Seit der Revision des Aktienrechts im Jahr 2012 sind viele KMU gesetzlich nicht mehr dazu verpflichtet, ein internes Kontrollsystem (IKS) zu führen. Vor diesem Hintergrund startete das Institut für Finanzdienstleistungen Zug IFZ der Hochschule Luzern vor etwas mehr als zwei Jahren ein praxisorientiertes Forschungsprojekt, um die freiwillige Eigenkontrolle von KMU im Rahmen einer guten Corporate Governance zu fördern.
Gemeinsam mit der Sage Schweiz AG und weiteren Praxispartnern wurde aus den wissenschaftlichen Erkenntnissen die Online-Plattform «KMU-Benchmark» entwickelt. Diese ermöglicht es Unternehmen, ihre finanziellen Steuerungs- und Kontrollmassnahmen eigenhändig zu evaluieren, mehr Transparenz zu erhalten wie auch Schwächen und Risiken zu eruieren. Das Projekt wurde von der Kommission für Technologie und Innovation (KTI) des Bundes finanziell unterstützt.
Das Best-Practice-Modell
Der «KMU-Benchmark» an sich stützt sich auf ein Best-Practice-Modell, das im Laufe des Forschungsprojekts entwickelt wurde. Die Hochschule Luzern war primär dafür verantwortlich, dass die Herleitung des Modells nach wissenschaftlichen Prinzipien erfolgte. Als erster Arbeitsschritt wurde die Forschungslücke identifiziert, das heisst, das damals zu definierende Best-Practice-Modell sollte eine in der Praxis bestehende Wissenslücke schliessen. Nach Vorgesprächen mit Wirtschaftspartnern und der Auswertung der gegenwärtigen Literatur wurde klar, dass ein auf Freiwilligkeit basierendes Hilfsmittel, welches Unternehmen die finanzielle Steuerung und Kontrolle erleichtert, einem Markt- und Forschungsbedürfnis entspricht.
In einem nächsten Schritt hat das Forschungsteam bei den am Projekt beteiligten KMU untersucht, mit welchen Instrumenten und Prozessen die finanzielle Führung organisiert ist und wo allenfalls Effektivitäts- sowie Effizienzpotenziale festzustellen waren. Dazu wurden neben der IT-Infrastruktur alle Management-, Geschäfts- und Supportprozesse, die einen Einfluss auf die finanzielle Führung ausüben, auf Risiken und entsprechende Steuerungs- und Kontrollelemente analysiert (vgl. Hunziker, Fallegger & Renggli, 2015, S. 96 – 98).
Ausgehend von dieser Ist-Analyse, den Erfahrungen der Forschungspartner, dem aktuellen Stand der Literatur sowie Expertenwissen aus der Treuhandbranche, wurde das Best-Practice-Modell definiert. Es stellt eine Art «idealer Zustand» dar, an dem sich Unternehmen aller Branchen messen und vergleichen können. Dem Modell liegt die Idee zugrunde, dass Steuerung und Kontrolle in KMU zwar pragmatisch, aber dennoch möglichst umfassend betrachtet werden sollte. Das Modell beschränkt sich daher nicht nur auf Kontrollen in den Finanzprozessen, sondern deckt auch Risikoabwägungen im Unternehmensumfeld, Fragen zur effektiven und effizienten Informations- und Kommunikationskultur sowie die IT-Systemüberwachung ab.
Vier Analyse-Komponenten
Das Best-Practice-Modell legt die Grundlage für ein strukturiertes Assessment im «KMU-Benchmark», das aus vier unabhängig zu analysierenden Komponenten besteht: «Organisation & Kultur», «Information & Kommunikation», «Steuerung & Kontrolle» sowie «Überwachung». Die Komponenten wiederum sind in Themenbereiche aufgegliedert, welche von den Unternehmen zu beurteilende Best-Practice-Aussagen enthalten. Die Beurteilung der Aussagen dient dem KMU dazu, die eigenen Steuerungs- und Kontrollmassnahmen zu überprüfen.
