Forschung & Entwicklung

Unternehmensorganisation

Agile Strukturen einführen, smarter arbeiten

In der heutigen Welt geschehen Veränderungen immer rascher und häufiger. Unternehmen sind gefordert, sich ständig anzupassen. Es reicht nicht mehr, sich auf Kundenbedürfnisse auszurichten. Die Ansprüche der Arbeitnehmenden müssen genauso berücksichtigt werden. Agile Organisationsstrukturen können hier Lösungen bieten.
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Unternehmen sind heute steigender Komplexität durch Globalisierung, Digita­lisierung und zunehmender Konkurrenz ausgesetzt. Zusätzlich spitzt sich der Fach­­kräftemangel zu. Internationale Trends verbreiten sich in Windeseile und be­einflussen Kundenbedürfnisse. Die «vierte industrielle Revolution» vernetzt dank intelligenter Technologien die Welt stärker und optimiert entlang der gesamten Wertschöpfungskette Aufgaben der Produktionsplanung und der Materialbeschaffung. Weite Teile der Steuerung und Koordination von Maschinen, Prozessen und globalen Lieferverflechtungen werden computergestützt und automatisiert durchgeführt. Routinearbeiten werden durch automatisierte Systeme ersetzt und die nicht automatisierbaren, anspruchsvolleren Jobs nehmen zu. Die Industrie 4.0 schafft somit neue Berufsbilder. 

Neue Herausforderungen

In Zukunft wird immer mehr technisches sowie interkulturelles Verständnis verlangt, die Nachfrage nach höher quali­fizierten Berufen steigt. Um ein Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum sicherzustellen, braucht es aber nicht nur technisches Know-how, sondern auch Schlüsselqualifikationen wie Empathie, Kreativität und nichtlineares Denken. Dazu müssen die richtigen Fachkräfte rekrutiert und gehalten werden, Führungspersonen und Unternehmensstrukturen müssen fähig sein, rechtzeitig und flexibel auf die Veränderungen zu reagieren. Traditionelle Unternehmensstrukturen und Arbeitsmodelle genügen diesen Ansprüchen immer weniger. 

Junge Arbeitnehmende sind in Zeiten der Digitalisierung aufgewachsen und wollen diese auch nutzen. Sie wünschen keine fixen Arbeitsplätze, sondern das Vertrauen der Unternehmung, dass sie auch dezentral ihre Arbeit erledigen. Dies stellt die Führungskräfte vor die Herausforderung, dass ihre Mitarbeitenden nicht mehr jederzeit zugänglich und kontrollierbar sind. Besonders die technisch höher qualifizierten Arbeitnehmenden fordern zunehmend die Kompetenz ein, selbstverantwortlich, dezentral und in Teilzeit arbeiten zu können.

Arbeitnehmende ihrerseits sind immer stärker dem Druck ausgesetzt, sich ständig weiterentwickeln zu müssen, um sich den sich ständig wechselnden Begebenheiten anzupassen und das nötige Know-how zu erwerben. Ideal sind somit Arbeitsmodelle, die die Weiterentwicklung der individuellen Kompetenzen und das Entfalten des Potenzials des Einzelnen in den Mittelpunkt stellen. 

Vom Chef zum Coach

In traditionellen Unternehmungen steht immer mehr ein Umdenken von einer Präsenz- zu einer Zielkultur an. Um den Bedürfnissen der qualifizierten, jungen Arbeitnehmenden nach flexiblen, also physisch ungebundenen Arbeitsorten zu begegnen, müssen neue Arbeitsmodelle eingeführt werden. Langwierige Entscheidungsprozesse allerdings verhindern, möglichst schnell auf externe Veränderungen eingehen und reagieren zu können. Dies bedingt, dass Entscheidungskompetenzen delegiert werden müssen. 

Für Führungspersonen bedeutet dies, sich «weg vom traditionellen Chef, hin zum Coach» zu entwickeln. Dem Coach wiederum kommen die immer wichtiger werdenden Aufgaben zu, die individuellen Kompetenzen der Mitarbeitenden zu erkennen, zu fördern und somit das Entfalten des Potenzials des einzelnen Mitarbeitenden hinsichtlich der sich schnell ändernden Umwelt zu ermöglichen. Führungskräfte müssen also nicht nur eine kooperative Grundhaltung mitbringen und situativ führen können, sondern auch Mitarbeitende motivieren. Die Studie «The Future of Productivity – OECD» zeigt, dass zur Leistungssteigerung nicht härter, sondern vor allem «smarter» ge­arbeitet werden muss.

Doch was heisst «smartes Arbeiten»? Diverse Schweizer Arbeitgeber haben als Antwort die Work-Smart-Initiative («Work Smart verändert die Arbeitswelt», 2015) lanciert sowie auf der Website konkrete Tipps und Praxisbeispiele publiziert. Die «Work Smart Charta» wurde bereits von 211 Schweizer Unternehmen unterschrieben. Die beteiligten Unternehmer verpflichten sich, motivierende Rahmenbedingungen für Mitarbeiter zu schaffen, den Arbeitsmarkt besser zu erschliessen sowie Ressourcen und Infrastrukturen «smarter» zu nutzen. Im Vordergrund steht das Ziel, flexibler und agiler zu werden.

