Forschung & Entwicklung

Kolumne: Blick aus der Wissenschaft

Das bedingungslose Grundeinkommen

Ist die Zeit schon reif für ein bedingungsloses Grundeinkommen? Im Vorfeld der Abstimmung sollen zur Beantwortung dieser Frage an dieser Stelle die verschiedenen Aspekte zusammengetragen werden.
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Vorweg sei darauf verwiesen, dass in Teilen bereits ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE), meist zeitlich befristet, existiert. So können zum Beispiel das Kindergeld, also ein Grundeinkommen für Kinder, ein Sabbatical, ja sogar ein Teil einer laufenden BVG-Rente als BGE verstanden werden. Letzteres scheint zunächst widersprüchlich, sind BVG-Renten doch kapitalgedeckt. Im Rahmen der Rentenberechnung wird auf das vorhandene Alterskapital ein kalkulatorischer Zins (nicht zu verwechseln mit den Umwandlungssätzen) angewendet, der die Höhe der mit diesem Kapital zu erzielenden Rendite prognostiziert. Im gegenwärtigen Null-Zins-Umfeld werden aber kaum die in der Vergangenheit üblicherweise zugrunde gelegten vier Prozent erreicht. Ein zu hoch kalkulierter Zins wirkt, ebenso wie eine unerwartete Verlängerung der durchschnittlichen Lebenserwartung, wie eine bedingungslose Aufstockung einmal gesprochener Renten.

Das Grundkonzept ist leicht verständlich: Ein BGE erhält jeder Bürger unabhängig von seiner Lebenssituation und ohne Prüfung der Bedürftigkeit. Dafür fallen bestehende Sozialleistungen, die auf spezifische Bedürftigkeiten abzielen, weg. Auf diese Weise steht jedem Grundein­kommensbezieher genug Geld für seine Grundbedürfnisse zur Verfügung. Ein existenzsicherndes Grundeinkommen ist kein neuer Gedanke, sondern existiert in Form der Sozialhilfe schon seit Jahrzehnten, doch wird dies nicht bedingungslos, sondern mit Bedürftigkeits­prüfung, Kontrollen und gegebenenfalls Sanktionen ausgerichtet. Kritiker des BGE befürchten, dass zu viele Bürger das Arbeiten einstellen und es sich mit dem Grundeinkommen bequem machen könnten. Befürworter hingegen gehen davon aus, dass die notwendige Arbeit, und sogar über das Notwendige hinaus, freiwillig geleistet würde. Wie viel Arbeit die Bürger in einem System mit BGE anbieten, hängt wesentlich von der Natur des Menschen ab.

Angebot an Arbeit und Nachfrage nach Arbeit

Je nach unterstellter Mentalität des Menschen wird ein bedingungsloses Grundeinkommen das Angebot an Arbeit beeinflussen. Geht man davon aus, dass Arbeit ein für den Menschen sinnstiftendes Element darstellt, werden die Bürger auch mit einem BGE arbeiten wollen. Unterstellt man – wie seit Beginn der industriellen Revolution nicht unüblich –, dass Menschen tendenziell arbeitsscheu sind, dann besteht die Gefahr, dass weniger beziehungsweise zu wenig erarbeitet wird. Ökonomisch lässt sich argumentieren, dass für einen arbeitslosen BGE-Bezieher mit einem eher «bescheidenen» BGE, das nicht wie im bestehenden System mit Sozialleistungen verrechnet wird, arbeiten finanziell attraktiver wird.

Unsicherheit besteht aber nicht nur auf der Angebots-, sondern auch auf der Nachfrageseite nach Arbeit. Behalten die Auguren Recht und die an­stehende Di­gitalisierung der Wirtschaft erzeugt die prognostizierten Produktivitätszuwächse, dann wird dieser Fortschritt das Volkseinkommen deutlich steigen lassen, ohne dass hierzu auch nur auf dem bestehenden Niveau Arbeit von den Unternehmen nachgefragt würde. Das heisst, die «Werte», die in einer digitalen Wirtschaft erschaffen werden, werden nicht mehr primär von Menschen, sondern von Robotern, von künstlicher Intelligenz erstellt, aber von diesen würden nur wenige profitieren. Eine durch die Digitalisierung wahrscheinlich induzierte sich laufend erhöhende Arbeitslosigkeit auf der einen und extremer Reichtum à la «Mark Zuckerberg» auf der anderen Seite wird eine grundlegende Neuausrichtung der Sozialsysteme notwendig machen. Kurz gesagt, weil intelligente Maschinen und Computer vermehrt sowohl qualifizierte als auch unqualifizierte Arbeiter und Angestellte ersetzen, ist eine Neuverteilung der Werte aus dem Produktivitätszuwachs – abgekoppelt von der Produktivität des Einzelnen – wohl angezeigt.