Idealerweise wird das Assessment mit der Analyse von «Organisation & Kultur» gestartet. Darin stehen Fragen zu unternehmerischen Rahmenbedingungen zur Diskussion, die in erster Linie Verwaltungsräte und Geschäftsführer adressieren. Unternehmen nehmen u. a. Stellung zu Aspekten der Führung, Personalpolitik, Organisation und zum grundsätzlichen Risikoverständnis. Der zweite Analysebereich «Information & Kommunikation» ist stärker operativer Natur und untersucht, ob führungsrelevante Informationen in der nötigen Qualität und zur richtigen Zeit zur Verfügung stehen. Ebenfalls wichtig ist die Frage, wie das Unternehmen gegen innen und gegenüber seinen externen Anspruchsgruppen kommuniziert.
Steuerungs- und Kontrollinstrumente im Finanzbereich stehen im Mittelpunkt der dritten Komponente, die sich primär an die Geschäftsleitung richtet. Dabei werden operative Prozesse hinsichtlich der Risiken und Kontrollmassnahmen beurteilt. Das Prozessspektrum reicht von Einkaufs-, Leistungserstellungs- über Verkaufs- bis hin zu Personal- oder Abschlussprozessen. Es geht darum, zu beurteilen, ob die Prozesse effektiv und effizient abgewickelt werden. Insbesondere die Frage nach der Effizienz deckt bei vielen Unternehmen Schwachstellen auf. Gerade KMU sollen sensibilisiert werden, mit ihren beschränkt verfügbaren Ressourcen (v. a. im administrativen Bereich) bestmögliche Ergebnisse zu erzielen.
Schliesslich wird das Assessment mit dem Bereich Überwachung abgeschlossen. Dieser letzte Teil thematisiert die Sicherstellung einer kontinuierlichen Beurteilung der Steuerungs- und Kontrollmassnahmen sowie der daraus folgenden Verbesserung der finanziellen Führung von KMU.
Die alleinige Entwicklung eines Best-Practice-Modells und dessen technische Umsetzung reichen aus praktischer Sicht nicht aus. Als letzter und entscheidender Schritt erfolgte deshalb die Validierung des entwickelten Instruments. Dazu begleiteten die Forschungspartner zahlreiche KMU bei der ersten Anwendung des «KMU-Benchmarks» und konnten so Erkenntnisse für die Zuverlässigkeit und Gültigkeit der empfohlenen Massnahmen gewinnen (siehe Praxiseinblick unten).
Empfehlungen und Benchmarking
Die im «KMU-Benchmark» auf wissenschaftlicher Basis abgeleiteten Komponenten werden sehr konkret in praxisrelevante Diskussionspunkte übersetzt. Führungspersonen werden im Rahmen des vierteiligen Assessments auf der Plattform beispielsweise gefragt, ob Sicherheitskopien der Daten erstellt werden, eine Unterschriftenregelung existiert und kontrolliert wird, ob ein Zugriffsschutz auf Personal- und Lohndaten eingerichtet ist. Weiter geht es unter anderem darum, ob der IT-Support gewährleistet ist, Prozesse dokumentiert werden und Stellvertretungen definiert sind. Werden – basierend auf dem Assessment – Lücken in der Eigenkontrolle aufgedeckt, erhalten die KMU im Ergebnisbericht detaillierte Empfehlungen, wie sie ihre finanzielle Führung verbessern können. Gleichzeitig ermöglicht es der «KMU-Benchmark», die eigene Auswertung mit jenen von anderen KMU gleicher Grösse und Branche zu vergleichen und daraus potenziellen Handlungsbedarf abzuleiten.
Zusätzlich stehen spezifische Faktenblätter und Checklisten zur Verfügung, um erste Massnahmen umzusetzen. Damit die eigenen Fortschritte überwacht werden können, lässt sich die Analyse auf der Plattform beliebig oft wiederholen. Die Hochschule Luzern wird die anonymisierten Daten aus dem «KMU-Benchmark» verwenden, um in regelmässigen Abständen Erhebungen zur Ausgestaltung der Steuerungs- und Kontrollmassnahmen in KMU vorzunehmen und darüber zu berichten.