Finanzen & Vorsorge

Entlohnung

Wie gerecht ein Gehalt sein kann

Ob es überhaupt einen gerechten Lohn geben kann, darüber gehen die Meinungen aus­einander. Ebenso darüber, nach welchen Kriterien ein Lohnsystem zu entwickeln ist. Zudem sind Schwierigkeitsgrad der Tätigkeit und individuelle Leistung nie gänzlich objektiv messbar. Oft richten sich die Löhne daher nach ungeschriebenen Gesetzen.
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Gehälter und Boni gewisser Berufsgruppen sind nach wie vor in den Schlagzeilen. Dabei kritisiert die Öffentlichkeit nicht allein die Höhe der Zahlungen, sondern auch die Kriterien für deren Zu­standekommen. Von falschen Anreiz­sys­temen ist ebenso die Rede wie von egoistischer Gier. Damit rückt – allgemeiner gesprochen – die Frage nach dem «richtigen» Zustandekommen eines Gehalts ins Zentrum des Interesses.

Eine relative Grösse

Stellen Sie diese Frage einmal in Ihrem Bekanntenkreis, und Sie werden wohl verschiedenste Antworten bekommen: Die persönliche Leistung solle ausschlaggebend sein, die mit der Tätigkeit verbundene Verantwortung, ihr Schwierigkeitsgrad, die Art der absolvierten Ausbildung, ebenso die hierarchische Position, die Nachfrage und das Angebot auf dem Arbeitsmarkt sowie das Lohnniveau oder der wirtschaftliche Erfolg des Unternehmens, und so weiter. In der Praxis ist es wohl tatsächlich ein Mix dieser genannten Faktoren, mit unterschiedlichen Ausprägungen je nach Branche und Unternehmenskultur.

Aber wann ist ein Lohn gerecht? Obwohl «Lohngerechtigkeit» gesetzlich verankert ist, zeigt die Praxis ein unbefriedigendes Bild. Bei der Lohnfestlegung stellen sich manche Personalverantwortliche auf den Standpunkt, dass es die Lohngerechtigkeit gar nicht geben könne, und so werden dann die Gehälter auch häufig unsystematisch festgelegt. Andere wiederum erachten einzig die Arbeitsmarktvergleiche als legitimste Leitlinie für die Lohnfestlegung. Aber: Die Ausrichtung des Lohnes an einem Marktwert lässt unhinterfragt, wie dieser Wert zustande gekommen ist, und ist damit letztlich eine blinde Anpassung.

Offensichtlich richten sich die Marktwerte keineswegs nur nach Angebot und Nachfrage, denn sonst müssten die Löhne in manchen ausgetrockneten oder frauentypischen Marktsegmenten (zum Beispiel Pflegeberufe) deutlich höher sein, als sie es heute sind. Lohngerechtigkeit ist sicherlich keine absolute, sondern eine relative Grösse.

In den Augen des Personals ist sie insbesondere eine Frage des unternehmensinternen Vergleichs: Verdient ein Kollege mit vergleichbarer Tätigkeit und Leistung mehr als ich, erachte ich dies als ungerecht. Aber auch dieser Vergleich greift insofern zu kurz, als selbst dann, wenn unsere Löhne gleich wären, nicht geklärt ist, ob sie verglichen mit anderen Tätigkeiten korrekt sind.

Grosse Ermessensspielräume

Als Arbeitswissenschaftler beschäftigen wir uns seit mehr als zwanzig Jahren mit solchen Fragen. Im Zusammenhang mit Lohnkonflikten wurden wir wiederholt beauftragt, Löhne und Lohnsysteme zu begutachten. Inzwischen unterstützen wir Unternehmen bei der Entwicklung und Einführung von Lohnsystemen und Mitarbeiterbeurteilungssystemen. Dabei zeigt sich Verschiedenes: Es bestehen grosse Ermessensspielräume bei der Gestaltung der verschiedenen Lohnkomponenten. Diese können durchaus kreativ und im Sinne der Bedürfnisse des Unternehmens und seiner Belegschaft genutzt werden.

Andererseits richten sich die Löhne in den meisten Unternehmen nach ungeschriebenen Gesetzen, die vereinfacht wie folgt dargestellt werden können: In erster Linie ist der intellektuelle Schwierigkeitsgrad der Tätigkeit massgebend: So verdient eine Juristin mehr als zum Beispiel eine Verkäuferin. Weitere Differenzierungen resultieren aus der hierarchischen Position, der individuellen Leistung, der individuellen Erfahrung, der Betriebszugehörigkeit und der Situation auf dem Arbeitsmarkt, wobei diese Aufzählung nicht abschliessend ist.

