Finanzen & Vorsorge

Vorsorge

Wie viel Unternehmertum die Vorsorge benötigt

Der Druck auf die Vorsorge durch negative Zinsen sowie Langlebigkeit nimmt zu, die Umwandlungssätze fallen rasant und auch die Verzinsung der Altersguthaben geht zurück. Der folgende Beitrag skizziert die Grundbausteine des Geschäftsmodells Vorsorge und zeigt, wie ein unternehmerisches Vorsorgemodell auch in Zukunft funktionieren kann.
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Vorsorge findet fast immer in Stiftungen und Genossenschaften statt, die keine Gewinnerzielungsabsicht hegen. Es existiert kein Eigenkapital und somit kann eine Person keine direkte unternehmerische Verantwortung als Aktionär übernehmen. Die Führung und Kontrolle erfolgt zwar formal ähnlich wie in einer Aktiengesellschaft, jedoch sind viele der zumeist nebenberuflichen Stiftungsräte kaum verfügbar (Milizsystem), schlecht bezahlt und (deshalb?) nicht immer professionell. Geschäftsführungen, die wenig gefordert, überwacht und geführt werden, richten sich bequem ein und verwalten das Existierende so, dass vor allem die groben Fehler vermieden werden. Dazu werden vielfach externe Berater herangezogen, die diese Fallschirmfunktion gerne gegen gute Entlohnung erfüllen.  

Steigender Druck

In Anbetracht, dass die zweite Säule heute einen Kapitalstock von etwa 800 Milli-
arden Franken zu grossen Teilen in derartigen Gefässen angehäuft hat, ist zu fragen, wie hier für die Versicherten mehr erreicht werden kann. Der Druck auf die Vorsorge durch negative Zinsen und die Langlebigkeit wird immer mehr sichtbar; so fallen die Umwandlungssätze rasant und auch die Verzinsung der Altersguthaben geht zurück. Die Kombination beider Effekte ist explosiv. Hier entsteht der Nährboden für Altersarmut, die auch durch den Puffer der ersten Säule nur ungenügend bekämpft werden kann.

Probleme der Vorsorge

Traditionell wird die Schuld für sinkende Leistungen in der Vorsorge immer bei anderen gesucht und prinzipiell nicht vor der eigenen Tür gekehrt. Nun sind die Probleme der Vorsorge sicher multikausal, dies sollte jedoch gerade dazu führen, eigene Beiträge zur Lösung zu erarbeiten. Im Folgenden sollen «unternehmerische» Massnahmen vorgestellt werden, die einen Beitrag zur Erhöhung der Kundenzufriedenheit oder auch Effizienz leisten können. Es wird darauf verzichtet, die freie Wahl der Vorsorgeeinrichtung für den Arbeitnehmer vorzuschlagen, da – obwohl zielführend – heute wohl nur ei-
ne kleine Chance der Umsetzung besteht.

Es ist darauf hinzuweisen, dass «unternehmerische» Massnahmen im Gegensatz zu «traditionellen» Sanierungsmassnahmen darauf zielen, die Ergebnisse und damit finanzielle Stabilität zu verbessern, ohne eine Leistungskürzung vornehmen zu müssen. Zwar besteht diese Möglichkeit bereits, da jedoch der Kunde nicht abwandern kann, wird vielfach per se die Leistungskürzung bevorzugt. Im Folgenden sollen wesentliche Grundbausteine des Geschäftsmodells Vorsorge vorgestellt und Wege aufgezeigt werden, die auch im heutigen Umfeld Fortschritt ermöglichen.

Wege zum Fortschritt

Schlüsselressourcen

Damit ein unternehmerisches Vorsorgemodell funktionieren kann, muss eine entsprechende Unternehmenskultur etabliert werden. Hierzu sind Persönlich­keiten notwendig, die unternehmerisches Flair mit Fachwissen verbinden. Es müssen Visionen formuliert und Strategien erdacht werden, die es erlauben, die Unternehmensziele zu erreichen. Der Einsatz von Zielen sowie Incentives in der Führung der Mitarbeiter ist auch in einer Stiftung nicht nur möglich, sondern nötig, da motivierend. Der Aufbau eines wirklichen Vorsorgeunternehmens beginnt bei der Selektion der Stiftungsräte und dem Kriterium der Professionalität sind alle anderen Gesichtspunkte unterzuordnen.

Schlüsselaktivitäten

Vorsorge ist ein Kombiprodukt, das aus den Sparten Anlage, Versicherung und Verwaltung besteht. Aufgrund der Höhe der Geldflüsse wird zumeist die Entwicklung einer passenden Anlagestrategie
sowie deren Umsetzung als alleinige Schlüsselaktivität gesehen. Eine wirkliche Trennung der drei Sparten durch unabhängige Finanzierung erlaubt ein tieferes Verständnis und eröffnet auch neue Gestaltungsräume. So ist die Kenntnis der versicherten Risiken und damit die Ausgestaltung der Tarife für Invalidität und Tod, aber auch des Umwandlungssatzes ebenfalls eine Schlüsselaktivität. Der Aufbau eines e-pension System kommt hinzu, Digitalisierung ist eine Chance, da geringe Verwaltungskosten mit hohem Service verbunden werden können.

