalter» zu verstehen, der als «strategische Leitstelle (…), die im Kollektiv entwickelten Gedanken in die Entwicklung der Strategie [einbringt]». Wir teilen diese Meinung nur bedingt. Die zentrale Aufgabe des Verwaltungsrates ist nicht die Entwicklung, sondern die Sicherstellung der Unternehmensstrategie. Natürlich aber soll der Verwaltungsrat das Management bei der Erarbeitung der Unternehmensstrategie beraten und dieses insbesondere bei der Umsetzung überwachen.

Der wichtigste Beitrag des Verwaltungsrates ist es jedoch – und dies gilt für Publikums- und Familienunternehmen zugleich – das Management für sein Handeln verantwortlich zu zeichnen (accountability). So hat der Verwaltungsrat sicherzustellen, dass das Management tut, was es tun soll, innerhalb des vereinbarten Zeitrahmens, und dass es die Resultate erreicht, die vorgängig festgelegt wurden. Im Falle der Zielerreichung entscheidet der Verwaltungsrat über die Höhe und Art der Belohnung; werden die Ziele verfehlt, ordnet er korrigierende Handlungen an. Dieses Verständnis des Verwaltungsrates als überwachendes und korrektives Gremium sorgt für einen Grad an Disziplin, der in einem direkten Zusammenhang mit der finanziellen Leistung und der Langlebigkeit eines Unternehmens steht. Gerade in vielen kleineren, von Familien geführten Unternehmen jedoch ist das Verständnis dessen, was ein Verwaltungsrat für das Unternehmen – und die Unternehmerfamilie – leisten kann und soll, vielfach vage.

Die Hauptaufgaben

Der Verwaltungsrat in Familienunternehmen hat nebst den gängigen Anforderungen insbesondere zwei Aufgaben zu erfüllen:

  • In Familienunternehmen bildet der Verwaltungsrat eine Brücke zwischen Familie und Unternehmen. Familienunternehmen und Unternehmer­familien brauchen ein System, das die Beziehung zwischen Familie und Unternehmen regelt. Fehlt ein solches, so kann es vorkommen, dass diverse Familienmitglieder – typischerweise unabhängig voneinander – im Unternehmen tätige Personen kontaktieren, um sich Informationen zu beschaffen. Dies schafft chaotische Zustände und führt nicht zuletzt aufgrund der resultierenden Informationsasymmetrie zu Un­zufriedenheit. Besser ist es, den Verwaltungsrat als Informationsstelle zu nutzen. Während es in kleineren Familien kein Problem darstellt, wenn Familienmitglieder Verwaltungsräte direkt kontaktieren, empfiehlt sich für grössere Familien ein Familienrat, der als alleiniges Bindeglied zum Verwaltungsrat agiert und die relevanten Informationen weiterleitet.
  • Der Verwaltungsrat stellt eine faire Behandlung der Familienmitglieder sicher und schlichtet Konflikte. Eine wichtige Rolle des Verwaltungsrates ist es, sicherzustellen, dass Familienmitglieder, die im Unternehmen arbeiten, fair behandelt werden – sprich, dass diese im Vergleich zu den übrigen Mitarbeitenden bei Vergütung, Weiterbildungen oder Beförderungen weder bevorzugt noch benachteiligt werden. Eine weitere wichtige Aufgabe kommt der Konfliktschlichtung zu. Oftmals geniessen familienfremde Verwaltungsräte das Vertrauen der Unternehmer­familie und werden im Konfliktfall zu Rate gezogen – wobei der Konflikt an der Schnittstelle zwischen Familie und Unternehmen auftreten oder sich in der Familie selbst abspielen kann.

Die idealen Verwaltungsräte

Idealerweise bestehen Verwaltungsräte in Familienunternehmen aus Familien- und Nicht-Familienmitgliedern sowie
aus Personen, die nicht im Unternehmen beschäftigt oder vom Unternehmen abhängig sind. Die ideale Grösse des Verwaltungsrates kann je nach Besetzung variieren. Grundsätzlich sollte aber ein fünf- bis neunköpfiges Gremium an­gestrebt werden. Was also gilt es bei der Auswahl potenzieller Mitglieder zu beachten?

Offenherzigkeit

Verwaltungsratsmitglieder müssen ihre Meinung frei äussern können und dürfen keine Angst haben, die Wahrheit zu sagen. Dies bedingt, dass sie nicht vom Unternehmen (oder der Familie) abhängig sind und durch ihre Offenheit die Beziehung zum einen oder anderen gefährden könnten – dies dürfte beispielsweise bei für das Unternehmen tätigen Anwälten, Buchhaltern oder Beratern der Fall sein.