Flexibler werden

Doch was bedeutet es für Unternehmen, agiler zu werden? Unter Agilität versteht man das flexible und adaptive Verhalten einer Person oder Organisation. Bezogen auf ein Unternehmen kann Agilität das Verhalten von Personen, die Zusammenarbeit in Teams, die Organisationsstrukturen sowie das methodischen Vorgehen bei Projekten ansprechen. Den agilen Organisationen gemein ist ihre Anpassungsfähigkeit, Flexibilität, Beweglichkeit sowie proaktives Handeln. Eine Umsetzung ist mit agilen Teams möglich, deren Zusammensetzung nicht fix ist und je nach Problemstellung neu formiert wird. Die Führungsperson hat nicht mehr die Rolle des Chefs, sondern die eines Teamplayers. Entscheidungs- und Verantwortungskompetenzen liegen bei den Mitarbeitenden und werden auch wahrgenommen. Agile Teams werden zum Beispiel bei der Steiner AG in Luzern, beim Migros-Genossenschafts-Bund sowie bei der V-Zug eingesetzt. Noch einen Schritt weiter geht die Firma Ajila in Sursee, welche die ganze Organisation nach den Prinzipien von «Holacracy» umstrukturierte. 

Traditionelle Management-Hierarchien werden durch sich selbst organisierende Teams oder «Kreise» ersetzt. Kreise werden gegründet, wenn etwas Neues erarbeitet werden muss, und von einer Person koordiniert, die auch die Kommunikation mit den anderen Kreisen sicherstellt. Die Kreise werden von einer Software abgebildet und es ist ersichtlich, welche Kreise sich neu formieren oder auflösen und welche Rollen offen sind. Die Mitarbeitenden können sich für verschiedene Rollen bewerben und in verschiedenen Kreisen beteiligt sein. Dies garantiert eine kurze Reaktionszeit auf Veränderungen und das Zusammenspiel nötiger Kompetenzen. Die «Kreise» haben Entscheidungskompetenzen.

Firmen, die agile Strukturen einführten, stellten eine stets steigende Zufriedenheit der Mitarbeitenden fest. Die schnelle Reak­tionsfähigkeit, der souveräne Umgang mit Komplexität und ein hohes Mass an Transparenz und Selbstorganisation führten bereits nach kurzer Zeit zu besseren Arbeitsweisen und Ergebnissen. Auf der anderen Seite hat sich aber auch gezeigt, dass Führungspersonen bei der Umstellung aus ihrer Komfortzone kommen und positive Unterstützung brauchen. Hier kann erfahrungsgemäss ein externer Coach bei der Umstellung hilfreich sein.

In kleinen Schritten anpassen

Ursprünglich wurden die agilen Prinzipien in der Software-Entwicklung, basierend auf den Lean-Prinzipien der Pro­duktion, entwickelt. Die Umsetzung der agilen Prinzipien funktioniert aber in jedem Umfeld, die konkrete Umsetzung jedoch kann variieren. Immer mehr Organisationsberatungen bieten Unterstützung bei der Umsetzung agiler Prinzipien an. Den Anfang macht meist eine kleine Gruppe von motivierten, gut vernetzten und kritisch denkenden Mitarbeitenden, danach wird typischerweise in kleinen Schritten ausgebaut. 

Bis zur vollständigen Umstrukturierung eines ganzen Unternehmens vergehen circa eineinhalb bis zwei Jahre. Es können aber auch zwei Organisationsstrukturen (agile und traditionelle) parallel bestehen bleiben. Dies nennt sich «Ambidexterity» («Beidhändigkeit»). Unternehmensberater warnen aber, dass in diesem Fall ein Spannungsfeld entstehen kann. Besonders, wenn sich zwei Veränderungs­geschwindigkeiten manifestieren und somit ein Wettbewerbsvorteil auf der Strecke gelassen wird.

In einigen Organisationen, wie beispielsweise IT-Organisationen, oder Bereichen, die projektbasiert arbeiten, ist die Art der agilen Struktur recht schnell gefunden. Am sinnvollsten ist oft eine Umsetzung agiler Frameworks, wie zum Beispiel Scrum, Kanban oder eine Kombination daraus. Organisationen mit anderen Arbeitsmustern brauchen oft individuelle Lösungen. Service-Organisationen können auch gezielt mit einzelnen agilen Prinzipien oder Techniken starten, die in Form von Experimenten umgesetzt werden. Um herauszufinden, was Agilität im unternehmensspezifischen Kontext bedeutet und mit welchen Schritten gestartet werden kann, bietet sich ein initialer Agilitäts-Workshop an, bei dem die ersten Schritte der agilen Transformation bestimmt werden.

Mit Experimenten starten

Die agile Transition bietet die Möglichkeit, Unternehmen in einem iterativen Prozess Schritt für Schritt zu verändern und innerhalb dieses Prozesses auf Veränderungen zu reagieren. Komplexe Vorhaben lassen sich schwer in einem klaren Ziel fassen. Stattdessen steht ihnen ein Zielraum voran, der die zukünftige Organisation umschreibt. Den agilen Prinzipien «frühe und regelmässige Lieferung» und «inspizieren und anpassen» folgend, starten agile Transformationen nicht grossflächig. Sie starten mit Piloten und Experimenten. Dies impliziert bereits, dass die ersten Schritte auch scheitern können oder sich nur teilweise als die richtigen Schritte erweisen. Da es leichter fällt, Sachen auszuprobieren, wenn die Ergebnisse nicht für die Ewigkeit halten müssen, kann man sich leichter und schneller auf Experimente einlassen. Dies macht den Schritt in die Transformation leichter und die ersten Erfolge stellen sich viel schneller ein.

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