Forschung & Entwicklung

Blick aus der Wissenschaft

Der Umgang mit Scheitern entscheidet

Innovieren durch Ausprobieren ist hierzulande eher verpönt, denn Scheitern entspricht nicht den gesellschaftlichen Erwartungen. Aber muss Scheitern nicht vielmehr als Quelle des Lernens und damit als möglicher Pfad für Innovationen gesehen werden?
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Kein Thema treibt Schweizer KMU so um wie die Frage nach dem Erhalt der organisationalen Innovationsfähigkeit. KMU wird unterstellt besonders innovativ zu sein und aus den erzielten Innovationen nachhaltig Profit schlagen zu können. Doch wenn man von innovativen KMU spricht, wird leicht übersehen, dass zur Innovation die Menschen in den KMU gehören. Befasst man sich mit kreativen KMU so wird schnell klar, dass hinter dem Innovations-Image der Schatten des Scheiterns steht. Sind KMU also nicht nur gut im Innovieren, sondern auch im Scheitern?

Das Risiko des Scheiterns
Klar ist, dass niemand gerne scheitert. Scheitern ist schmerzhaft. Doch wer etwas wagt, der geht ein Risiko ein, das Risiko zu scheitern. Zugleich sind der Leistungsanspruch und die gesellschaftlichen Erwartungen an den Einzelnen so hoch wie nie zuvor. Sogenannte Leistungsträger – Mitarbeitende mit Qualifikations- und Erfolgsausweisen – sollen diese Erwartungen erfüllen, und zwar ohne zu scheitern. So ist es denn auch kein Wunder, dass das Frisieren von Lebensläufen zum Volkssport geworden ist. Schul- und Hochschulabschlüsse, aber auch Auslandserfahrungen sind Ausweise des Erfolgs und signalisieren dem Gegenüber, dass das Scheitern dieser Gebildeten eigentlich ausgeschlossen ist und beste Aussichten bestehen, Leistungs- und Innovationsansprüche erfüllen zu können. Umso deprimierender dann die Einsicht, dass auch der Kluge und Gebildete nicht vor dem Scheitern sicher ist.

Dem Wesen der Innovation liegt es zugrunde: Schlichtes Nachmachen oder edles Nachdenken führen nicht immer zum gewünschten Ergebnis, es gehört zur Innovation auch immer das Ausprobieren. Und wenn dann das Ausprobieren zu einem Misserfolg führt? Dann, so die Innovationsforscher, lernt der Entrepreneur am besten und setzt den Grundstein für den Erfolg von morgen. Doch im Unterschied beispielsweise zu den Amerikanern ist in weiten Teilen Europas – insbesondere im deutschsprachigen Europa – ein solches Erfahrungslernen, ein Innovieren durch Ausprobieren, verpönt. Ausprobieren wird dem kindlichen Lernen zugeschrieben. Kinder können und dürfen ausprobieren und scheitern, aber Erwachsene sollen planen und nachdenken, das Scheitern auf jeden Fall vermeiden. Die gesellschaftliche Norm besagt, dass der wirklich Kluge nicht scheitert. Oder anders gesagt, wer scheitert, ist zu «blöd» und der gesellschaftliche Status des Gescheiterten, der Expertenstatus, wird infrage gestellt.

Was Scheitern mit Innovationen zu tun hat
Wie kann in dem hier beschriebenen Kontext überhaupt Innovation «passieren» ? Wie hängen Innovation und Scheitern zusammen? Ist das eine ohne das andere zu haben? Was zeichnet erfolgreiche Innovatoren aus? Von erfolgreichen Menschen wird einem gesagt, dass man das eigene Scheitern nicht schamhaft verschweigen, sondern als Zwischenschritt zum Erfolg verstehen soll. In sogenannten «Fuck-up-Nights» erzählen sich Unternehmer gegenseitig die Episoden ihres Scheiterns. Auf grosse Resonanz stiess die Veröffentlichung der Lebensbilanz des Princeton-Professors Johannes Haushofer, der in einem «CV des Scheiterns» all seine abgelehnten Stipendien und fehlgeschlagenen Bewerbungen aufführte. Scheitern, so seine Botschaft, gehört zu einem erfolgreichen Leben. Doch in Wahrheit gibt die Gesellschaft den Gescheiterten nach wie vor wenig zweite Chancen. Scheitern bedeutet, man hat selber Schuld. Scheitern wird dem Individuum und nur diesem angelastet. Dabei sind die Gründe für das Scheitern vielfältig und nur allzu oft liegt es schlicht an den Umweltbedingungen, die einen Erfolg zum gegebenen Zeitpunkt schlicht unmöglich machen.