Analytische Fähigkeiten

Ist die Person in der Lage, grosse Mengen an Daten (Finanzdaten, Marktdaten, strategische Daten) zu analysieren und sich ein ganzheitliches Bild der Situation des Unternehmens zu machen?

Charakter

Verwaltungsräte sollten nicht primär aufgrund eines bestimmten oder spezialisierten Anforderungsprofils ausgewählt werden. Wichtiger ist nebst einem guten Charakter insbesondere eine solide Menschenkenntnis: Ein Verwaltungsrat sollte nicht nur in der Lage sein, ein unaus­gereiftes oder schlecht durchdachtes Vorhaben zu identifizieren, sondern auch erkennen können, wenn gewisse Informationen verschwiegen oder nicht vollständig offengelegt werden.

Überzeugungskraft

Schliesslich muss die Frage gestellt werden, ob der CEO bereit ist, auf diese Person zu hören. Denn nur dann kann ein Verwaltungsratsmitglied auch wirksam werden.

Die Rolle der Familie im VR

Wir erachten es als zentral, dass die Familie im Verwaltungsrat vertreten ist, da die Familie das grösste Interesse am Prosperieren und Weiterbestehen des Unternehmens hat. Ein Familienmitglied im Verwaltungsrat ist aber nur dann sinnvoll, wenn die Person für das Gremium einen Mehrwert darstellt. Konkret bedeutet dies, dass Familienmitglieder, die als Verwaltungsräte in Betracht kommen, im Idealfall sämtliche oben genannten Kriterien erfüllen. Eminent wichtig ist zudem: Es gehören nur Familienmitglieder in den Verwaltungsrat, die das Vertrauen der Familie geniessen. Grundsätzlich eine schlechte Idee ist es, Familienmitglieder, die man aufgrund mangelnder Kompetenz nicht im Unternehmen anstellen will, in den Verwaltungsrat zu berufen,– um beispielsweise den Familienfrieden zu wahren.

Wichtig ist ausserdem, dass Familien­mitglieder, die als potenzielle Verwaltungsräte gehandelt werden, bei jeder Verwaltungsratssitzung während einer gewissen Zeit beiwohnen können – falls sie den Wunsch äussern, dies tun zu wollen. Dieses Zeichen der Öffnung kann massgeblich zu einer harmonischen Beziehung über Familienzweige hinweg beitragen.

Aktuelle Forschungserkenntnisse weisen darauf hin, dass Verwaltungsräte dann am effektivsten sind, wenn auf jedes Familienmitglied zwei familienfremde Verwaltungsräte kommen. Besteht ein Verwaltungsrat jedoch ausschliesslich aus Familienmitgliedern, so ist wichtig, dass Belange, welche nur die Familie betreffen, nicht im Rahmen der Verwaltungsratssitzung diskutiert werden. Eine hervorragende Lösung bietet hier die Einsetzung eines Familienrates oder die Einberufung einer separaten Familiensitzung, im Rahmen derer familieninterne Herausforderungen diskutiert werden.

Steuerung von Familie und Firma

Verwaltungsräte in Familienunternehmen sind grundsätzlich dann am effektivsten, wenn sie wissen, welche Ziele die Eigentümerfamilie mit dem Unternehmen verfolgt. Im zweiten Teil thematisieren wir daher, weshalb die Entwicklung einer
Familienstrategie für jede Unternehmerfamilie von zentraler Bedeutung ist.

Im Kern einer Familienstrategie stehen das Wissen über dem Daseinszweck der Familie, die zentralen Werte sowie die langfristige Vision, die unabhängig ist vom Unternehmen. Eine starke Mission verbindet die Familie über Generationen und Familienzweige hinweg. Hilft das Unternehmen der Familie, die gesetzten Familienziele zu erreichen, stärkt dies massgeblich die Verbundenheit zum Unternehmen sowie den Wunsch, dessen nachhaltigen Erfolg und Bestehen sicherzustellen. «

Im nächsten Teil der zweiteiligen Serie gehen die Autoren folgenden Fragen nach: Wie wird eine Familienstrategie entwickelt, und wie wird sie umgesetzt? Welchen Beitrag leistet eine Familienstrategie für die Unternehmerfamilie und das Familienunternehmen?

Porträt