Gerichte messen bei der Behandlung von Lohnklagen dem Schwierigkeitsgrad der Tätigkeit die grösste Bedeutung zu. Wie aber kann dieser bestimmt werden, wenn mehr als eine nur ungefähre Einschätzung gefragt ist? Dafür stehen die Methoden der analytischen Arbeitsbewertung zur Verfügung. Anforderungen und Belastungen einer Arbeitstätigkeit werden analysiert und nach verschiedenen Kriterien eingestuft. Wir entwickelten dafür ein Instrument, das die intellektuellen, psycho-sozialen und physischen Aspekte sowie die Führungsverantwortung von Arbeitstätigkeiten direkt vergleichbar und methodisch korrekt erfasst. Aus den Analyseresultaten werden die Basislöhne für die verschiedenen im Unternehmen vorkommenden Tätigkeiten abgeleitet. Dazu können individuelle Faktoren wie Leistung, Betriebszugehörigkeit und so weiter hinzuaddiert werden. Aufgrund der Systematik entsteht eine klare und nachvollziehbare Lohnstruktur.

Ob und in welchem Ausmass die individuelle Leistung Lohnbestandteil sein soll, wird kontrovers diskutiert. Aller Bedenken bezüglich der eingeschränkten Objektivität zum Trotz wird kaum jemand bestreiten, dass Person A die Tätigkeit X qualitativ besser oder schlechter als Person B verrichten wird, und damit eine unterschiedliche Entlohnung durchaus gerechtfertigt ist. Aber: Leistungsbewertung ist aus methodischer Sicht kein einfaches Unterfangen, wenn das Einfliessen von Vorurteilen minimiert werden soll. Auch diesbezüglich haben wir methodisch korrekte Instrumente entwickelt. Dies wird unter anderem dadurch erreicht, indem die Kriterienraster und -gewichtung für die Leistungsbewertung eng mit den Anforderungen der Tätigkeit verknüpft werden, welche die zu beurteilenden Personen ausführen.

Besitzstandsgarantien

Lohnsysteme sind wie vieles andere auch ein bisschen Geschmackssache: Sie können und sollen auf die Bedürfnisse des Unternehmens zugeschnitten werden. Entwicklung und Erarbeitung erfolgen in intensiver Projektarbeit mit dem anwendenden Unternehmen. Die Entwicklungskosten hängen dabei stark von der Anzahl der Tätigkeiten und der gewählten Projektorganisation ab. Sie halten sich aber im Rahmen üblicher Projekte mit externer Fachberatung.

Als erster Schritt bei der Erarbeitung eines neuen Lohnsystems müssen die Bedürfnisse des Unternehmens definiert werden. Diese Phase dient auch den nicht selten notwendigen Begriffsklärungen: Ein Begriff wie «Leistungslohn» beispielsweise bedarf in der Regel einer eingehenden Spezifizierung. Die Abklärung der Bedürfnisse umfasst die verschiedene Themenbereiche bis hin zu entscheidenden Fragen der Überführungsregelungen (Besitzstand?).

Besitzstandsgarantien bewirken meistens eine Erhöhung der Lohnsumme bei der Einführung des neuen Lohnsystems: Einzelne Tätigkeiten werden höher bewertet als bisher und verursachen Lohnerhöhungen, während bei tiefer bewerteten Funktionen in der Regel keine Lohnreduktionen vorgenommen werden. In der Praxis können durch eine unternehmensangepasste Entwicklung der Löhne in den folgenden Jahren die anfänglichen Mehrausgaben neutralisiert werden.

Wir sind in unserer Beratungspraxis bisher erst einmal damit konfrontiert worden, ein neues Lohnsystem mit der Vorgabe von Lohneinsparungen zu konzipieren. Vielleicht ist ja ein Unternehmen gezwungen, Personalkosten zu reduzieren, um mittel- und langfristig bestehen zu können. Anstelle von undifferenzierten Lohnreduktionen erachten wir es in einem solchen Fall als sinnvoller, eine analytische Arbeitsbewertung durchzuführen. Dadurch kann für jede Tätigkeit identifiziert werden, ob sie bisher relativ zu den anderen zu tief, zu hoch oder korrekt entlöhnt war. Die notwendigen Reduktionen der Löhne würden dann in erster Priorität bei den relativ zu hoch entlöhnten Tätigkeiten vorgenommen. Im Falle eines wirtschaftlichen Minuswachstums kann ein solches Vorgehen sinnvoller sein, als Personalent­lassungen vorzunehmen. Dies nicht nur aus volkswirtschaftlicher Sicht, sondern auch im Interesse des Unternehmens, das bei einer Wiederverbesserung der wirtschaftlichen Situation ohne Neurekrutierung des vorher entlassenen Personals sofort reaktionsfähig ist.

Fazit

Die Gerechtigkeit des Lohns ist kein unerreichbares Ziel. Es gibt durchaus wissenschaftlich anerkannte und auch in der Praxis bewährte Methoden, um Lohnstrukturen zu schaffen, die systematisch und nachvollziehbar sind. Und trotzdem gewähren sie dem Unternehmen den notwendigen Freiraum und die gewünschte Flexibilität. Der Schwierigkeitsgrad der Tätigkeit und die individuelle Leistung der arbeitenden Person sind zwar nie gänzlich objektiv messbar, aber immerhin mit genügender Genauigkeit zu eruieren, sodass ein Verzicht auf solche Instrumente in jedem Fall eine weitaus schlechtere Alternative wäre.

Porträt