Die unabhängige Führung der Sparten und damit auch der Schlüsselaktivitäten ergibt Kostenwahrheit und ermöglicht Resultatverantwortung für Einzelbereiche. Eine derartige Unternehmung zeigt auch Transparenz, die zumindest im jährlichen Geschäftsbericht im Rahmen einer freiwilligen Berichterstattung Eingang finden wird. Es werden letztendlich neue Angebote entstehen und die Entscheidungen des «make or buy» sind ökonomisch fundiert.  

Kundensegmente

Da Einzelpersonen sich ihre Vorsorgeeinrichtung nicht aussuchen dürfen, erfolgt vielfach keine Segmentierung der Kunden; es handelt sich nach gängiger Auffassung um eine Schicksalsgemeinschaft von Arbeitnehmern und Rentnern im Firmenverbund. Jedoch gibt es in fast jeder Pensionskasse zwei Hauptkundengruppen, aktiv Versicherte und Rentner. Darüber hinaus sind weitere Differenzierungen möglich und sinnvoll. Es ist zu prüfen, inwieweit nicht ähnliche Kundengruppen und -wünsche auch über den Stiftungsrahmen gebündelt werden können, damit im bestehenden rechtlichen Rahmen Wahlmöglichkeiten effizient angeboten werden. Im Falle der Sammelstiftungen erfolgt oftmals eine Fokussierung auf gewisse Firmentypen. Ebenso sind Segmentierungen zum Beispiel anhand von Risikoprofilen von Einzelpersonen denkbar. Die systematische Bearbeitung von identifizierten Kundensegmenten ist eher Neuland, bietet viel Potential und ist ein Weg zur Steigerung der Kundenzufriedenheit.

Wertangebote

Das BVG schreibt ein minimales, obligatorisches Vorsorgepaket vor. Die Merkmale dieser Basisprodukte sind in den Vorsorgeeinrichtungen unterschiedlich ausgestaltet. In der Realität werden zumeist zusätzliche Leistungen angeboten. Es gilt, diese auf die Kundengruppen abzustimmen. Im Bereich der Anlage haben einzelne Vorsorgeeinrichtungen Wahlmöglichkeiten geschaffen, ebenso gibt es dies auch für Kapital, Rente oder das mögliche Rücktrittsalter. Weitere auch neue Dif­ferenzierungen sind auch in den Sparten Versicherung, Invalidität und Tod oder der administrativen Dienstleistungen vorstellbar. Die Entwicklung von neuen Angeboten ist eng mit der Kundensegmentierung verbunden. Nur wer die Bedürfnis­se der Kunden gut kennt, kann attraktive Produkte und Dienstleistungen entwickeln.

Schlüsselpartnerschaften

Der Vorsorgemarkt ist im Umbruch, da kleine Stiftungen aufgeben (müssen) und sich Sammelstiftungen oder Vollversicherungen anschliessen. Der Weg zu einem Oligopol der grossen Vorsorgeeinrich-
tungen, welche selbst alle Dienstleistungen erstellen, scheint vorgezeichnet. Leider sind bisher nur wenige innovative Geschäftsmodelle entstanden, die eine andere Art der Zusammenarbeit ermöglichen. Dies ist nicht weiter verwunderlich, da die strenge Regulierung Erneuerungen erschwert. So ist zu prüfen, inwieweit es möglich ist, Zusammenarbeit stiftungsübergreifend zu organisieren. Dies könnte einerseits anhand einer Kundensegmentierung und daraus erwachsender Spezialisierung erfolgen oder auch durch eine Fokussierung auf einzelne Bereiche der Vorsorge beziehungsweise die jeweiligen Schlüsselaktivitäten. Der Aufbau eines Businessmodells ist Voraussetzung, die richtigen Partner auszuwählen.

Fazit

Der Zeitpunkt ist gekommen, der Professionalität und dem Unternehmertum in der Vorsorge mehr Raum zu geben. Vorsorge ist ein Milliardengeschäft, das nicht durch Freiwilligenarbeit im Milizsystem geführt werden sollte. Für den Fortschritt gilt es, bestehende Freiräume zu nutzen und zusätzliche zu schaffen, damit sich Vorsorgeunternehmen kundenorientiert und effizient verhalten können. Es ist Aufgabe der Regulierung, derartige Veränderungen aktiv zu fördern.

Für die Vorsorgebranche bedeutet dies, in vielen grossen Institutionen eine aktive und marktorientierte Kultur in der Unternehmung zu etablieren, was aber die Rekrutierung solcher Persönlichkeiten voraussetzt. Einerseits sollen neue Formen der Zusammenarbeit entstehen, indem sogenannte «Shared Service Center» stiftungsübergreifend effizient Dienstleistungen für einzelne Sparten erstellen.
Andererseits soll für Versicherte bzw. für die Rentner in einer Vorsorgeeinrichtung Angebotsvielfalt entstehen. Dies, indem auch ausserhalb der Stiftung Angebote effizient erstellt werden, die von einer einzelnen Vorsorgeeinrichtung bezogen werden können. Hierfür sind «Shared Product Center» hilfreich, die eine Kompatibilität der Produkte für eine Vorsorgeeinrichtung herstellen. Diese Gebilde müssen wie die Vorsorgeeinrichtungen ohne Steuerbelastung arbeiten können und dürfen insbesondere nicht der Mehrwertsteuerpflicht unterstellt werden. Dies bedeutet, dass etwaige Überschüsse auf die Kunden verteilt werden.

Porträt