Forschung & Entwicklung

Blick aus der Wissenschaft

KI trifft Verhandlung

Verhandlungen sind zentraler Teil einer Geschäftstätigkeit. KI kann Führungskräfte dabei als strategischer Partner unterstützen. Vielleicht geht es in Zukunft gar nicht mehr ohne.
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Für Schweizer KMU ist die Fähigkeit zu effektiven Verhandlungen entscheidend, da sie oft am Anfang geschäftlicher Beziehungen stehen. Dabei treffen unterschiedliche Interessen aufeinander, die idealerweise in eine gemeinsame Lösung überführt werden. Laut Schätzungen verbringen Führungskräfte einen erheblichen Teil ihrer Arbeitszeit mit formellen oder informellen Verhandlungen.

Verhandlungen? Vorbereiten!

Man könnte meinen, Verhandeln sei ein Talent, das man hat oder eben nicht. Doch die Forschung zeigt unmissverständlich: Der Erfolg einer Verhandlung beginnt bereits bei der Vorbereitung und entscheidet sich nicht – wie oft angenommen – erst im Verhandlungs­gespräch. Zentral in der Vorbereitung ist, die eigenen Interessen präzise zu ­definieren, also die echten Bedürfnisse, Wünsche und Anliegen hinter den vordergründigen Forderungen. Häufig fixie­ren sich Verhandelnde auf starre Positionen, anstatt die zugrunde liegenden Interessen zu vertreten. Dies kann zu suboptimalen Verträgen führen. Ein tragfähiges Abkommen maximiert den beidseitigen Nutzen. Das gelingt nur, wenn man offen für alternative Lösungswege bleibt, die die Interessen beider Seiten berücksichtigen.

Wichtig ist auch, die Konsequenzen einer Verhandlung zu kennen, falls keine Einigung erzielt werden sollte. Man spricht im Jargon vom «BATNA» (Best Alternative To a Negotiated Agreement). Zur Vorbereitung gehört weiter die präzise Definition aller relevanten Verhandlungspunkte oder «Issues» sowie das Festlegen von klaren Zielen («Targets») und minimal akzeptablen Konditionen («Walkaways»). Ein integrativer Verhandlungsansatz, der auf Win-win-Lösungen und die Maximierung des gemeinsamen Nutzens abzielt, erfordert ein tiefes Verständnis der Gegenseite. Wer die Interessen, das BATNA und die Prioritäten des Verhandlungspartners ebenfalls antizipieren kann, hat in der Verhandlung Vorteile.

KI als Sparringspartner

An dieser Stelle kommt die künstliche Intelligenz (KI) ins Spiel. Nicht als Ersatz für die erfahrene Verhandlerin, sondern als leistungsstarker Sparringspartner und «Backstage-Coach». KI-Tools und Sprachmodelle leisten insbesondere in der Vorbereitungsphase wertvolle Unterstützung durch datenbasierte Analysen und strategische Empfehlungen. Sie können Dokumente durchforsten und auswerten, Verhandlungsvorlagen erstellen und Zusammenfassungen auf Expertenniveau generieren, wie etwa Staron et al. (2024) gezeigt haben. KI ermöglicht eine umfassende Analyse von Marktdaten und Finanzberichten aus verschiedensten Quellen in Sekunden. Spezialisierte Tools prüfen Vertragsentwürfe automatisch, identifizieren risikobehaftete Klauseln und unterbreiten Verbesserungsvorschläge.

ChatGPT bietet mit dem spezialisierten GPT «Negotiator» ein Modell an, das gezielt auf Verhandlungssituationen ausgerichtet ist. Auch Googles «Notebook LM» kann nützlich sein: Dort lassen sich Unterlagen zur Verhandlungssituation und branchenspezifische Hintergründe hinterlegen, um anschliessend direkt auf diesen Grundlagen im Chat-Feld zu arbeiten. Studien wie die von Saparamadu et al. (2025) zeigen, dass die Versorgung von KI mit Branchenstandards und vergleichbaren, spezifischen Inhalten für ihre Nutzung in Verhandlungen entscheidend ist. Mit entsprechender Vorbereitung lassen sich Verhandlungsszenarien simulieren, indem die KI die Rolle des Gegenübers einnimmt. 

So vorbereitete Verhandlerinnen und Verhandler können mit einer bislang unerreichten Informationsdichte und strategischer Klarheit in Verhandlungen eintreten. Es ist, als hätte man ein Team von Datenanalysten und Strategieberatern, das rund um die Uhr zur unmittelbaren Verfügung steht. Ein Luxus, der bislang Grosskonzernen vorbehalten war. Dabei muss allerdings beachtet werden: Verhandlungsspielräume sind ein streng zu hütendes Geheimnis. Entsteht durch unsachgemässen Einsatz von KI ein Datenleck, durch das sensible Informationen wie Zielwerte oder Mindestkonditionen offengelegt würden, hätte dies potenziell gravierende Folgen. 

