Forschung & Entwicklung

Kolumne: Blick aus der Wissenschaft

Aufstieg Asiens – der Abstieg Amerikas?

Während Asien mit hohen Wachstumsraten seine wirtschaftliche Potenz ausbaut, häuft Amerika seinen Schuldenberg an. Gründe, warum die USA trotzdem nicht abzuschreiben sind und wie die Schweiz sich auf eine neue, multipolare Welt einrichten kann.
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In Asien spielt die Musik, daran bestehen keine Zweifel. Wachstumsraten um die sieben Prozent, die Gründung einer asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank (AIIB) nach Vorbild des amerikanisch dominierten Währungsfonds IWF und die fortschreitende Integration der ASEAN-Länder sind Beispiele für die wirtschaftliche Potenz und die globalen Ansprüche des asiatischen Kontinents. Auch Amerika kann sich dem Trend nicht verschliessen, und während über TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) teils diskutiert, teils lamentiert wird, ist das Abkommen über die Trans-Pacific Partnership (TTP) mit den Anrainerstaaten des Pazifik bereits ausgehandelt.

Amerika ist scheinbar nur noch ein Schatten seiner selbst: Die Reallöhne stagnieren seit 1970, die Kosten für Bildung und Gesundheit explodieren, die Einkommensverteilung ist fast so «ungerecht» wie die Mexikos und seit dem Jahr 2007 haben sich die Schulden der Supermacht auf mehr als 19 Billionen Dollar verdoppelt. Da das Land seit Jahrzehnten mehr Waren importiert als exportiert, also eine negative Handelsbilanz aufweist, wird sich an den wachsenden Schulden auf kurze Frist auch wenig ändern. Warum sollten wir, also die Schweiz und die anderen Wirtschaftsnationen, uns noch für die USA interessieren, wenn sich die Amerikaner selber nach Asien ausrichten?

Wiedergeburt Amerikas

Es wäre ein Fehler, die amerikanischen Ambitionen in Asien als weiteren Beweis der Schwäche auszulegen und in Folge die USA abschreiben zu wollen. Amerika ist immer für eine Überraschung – eine Wiedergeburt – gut. Die USA haben schon oft bewiesen, dass sie in der Lage sind, sich im wahrsten Sinne «neu zu erfinden». Der Traum, den Amerika dem Individuum bietet, die Möglichkeit des Einzelnen, die ökonomische und soziale Leiter emporzuklettern, ist nach wie vor intakt. Die Vereinigten Staaten ziehen mit ihren Elitehochschulen immer noch die besten Talente aus allen Nationen an und wer in die USA kommt, weiss, dass er arbeiten muss, um ganz nach oben zu kommen. Für das Vorankommen des Fleissigen wird, im Gegensatz zu den asiatischen Ländern, kein zentraler Planer, kein weiser und wohlwollender Stadt- und Staatenlenker nach zentralkommunistisch-chinesischem Vorbild verantwortlich gemacht. Amerikas Stärke war und ist der Veränderungswille sowie die Veränderungsfähigkeit seiner Basis: Die Macher kommen aus der Mitte der Bevölkerung.

Wie passt das mit dem vielbesagten «Verfall» der amerikanischen Infrastruktur zusammen? Die USA leben nicht die Idee der kontinuierlichen Verbesserung. Kaizen, bei uns besser als kontinuierlicher Verbesserungsprozess bekannt, ist für sie nicht Lebens- und Arbeitsphilosophie wie in Japan, sondern schlicht Mittel zum Zweck der Qualitätssteigerung. Es liegt nicht in der amerikanischen DNA, alles für die Ewigkeit erschaffen zu wollen. Vielmehr ist Schumpeters «schöpferische Zerstörung», also die Vorstellung, dass jede ökonomische Entwicklung auf dem Prozess der schöpferischen beziehungsweise kreativen Zerstörung aufbaut, Teil der US-amerikanischen Identität. Wenn die Situation nach (nationaler) Erneuerung ruft, Gewohntes nicht mehr weiterführt, dann kommt etwas Neues, Anderes, Besseres und oft auch etwas Überraschendes zutage und Amerika läuft zu Höchstform auf.

