Forschung & Entwicklung

Blick aus der Wissenschaft

Die Gefahr des Casino-Kapitalismus

Es braucht neue Wirtschaftskonzepte, welche die reine Shareholderorientierung korrigieren, und es braucht Wirtschaftsakteure, welche die Sinnhaftigkeit des unternehmerischen Handelns wieder in den Vordergrund stellen.
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«Wäg däm verfliochtä Gäld ...» Da hat er schon Recht, der Schacher Seppli, wenn er meint, es gehe auf dieser Welt «gar artig zio». In diesem bunten Treiben spielt unser Wirtschaftssystem eine zentrale Rolle. Das Streben nach unbegrenztem Wachstum und der damit verbundene enorme natürliche Ressourcenverbrauch ist genauso ein Aspekt wie das Primat der Leistung und Effizienz bei der Ressource Mitarbeiter. Klimaveränderung mit den damit verbundenen Umweltkatastrophen sind der eine Preis, Absentismus, Depressionen und Burnouts bei Menschen der andere.

Diese Feststellung ist nicht neu, und nun? – könnte sich der interessierte Leser an dieser Stelle fragen. Was sind die Lösungsvorschläge oder Gegenkonzepte? Eine gute Frage. Mindestens seit dem Ende des Sozialismus in den 1990er-Jahren fehlt dem heute dominanten, kapitalistisch geprägten Wirtschaftssystem ein Gegenpol. Kein Zufall, dass sich danach die Finanzmärkte, Kapitalströme und Firmenkonglomerate beschleunigt globalisiert haben. Der Siegeszug der freien Marktwirtschaft und des ökonomischen Denkens nimmt ungebremst immer mehr Fahrt auf. Es herrscht ein Primat der Ökonomie.

Ziel des Wirtschaftens

Es ist jedoch falsch, den Kapitalismus alleine als «des Übels Kern zu verfluchen». Kapitalismus, verstanden als eine Wirtschaftsordnung, welche auf Privateigentum an den Produktionsmitteln sowie einer Steuerung von Produktion und Konsum über den Markt beruht, führt nicht zwingend zu diesen negativen Auswüchsen. Vielmehr ist die Frage nach dem Ziel des Wirtschaftens ein möglicher Schlüssel.

Ein klassischer Unternehmer wird diese Frage vermutlich stark mit der schöpferischen Wirkung seiner Tätigkeit verbinden. Er «unternimmt» etwas – er sucht mit Kreativität und Intuition Bedürfnislücken und versucht diese mit seinen Produkten oder Dienstleistungen zu befriedigen. Er stiftet einen Nutzen. Dafür investiert er seine Zeit, sein Geld und sein Know-how. Die (sozial gelenkte) freie Marktwirtschaft bietet ihm dazu die entsprechend guten Möglichkeiten. Sein Erfolg ist der gelungene Marktabsatz seiner zu Produkten gewordenen Ideen. Sein Kapital sind seine schöpferische Kraft und eine erfolgreiche Umsetzung durch die Unterstützung seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ein klassischer Unternehmer erschafft Sachwerte (oder Dienstleistungen) im Sinne des griechischen «Oikos-Denkens».

Manageriale Distanz

Wie beantwortet ein Manager, welcher aus einer sterilen und weit von den wertschöpfenden Mitarbeitern entfernten Konzernzentrale, ein Unternehmen mit 20 000 Angestellten, zig internationale Niederlassungen führt und verschiedenste Marktsegmente mit dutzenden oder hunderten Produkten bedient, diese Frage? Mögliche Antworten finden sich in Geschäftsausblicken und Presseberichten: Zu lesen sind Ziele wie: Umsatzwachstum, Gewinnsteigerung, Renditeoptimierung, Kostensenkungen, Effizienzsteigerung usw. Die Ziele messen sich weitgehend am wirtschaftlichen Erfolg, also in Franken, USD, Yuan und Pounds. Sein wirtschaftlicher Nutzen ist denn auch eng an monetäre Ergebnisse gebunden. «Die Konzerne haben nichts gelernt», so resümiert die NZZ, drei Jahre nach der Abzockerinitiative, die Situation bezüglich den «Absahnern» in der Wirtschaft. Bonuszahlungen und Abgangsentschädigungen in Millionenhöhe sind wieder gang und gäbe. Die «Bodenhaftung» des unternehmerischen, sinnhaften und auf konkrete Bedürfnisbefriedigung bezogenen Handelns geht weiterhin zugunsten des wirtschaftlichen, auf «nackte» Ergebniszahlen bezogenen Handelns verloren.