Letztlich geht es beim Scheitern und dem richtigen Umgang mit dem Scheitern um etwas anderes. Scheitern ist weder eine freudvolle Erfahrung, die man bereitwillig und im schlimmsten Fall zur Belustigung des Publikums in «Fuck-up-Nights» zum Besten gibt, noch eine notwendige Bedingung für den Erfolg. Scheitern kann und soll als eine mögliche und kraftvolle Quelle des Lernens gesehen werden. Als ein möglicher Pfad für Innovation und Fortschritt. Nicht umsonst sagen die Amerikaner, dass Scheitern kein Problem ist, solange man nicht am gleichen Grund ein weiteres Mal scheitert. Es gilt also gerade nicht, den Misserfolg als Vorstufe des Erfolgs zu glorifizieren oder als Persönlichkeitsdefizit des Gescheiterten zu dämonisieren. Vielmehr geht es – wie R. Reinhard schreibt – darum zu erkennen, dass «die Kunst des Scheiterns […] nicht in seiner antizipatorischen Überwindung, sondern in der Fähigkeit, im Ungewissen, Unfassbaren zu verbleiben» liegt. Den Entrepreneur und Innovator muss eine gewisse Naivität und die Freude am Ungewissen treiben. Es geht also darum, den pathologischen Umgang mit dem Scheitern zu hinterfragen, und nicht darum, das Scheitern entweder überhöhen oder abschaffen zu wollen. Die anzustrebende breite gesellschaftliche Akzeptanz des individuellen Scheiterns eröffnet die Chance zu lernen und in Folge Erfolg zu haben. Oder wie Reinhard weiter ausführt: «Bruchlandung als Managementprinzip».

Plädoyer für einen Kulturwandel
Warum tun wir uns in der Schweiz so schwer mit diesem Anspruch? Sicherlich ist dem deutschsprachigen Europa eine ausgesprochene Abneigung gegenüber Ungewissheit zu eigen. Gute Manager sind in der Lage, beispielweise durch ein geeignetes Risk Management, allgegenwärtige Ungewissheit zu vermeiden. Wir überlassen die Dinge nicht gerne dem Zufall oder dem Bauchgefühl, wir wollen durch einen klar strukturierten Prozess Innovation herbeiführen. Dies funktioniert ganz gut im Rahmen von inkrementellen Innovationen, aber die sogenannten «Quantensprünge der Innovation» lassen sich so schwerlich erzielen. Dabei mutet es geradezu klassisch an, dass wir bei grossen Innovationen von «Quantensprüngen» sprechen, dabei sind Quantensprünge doch physikalisch betrachtet die kleinstmöglichen «Sprünge» überhaupt. Letztlich geht es also darum, den Wandel bezüglich der Einstellung zum Scheitern als kulturellen und nicht nur individuellen Wandel zu verstehen.

Menschen scheitern bei grossen und kleinen Unternehmungen, Manager und Führungskräfte auch. Das Wissen um die Notwendigkeit für einen anderen Umgang mit dem Scheitern ist tendenziell vorhanden. Auch die Medien greifen periodisch dieses Thema auf. Das deutsche «Manager Magazin» etwa titelt  «Schöner scheitern» und in der Alltagsrealität der Globalisierung, in dieser zunehmend mit Unsicherheit behafteten und ambivalenten Welt, gehören «lineare Lebensläufe» mehr und mehr der Vergangenheit an. Karrieren werden nicht geplant, sondern entwickeln sich, wenn Menschen bereit sind, Chancen zu nutzen. Scheitern muss in einem solchen Umweltkontext mehr als kollektive Lernaufgabe denn als soziales Stigma verstanden werden. Wenn der positive Umgang mit Fehlern gelingt und sich eine Gesellschaft entwickelt, die zweite oder auch dritte Chancen offeriert, kann das Scheitern zur Vorstufe des gesellschaftlichen Erfolgs werden. Doch verinnerlicht ist dies sicherlich noch nicht und die kulturellen Muster hinken der Realität hinterher. Klar ist auch, ein Kulturwandel braucht Zeit und es gilt diesen auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen zu initialisieren. In gewisser Hinsicht können wir also noch nicht anders, als uns unsere Kultur vorgibt. Wie ausgeführt begünstigt die Kultur im deutschsprachigen Raum die geplante Innovation der kleinen Schritte. Unternehmen in der Schweiz sind sehr erfolgreich auf diesem Pfad. Diese Stärke gilt es, trotz oder wegen des Plädoyers für einen Kulturwandel, zu erhalten. Aber weitreichende Innovation, der Quantensprung, braucht eine Kultur der zweiten Chance. Damit wir lernen, wie wir aus Fehlern noch mehr lernen können.

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