Bedingungslose Renditeeinkommen

Sind dies revolutionäre Gedanken? Eigentlich nicht, denn Besitzer von Kapital und Vermögen verfügen in gewisser Weise über ein von ihrer gegenwärtigen Arbeit weitgehend unabhängiges BGE zum Beispiel durch Zins-, Miet- und andere Renditeeinnahmen auf bestehende Vermögen. Das soll nicht bedeuten, dass Eigentümer von Werten nicht mehr über ihre Renditen verfügen dürften, aber es soll darauf hingewiesen werden, dass die gängige Argumentation, dass nur «Geld» erhält, wer arbeitet, auch im bestehenden Wirtschaftsmodell nicht stringent vertreten ist. Darüber hinaus existieren erarbeitete Werte in jeder Gesellschaft, auf die die Bürger als Gesamtheit (z. B. Infrastruktur, Organisationen, Wissen) zugreifen können. Dabei handelt es sich zum grossen Teil um Werte, die den Arbeitenden erst zu einer hohen Produktivität verhelfen.

Es kann also durchaus argumentiert werden, dass die Rendite, die ein Einzelner auch auf Basis gemeinschaftlicher Werte erzielt, zumindest zu einem gewissen Teil anders beziehungsweise gleichmässiger verteilt werden könnte. Man kann dies als bedingungsloses Renditeeinkommen auf bestehende Gemeinschaftswerte, auf bestehendes Volksvermögen verstehen. Ein BGE kann also auch als Verteilung einer Rendite, die nicht auf die Produktivität des Einzelnen abzielt, betrachtet werden; quasi eine Rendite auf die gesamtge­sellschaftlich zur Verfügung stehende «Grundproduktivität». Wächst diese Grundproduktivität, etwa durch die Digitalisierung der Wirtschaft, lies­se sich der resultierende Renditeanstieg in Form eines BGE verteilen.

Finanzierung eines bedingungslosen Grundeinkommens

Befürworter wie Kritiker sind der Meinung, dass ein BGE einhergeht mit einem Abbau der Sozial­bürokratie. Statt ein Heer von Staatsbediensteten entscheiden, prüfen und kontrollieren zu lassen, wer wie viel Anspruch auf Sozialleistungen hat, würde mit einem BGE eine unbürokratische und effiziente Sozialpauschale realisiert. Das durch den Bürokratieabbau eingesparte Geld würde dem Bürger als Teil des BGE zur Verfügung stehen können.

Realistisch betrachtet würde wohl trotz Bürokratieabbau und Produktivitätssteigerung ein Rest­finanzierungsbedarf entstehen. Eine hohe Steuer auf das Lohn­einkommen zur Finanzierung des BGE würde ökonomisch wenig Sinn machen. Ein hohes BGE und robuste Steuersätze auf Löhne verringern den Anreiz, zu ar­beiten, ein niedriges BGE und niedrige Steuern wirken umgekehrt. Auch wenn es einfach klingt, je höher der Anreiz, zu arbeiten – ein entsprechendes Arbeitsangebot vorausgesetzt –, umso leichter ist ein BGE zu finanzieren. Eine substanzielle Flat-Tax auf alle Einkünfte ohne Ausnahmen, ergänzt um eine moderate Erhöhung der Mehrwertsteuer und eine progressive Luxus­steuer, könnte als zusätzliche Finanzierungsquelle diskutiert werden. Zudem gehören Subventionen aller Couleur auf den Prüfstand, da die Grundbedürfnisse der Bürger per Definition abgedeckt sind.

Die Zeit ist noch nicht reif

Ein BGE kann funktionieren, doch muss die Höhe ökonomisch sinnvoll festgelegt und um eine mutige Steuerreform ergänzt werden. Ein nachhaltig finanzierbares BGE wäre wohl niedriger, als es dessen Anhänger erhoffen. Erst die zu erwartenden Produktivitätssteigerungen der Digitalisierung der Wirtschaft, wenn sie denn eintreten, lassen Spielraum nach oben zu. Zweifelsfrei stellt die Ein­führung eines BGE politisch wie ökonomisch ein riskantes Unterfangen dar. Es bräuchte zudem politisches Geschick und Einigkeit für die flankierende Steuerreform. Vielleicht ist die Zeit für ein BGE nicht reif. Den gesellschaftlichen Diskurs gilt es allerdings besser heute als morgen zu führen. Zumindest was die skizzierte Steuerreform angeht.

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