Das Primat der Geldvermehrung

Viele Unternehmen sind nicht mehr Produktionsstätten, sondern riesige Finanzunternehmen. Bewertet und gewertet wird nur noch in einer Dimension, nämlich Geld. Geld hat an sich keine Güte – es ist eine reine quantitative Messung mit dem scheinbaren Naturgesetz «Mehr ist besser». Diese Gefahr erkannten bereits die Griechen. Aristoteles hat in seinen Werken auf diese gefährliche Symbolkraft des Geldes hingewiesen. Er nannte diese Entwicklung «Chrematismus» und meinte damit, dass es jene falsche Kunst sei, welche ausschliesslich die Bereicherung zum Ziel hat.

Die Tugend des Masshaltens wird durch die Reduktion des Warenwertes in Geldwerte ausgehebelt. Zwischen dem Zuviel und dem Zuwenig gibt es ein Mittelmass: genügend. Gewinn und Verlust sind jedoch in gegensätzlicher Weise ein Zuviel und Zuwenig. Was befindet sich in der Mitte? Die schwarze Null? Keinem Ökonomen würde dies als Ziel genügen. Aristoteles bezeichnete diese Mitte als das Gerechte. Die Frage nach dem Gerechten ist keine ökonomische, sondern eine moralisch-ethische. In der rationalen Welt des globalen Managements gibt es keine gerechten oder ungerechten Gewinne oder Verluste. Entweder oder. Verlust ist schlecht, Gewinn ist gut, mehr Gewinn ist besser. Diese Formel und Haltung gilt es zu hinterfragen.

Unternehmen: zwischen Sinnstifter und Gewinnbringer

Der Kapitalismus hat sich von einem Unternehmenskapitalismus zu einem Managementkapitalismus bis hin zu einem Casinokapitalismus (von der kritischen Rolle dieser Akteure, zum Beispiel der Banken, ist in diesen Gedanken noch nicht mal die Rede) entwickelt. Es braucht einerseits neue Wirtschaftskonzepte, welche diese Auswüchse der reinen Shareholderorientierung korrigieren, und es braucht Wirtschaftsakteure (Unternehmer wie Manager), die die Sinnhaftigkeit des unterneh­merischen Handelns wieder mehr in den Vordergrund stellen und ihre Entscheide und Handlungen nicht ausschliesslich durch die ökonomische Brille sehen.

Der über Jahrzehnte von Milton Friedman geprägte und seit den 1970er-Jahren des letzten Jahrhunderts in vielen Managementlehrbüchern immer noch verankerten Denkrichtung ist zu widersprechen. Friedman hatte argumentiert, Unternehmen hätten gar keine andere Wahl, als ihre Gewinne stets so hoch wie möglich zu treiben – sonst würden sie rasch von profitableren Wettbewerbern verdrängt. Sein Credo: «The business of business is business». Gewinn ist das eine, gesellschaftlicher Nutzen das andere.

Hohe Arbeitsplatzqualität, schonender Umgang mit natürlichen Ressourcen und Beiträge an die Gesellschaft kosten und können den Gewinn schmälern. Zu hinterfragen ist die Annahme, dass ein Unternehmen rein zum Zweck der Rendite und stetiger Gewinnmaximierung existiert. Wenn es nicht rentiert, dann ist es auch nicht gut, könnte man Friedman interpretieren. Entsprechend ist alles gut, was rentiert? Vielleicht liegt in dieser Betrachtung ein weiterer, grosser Unterschied zwischen einem Unternehmer und einem Manager: Unternehmer treffen oft Entscheidungen, weil sie Sinn machen und rentieren – Manager, weil sie rentieren und damit Sinn machen.