Unterstützung während der Verhandlung

Die Unterstützung durch KI endet nicht mit der Vorbereitung. Während der eigentlichen Verhandlung bleibt der Mensch der zentrale Akteur, jedoch kann die KI im Hintergrund als «zweites Augenpaar» agieren. In Zukunft könnten Echtzeit-Assistenten, so die Vision einiger Forschender, Gespräche mithören, Notizen und Analysen liefern und den Verhandelnden sogar diskret Taktik-Empfehlungen zuflüstern, beispielsweise wenn die Atmosphäre angespannt wird oder wichtige Fragen vergessen wurden. In mehrsprachigen Verhandlungen könnten Übersetzungs-KIs nicht nur Sprachbarrieren reduzieren, sondern auch kulturelle Nuancen erkennen und so potenzielle Missverständnisse vermeiden. Nach erfolgreichem Aushandeln der Bedingungen kommt KI auch in der Vertragsausarbeitung und im Abschluss zunehmend zum Einsatz. KI-Tools können mehr oder weniger unterschriftsreife Texte nochmals prüfen, fehlende oder ungewöhnliche Klauseln markieren, präzisere Formulierungen vorschlagen und Abweichungen von Unternehmensstandards erkennen – sofern diese im System hinterlegt sind. Und selbst nach dem Abschluss bleibt die KI wertvoll: Sie unterstützt in der Nachbereitung und Lernphase, indem sie Verhandlungsverläufe analysiert, Stärken und Schwächen aufzeigt, Erkenntnisse zusammenfasst und Daten für zukünftige Verhandlungen strukturiert speichert.

Allerdings dürfen wir die Grenzen und Herausforderungen nicht aus den Augen verlieren. KI ist ein Werkzeug, das stets im Zusammenspiel mit menschlicher Urteilskraft und kritischem Denken eingesetzt werden muss. Die Risiken von Halluzinationen (plausibel klingende, aber inkorrekte Informationen), Verzerrungen (Bias) durch Trainingsdaten, mangelndem kulturellem Verständnis und datenschutzrechtlichen Bedenken sind real und müssen mit kritischem Blick beachtet werden. Für Schweizer KMU, die regelmässig Wert auf persönliche Beziehungen und individuelle Ansätze legen, ist es unerlässlich, dass die KI den menschlichen Kontakt stärkt und nicht schwächt. Dazu braucht es eine präzise Vorbereitung der Anweisungen an die KI, klare Richtlinien und generell ein hohes Mass an Kompetenz im Umgang mit KI im gesamten Team.  

Blick in die Zukunft

Künftig dürften Verhandler im Tandem mit einer KI ihrer Wahl auftreten und so Informationsasymmetrien abbauen, wodurch Verhandlungen schneller, transparenter und sachlicher werden könnten. Wenn Algorithmen die mögliche Einigungszone exakt eingrenzen und beide Seiten rational beraten, könnte endloses Feilschen abgekürzt werden. KI könnte zudem helfen, Win-win-Lösungen effizienter zu finden und sogar als neutrale Media­torin bei komplexen Konflikten agieren. Ein weniger rosiges, aber realistisches Szenario ist, dass Verhandlungen in der Folge zu einem strategischen «Wettlauf der Algorithmen» werden, wenn beide Seiten hoch entwickelte KIs einsetzen. Hier könnten Unternehmen mit überlegenen KI-Ressourcen einen Vorteil haben, was eine digitale Kluft schaffen könnte.

Langfristig zeichnet sich eine neue Rollenverteilung zwischen Mensch und KI ab. Menschen werden sich darauf konzentrieren, Beziehungen zu gestalten, kreative Visionen zu entwickeln und finale Entscheidungen zu treffen. Die KI übernimmt indes die Analyse, Simulation und operative Abwicklung. Der menschliche Verhandlungsführer wird zum «Regisseur», der die verschiedenen KI-Inputs bewertet und den Kurs vorgibt. Routinearbeiten und Datenanalyse überlässt man der Maschine, während sich Menschen auf die kreativen, strategischen und vor allem zwischenmenschlichen Aspekte konzentrieren können, die keine KI nachahmen kann – Empathie, Intuition und das Aufbauen von Vertrauen. All dies dürfte sich aber nicht nur beim Verhandeln, sondern auch bei vielen anderen Denk- und Kommunikationsarbeiten künftig so entwickeln.

 

Erwähnte Literatur:

Saparamadu et al. (2025). Optimising Contract Interpretations with Large Language Models: A Comparative Evaluation of a Vector Database-Powered Chatbot vs. ChatGPT. Buildings, 15(7), 1144.

Staron et al. (2024). Using Generative AI to Support Standardization Work – the Case of 3GPP. SEAA, 201.

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