Mit Google, Amazon, Apple und Facebook finden sich ausschliesslich amerikanische Unternehmen in den Spitzenpositionen der Digitalisierung der Wirtschaft wieder. Es sind diese und andere Firmen des Silicon Valley, die das Management von Big Data – also das Sammeln, Strukturieren, Bewerten und Verdichten von Information – vorantreiben und durch die Verbindung von intelligenter Software und Hardware die digitalen Standards der Zukunft erschaffen.

Amerika reindustrialisiert sich

Die Eliten in den USA haben durch die Lehman-Pleite verstanden, dass eine reine, auf Daten und Dienstleistung ausgerichtete Gesellschaft in einer Finanzkrise existenzbedrohend ist. Sie haben erkannt, dass das produzierende Gewerbe die strukturelle Arbeitslosigkeit reduziert, und sind – auch aus sozialen Gründen – nicht mehr gewillt, die Industrie Richtung Asien ziehen zu lassen. Mit dem Programm «Select USA» treten die USA an, dem verarbeitenden Gewerbe ein neues Zuhause zu offerieren. Dazu bieten die USA niedrige Energiepreise und ein grosses Reservoir an Arbeitskräften zu konkurrenzfähigen Lohnkosten an. Zudem hat sich der Bankensektor weitestgehend von faulen Krediten befreit und kann sich seiner eigentlichen Funktion – der Finanzierung der Wirtschaft – wieder zuwenden.

Die amerikanischen Bundesstaaten liefern sich einen «Beauty Contest» und fördern Industrieansiedlungen nach Kräften. So sollen auch weniger gebildeten Schichten Arbeit und Arbeitsplätze geboten werden, um diese am amerikanischen Traum teilhaben zu lassen. Die Digitalisierung der Wirtschaft vorantreiben und den Industrialisierungsgrad der Wirtschaft stärken, so fahren die USA eine zweigleisige, ausbalancierte Wirtschaftspolitik. Last, but not least wandeln sich die USA durch den Freihandel mit dem asiatisch-pazifischen Raum einerseits und das angestrebte transatlantische Freihandelsabkommen andererseits zu einer Plattform, die den Unternehmen neben den mehr als 320 Millionen eigenen Konsumenten auch offene Märkte in allen Richtungen garantiert.

Eine neue bipolare Weltordnung

Doch auch die USA werden sich darauf einstellen müssen, dass die Tage der Alleinherrschaft als einzige (ökonomische) Supermacht abgelaufen sind. Und ja, die Musik spielt (auch) in Asien, vornehmlich in China und den ASEAN-Ländern. Die Schweiz ist gut beraten, sich auf die neue, multipolare Welt einzurichten. Wir müssen uns in Erinnerung rufen, die Schweiz erzielt ihren Wohlstand nicht mit Bodenschätzen oder Naturressourcen. Was die Schweiz auszeichnet, ist ihre überdurchschnittlich gut gebildete und ausgebildete Bevölkerung. In Folge der Globalisierung sind viele der Arbeitsplätze, die mit geringer Bildung zu bewältigen sind, in Niedriglohnländer ausgelagert worden. Den Amerikanern nachzueifern und zu versuchen, diese Arbeitsplätze zurückzuholen, ist eine fast unmögliche Aufgabe. Die Schweiz ist auch nicht deindustrialisiert, das haben wir unter anderem unseren starken KMU zu verdanken. Doch vielleicht müssen wir unsere Wertschätzung für die Industrie überdenken und Rahmenbedingungen schaffen, die ihr Überleben nachhaltig sicherstellen.

Die Realität sieht leider anders aus und hunderte Millionen an Subventionen fliessen nicht auf Basis ökonomischer Sinnhaftigkeit, sondern nach Massgabe politischer Machtpositionen. Als besonders fragwürdig erscheint es, wenn das gesellschaftliche Bildungsniveau und das staatliche Bildungsangebot durch Res­sourcenentzug zu sinken drohen. Ökonomisch auf den Punkt gebracht: Ohne Schulen keine Bildung, keine Jobs und ohne Jobs keine Steuern, keine adäquaten staatlichen Bildungsangebote und irgendwann dann auch keine Subventionen. Gegenwärtig ist unklar, wo und wie sich Europa und die Schweiz in die neue Weltordnung mit oder ohne TTIP einsortieren. Hoffentlich gelingt es, um Schumpeter nochmals zu zitieren, uns «schöpferisch» einzubringen. Eine unternehmerische Schweiz, die sich wie die USA auf ihre Stärken besinnt, sollte dazu in der Lage sein.

Porträt